Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsratsanhörung

 

Leitsatz (amtlich)

  • Kündigt auf seiten des Arbeitgebers ein Bevollmächtigter, so ist die Kündigung regelmäßig dem Arbeitgeber zuzurechnen, auch wenn bei Ausspruch der Kündigung auf das Vertretungsverhältnis nicht ausdrücklich hingewiesen wird.
  • Tauchen in einem derartigen Fall bei dem Arbeitgeber nachträglich Zweifel auf, ob ihm die Kündigung durch den Bevollmächtigten als Willenserklärung zugerechnet werden kann, und wiederholt er daraufhin selbst die Kündigung, so leitet er damit einen neuen Kündigungsvorgang ein und hat deshalb den Betriebsrat erneut anzuhören.
 

Normenkette

BetrVG § 102 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 13.01.1995; Aktenzeichen 10 (19) Sa 726/94)

ArbG Bielefeld (Urteil vom 15.12.1993; Aktenzeichen 4 Ca 664/93)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 13. Januar 1995 – 10 (19) Sa 726/94 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der 1959 geborene Kläger ist seit 1978 im B…-Konzern beschäftigt, zuletzt seit 1988 als Sachbearbeiter bei der beklagten R… GmbH, der früheren Beklagten zu 2. Die Betriebsabteilung “B… Club” der Beklagten wird aufgrund eines Betriebsführungsvertrags vom 21. September 1987 allein durch die Bertelsmann Club GmbH (die frühere Beklagte zu 1, im folgenden B.… GmbH) in deren eigenem Namen für Rechnung der Beklagten betrieben. Die Arbeitsverhältnisse sollten durch den Betriebsführungsvertrag allerdings nicht berührt werden, Kündigungen sollte die B. GmbH nach ihrem eigenen Ermessen im Namen und für Rechnung der Beklagten aussprechen. Der Kläger war zuletzt in dem Betrieb der Beklagten in R… eingesetzt. Seine Lohnabrechnungen erfolgten durch die B… AG mit dem Zusatz “für R… GmbH B…”, Abmahnungen sprach die B.… GmbH aus.

Mit Schreiben vom 16. Februar 1993 teilte die Beklagte, vertreten durch die B.… GmbH, dem in dem Betrieb R… bestehenden Betriebsrat mit, es sei beabsichtigt, dem Kläger wegen mangelhafter Arbeitsleistungen zu kündigen. Der Betriebsrat widersprach mit Schreiben vom 18. Februar 1993 der Kündigungsabsicht und schlug vor, den Kläger in eine andere Abteilung der B.… GmbH zu versetzen. Mit Schreiben vom 24. Februar 1993 kündigte die B.… GmbH dem Kläger das “mit ihnen bestehende Arbeitsverhältnis” unter Bezugnahme auf die Betriebsratsanhörung ordentlich zum 30. September 1993. Der Kläger erhob gegen diese Kündigung Kündigungsschutzklage und richtete diese zunächst gegen die B.… GmbH. Im Prozeß meldete sich für die B.… GmbH die B… AG, erwirkte eine Verlegung des auf den 5. April 1993 anberaumten Gütetermins und schloß im Gütetermin vom 26. April 1993 für die B.… GmbH einen Widerrufsvergleich, der von der B.… GmbH widerrufen wurde.

Unter dem 19. März 1993 hatte zwischenzeitlich die Beklagte selbst ohne erneute Anhörung des Betriebsrats an den Kläger folgendes Schreiben gerichtet:

“Kündigung des Arbeitsverhältnisses

Sehr geehrter Herr D…,

vorsorglich wiederholen wir die Kündigung der Bertelsmann Club GmbH vom 24. Februar 1993. Auf das Schreiben wird Bezug genommen.”

Gezeichnet war das Schreiben, wie schon das Kündigungsschreiben vom 24. Februar 1993 mit:

“ppa.

