Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliche Streitigkeit: Anforderungen an die Auslegung einer Prozesserklärung. Zulässigkeit einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Hinweis auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung. Rechtsschutzbedürfnis. Verpflichtungsklage. Leistungsklage. Witwenrente. Verschuldenskosten. Missbräuchliche Rechtsverfolgung. Kosten des Rechtsstreits

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wie bei der Auslegung gesetzlicher Regelungen auch ist die Auslegung einer Prozesserklärung durch die Wortlautgrenze begrenzt, wobei im Sinn der gebotenen klägerfreundlichen Auslegung vom Gericht im Rahmen der Auslegung alles zu unternehmen ist, der von einem Beteiligten gewählten Formulierung einen Erklärungsinhalt beizumessen, der ihm maximalen Rechtsschutz ermöglicht.

2. Bei einem Rechtsanwalt als rechtskundigem Bevollmächtigten ist in der Regel anzunehmen, dass er das Gewollte auch richtig wiedergibt.

3. Eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG ist mangels Rechtsschutzbedürfnis nicht zulässig, wenn auch eine Leistungsklage möglich wäre.

4. Die Darlegung der Missbräuchlichkeit und der Hinweis auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung können auch in einem gerichtlichen Schreiben erfolgen.

5. Der Hinweis auf die Möglichkeit der Auferlegung von Verschuldenskosten kann nicht nur vom Vorsitzenden, sondern auch vom zuständigen Berichterstatter gegeben werden.

 

Normenkette

SGG § 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, § 106 Abs. 1, § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; BVG § 38; GG Art. 19 Abs. 4

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 8. September 2016 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Klägerin hat Verschuldenskosten in Höhe von 500,- € an die Staatskasse zu zahlen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist eine Hinterbliebenenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der Ehemann der Klägerin, der Versorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 100 erhalten hatte, verstarb am 14.06.2014.

Mit Bescheid vom 08.10.2014 gewährte der Beklagte der Klägerin Witwenbeihilfe gemäß § 48 BVG, nicht aber Witwenrente gemäß § 38 BVG. Dagegen legte der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 03.11.2014 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 21.04.2015 zurückgewiesen wurde.

Mit Schriftsatz vom 27.04.2015 hat der Bevollmächtigte der Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) München erhoben und darin den Antrag gestellt,

"unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 08.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.2015 wird der Beklagte verurteilt, die Klägerin unter Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden."

In der mündlichen Verhandlung vom 08.09.2016 hat der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,

"den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 08.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.04.2015 zu verurteilen die Anträge neu zu verbescheiden."

Anschließend ist die Klage mit Urteil vom 08.09.2016 als unzulässig abgewiesen worden. Das SG hat in den Urteilsgründen Folgendes ausgeführt:

"An der mündlichen Verhandlung nahm die Klägerin selbst nicht teil. ... Auf den Hinweis, dass eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nur zulässig ist, wenn es um die Korrektur einer Ermessensentscheidung oder um ein Begehren nach statusbegründenden Verwaltungsakten geht, reagierte er nicht.

...

Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht beim zuständigen Gericht erhoben. Sie ist jedoch unzulässig. Für eine isolierte Anfechtungsklage gegen die Ablehnung der Witwenrente nach § 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative Sozialgerichtsgesetz (SGG) fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Die Verpflichtung zum Erlass eines neuen Verwaltungsaktes nach der 2. Alternative der Vorschrift ggf. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts kann nur begehrt werden, wenn gegen einen bereits erlassenen und angefochtenen Verwaltungsakt mit dem Vorwurf von Ermessensmängeln vorgegangen wird oder wenn ein Verwaltungsakt begehrt wird, mit dem ein Status wie beispielsweise die Aufnahme in die Versicherungspflicht oder die Befreiung hiervon begehrt wird. Eine von der Auffassung des Beklagten abweichende Rechtsauffassung des Gerichts konnte vorliegend angesichts des klaren Sachverhaltes weder entstehen noch vorgetragen werden.

Konkrete Leistungen, die ohne Ermessensgebrauch im Rahmen der gebundenen Verwaltung zu erbringen sind, sind mit einer Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG einzuklagen. Der Klägervertreter hätte auf gerichtliche Anregung in der mündlichen Verhandlung ohne weiteres seinen Klageantrag nach § 99 Abs. 3 SGG ändern können, lehnte dies jedoch genauso wie eine materielle Erörterung zum Anspruch auf Hinterbliebenenrente ab."

Gegen das am 20.09.2016 zugestellte Urteil hat der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 20.10.2016, eingegangen beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) am selben Tag, Berufung eingelegt.

Mit Schreiben des Gerichts vom 24.11.2016, zug...

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