Orientierungssatz

1. Hilft die Ausgangsbehörde einem Widerspruch nicht ab und leitet das Widerspruchsverfahren nicht an die Widerspruchsbehörde weiter, so hat sie die Kosten der Untätigkeitsklage zu tragen.

2. Der Devolutiveffekt tritt nach § 85 Abs 2 S 1 SGG erst dann ein, wenn die Ausgangsbehörde dem Widerspruch nicht abgeholfen und ihn zur Entscheidung an die Widerspruchsbehörde weitergeleitet hat.

 

Tenor

Unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 25.10.2005 hat die Beklagte zu 1) der Klägerin die außergerichtlichen Kosten im Verfahren vor dem Sozialgericht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Erstattung der außergerichtlichen Kosten im Verfahren vor dem Sozialgericht.

Die 1958 geborene Klägerin erhob gegen die Zahlungsaufforderung der Beklagten zu 1) vom 27.01.2004 am 10.02.2004 Widerspruch.

Am 27.06.2005 erhob sie zudem beim Sozialgericht München (SG) Untätigkeitsklage gegen die Beklagte zu 1) und gegen den Freistaat Bayern als Träger der Widerspruchsbehörde (Beklagter zu 2). Ihr Klageantrag zielte auf Verbescheidung ihres Widerspruches vom 10.02.2004. In der Begründung führte sie aus, bis zum heutigen Tage liege ihr kein Abhilfe-/Zwischen-/Widerspruchsbescheid vor.

Den eigenen Darstellungen folgend erfuhr der Beklagte zu 2) als sachlich und örtlich zuständige Widerspruchsbehörde erst durch Gerichtsschreiben vom 30.06.2005 vom Vorliegen eines Widerspruchsverfahrens.

Am 07.09.2005 legte die Beklagte zu 1) dem Beklagten zu 2) den Widerspruch, dem sie nicht abgeholfen hatte, vor. Der Widerspruchsbescheid erging unter dem 16.09.2005. Die Beteiligten erklärten daraufhin übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.

Das SG auferlegte dem Beklagten zu 2) die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zur Hälfte.

Hiergegen hat der Beklagte zu 2) Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht erhoben. Er macht geltend, er habe keinerlei Anlass zur Untätigkeitsklage gegeben. Vielmehr habe er innerhalb weniger Tage nach Erhalt der Akten den Widerspruchsbescheid erlassen. Aus diesem Grunde habe die Beklagte zu 1) die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig. Das SG hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG).

Die Beschwerde ist auch begründet, denn nicht der Beklagte zu 2) sondern die Beklagte zu 1) hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Verfahren vor dem SG zu tragen.

Für seine hier angefochtene Entscheidung zur Kostentragungspflicht entsprechend § 193 Abs 1 Satz 3 SGG hat das SG zutreffend unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes nach billigen Ermessen entschieden und dabei auf den Rechtsgedanken abgestellt, der dem § 91 a Zivilprozessordnung und dem § 161 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung zugrunde liegt.

Der Senat ist aber der Auffassung, dass es allein billigem Ermessen entspricht, der Beklagten zu 1) die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Verfahren vor dem SG aufzuerlegen. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Gemäß § 88 Abs 2 SGG ist eine Untätigkeitsklage zulässig, wenn über einen Widerspruch nicht in angemessener Frist sachlich entschieden worden ist, wobei als angemessene Frist eine solche von 3 Monaten gilt. Da § 88 SGG gewährleisten soll, dass die Verwaltung den Betroffenen nicht durch Untätigkeit in seinen Rechten beeinträchtigen kann, kann er diese Untätigkeitsklage nur in Form einer sog. Bescheidungsklage geltend machen, also die Verbescheidung seines Widerspruches beantragen (dazu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl 2005, § 88 Rdnr 2). Voraussetzung nach § 88 Abs 2 SGG ist insoweit allein, dass die Klägerin Widerspruch erhoben hat. Ob der Widerspruch zulässig ist oder in der Sache Erfolgsaussicht hat, ist unerheblich (Eschner in Jansen, SGG, 2005, § 88 Rdnr 4).

Das hat die Klägerin beachtet, denn sie hat seit Widerspruchseinlegung mehr als 16 Monate abgewartet, die Sperrfrist damit auf jeden Fall beachtet, und am 28.06.2005 Untätigkeitsklage mit dem richtigen Verbescheidungsantrag gestellt.

Die Klägerin durfte ihre Untätigkeitsklage, entgegen der Auffassung der Beklagten zu 1), auch gegen beide Beklagte erheben, denn es war für sie - aufgrund des Verhaltens der Beklagten zu 1) - nicht feststellbar, aus welchem Grund das von ihr eingeleitete Widerspruchsverfahren nicht weiter verfolgt worden ist. Darauf hat die Klägerin in ihrer Klageschrift auch ausdrücklich hingewiesen. Die Beklagte zu 1) hatte seinerzeit weder dem Widerspruch abgeholfen noch über die Nichtabhilfe entschieden und die Akten der zuständigen Widerspruchsbehörde vorgelegt. In einem solche Fall kann die Klägerin nicht darauf verwiesen werden, sie habe allein gegen die zuständige Widerspruchsbehörde Untätigkeitsklage zu erheben, weil die an sich sachlich und örtliche zuständige Widerspruchsbehörde mit dem Wider...

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