H… P…

Personalleitung”

Im Prozeß berief sich nunmehr die B.… GmbH mit Schriftsatz vom 19. Mai 1993 darauf, sie sei nicht passivlegitimiert. Nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 3. Juni 1993 seine Klage auf die beklagte R… GmbH erweitert und auch auf die Feststellung gerichtet hatte, daß das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 19. März 1993 aufgelöst wird, machte die Beklagte geltend, die Kündigung vom 19. März 1993 sei nach §§ 4, 7 KSchG rechtswirksam, da der Kläger gegen sie nicht rechtzeitig Klage erhoben habe. Im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht erklärten die Parteien übereinstimmend, das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung vom 24. Februar 1993 nicht aufgelöst worden und die Klage gegen die B.… GmbH sei erledigt. Seither streiten die Parteien nur noch über die Wirksamkeit der Kündigung der Beklagten vom 19. März 1993.

Der Kläger hat geltend gemacht, mit dem Schreiben vom 19. März 1993 habe die Beklagte nicht ordnungsgemäß gekündigt. Dieses Schreiben enthalte keine eigenständige Kündigungserklärung, sondern bestätige lediglich eine unwirksame Kündigung einer Firma, die nicht seine Arbeitgeberin gewesen sei. Vor Ausspruch einer neuen Kündigung wäre auch eine erneute Anhörung des Betriebsrats erforderlich gewesen. Wenn man das Schreiben vom 19. März 1993 als selbständige Kündigung auffasse, müsse seine Klage insoweit nachträglich zugelassen werden. Bis zur Zustellung des Schriftsatzes vom 19. Mai 1993 am 24. Mai 1993 habe er nicht wissen können, daß die Beklagte seine Arbeitgeberin sei. Die komplizierten rechtlichen Verhältnisse im B…-Konzern seien ihm nicht bekannt gewesen. Offensichtlich hätten nicht einmal die zuständigen Mitarbeiter bei der B.… GmbH gewußt, wer tatsächlich sein Arbeitgeber gewesen sei.

Der Kläger hat beantragt,

  • festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der Beklagten durch die Kündigung vom 19. März 1993 nicht zum 30. September 1993 aufgelöst worden ist,

    hilfsweise

  • die am 7. Juni 1993 eingereichte Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung vom 19. März 1993 aufgelöst worden. Die Kündigung sei unabhängig davon, daß sie vom Kläger nicht rechtzeitig angegriffen worden sei, wegen mangelhafter Arbeitsleistung des Klägers sozial gerechtfertigt. Trotz mehrfacher Kritikgespräche und Hinweise auf seine schlechten Arbeitsleistungen habe sich der Kläger auch durch eine erneute Abmahnung vom 3. Dezember 1992 nicht zu einer Besserung seines Leistungsverhaltens bewegen lassen. Eine erneute Anhörung des Betriebsrats zu der Kündigung vom 19. März 1993 sei nicht erforderlich gewesen. Die Betriebsratsanhörung könne nicht durch eine Kündigungserklärung einer Firma verbraucht sein, die nicht Arbeitgeber des Klägers sei. Auch der zeitliche Zusammenhang zwischen der Anhörung des Betriebsrats und der erneut ausgesprochenen Kündigung sei gewahrt.

Das Arbeitsgericht hat antragsgemäß festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 19. März 1993 nicht aufgelöst worden ist. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung der Beklagten vom 19. März 1993 ist nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, weil die Beklagte es unterlassen hat, vor Ausspruch dieser Kündigung den Betriebsrat erneut anzuhören.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, da eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats Wirksamkeitsvoraussetzung für jede Kündigung sei, hätte die Beklagte, bevor sie vorsorglich die von der B.… GmbH ausgesprochene Kündigung wiederholt habe, erneut den Betriebsrat anhören müssen. Nachdem dem Kläger die Kündigung vom 24. Februar 1993 ordnungsgemäß zugegangen sei, sei das Kündigungsrecht und damit auch das Anhörungsverfahren verbraucht gewesen. Angesichts der engen Verflechtung der Beklagten mit der B.… GmbH und der Tatsache, daß stets dieselbe Person tatsächlich tätig geworden sei, könne es nicht darauf ankommen, daß die erste Kündigung nicht von der Beklagten selbst ausgesprochen worden sei. Schon durch das Schreiben vom 24. Februar 1993 sei der Kündigungswille der Beklagten verwirklicht worden. Außerdem sei die Kündigung vom 19. März 1993 nicht im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Anhörungsverfahren, sondern erst über einen Monat später ausgesprochen worden.

