Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. elektronischer Rechtsverkehr. Versäumung der Berufungsfrist. Fehlschlagen der Übermittlung eines Berufungsschriftsatzes über das besondere elektronische Anwaltspostfach. Büroorganisation des Prozessbevollmächtigten. Prüfung des Erhalts einer Eingangsbestätigung notwendig. Sorgfaltsanforderungen bei der Übermittlung von Schriftsätzen. Anfangsschwierigkeiten bei der Nutzung des elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs und elektronischen Anwaltspostfachs

 

Leitsatz (amtlich)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nach Versäumung der Berufungsfrist wegen fehlgeschlagener Übermittlung eines Berufungsschriftsatzes über das besondere elektronische Anwaltspostfach bzw das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach nicht zu gewähren, wenn der bevollmächtigte Rechtsanwalt den Büroablauf in seiner Kanzlei nicht so organisiert hat, dass jedenfalls für fristwahrende Schriftsätze stets eine Prüfung des Erhalts der Eingangsbestätigung des Gerichts durchgeführt wird.

 

Orientierungssatz

1. Bei einer Übermittlung von Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs gelten die gleichen Anforderungen wie bei der Übersendung per Telefax; die Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von Schriftsätzen per beA bzw EGVP entsprechen also denen bei der Übersendung von Schriftsätzen per Telefax (vgl OVG Koblenz vom 27.8.2007 - 2 A 10492/07 = NJW 2007, 3224).

2. Selbst wenn man Probleme bei der Nutzung des EGVP bzw des beA gegenüber dem LSG bzw "Anfangsschwierigkeiten mit beA" unterstellt, ergibt sich nichts anderes. Denn gerade wenn der Prozessbevollmächtigte von solchen besonderen Problemen ausgeht bzw ausgegangen ist, hätte er eine erhöhte Sorgfalt an den Tag legen müssen, etwa durch besondere Hinweise an seine Beschäftigten auf gewissenhafte Kontrolle des Zugangs von Eingangsbestätigungen bei der Nutzung des beA, um trotzdem fristgerechte Berufungseinlegungen zu gewährleisten.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 26.06.2017 wird als unzulässig verworfen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von Gesundheitsstörungen des 2010 verstorbenen Versicherten A. als Berufskrankheit nach Nr. 1302 und/oder Nr. 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) sowie um die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen.

Die Klägerin ist die Witwe des 1948 geborenen und 2010 verstorbenen Versicherten Herrmann A. (R). Mit Schreiben vom 04.08.2009 stellte R bei der Beklagten einen Antrag auf Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Anlage 1 zur BKV.

Mit Bescheid vom 19.12.2011 (Widerspruchsbescheid vom 22.05.2012) lehnte die Beklagte nach Aufklärung des medizinischen Sachverhalts die Anerkennung von Gesundheitsstörungen des R als Berufskrankheit nach Nrn. 1302 und 1317 der Anlage 1 zur BKV sowie die Gewährung von Leistungen und von Hinterbliebenenleistungen ab. Ein Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen bestehe nicht. Dagegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG). Mit Urteil vom 26.06.2017, S 5 U 209/15, wies das SG die Klage ab. Das Urteil vom 26.06.2017 ist dem Klägerbevollmächtigten ausweislich des aktenkundigen Empfangsbekenntnisses am 17.07.2017 zugestellt worden.

Mit Schreiben vom 19.09.2017, eingegangen beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) am selben Tag, hat der Klägerbevollmächtigte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er trägt vor, er habe unter dem 11.08.2017 Berufung eingelegt. Er bezieht sich dabei auf ein Schreiben vom 11.08.2017, das dem Wiedereinsetzungsantrag beilag. Die Berufung habe über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) übermittelt werden sollen. Ein Anruf beim LSG München um nachzufragen, ob für das Berufungsverfahren schon ein Aktenzeichen vergeben worden sei, habe ergeben, dass eine Berufung dort nicht eingegangen sei. Interne Prüfungen in der Kanzlei hätten dann ergeben, dass ein Ausgangsdokument für die Berufung nicht festgestellt werden könne. Wie es zu diesem Sachverhalt habe kommen können, sei nach Überprüfung in der Kanzlei nicht erklärlich. Die Klägerin habe auch eine Abschrift der Berufung übersandt bekommen. Es sei ein festgefahrener Ablauf bei beA-Ausgängen gegeben. Die genauen Abläufe ergäben sich aus beiliegender Erklärung. Diese Erklärung hat folgenden Wortlaut: " Ablauf der Versendung mit BeA: -fertige Schriftsätze werden ausgedruckt und in eine separate Unterschriftenmappe gelegt (eine pro Rechtsanwalt); -Unterschriftenmappe wird dem jeweiligen Rechtsanwalt vorgelegt; -dieser prüft die Schreiben und unterschreibt sie, wenn diese auslaufen können; ein Mitarbeiter wandelt zuerst alle Schriftsätze nacheinander in PDF-Dateien um und verschiebt diese in Ordner (pro Akte ein Ordner); -anschließend werden alle Schriftsätze nacheinander mit BeA versendet". Weiter ...

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