Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Ordnungsgeld. Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers. Erforderlichkeit. Anwesenheit des Prozessbevollmächtigten. Klärung von Rechtsfragen. Auferlegung der durch das Ausbleiben verursachten Kosten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Sind allein Rechtsfragen zu klären, ist das persönliche Erscheinen des durch einen Prozessbevollmächtigten vertretenen Klägers nicht erforderlich, so dass die Voraussetzungen für die Festsetzung von Ordnungsgeld nicht gegeben sind.

2. § 141 Abs 3 S 1 ZPO ermächtigt nur zur Verhängung von Ordnungsgeld, nicht jedoch die Auferlegung der durch das Ausbleiben verursachten Kosten.

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 19. Juli 2010 aufgehoben.

II. Die Staatskasse hat der Beschwerdeführerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: Bf.) begehrt die Berücksichtigung ihres 13. und 14. Monatseinkommens bei der Festlegung des für die Berechnung des Elterngeldes maßgeblichen (Netto-)Einkommens. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 28. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August 2009 ab.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Bayreuth verfolgt die Bf. diesen Anspruch weiter. Das Sozialgericht hat auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Problematik hingewiesen und den Rechtsstreit zur Sitzung am 19. Juli 2010 geladen. Es hat das persönliche Erscheinen der Bf., die von einem Prozessbevollmächtigten vertreten wird, angeordnet. Auf Nachfrage des Gerichts hat die Bf. am 15. Juli 2010 erklärt, die Ladung erhalten zu haben. Zur Sitzung ist sie nicht persönlich erschienen; anwesend war hingegen der Prozessbevollmächtigte. Dieser hat angegeben, den Grund für das Nichterscheinen der Bf. nicht zu kennen. Sie habe ihm jedoch vorab mitgeteilt, dass sie den Termin wegen ihrer drei Kinder nicht wahrnehmen könne. Es möge deshalb das persönliche Erscheinen der Bf. aufgehoben werden.

Die Kammer hat nach geheimer Beratung der Bf. mit Beschluss ein Ordnungsgeld in Höhe von 150,00 EUR und die durch das Ausbleiben verursachten Kosten auferlegt, weil diese trotz erneuter Belehrung am 15. Juli 2010 und ihrer eigenen Ankündigung der Anordnung ihres persönlichen Erscheinens ohne ausreichende Gründe nicht Folge geleistet habe. Eine Abschrift des Beschlusses wurde den Prozessbevollmächtigten mit Empfangsbekenntnis am 22. Juli 2010 zugestellt.

Zur Begründung der hiergegen gerichteten Beschwerde hat die Bf. ausgeführt, dass der Ordnungsgeldbeschluss bereits deshalb rechtswidrig sei, weil er als begründende Rechtsnormen die §§ 118 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 380 Zivilprozessordnung (ZPO) bezeichne, die allerdings lediglich die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen einen nicht erschienenen Zeugen regelten. Ferner sei die Entscheidung ohne vorhergehende Entscheidung über den Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen ergangen. In diesem Zusammenhang habe das Sozialgericht auch die Regelung des § 141 Abs. 3 S. 2 ZPO nicht berücksichtigt. Das persönliche Erscheinen sei nicht notwendig gewesen, da lediglich eine Rechtsfrage zu diskutieren gewesen sei.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 SGG), insbesondere ist sie fristgerecht gemäß § 173 SGG eingelegt worden, so dass der Senat offen lassen kann, ob die Zustellung allein an den Prozessbevollmächtigten ausreichend ist.

Die Beschwerde ist auch begründet. Voraussetzung für die Auferlegung von Ordnungsgeld ist gemäß § 111 SGG i.V.m. §§ 141 Abs. 3, 380, 381 ZPO eine ordnungsgemäße Ladung sowie das unentschuldigte Nichterscheinen des Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war.

Nach §§ 111, 202 SGG i.V.m. § 141 ZPO kann das persönliche Erscheinen eines Beteiligten zur mündlichen Verhandlung angeordnet werden und derjenige, der der Anordnung nicht Folge leistet, mit Ordnungsgeld wie ein im Vernehmungstermin nicht erschienener Zeuge belegt werden. Ob das Gericht eine Anordnung nach § 111 SGG treffen will, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Nach § 141 Abs. 1 S. 1 ZPO ist die Anordnung des persönlichen Erscheinens eines Beteiligten dann ermessensfehlerfrei, wenn dies zur Aufklärung des Sachverhalts geboten erscheint. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist dabei der Ermessensspielraum weiter. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Bf. ist insofern ermessensfehlerfrei, zumal Zweck der Anordnung des persönlichen Erscheinens auch die Herbeiführung einer vergleichsweisen Erledigung sein kann (so z.B. auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 111 Rdnr. 2).

Zu Recht weist die Bf. jedoch darauf hin, dass die Voraussetzungen des § 141 Abs. 3 S. 2 ZPO in Verbindung mit § 202 SGG gegeben sind. Danach kann die Partei auch bei Anordnung des persönlichen Erscheinens einen voll informierten, zur Abgabe aller nötigen Erklärungen, insbesondere zu einem Vergleichsabschluss bevollmächtigten Vertreter entsenden, der zur Aufklärung d...

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