II. Dem folgt der Senat zumindest im Ergebnis. Entgegen den Ausführungen der Revision ist die Kündigung vom 19. März 1993 gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.

1. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG besteht eine Anhörungspflicht des Arbeitgebers vor jeder Kündigung. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift, dem Betriebsrat Gelegenheit zu geben, auf den Kündigungsentschluß des Arbeitgebers Einfluß zu nehmen, kann ein Anhörungsverfahren grundsätzlich nur für die Kündigung Wirksamkeit entfalten, für die es eingeleitet worden ist (BAG Urteil vom 11. Oktober 1989 – 2 AZR 88/89 – AP Nr. 55 zu § 102 BetrVG 1972, zu III 4b der Gründe). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber wegen Bedenken gegen die Wirksamkeit der ersten Kündigung vorsorglich erneut kündigt. Ist die erste Kündigung ordnungsgemäß zugegangen, so greift die ausdrückliche Pflicht des § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ein, den Betriebsrat vor Ausspruch der erneuten, lediglich vorsorglichen Kündigung auch erneut zu hören. Ob dies auch gilt, wenn die erste Kündigung lediglich durch ein weiteres Schreiben bestätigt worden ist, kann dahinstehen (vgl. dazu Senatsurteil vom 16. September 1993 – 2 AZR 267/93 – BAGE 74, 185 = AP Nr. 62 zu § 102 BetrVG 1972). Nach den den Senat bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 561 Abs. 2 ZPO) steht fest, daß das Schreiben vom 19. März 1993 nicht lediglich die Kündigung vom 24. Februar 1993 bestätigt hat.

2. Zu Unrecht rügt die Revision, von einem Verbrauch der Betriebsratsanhörung durch die Kündigung vom 24. Februar 1993 könne schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil diese Kündigung nicht von der Arbeitgeberin des Klägers, sondern von einer dritten, am Arbeitsverhältnis nicht beteiligten Firma ausgesprochen worden sei. Bereits durch die dem Kläger ordnungsgemäß zugegangene Kündigung vom 24. Februar 1993 hat die Beklagte nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ihren Kündigungswillen verwirklicht. Wenn bei ihr dann Bedenken auftauchten, ob diese durch ihre Bevollmächtigte ohne deutliche Bezeichnung des Vertretungsverhältnisses ausgesprochene Kündigung wirksam war, und sie deshalb vorsorglich erneut kündigte, so mußte sie zuvor auch den Betriebsrat erneut anhören.

a) Kündigt auf seiten des Arbeitgebers ein Bevollmächtigter, so ist die Kündigung regelmäßig dem Arbeitgeber zuzurechnen, auch wenn bei Ausspruch der Kündigung auf das Vertretungsverhältnis nicht ausdrücklich hingewiesen wird. Zwar ist auszugehen von dem vertretungsrechtlichen Grundsatz, daß ein Rechtsgeschäft nur dann mit dem Vertretenen zustandekommt, wenn der Wille, im fremden Namen zu handeln, für den Gegner erkennbar geworden ist. Häufig ergibt sich aber nur aus den Umständen, daß das Handeln im Namen eines anderen erfolgt. Alle Willenserklärungen, die in einem Betrieb oder Unternehmen Dritten gegenüber abgegeben werden, sind, wenn nicht ausdrücklich etwas anderes gesagt wird, oder sich aus besonderen Umständen etwas anderes ergibt, im Namen dessen abgegeben, der den Betrieb oder das Unternehmen betreibt. Ein Vertretergeschäft liegt in diesen Fällen selbst dann vor, wenn der Dritte den Erklärenden selbst für den Geschäftsinhaber hält (RGZ 30, 77; BGHZ 62, 216, 219 ff.; 64, 11, 14 ff.; 91, 148, 150 ff.; 92, 259, 268; Flume, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl., § 44 I, S. 764; MünchKomm-Schramm, BGB, 3. Aufl., § 164 Rz 23).

