Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Hilfebedürftigkeit. Unterhaltsvermutung bei Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten. Beweislast des Grundsicherungsträgers für eine Wirtschaftsgemeinschaft. Nichtvorliegen bei reiner Wohngemeinschaft. kein Übergang von Unterhaltsansprüchen bei Nichtgeltendmachung

 

Orientierungssatz

1. Trotz Zusammenleben des Hilfebedürftigen mit Verwandten oder Verschwägerten greift die Unterhaltsvermutung des § 9 Abs 5 SGB 2 nicht, wenn der Grundsicherungsträger nicht nachweist, dass eine Wirtschaftsgemeinschaft als Voraussetzung für die Haushaltsgemeinschaft besteht.

2. Während im Bereich der Sozialhilfe nach § 36 S 1 SGB 12 bei Bestehen einer Wohngemeinschaft bereits das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft vermutet wird, gilt dies für die Vermutungsregelung des § 9 Abs 5 SGB 2 nicht.

3. Die Anforderungen an das gemeinsame Wirtschaften gehen über die gemeinsame Nutzung von Bad, Küche und gegebenenfalls Gemeinschaftsräumen hinaus. Selbst das in Wohngemeinschaften häufig anzutreffende gemeinsame Einkaufen von Nahrungsmitteln und sonstigen Bedarfsartikeln des täglichen Lebens aus einer von den Mitbewohnern zu gleichen Teilen getragenen Kasse begründet noch keine Wirtschaftsgemeinschaft.

4. Auch Unterstützungsleistungen Verwandter zur Behebung einer Notlage, die auf die unberechtigte Ablehnung der Sozialleistung zurückzuführen ist, begründen noch nicht die Annahme des Wirtschaftens aus einem Topf.

5. Die Wertentscheidung des Gesetzgebers ist zu akzeptieren, der durch die Regelung des § 33 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB 2 darauf verzichtet hat, tatsächlich bestehende Unterhaltsansprüche zwischen erwachsenen Verwandten leistungsrechtlich in jedem Fall zu berücksichtigen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 27.01.2009; Aktenzeichen B 14 AS 6/08 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 24. Oktober 2006 aufgehoben sowie der Bescheid vom 10. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juni 2005 abgeändert und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 2005 zusätzlich monatlich 118,76 EUR zu zahlen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtzüge zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) - Alg II - für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.2005 streitig.

Der 1965 geborene Kläger bezog bis 15.07.2002 Arbeitslosengeld (Alg) I und anschließend Arbeitslosenhilfe (Alhi). Am 13.10.2004 beantragte er die Bewilligung von Alg II und legte einen am 05.08.2004 mit Wirkung ab 01.08.2004 zwischen der Sozialbau K. Wohnungs- und Städtebaugesellschaft m.b.H. sowie ihm und seinem Vater abgeschlossenen Mietvertrag über eine 80,32 qm große Wohnung vor; danach betragen die Grundmiete 298,00 EUR, die Betriebskosten 87,00 EUR und die Heizkosten 72,00 EUR. Der 1935 geborene Vater des Klägers ist Witwer und bezieht von der LVA Schwaben Altersrente in Höhe von monatlich 1.278,27 EUR.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 10.11.2004 für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.2005 Alg II in Höhe von monatlich 393,48 EUR. Sie legte eine Regelleistung von 345,00 EUR und Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) von 228,41 EUR zugrunde. Auf den Gesamtbedarf von 573,41 EUR rechnete sie einen fiktiven Unterhalt von 179,93 EUR an.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, eine Unterhaltvermutung sei nicht gerechtfertigt. Er übergebe seinem Vater monatlich 230,00 EUR in bar für die Unterkunft. Er und sein Vater hätten gegenseitig keinerlei Kontovollmacht, jeder wasche und bügle seine Wäsche selbst. Da sie zu unterschiedlichen Zeiten morgens aufstünden und die Wohnung verließen, koche auch jeder für sich selbst, jeder schlafe in seinem separaten Zimmer. Es handle sich höchstens um eine Wohngemeinschaft.

Er hat die schriftliche Erklärung seines Vaters vom 17.01.2005 vorgelegt, wonach es sich um Wohngemeinschaft handle und gemeinsames Wirtschaften nicht stattfinde. Einkauf und Zubereitung der Nahrungsmittel erledige jeder selbst, ebenso die Wäsche der Kleidung. Sein Sohn erhalte keine finanzielle Unterstützung. Von ihm erhalte er monatlich 230,00 EUR anteilig zu den Mietkosten. Lediglich aus Kostengründen teile er mit seinem Sohn eine Wohnung. Keiner könne über das Konto des anderen verfügen.

Mit Änderungsbescheid vom 01.06.2005 bewilligte die Beklagte für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.2005 monatlich 451,74 EUR. Neben der Regelleistung setzte sie KdU von 225,50 EUR wegen des Abzuges des Warmwasseranteils an und berichtigte den vermuteten Unterhaltsbeitrag auf 166,39 EUR; hiervon zog sie Versicherungsbeiträge von monatlich 47,63 EUR ab, so dass eine Anrechnung in Höhe von 118,76 EUR erfolgte.

Im Übrigen wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 06.06.2005 den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Behauptung, von seinem Vater keine Unterstützung z...

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