Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewährung des physischen und soziokulturellen Existenzminimums an Asylbewerberleistungsberechtigte

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Verkürzung des Barbetrags bzw. Zulässigkeit der Leistungseinschränkung auf das unabweisbar Gebotene nach der Entscheidung des BVerfG vom 18. Juli 2012, 1 BvL 10/10.

2. Zur Frage, ob migrationspolitische Erwägungen von vornherein ein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum nicht rechtfertigen.

3. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens bleibt offen, ob Leistungseinschränkungen nach § 1 a Nr. 2 AsylbLG nach dem og Urteil des BVerfG grundsätzlich verwehrt sind. Im Rahmen der Rechtsfolgenabwägung ist der Geldbetrag zur Deckung der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens als Teil des soziokulturellen Existenzminimums vorläufig zu gewähren.

 

Orientierungssatz

1. Zu Leitsatz 1: Die Zulässigkeit der Leistungseinschränkung nach § 1 a AsylbLG auf das unabweisbar Gebotene begegnet rechtlichen Bedenken.

2. Zu Leitsatz 2: Nach der Entscheidung des BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012, 1 BvL 10/10; SozR 4-3520 § 3 Nr. 2 dürften migrationspolitische Erwägungen, Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein international vergleichbares hohes Leistungsniveau zu vermeiden, von vornherein ein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum nicht rechtfertigen.

 

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 13. Dezember 2012, Az.: S 4 AY 5/12 ER, wird zurückgewiesen.

II. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

III. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und RA A., A-Stadt, beigeordnet.

 

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Höhe der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) streitig, die die Antragstellerin (diese Bezeichnung wird im Beschwerdeverfahren beibehalten) von der Antragsgegnerin (Beschwerdeführerin, Stadt R., die Bezeichnung Antragsgegnerin wird im Beschwerdeverfahren beibehalten) verlangen kann.

Die 1972 geborene Antragstellerin ist chinesische Staatsangehörige und reiste im März 2002 erstmals in die Bundesrepublik ein. Sie ist auf Grund des seit 04.04.2003 rechtskräftig negativ abgeschlossenen Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig und im Besitz einer Duldung nach § 60a Abs. 2 S. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Aufgrund falscher Angaben zu ihrer Identität und Herkunft konnten aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden.

Schon mit Bescheid vom 19.11.2003 wurde die Gewährung eines Geldbetrages zur Deckung der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens nach § 3 Abs. 1 S. 4 AsylbLG im Rahmen einer Anspruchseinschränkung nach § 1 a Nr. 2 AsylbLG eingestellt.

Am 13.08.2012 (Antrag vom 09.08.2012) erhob die Antragstellerin "Widerspruch" gegen die Höhe der Leistungsgewährung und bezog sich dabei sowohl auf die Vergangenheit (ab 01.01.2011) als auch auf die Gegenwart. Sie habe einen Anspruch auf Nachzahlung beziehungsweise Zahlung der Differenzbeträge zwischen den bisher gewährten Leistungen und der vom Bundesverfassungsgericht - BVerfG (Urteil vom 18.07.2012 - Az.: 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11) bestimmten Leistungshöhe. Die Antragstellerin wurde mit Anhörungsschreiben vom 31.10.2012 darüber informiert, dass die Antragsgegnerin als örtlicher Sozialhilfeträger nach § 11 Abs. 2 DVAsyl nur für den Bedarf an Kleidung und für den monatlichen Geldbetrag zur Deckung der persönlichen Bedürfnisse nach § 3 Abs. 1 S. 4 AsylbLG (Taschengeld ) zuständig sei. Für die übrigen Bedarfe des physischen Existenzminimums sei die Regierung der O. zuständig, die die Leistungen als Sachleistung in der Gemeinschaftsunterkunft erbringe. Der Antragstellerin werde ein zusätzlicher Bedarf an Kleidung entsprechend des Urteils des BVerfG zuerkannt. Das Taschengeld komme entsprechend § 1 a AsylbLG nicht zur Auszahlung, weil die Antragstellerin aufenthaltsbeendende Maßnahmen bewusst vereitle. Die Antragstellerin wurde aufgefordert, unabweisbare gebotene Bedarfe aus dem Bereich des soziokulturellen Existenzminimums zu benennen. Der Bevollmächtigte der Antragstellerin teilte der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 19.11.2012 mit, eine Benennung der unabweisbaren Bedarfe sei nicht erforderlich, weil nach dem Urteil des BVerfG der volle Monatsbetrag zu zahlen sei, um das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern. Über den Antrag der Antragstellerin vom 09.08.2012 hat die Antragsgegnerin nach Mitteilung vom 14.01.2013 noch nicht entschieden.

Am 20.11.2012 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Regensburg (SG) eine Verpflichtung der Antragsgegnerin beantragt, vorläufig einen Geldbetrag zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens in Höhe von 134 € monatlich zu erbringen. Die Nichtgewährung eines Geldbetrages zur Deckung persönlicher Bedü...

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