b) Danach ist die Kündigung vom 24. Februar 1993 der Beklagten als Willenserklärung zuzurechnen. Die Kündigung vom 24. Februar 1993 wurde ausgesprochen durch die Bevollmächtigte der Beklagten, die auch sonst im Rahmen des Geschäftsbetriebes und des Arbeitsverhältnisses eine Vielzahl von Vertragserklärungen abgab. Das Kündigungsschreiben nimmt darüber hinaus ausdrücklich auf das (mit der Beklagten) “bestehende Arbeitsverhältnis” und die durch die Beklagte durchgeführte Betriebsratsanhörung Bezug. Die B.… GmbH hatte auch nach § 10 Abs. 2 des Betriebsführungsvertrages Vollmacht, im Namen der Beklagten Kündigungen auszusprechen. Obwohl das Vertretungsverhältnis in dem Kündigungsschreiben nicht ausdrücklich bezeichnet worden ist, war deshalb nach der oben angeführten Auslegungsregel die Kündigungserklärung im Zweifel der Beklagten als Betriebsinhaberin zuzurechnen. So ist dies offensichtlich von den Parteien zunächst auch in dem vorliegenden Arbeitsgerichtsverfahren gesehen worden: Der Kläger hat die B.… GmbH für seine Arbeitgeberin gehalten und gegen sie Kündigungsschutzklage erhoben, auf die sich die B.… GmbH, vertreten durch die Konzernmutter, zunächst auch rügelos eingelassen und mit dem Kläger sogar einen Widerrufsvergleich geschlossen hat. Selbst nach der Rüge der Passivlegitimation hat die Konzernmutter als Prozeßbevollmächtigte noch vorgetragen “die Beklagten” – was nichts anderes heißen kann als die Beklagte und die B.… GmbH – hätten durch das Schreiben vom 24. Februar 1993 die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen, ohne auf das bestehende Vertretungsverhältnis hinzuweisen und die Beklagte habe daher nur vorsorglich mit Schreiben vom 19. März 1993 die Kündigung wiederholt.

War die Kündigung vom 24. Februar 1993 aber der Beklagten als Willenserklärung zuzurechnen, so lagen zwei Kündigungen der Beklagten vor und der Betriebsrat war dementsprechend nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG auch zu der zweiten Kündigung vom 19. März 1993 anzuhören.

c) Nichts anderes gilt, wenn die Beklagte besondere Umstände vortragen könnte, aus denen geschlossen werden müßte, daß die erste Kündigung mangels hinreichender Bezeichnung des Vertretungsverhältnisses der B.… GmbH zuzurechnen wäre. Dann ist es jedenfalls revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht davon ausgeht, bereits mit Schreiben vom 24. Februar 1993 sei der Kündigungswille der Beklagten verwirklicht worden und die erneute Kündigung vom 19. März 1993 habe deshalb eine erneute Betriebsratsanhörung erforderlich gemacht. Von dem Grundsatz des § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, daß der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören ist, kann insoweit keine Ausnahme gemacht werden. Hat für den Arbeitgeber, noch dazu unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Betriebsratsanhörung, dessen Bevollmächtigter eine Kündigung ausgesprochen, ohne auf das bestehende Vertretungsverhältnis ausdrücklich hinzuweisen, so ist der Kündigungsvorgang in dem Moment abgeschlossen, in dem dem Arbeitnehmer diese Kündigung ordnungsgemäß zugeht. Tauchen bei dem Arbeitgeber nachträglich Zweifel auf, ob ihm die Kündigung durch den Bevollmächtigten als “Willenserklärung” zugerechnet werden kann, und wiederholt er daraufhin selbst die Kündigung, so leitet er damit einen neuen Kündigungsvorgang ein und hat deshalb den Betriebsrat erneut anzuhören. Dies muß erst recht dann gelten, wenn die wiederholte Kündigung erst mehr als einen Monat nach der Anhörung des Betriebsrats zu der ersten Kündigung ausgesprochen worden ist und der Betriebsrat der ersten Kündigung widersprochen hat.

 

Unterschriften

Etzel, Bitter, Bröhl, Strümper, Piper

 

Fundstellen

Haufe-Index 873898

NJW 1996, 2885

NZA 1996, 649

ZIP 1996, 799

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge