Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit von Leistungseinschränkungen für Asylbewerber

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Verkürzung des Barbetrags bzw. Zulässigkeit der Leistungseinschränkung auf das unabweisbar Gebotene nach der Entscheidung des BVerfG vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10.

2. Zur Frage, ob migrationspolitische Erwägungen von vornherein ein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum nicht rechtfertigen.

3. Die Aussetzung des Vollzugs im Sinne von § 199 Abs. 2 Satz 1 SGG verlangt besondere Umstände (LSG München vom 17. September 2010, L 8 AS 650/10 ER, 10. Mai 2010, L 14 R 880/09 R; 03. März 2010, L 20 R 924/09 ER; 17. Dezember 2009, L 19 R 936/09 ER).

4. Der Antrag eines zu Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II/SGB XII verurteilten Grundsicherungsträgers auf Aussetzung kann nur in seltenen Fällen zur vorläufigen Nichtgewährung zugesprochener existenzsichernder Leistungen im Wege des § 199 Abs. 2 führen (LSG München 08. Februar 2006, L 10 AS 17/06 ER).

5. Eine Anordnung in der Grundsicherung unter Anwendung einer Güter- und Folgenabwägung beruht an sich schon auf einer Prognose, bei der selten ein derart extremer Unrichtigkeitsgrad der angefochtenen Entscheidung anzunehmen ist, wie er zur Abwendung der ohnehin gesetzlich angeordneten Wirkung (§ 175 SGG) vorliegen müsste.

 

Tenor

I. Der Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem mit der Beschwerde angefochtenen Beschluss des Regensburg vom 13.12.2012 - Aktenzeichen S 4 AY 5/12 ER - wird abgelehnt.

II. Die Antragstellerin des Aussetzungsantrags hat der Antragsgegnerin die außergerichtlichen Kosten dieses Verfahrens zu erstatten.

III. Der Antragsgegnerin des Aussetzungsantrags wird für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt A., B-Straße, A-Stadt, beigeordnet.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Antragsverfahren erster Instanz um die Höhe der der Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner (Beschwerdeführerin, Stadt R.) zustehenden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Die 1972 geborene Antragstellerin (Beschwerdegegnerin) ist chinesische Staatsangehörige und im Besitz einer Duldung nach § 60a Abs. 2 S. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).

Schon mit Bescheid vom 19.11.2003 sind jegliche Geldleistungen eingestellt worden, u.a. die Zahlung eines Barbetrags in Höhe von 40,50 €. Aufgrund falscher Angaben zur Identität und Herkunft wurde der Antragstellerin im Antragsverfahren erster Instanz (diese Bezeichnung wird im Vollstreckungsverfahren beibehalten) die Gewährung eines Geldbetrages zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens verweigert. Seither erhält die Antragstellerin von der Antragsgegnerin und der Trägerin der Unterkunftsleistungen (Regierung) Sachleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Am 13.08.2012 legte die Antragstellerin "Widerspruch" gegen die Höhe der Leistungsgewährung ein; der Widerspruch bezog sich dabei sowohl auf die Vergangenheit (ab 1.1.2011) als auch auf die Gegenwart. Sie habe einen Anspruch auf Nachzahlung beziehungsweise Zahlung der Differenzbeträge zwischen den bisher gewährten Leistungen und der vom Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 18.07.2012 - Az.: 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11) bestimmten Leistungshöhe. Über diesen Antrag wurde nach Auskunft der Antragsgegnerin vom 14.01.2013 noch nicht entschieden.

Am 20.11.2012 beantragte die Antragstellerin beim Sozialgericht Regensburg (SG) eine Verpflichtung der Antragsgegnerin, vorläufig einen Geldbetrag zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens in Höhe von 134 € monatlich zu erbringen. Die Nichtgewährung eines Geldbetrages zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens sei rechtswidrig; die Antragstellerin werde in ihrem Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletzt.

Mit Beschluss vom 13. Dezember 2012 verpflichtete das SG die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung, der Antragstellerin vorläufig für die Zeit vom 20.11.2012 bis zum 31.05.2013, längstens bis zu einem bestandskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens, einen Geldbetrag zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens in Höhe von 134 € monatlich und ab 1. Januar 2013 in Höhe von 137 € monatlich zu erbringen.

Zur Begründung führte das SG an, dass eine solche Anordnung sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund voraussetze, d.h. eine Eilbedürftigkeit im Sinne der Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung gegeben sein müsse, weil ein Abwarten auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren der Antragstellerin nicht zuzumuten sei. Die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung seien umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch im Hinblick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wirkten. Sofern dabei auf Seiten des Anordnungsgrundes das Existenzminimum eines Menschen bedroht sei, genüge nach der Rechtsprechung...

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