Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitgeberbegriff des TVG. Solo-Selbständige. Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien

 

Leitsatz (amtlich)

Die Tarifvertragsparteien sind nicht regelungsbefugt für sog. Solo-Selbständige, die nicht beabsichtigen, Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Personen zu beschäftigen.

 

Orientierungssatz

1. Die Tarifvertragsparteien des TV AKS 2012 haben ihre Regelungsmacht überschritten, soweit sie sog. Solo-Selbständige, die keine Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnlichen Personen beschäftigen wollen, den tariflichen Mindestbeitrags- und Auskunftspflichten unterworfen haben.

2. Dem Tarifvertragsgesetz liegt der allgemeine Arbeitgeberbegriff zugrunde, nach dem das Arbeitsverhältnis vom Arbeitnehmer aus gedacht wird. Arbeitgeber ist, wer zumindest beabsichtigt, einen Arbeitnehmer oder eine arbeitnehmerähnliche Person zu beschäftigen.

3. Zwischen dem allgemeinen Betriebsbegriff und dem allgemeinen Arbeitgeberbegriff ist zu unterscheiden. Betriebsinhaber ist auch, wer keine Arbeitnehmer beschäftigt oder beschäftigen möchte, sondern den arbeitstechnischen Zweck des Betriebs allein fortgesetzt verfolgt.

4. Art. 9 Abs. 3 GG verlangt nicht, den für das Tarifvertragsgesetz zugrunde zu legenden allgemeinen Arbeitgeberbegriff zu erweitern. In Betrieben von Solo-Selbständigen, die keine Arbeitnehmer beschäftigen (wollen), wird der Schutzzweck von Art. 9 Abs. 3 GG hinsichtlich der Tarifautonomie nicht berührt.

 

Normenkette

GG Art. 9 Abs. 3; TVG § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1-2, § 4 Abs. 2, § 5 Abs. 4 S. 1, § 12a; Tarifvertrag über die Förderung der beruflichen Ausbildung im Schornsteinfegerhandwerk vom 24. September 2012 (TV AKS 2012) §§ 1, 3, 5, 7

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 18.03.2016; Aktenzeichen 9 Sa 392/15)

ArbG Siegburg (Urteil vom 26.02.2015; Aktenzeichen 1 Ca 2445/14)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 18. März 2016 – 9 Sa 392/15 – aufgehoben.

2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 26. Februar 2015 – 1 Ca 2445/14 – wird zurückgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen. Die Kosten der Nebenintervention hat der Nebenintervenient zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Mindestbeiträge und Auskünfte nach dem Tarifvertrag über die Förderung der beruflichen Ausbildung im Schornsteinfegerhandwerk vom 24. September 2012 (TV AKS 2012).

Der Beklagte war Bezirksschornsteinfegermeister. Er wurde zum 30. November 2012 aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand versetzt, nachdem er sein Gewerbe am 14. November 2012 abgemeldet hatte. Ausweislich einer Bescheinigung der Handwerkskammer Koblenz vom 4. Dezember 2014 liegt seine betriebliche Eignung zur Ausbildung im Beruf Schornsteinfeger nicht vor. Der Beklagte meldete zum 1. Januar 2013 ein Gewerbe mit der Tätigkeit „Schornsteinfegerdienste” an. Seitdem führt er Mess- und Kehrarbeiten aus. Er beschäftigt keine Arbeitnehmer oder Auszubildenden.

Bei der Klägerin handelt es sich um die von dem Bundesverband des Schornsteinfegerhandwerks – Zentralinnungsverband (ZIV) – und dem Zentralverband Deutscher Schornsteinfeger e. V. – Gewerkschaftlicher Fachverband – (ZDS) am 3. Dezember 2012 gegründete Ausbildungskostenausgleichskasse. Der ZDS ist dem Rechtsstreit als Nebenintervenient zur Unterstützung der Klägerin beigetreten.

Der zwischen dem ZIV und dem ZDS am 24. September 2012 geschlossene TV AKS 2012 lautet auszugsweise:

㤠1 Geltungsbereich

Der Tarifvertrag gilt

Räumlich: für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland

Fachlich: für alle Betriebe des Schornsteinfegerhandwerks. Das sind alle Betriebe, die zulassungspflichtige Tätigkeiten nach § 1 Abs. 2 in Verbindung mit Anlage A Nr. 12 HwO ausüben.

