Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerspruchsfrist. Zustellung. Postzustellungsurkunde. Abrede. Vereinbarung. Zurechnung. Gewerbesteuer/Haftungsbescheid (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO). Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 08. März 2004

 

Leitsatz (amtlich)

Hat ein Rechtsanwalt durch entsprechende Absprache mit dem Postzusteller den Zugang fristgebundener oder fristauslösender Schriftstücke an Samstagen generell verhindert, muss er sich so behandeln lassen, als ob ihm das zuzustellende Schriftstück an dem Samstag zugegangen wäre, an dem der Postbedienstete mit Blick auf die getroffene Abrede von einer (Ersatz-)Zustellung abgesehen hat.

 

Normenkette

VwGO § 70; AO § 122 Abs. 5; VwZG § 3; ZPO §§ 180-181, 418; BRAO § 1; PostG § 33

 

Verfahrensgang

VG München (Urteil vom 08.03.2004; Aktenzeichen M 10 S 03.1467)

 

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 23.659,94 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Antragsgegnerin nahm den Antragsteller als Geschäftsführer der aufgelösten W.GmbH mit Bescheid vom 3. Januar 2003 für rückständige Gewerbesteuerschulden aus den Jahren 1992 und 1993 in Höhe von 94.639,74 Euro in Anspruch. Der Haftungsbescheid enthält eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung und wurde den Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers nach dem Eintrag in der Postzustellungsurkunde am 7. Januar 2003 zugestellt; die Urkunde enthält keine Streichungen oder Änderungsvermerke.

Mit am 7. Februar 2003 eingegangenem Schriftsatz gleichen Datums erhoben die Bevollmächtigten des Antragstellers Widerspruch und beantragten die Aussetzung der Vollziehung. Zur Zulässigkeit des Widerspruchs wurde geltend gemacht, dass der Haftungsbescheid am 7. Januar 2003 zugestellt worden sei; der Zustellungsvermerk sei durch den Zusteller berichtigt worden. Vorgelegt wurde eine Kopie des für die Zustellung verwendeten Briefumschlags. In dem Feld „Zugestellt am” befindet sich der Eintrag „04.01.03 Mü”. Daneben befindet sich ein handschriftlicher Vermerk des Postzustellers „Abänderung: Korrekte Zustellung der 7. Januar 2003 durch persönliche Übergabe, Müller, 6.2.03”.

In der vorgelegten Erklärung des Postzustellers vom 6. Februar 2003 gibt dieser an, dass die Zustellung des Schriftstücks der Antragsgegnerin vom 3. Januar 2003 erst am 7. Januar 2003 und nicht, wie von ihm auf dem Zustellungsumschlag und der Zustellungsurkunde angegeben, bereits am 4. Januar 2003 erfolgt sei. Einen entsprechenden Änderungsvermerk habe er auf dem Umschlag angebracht. Mit der Anwaltskanzlei sei bereits länger vereinbart, dass Zustellungen und auch normale Post am Samstag (wie auch an anderen Wochentagen) nicht in den Briefkasten eingeworfen würden, sondern die Post immer persönlich in der Kanzlei abgegeben werde. Die Samstagspost werde somit immer mit der Montagspost übergeben. Er habe irrtümlich jedoch bereits den 4. Januar 2003 als Zustellungsdatum auf dem Umschlag und der Zustellungsurkunde angebracht; tatsächlich sei der Brief jedoch erst am 7. Januar 2003 in der Kanzlei persönlich übergeben worden. Er habe lediglich vergessen, das Zustellungsdatum entsprechend abzuändern, da sich der Brief zwischen der normalen Post befunden habe. Auf das weitere Vorbringen zur Begründetheit des Widerspruchs wird verwiesen.

Mit Bescheid vom 24. Februar 2003 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids ab. Sowohl in der Begründung dieses Bescheids als auch in dem Vorlageschreiben an die Regierung von Oberbayern vom 17. März 2003 ging die Antragsgegnerin davon aus, dass der Widerspruch fristgerecht eingelegt worden sei.

Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 8. März 2004 ab. Der Antrag sei unzulässig, weil der am 7. Februar 2003 bei der Antragsgegnerin eingegangene Widerspruch verspätet sei. Bei der am 7. Januar 2003 erfolgten Übergabe des Schriftstücks an die Rechtsanwaltskanzlei handele es sich nicht um den ersten Zustellversuch des Postbediensteten, der den Bescheid bereits am 4. Januar zugestellt hätte, wenn nicht die Vereinbarung mit den Verfahrensbevollmächtigten bestanden hätte. Diese Abrede könne die Zustellungsvorschriften aber nicht unterlaufen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs müsse sich ein Rechtsanwalt als Mitglieder einer Personengruppe mit gesteigerten Pflichten für Vorkehrungen hinsichtlich des fristwahrenden Zugangs von Schriftstücken im Falle der Verhinderung bzw. Verzögerung einer fristauslösenden Zustellung so behandeln lassen, als sei die Zustellung im Zeitpunkt des Zustellversuchs erfolgt. Diese Rechtsprechung zur Drei-Tages-Fiktion im Falle der Bekanntgabe durch einfachen Brief sei Ausfluss eines allgemeinen Rechtsgedankens und greife auch im vorliegenden Fall. Der Umstand, dass die Antragsgegnerin sich nicht sofort auf die Verfristung des Widerspruchs ...

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