Persönlich: für alle Auszubildenden, die in dem anerkannten Ausbildungsberuf Schornsteinfeger nach der Verordnung über die Berufsausbildung zum Schornsteinfeger und zur Schornsteinfegerin ausgebildet werden und eine nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben.

§ 2 Förderung der beruflichen Ausbildung

Zur Förderung der Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Ausbildungsplätzen und um die Durchführung einer qualifizierten, den besonderen Anforderungen des Wirtschaftszweiges gerecht werdenden Berufsbildung der Auszubildenden im Schornsteinfegerhandwerk zu sichern, gründen die Tarifvertragsparteien eine Ausbildungskostenausgleichskasse. Die Ausbildungskostenausgleichskasse wird als nicht gewinnorientierte Gesellschaft in der Rechtsform einer GmbH gegründet. Diese Gesellschaft wird ermächtigt, von den Betrieben Beiträge im eigenen Namen einzuziehen und entsprechend dem Gesellschaftszweck einen Zuschuss zu den Ausbildungskosten an die ausbildenden Betriebe auszuzahlen.

§ 3 Ausbildungskostenausgleich

(1) Jeder Betrieb, der einen Auszubildenden zum Schornsteinfeger ausbildet, hat ab dem 01.01.2013 gegenüber der Ausbildungskostenausgleichskasse unter den Voraussetzungen der Einhaltung der §§ 5 bis 7 einen Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich:

a)

im ersten Ausbildungsjahr:

6.400,00 EUR brutto

b)

im zweiten Ausbildungsjahr:

5.100,00 EUR brutto

c)

im dritten Ausbildungsjahr:

3.400,00 EUR brutto

Der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich erfolgt maximal für eine Ausbildungsdauer von 36 Monaten.

(4) Der kalenderjährliche Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich wird in 4 Raten fällig. Der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich für das 1. Quartal des Kalenderjahres wird am 15.07. des Kalenderjahres fällig, der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich für das 2. Quartal des Kalenderjahres wird am 15.10. des Kalenderjahres fällig, der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich für das 3. Quartal wird am 15.01. des darauf folgenden Kalenderjahres fällig und der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich für das 4. Quartal wird am 15.04. des darauf folgenden Kalenderjahres fällig.

§ 5 Stammdaten

(1) Vor Aufnahme einer Tätigkeit im Schornsteinfegerhandwerk ist jeder Betrieb verpflichtet, sich bei der Ausbildungskostenausgleichskasse zu melden und dieser folgende Stammdaten mitzuteilen:

  1. Name, Rechtsform und gesetzliche Vertreter des Unternehmens
  2. Anschrift am Hauptbetriebssitz, ggf. davon abweichende inländische Zustellungsadresse, Telefonnummer, Telefaxnummer, E-Mail-Adresse
  3. inländische oder, soweit nicht vorhanden, ausländische Bankverbindung

(2) Das Meldeformular, das von der Ausbildungskostenausgleichskasse zur Verfügung gestellt wird, ist zu unterschreiben. Durch die Unterschrift bestätigt der Betriebsinhaber oder Betriebsleiter die Vollständigkeit und Richtigkeit der Meldungen. Änderungen sind der Ausbildungskostenausgleichskasse innerhalb von zwei Wochen in schriftlicher Form mitzuteilen. Erst mit der vollständigen und richtigen Erteilung der in Absatz 1 geforderten Auskünfte hat der Betrieb seine Verpflichtung zur Meldung erfüllt.

(3) Die bereits bestehenden Betriebe haben der Ausbildungskostenausgleichskasse die in Abs. 1 geforderten Auskünfte bis zum 30.11.2012 mitzuteilen.

§ 7 Beiträge

(1) Die Mittel für die Ausgleichszahlungen und die Kosten für die Verwaltung der Ausbildungskostenausgleichskasse werden von den Betrieben durch Beiträge aufgebracht. Beitragspflichtig sind die in § 1 des Tarifvertrages genannten Betriebe.

(2) Ab dem 01.01.2013 hat jeder Betrieb kalenderjährlich einen Beitrag von 4,4 % der Summe der Bruttolöhne aller in seinem Betrieb beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer, die nach Schornsteinfegerhandwerksgesetz mit der Ausübung von Schornsteinfegertätigkeiten betraut sind, als Beitrag an die Ausbildungskostenausgleichskasse abzuführen. Unabhängig hiervon beträgt der Mindestbeitrag je Betrieb 800,00 EUR brutto pro Kalenderjahr.

(3) Bruttolohn ist

  1. bei Arbeitnehmern, die dem deutschen Lohnsteuerrecht unterliegen, der für die Berechnung der Lohnsteuer zugrunde zu legende und in die Lohnsteuerkarte oder die Lohnsteuerbescheinigung einzutragende Bruttoarbeitslohn einschließlich der Sachbezüge, die nicht nach § 40 EStG versteuert werden, der nach § 3 Nr. 39 EStG bei geringfügiger Beschäftigung steuerfreie Bruttoarbeitslohn sowie der nach §§ 40a und 40b EStG und 52 und 52a EStG pauschal zu versteuernde Bruttoarbeitslohn
  2. bei Arbeitnehmern, die nicht dem deutschen Lohnsteuerrecht unterliegen, der Bruttoarbeitslohn einschließlich der Sachbezüge, der bei Anwendung des deutschen Steuerrechts nach Buchstabe a) als Bruttolohn gelten würde.

(7) Der Betrieb hat der Ausbildungskostenausgleichskasse über ein von ihr zur Verfügung gestelltes Formular die gezahlten Bruttolohnsummen des abgelaufenen Geschäftsjahres bis zum 30. April des Folgejahres nachzuweisen.”

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erklärte den TV AKS 2012 durch Bekanntmachung vom 26. März 2013 mit Wirkung zum 1. November 2012 für allgemeinverbindlich (BAnz. AT 4. April 2013 B1). Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wies den Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung mit Beschluss vom 20. September 2017 (– 17 BVL 5001/17, 17 BVL 5002/17 –) zurück. Der Beschluss ist rechtskräftig.

Die Klägerin hat gemeint, der Beklagte sei nach § 7 Abs. 2 Satz 2 TV AKS 2012 verpflichtet, die Mindestbeiträge für die Kalenderjahre 2013 und 2014 zu leisten. Er habe ihr aufgrund von § 5 Abs. 1 und § 7 Abs. 7 Satz 1 TV AKS 2012 die Stammdaten des Betriebs und die Bruttolohnsummen der Geschäftsjahre 2012 und 2013 mitzuteilen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen,

  1. an sie Mindestbeiträge für die Kalenderjahre 2013 und 2014 in Höhe von 1.600,00 Euro brutto nebst Zinsen in im Einzelnen genannter, gestaffelter Höhe zu zahlen;
  2. ihr bezogen auf die Geschäftsjahre 2012 und 2013 folgende Angaben – nach Jahren getrennt – zu machen:

    • Name, Rechtsform und gesetzliche Vertreter des Unternehmens,
    • Anschrift/Sitz, gegebenenfalls davon abweichende inländische Zustellungsadresse,
    • Telefonnummer, Telefaxnummer, E-Mail-Adresse,
    • inländische oder, soweit nicht vorhanden, ausländische Bankverbindung,
    • gezahlte Bruttolohnsumme der mit Schornsteinfegerarbeiten beschäftigten Mitarbeiter der Geschäftsjahre 2012 und 2013.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, der TV AKS 2012 könne keine Schornsteinfeger binden, die weder Arbeitnehmer beschäftigten noch ausbilden dürften.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr auf die Berufung der Klägerin stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision will der Beklagte das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt wissen.

 

Entscheidungsgründe

Auf die Revision des Beklagten war das Urteil des Arbeitsgerichts wiederherzustellen. Die Klage ist unbegründet. Die Tarifvertragsparteien des TV AKS 2012 haben ihre Regelungsmacht überschritten, soweit sie sog. Alleinhandwerker oder auch Solo-Selbständige den tariflichen Mindestbeitrags- und Auskunftspflichten unterworfen haben.

A. Als Anspruchsgrundlage für die erhobenen Beitragsforderungen kommt allein § 7 Abs. 2 Satz 2 TV AKS 2012 in Betracht. Die Auskunftsansprüche können sich nur aus § 5 Abs. 1 und § 7 Abs. 7 Satz 1 TV AKS 2012 ergeben.

I. Der Beklagte fällt in den von § 1 Unterabs. 2 Satz 1 TV AKS 2012 beschriebenen fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags. Er unterhält einen Betrieb des Schornsteinfegerhandwerks iSv. § 1 Unterabs. 2 Satz 2 TV AKS 2012.

II. Beitragspflichtig sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 TV AKS 2012 „die in § 1 des Tarifvertrags genannten Betriebe”. Die Auskunftspflicht gegenüber der Klägerin trifft nach § 5 Abs. 1 und § 7 Abs. 7 Satz 1 TV AKS 2012 den „Betrieb”.

Obwohl § 5 Abs. 1 und § 7 Abs. 7 Satz 1 TV AKS 2012 im Unterschied zu § 7 Abs. 1 Satz 2 TV AKS 2012 nicht ausdrücklich auf „die in § 1 des Tarifvertrags genannten Betriebe” verweisen, kann damit ebenfalls nur ein Betrieb des Schornsteinfegerhandwerks gemeint sein, der dem in § 1 Unterabs. 2 TV AKS 2012 definierten fachlichen Geltungsbereich unterfällt.

B. Das Landesarbeitsgericht hat im Ausgangspunkt zu Recht angenommen, dass der Beklagte zu den in § 1 TV AKS 2012 genannten Betrieben gehört, die mindestbeitrags- und auskunftspflichtig sind (§ 7 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2; § 5 Abs. 1, § 7 Abs. 7 Satz 1 TV AKS 2012). Die Auslegung der tariflichen Regelungen ergibt, dass auch Solo-Selbständige diesen tariflichen Pflichten unterliegen sollen.

I. § 7 Abs. 1 Satz 2 TV AKS 2012 verweist auf § 1 TV AKS 2012. § 1 Unterabs. 2 Satz 1 TV AKS 2012 bestimmt, dass „alle Betriebe des Schornsteinfegerhandwerks” dem fachlichen Geltungsbereich des TV AKS 2012 unterworfen sind. Da der Begriff „Betrieb” nicht gesondert definiert wird, ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien ihn in seiner allgemeinen Bedeutung verstanden wissen wollen (vgl. BAG 8. November 2017 – 10 AZR 501/16 – Rn. 17 mwN). Der allgemeine Betriebsbegriff ist zB für § 1 BetrVG und im Wesentlichen auch für § 23 Abs. 1 KSchG maßgeblich. Danach ist der Betrieb die organisatorische Einheit von Arbeitsmitteln, mit deren Hilfe der Arbeitgeber allein oder in Gemeinschaft mit seinen Arbeitnehmern mithilfe von technischen und immateriellen Mitteln einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck fortgesetzt verfolgt, der nicht nur in der Befriedigung von Eigenbedarf liegt (für die st. Rspr. BAG 2. März 2017 – 2 AZR 427/16 – Rn. 15; 23. November 2016 – 7 ABR 3/15 – Rn. 31). Ein Betrieb kann deshalb auch bestehen, wenn ein Betriebsinhaber keine Arbeitnehmer beschäftigt.

II. Diese dem Wortlaut folgende Auslegung fügt sich in den tariflichen Gesamtzusammenhang des TV AKS 2012 ein.

1. Der TV AKS 2012 verwendet den Begriff „Arbeitgeber” an keiner Stelle. Damit unterscheidet er sich vom üblichen Wortlaut anderer Tarifverträge über gemeinsame Einrichtungen, zB von früheren Fassungen der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV). § 1 VTV in den im Zeitraum von Juli 1988 bis Dezember 1989 geltenden Fassungen erfasste etwa keine Alleinhandwerker, die stetig keine Arbeitnehmer beschäftigten (vgl. BAG 24. August 1994 – 10 AZR 980/93 – zu II 2 d der Gründe; zu § 17 VTV idF vom 10. Dezember 2014 dagegen BAG 1. August 2017 – 9 AZB 45/17 – Rn. 13 ff.).

§ 7 Abs. 1 Satz 1 TV AKS 2012 bestimmt demgegenüber, dass die Beiträge an die Ausbildungskostenausgleichskasse „von den Betrieben” aufgebracht werden. Die Norm differenziert nicht danach, ob Arbeitnehmer oder Auszubildende beschäftigt werden oder nicht.

2. Die Höhe der Beitragspflicht ist nach § 7 Abs. 2 Satz 1 TV AKS 2012 an die kalenderjährliche Bruttolohnsumme gebunden. Die Bruttolohnsumme ist ihrerseits abhängig vom Verdienst der im Betrieb beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer, die mit einschlägigen Schornsteinfegertätigkeiten betraut sind (§ 7 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 TV AKS 2012). In § 7 Abs. 2 Satz 2 TV AKS 2012 ist geregelt, dass unabhängig von der Bruttolohnsumme ein Mindestbeitrag „je Betrieb” von 800,00 Euro pro Kalenderjahr zu entrichten ist. Daraus ist zu schließen, dass auch solche Betriebe beitragspflichtig sind, die keine Löhne zahlen, also keine Arbeitnehmer beschäftigen. Allein der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich setzt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 TV AKS 2012 voraus, dass der Betrieb zumindest „einen Auszubildenden zum Schornsteinfeger ausbildet”.

3. Die Erfassung von Betrieben ohne Arbeitnehmer oder Auszubildende als Beitragszahler durch den TV AKS 2012 dient dazu, die Beitragsgrundlage zu verbreitern. Der Ausbildungskostenausgleich ist nicht als Gegenleistung für die Beitragszahlung konzipiert. Vielmehr entsteht der Anspruch unabhängig von der Höhe der gezahlten Beiträge, wenn der Betrieb einen Schornsteinfeger ausbildet (§ 3 Abs. 1 TV AKS 2012). Die Beteiligung aller Betriebe an der Finanzierung der Ausbildungskostenausgleichskasse sorgt für die Grundlage an Mitteln, die es der Klägerin ermöglicht, ihrem Gesellschaftszweck entsprechend Zuschüsse an die ausbildenden Betriebe zu zahlen (§ 2 TV AKS 2012). Auf diesem Weg wird eine ausreichende Zahl von Ausbildungsplätzen bereitgestellt. Die Qualität der beruflichen Ausbildung im Schornsteinfegerhandwerk wird gefördert.

C. Der TV AKS 2012 ist jedoch unwirksam, soweit er Beitrags- und Auskunftspflichten für Betriebe begründet, die – wie der Beklagte – keine Arbeitnehmer beschäftigen und dies auch nicht beabsichtigen. Die Tarifvertragsparteien können nur für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnliche Personen Rechte und Pflichten begründen. Sie haben mit § 7 Abs. 2 Satz 2 sowie § 5 Abs. 1 und § 7 Abs. 7 Satz 1 TV AKS 2012 ihre Regelungsmacht überschritten, soweit sie Solo-Selbständige, die keine Arbeitnehmer beschäftigen wollen, in das Pflichtengefüge einbezogen haben.

I. Der Beklagte ist kein Arbeitgeber. Zugrunde zu legen ist der allgemeine Arbeitgeberbegriff, nach dem das Arbeitsverhältnis vom Arbeitnehmer aus gedacht wird. Arbeitgeber ist, wer zumindest einen Arbeitnehmer oder eine arbeitnehmerähnliche Person beschäftigt oder beschäftigen will (vgl. BAG 1. August 2017 – 9 AZB 45/17 – Rn. 12; 27. September 2012 – 2 AZR 838/11 – Rn. 16; 21. Januar 1999 – 2 AZR 648/97 – zu II 2 b der Gründe, BAGE 90, 353).

II. Das folgt für Tarifverträge, die gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien vorsehen, bereits aus § 4 Abs. 2 TVG. Weder sein Wortlaut noch sein Zweck sprechen dafür, die Tarifmacht der Tarifvertragsparteien, ihre Regelungsbefugnis, auf solche Unternehmer zu erstrecken, die keine Arbeitnehmer beschäftigen und auch keine arbeitnehmerähnlichen Personen iSv. § 12a TVG einsetzen wollen. Solo-Selbständige in diesem Sinn sind von der Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien nicht erfasst (zu dem Begriff der Normsetzungsbefugnis Vetter NZA-RR 2017, 281, 282). Gestützt wird das Ergebnis durch die Systematik des TVG, die Arbeitnehmer, Arbeitgeber und arbeitnehmerähnliche Personen unterscheidet. Es fehlen Anhaltspunkte dafür, dass Solo-Selbständige als weitere Kategorie erfasst werden sollen. Das verfassungsrechtliche Untermaßverbot verlangt keine Erweiterung des Arbeitgeberbegriffs.

1. Nach § 4 Abs. 2 TVG gelten die Regelungen für gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien unmittelbar und zwingend für die Satzung dieser Einrichtungen und ihr Verhältnis zu den tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Tarifgebunden sind die Mitglieder der Tarifvertragspartei und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrags ist (§ 3 Abs. 1 TVG). Tarifvertragsparteien sind nach § 2 Abs. 1 TVG Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber und Vereinigungen von Arbeitgebern.

2. Der einzelne Arbeitgeber kann nach § 2 Abs. 1 TVG Partei eines Tarifvertrags sein. Die Mitglieder einer „Vereinigung von Arbeitgebern” müssen ihrerseits auch Arbeitgeber sein. Das ergibt sich bereits aus der Bezeichnung in § 2 Abs. 1 TVG als „Vereinigung von Arbeitgebern”, jedenfalls aber aus § 4 Abs. 2 TVG, der „tarifgebundene Arbeitgeber” nennt (aA Bayreuther/Deinert RdA 2015, 129, 133, die § 4 Abs. 2 TVG nicht erörtern).

3. Das TVG definiert zwar, wer tarifgebunden ist und wer Tarifvertragspartei sein kann. Eine Definition des Arbeitgeberbegriffs enthält das TVG jedoch nicht. Sie lässt sich auch der Gesetzesgeschichte nicht entnehmen (vgl. Bayreuther/Deinert RdA 2015, 129, 134). Dennoch ist von dem allgemeinen Begriffsverständnis auszugehen (vgl. Däubler/Peter TVG 4. Aufl. § 2 Rn. 99). Es kommt darauf an, ob zumindest ein Arbeitnehmer beschäftigt wird oder werden soll. Für Solo-Selbständige, die nicht beabsichtigen, Arbeitnehmer zu beschäftigen, sind die Tarifvertragsparteien nicht regelungsbefugt. Solo-Selbständige in diesem Sinn sind weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer, sondern Unternehmer. Grundsätzlich ist keine Tarifvertragspartei für sie tarifzuständig und normsetzungsbefugt (vgl. Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 1 Rn. 137). Anderes gilt nur, wenn ein Solo-Selbständiger – anders als der Beklagte – arbeitnehmerähnliche Person iSv. § 12a TVG ist, für die eine Gewerkschaft tarifzuständig und regelungsbefugt sein kann (vgl. Löwisch/Rieble aaO § 2 Rn. 262).

a) Für das erweiterte Verständnis des Arbeitgeberbegriffs, das die vorgesehene Beschäftigung von Arbeitnehmern genügen lässt, spricht zB, dass eine Handelsgesellschaft in Gründung bereits Tarifverträge schließen kann. Es reicht aus, wenn sie beabsichtigt, Arbeitnehmer zu beschäftigen (vgl. BAG 24. Januar 2001 – 4 ABR 4/00 – zu B II der Gründe, BAGE 97, 31; 24. Juni 1998 – 4 AZR 208/97 – zu 1 a der Gründe, BAGE 89, 193; siehe auch BAG 1. August 2017 – 9 AZB 45/17 – Rn. 17). Entsprechendes gilt für qualitative Besetzungsregeln als Betriebsnormen iSv. § 3 Abs. 2 TVG. Von ihnen können auch solche Personen betroffen sein, die sich erst um einen Arbeitsplatz bemühen (vgl. BAG 26. April 1990 – 1 ABR 84/87 – zu B V 3 a der Gründe, BAGE 64, 368).

b) Zwischen dem allgemeinen Betriebsbegriff und dem allgemeinen Arbeitgeberbegriff ist dagegen zu unterscheiden. Betriebsinhaber ist auch, wer keine Arbeitnehmer beschäftigt oder beschäftigen möchte, sondern den arbeitstechnischen Zweck des Betriebs allein fortgesetzt verfolgt (vgl. BAG 24. August 1994 – 10 AZR 980/93 – zu II 2 d der Gründe). Solche Betriebsinhaber sind jedoch keine Arbeitgeber. Der Betriebsbegriff ist in der Systematik des TVG nicht maßgeblich. Die Tarifgebundenheit knüpft an den Arbeitgeberbegriff an (§ 3 Abs. 1, Abs. 2, § 4a Abs. 2 Satz 1 TVG).

c) Nichts anderes lässt sich daraus ableiten, dass Betriebsverfassungsnormen iSv. § 3 Abs. 2 TVG Mitbestimmungsrechte bei der Einstellung von Personen vorsehen können, die weder Arbeitnehmer noch arbeitnehmerähnliche Personen oder in Heimarbeit Beschäftigte sind (BAG 31. Januar 1995 – 1 ABR 35/94 – zu B II 4 a der Gründe). Das ergibt sich daraus, dass Regelungsgegenstand solcher Normen nicht der Inhalt des Arbeitsverhältnisses ist, sondern die Organisationsgewalt des Arbeitgebers als Betriebsinhaber. Auf diese Weise können tarifliche Mitbestimmungsrechte bei der Einstellung von Personen, die keine Arbeitnehmer sind, nur deshalb begründet werden, weil die betriebliche Mitbestimmung nicht nur den Interessen der einzustellenden Personen, sondern vor allem den Interessen der übrigen Belegschaft dient (BAG 31. Januar 1995 – 1 ABR 35/94 – aaO). Die Geltung der betriebsverfassungsrechtlichen Norm setzt voraus, dass der Betriebsinhaber neben den Personen, die nicht Arbeitnehmer sind, auch Arbeitnehmer beschäftigt oder beschäftigen will und damit nicht nur Betriebsinhaber, sondern zudem Arbeitgeber ist (vgl. Bayreuther/Deinert RdA 2015, 129, 130 f.).

4. Gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien nehmen zwar eine Sonderstellung ein (vgl. Bayreuther/Deinert RdA 2015, 129, 136). In § 4 Abs. 2 TVG wird der Begriff der „tarifgebundenen Parteien” aber wiederholt und damit erkennbar an die Grundsätze der Tarifgebundenheit des § 3 Abs. 1 TVG angeknüpft. Nach der Systematik des Arbeitsrechts ist von einer Dreiteilung des Systems von Arbeitnehmern, arbeitnehmerähnlichen Personen und Selbständigen auszugehen (BAG 20. September 2000 – 5 AZR 61/99 – zu II der Gründe).

Das TVG seinerseits kennt Arbeitnehmer, Arbeitgeber und arbeitnehmerähnliche Personen. Nach § 12a TVG werden Selbständige, die im Unterschied zum Beklagten wirtschaftlich abhängig sind, als arbeitnehmerähnliche Personen geschützt.

5. Für den Arbeitgeberbegriff des TVG ist unerheblich, dass es gesetzliche Regelungen gibt, wonach bestimmte Personen als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber zu behandeln sind (vgl. für in Heimarbeit Beschäftigte § 5 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, für arbeitnehmerähnliche Personen § 2 Satz 2 BUrlG, für Auszubildende § 10 Abs. 2 BBiG, für den Arbeitgeberbegriff des AGG § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG). Es handelt sich um spezielle gesetzliche Anordnungen, wie sie sich im TVG nicht finden.

6. Art. 9 Abs. 3 GG verlangt nicht, den für das TVG zugrunde zu legenden allgemeinen Arbeitgeberbegriff zu erweitern. Die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie erfordert nicht, Solo-Selbständige, die keine Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnlichen Personen beschäftigen wollen und selbst keine arbeitnehmerähnlichen Personen sind, insoweit in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG einzubeziehen.

a) Art. 9 Abs. 3 GG erfasst insbesondere Vereinigungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Hierfür wird auf den allgemeinen Arbeitgeberbegriff zurückgegriffen. Arbeitgeber ist jeder, der Arbeitnehmer beschäftigt (Kemper in von Mangoldt/Klein/Starck GG 7. Aufl. Art. 9 Rn. 91). Danach fallen Solo-Selbständige, die nicht beabsichtigen, Arbeitnehmer zu beschäftigen, unter dem Blickwinkel der Tarifautonomie nicht in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG.

b) Art. 9 Abs. 3 GG verlangt keine verfassungskonforme Auslegung, die den Arbeitgeberbegriff des TVG auf Solo-Selbständige erweitert, wenn sie keine Arbeitnehmer beschäftigen wollen (aA Bayreuther/Deinert RdA 2015, 129, 134). Die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie wird nicht beeinträchtigt, wenn solche Solo-Selbständigen weder tariffähig sind noch der Regelungsmacht der Verbände unterliegen.

aa) Die Tarifautonomie ist ausgestaltungsbedürftig (näher PoscherRdA 2017, 235 ff.). Durch die Einbeziehung des einzelnen Arbeitgebers wird sichergestellt, dass die Gewerkschaft einen Vertragspartner hat, um einen Tarifvertrag abzuschließen, wenn kein Arbeitgeberverband besteht (vgl. BVerfG 16. September 1991 – 1 BvR 453/90 – zu 2 der Gründe). Das Grundgesetz legt die Voraussetzungen der Tariffähigkeit nicht abschließend fest. Vielmehr ist es dem Gesetzgeber überlassen, die Tariffähigkeit im Einzelnen zu normieren und der gesellschaftlichen Wirklichkeit anzupassen. Die Tariffähigkeit von Innungen dient zB der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie (vgl. BVerfG 19. Oktober 1966 – 1 BvL 24/65 – zu C I 1 der Gründe, BVerfGE 20, 312).

bb) Der allgemeine Arbeitgeberbegriff, wie er dem TVG zugrunde liegt, läuft den Schutzpflichten, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Tarifautonomie zu beachten hat, nicht zuwider. Der Staat ist durch die Grundrechte verpflichtet, bis zur Grenze des Untermaßverbots für eine „Mindestausstattung” zu sorgen (vgl. ErfK/Linsenmaier 18. Aufl. Art. 9 GG Rn. 9). Diese Grenze ist gewahrt.

(1) Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG garantiert den sozialen Schutz der abhängig Beschäftigten im Weg der kollektivierten Privatautonomie (vgl. BVerfG 11. Juli 2017 – 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1043/16, 1 BvR 1477/16 – Rn. 147). Die Tarifautonomie ist darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen (BVerfG 1. Dezember 2010 – 1 BvR 2593/09 – Rn. 23, BVerfGK 18, 252).

(2) In Betrieben von Solo-Selbständigen, die keine Arbeitnehmer beschäftigen (wollen), wird der Schutzzweck von Art. 9 Abs. 3 GG nicht berührt. Eine staatliche Handlungspflicht ist daher nicht ausgelöst.

III. Durch die Allgemeinverbindlicherklärung des TV AKS 2012 wird die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien nicht erweitert. Die Allgemeinverbindlicherklärung überwindet nach § 5 Abs. 4 Satz 1 TVG lediglich die fehlende privatautonome Tarifgebundenheit iSv. § 3 Abs. 1 TVG (vgl. Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 5 Rn. 320). Die Rechtsnormen des Tarifvertrags werden inhaltlich nicht verändert. Deshalb reicht der Geltungsbereich des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags grundsätzlich nur so weit wie der betreffende Tarifvertrag und seine Wirksamkeit (vgl. Däubler/Lakies TVG 4. Aufl. § 5 Rn. 193).

D. Die Klägerin hat nach § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen. Die Kosten der Nebenintervention hat der Nebenintervenient zu tragen (§ 101 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO; vgl. zB BAG 18. September 2014 – 8 AZR 733/13 – Rn. 35).

 

Unterschriften

Gallner, Schlünder, Brune, Fieback, Merkel

 

Fundstellen

Haufe-Index 11773256

BAGE 2019, 1

BB 2018, 1523

BB 2018, 1916

DB 2018, 7

FA 2018, 273

JR 2019, 415

NZA 2018, 6

NZA 2018, 867

NZG 2018, 6

AP 2018

AuA 2018, 488

EzA-SD 2018, 12

EzA 2018

JA 2018, 867

NZA-RR 2018, 6

AUR 2018, 152

ArbRB 2018, 202

ArbR 2018, 349

GWR 2018, 292

RdW 2018, 599

AP-Newsletter 2018, 162

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