Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerruf einer Fahrvereinbarung

 

Leitsatz (amtlich)

Der tariflich vorgesehene jederzeitige Widerruf einer Fahrvereinbarung mit gegenseitigen Rechten und Pflichten unterliegt nicht der Beschränkung billigen Ermessens.

 

Normenkette

BMTV (Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-Ortsnetz- und Kabelbaues i.d.F vom 17. Dezember 1997) § 4.5.1; BMTV (Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-Ortsnetz- und Kabelbaues i.d.F vom 17. Dezember 1997) § 4.5.3.1

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 31.05.1999; Aktenzeichen 7 Sa 253/99)

ArbG Koblenz (Urteil vom 08.01.1999; Aktenzeichen 11 Ca 2185/98)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 31. Mai 1999 – 7 Sa 253/99 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat auch die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger auch über den Monat März 1998 hinaus ein Anspruch auf Kilometergeld iHv. 0,45 DM je gefahrenen Kilometer zusteht.

Der am 12. Oktober 1947 geborene Kläger ist seit dem 6. Juni 1970 im Unternehmen der Beklagten mit Sitz in A als Monteur tätig. In Ziff. 9 des am 10. Juni 1970 abgeschlossenen Arbeitsvertrages ist bestimmt:

„Soweit im vorstehenden keine besonderen Vereinbarungen getroffen sind, bestimmt sich der Inhalt des Arbeitsverhältnisses

  1. nach dem Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Metallindustrie in Württemberg-Baden in der jeweils gültigen Fassung sowie den kraft Nachwirkung (§ 4 Abs. 5 TVG) geltenden Bestimmungen;
  2. nach dem BMTV;
  3. nach der Sozialvereinbarung unserer Gesellschaft.”

Zusätzlich traf die Beklagte mit dem Kläger ebenso wie mit den anderen bis zum 10. November 1981 eingestellten Montagestammarbeitern die folgende Vereinbarung „als Bestandteil des Arbeitsvertrages”:

„Für die Benutzung des personaleigenen Verkehrsmittels für die Fahrten zwischen Wohnung und Montagestelle (bzw. festgelegte Sammelstelle) bei zumutbarer täglicher Rückkehr, erhalten Sie ein gemäß Bundesmontagetarifvertrag § 7, Punkt 3, Abs. 4 und im Zusammenhang mit § 6, Anmerkung 1 stehendes, angemessenes Kilometergeld von DM … pro km notwendige Fahrstrecke arbeitstäglich neben dem derzeit gültigen Nahauslösungssatz. Diese Vereinbarung gilt nur bis zu einer einfachen Fahrstrecke von 55 km (Hin- und Rückfahrt 110 km).”

Das für den Kläger vereinbarte Kilometergeld betrug 0,15 DM.

Am 10. November 1981 schlossen die Beklagte und der Gesamtbetriebsrat eine Vereinbarung, die folgenden Wortlaut hatte:

„Unter Berücksichtigung der spezifischen Betriebsstruktur der S wird im Nahmontagebereich bei Benutzung privater Verkehrsmittel die Handhabung nachfolgender Fahrgeld- bzw. Auslösungsregelung empfohlen:

Montagestammarbeiter erhalten für Fahrten zwischen Ausgangspunkt und Montagestelle bei Benutzung eines privaten Pkw ein Kilometergeld in Höhe von DM 0,36/km, wenn die kürzeste Entfernung in Straßenkilometern zwischen beiden Punkten 45 km nicht übersteigt.

Übersteigt die Entfernung 45 km, so sind die Fernauslösungssätze je Kalendertag gemäß BMTV zu zahlen, unter der Voraussetzung, daß öffentliche Verkehrsmittel nicht beansprucht werden.

Wird von den vorstehenden Regelungen kein Gebrauch gemacht, gelten hinsichtlich Fahrgelderstattung und Berechnung der Auslösung die einschlägigen Bestimmungen des BMTV.

Geschäftsleitung und Gesamtbetriebsrat sind gemeinsam der Ansicht, daß mit der vorgenannten Regelung den tatsächlichen betrieblichen Gegebenheiten und den Bedürfnissen der Montagearbeitnehmer in der S Rechnung getragen wird und befürworten deren Anwendung ab 1.1.1982.

…”

Die Beklagte hat sich nach dieser Vereinbarung gerichtet. Diese Vereinbarung wurde am 6. November 1996 durch die weitgehend inhaltsgleiche „Empfehlung über den Einsatz privater Fahrzeuge” ersetzt, in der das Kilometergeld auf 0,45 DM pro Kilometer angehoben und die Entfernungsobergenze auf 65 km festgelegt wurde. In beiden Vereinbarungen war bestimmt, daß die Regelungsempfehlung jederzeit unter Einhaltung einer Ankündigungsfrist von vier Wochen widerrufen werden könne.

Die tarifvertraglichen Voraussetzungen für die Gewährung eines Fahrgeldes bei der Benutzung eines eigenen Fahrzeuges waren in dem Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-, Ortsnetz- und Kabelbaues geregelt, zunächst idF vom 2. September 1970 (BMTV 1970), dann idF vom 6. Mai 1980 (BMTV 1980), idF vom 6. Oktober 1992 (BMTV 1992) und idF vom 17. Dezember 1997 (BMTV 1997). Die Höhe des Kilometergeldes wurde seit dem BMTV 1980 durch die jeweiligen ergänzenden Tarifverträge zum BMTV über die Auslösungssätze und Erschwerniszulagen bzw. über die Auslösungssätze und Fahrtkosten (TV Auslösung) bestimmt. Es betrug zunächst 0,36 DM, wurde durch den TV Auslösung vom 20. November 1995 auf 0,45 DM erhöht. Nach § 2 Ziff. 2.2 des TV Auslösung 1997 beträgt das Kilometergeld gem. § 4.5.3.1 BMTV für Montagestammarbeiter, die einen privaten Pkw auf Grund schriftlicher Vereinbarung mit dem Arbeitgeber benutzen, weiterhin 0,45 DM. Unabhängig von der Art des Transportmittels wird gem. § 4.5.1 BMTV 1997 iVm. § 2 Ziff. 2.1 TV Auslösung 1997 ein Fahrgeld von 0,23 DM erstattet.

Der Kläger ist Mitglied der IG Metall. Die Beklagte war nicht tarifgebunden. Am 11. August 1993 wurde zwischen der Beklagten und der IG Metall ein Anerkennungstarifvertrag geschlossen. Gem. § 3 dieses Anerkennungstarifvertrages gelten die im Anerkennungstarifvertrag in Bezug genommenen Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung und im jeweils gültigen Rechtsstatus. Zu den im Anerkennungstarifvertrag in Bezug genommenen Tarifverträgen gehören auch der BMTV und der TV Auslösung.

Die Beklagte hat dem Kläger zunächst ein Kilometergeld von 0,15 DM gewährt, seit der tariflichen Regelung zum BMTV 1980 den dort festgelegten Satz von 0,36 DM und seit der Erhöhung des Satzes durch den TV Auslösung vom 20. November 1995 auf 0,45 DM auch diesen erhöhten Betrag. Mit Schreiben vom 23. Oktober 1997 widerrief die Beklagte die „Empfehlung über den Einsatz privater Fahrzeuge”. Unter dem 18. März 1998 richtete die Beklagte ein Schreiben an den Kläger und an ihre anderen in der Niederlassung A beschäftigten Montagestammarbeiter mit einer Fahrvereinbarung:

„…

Hiermit widerrufen wir die mit Ihnen getroffene schriftliche Vereinbarung über die Benutzung eines privaten Fahrzeuges für Fahrten zwischen Wohnung und Montagestelle (bzw. festgelegte Sammelstelle) gemäß § 4.5.3.1 BMTV mit einer Ankündigungsfrist von einer Woche zum 31.3.1998.”

Seit April 1998 zahlte die Beklagte dem Kläger lediglich Kilometergeld iHv. 0,23 DM entsprechend dem Fahrgeldsatz unabhängig vom Verkehrsmittel gem. § 4.5.1 BMTV 1997 iVm. § 2 Ziff. 2.1 TV Auslösung 1997.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß der Widerruf unwirksam sei. Bei der seinerzeit geschlossenen schriftlichen Vereinbarung handele es sich um einen festen Bestandteil des abgeschlossenen Arbeitsvertrages. Als vertragliche Vereinbarung könne diese nicht einseitig widerrufen, sondern allenfalls mittels einer Änderungskündigung beseitigt werden. Selbst wenn die Widerrufsmöglichkeit eröffnet wäre, müsse ein Widerruf an § 315 BGB gemessen werden. Es sei nicht nachvollziehbar, was die Beklagte bewogen habe, die langjährig bestehende Vereinbarung mit ihm zu widerrufen. Auch sei die Ausübung des Widerrufsrechts rechtsmißbräuchlich iSd. § 242 BGB.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß ihm auch über den Monat März 1998 hinaus ein Anspruch auf Kilometergeld in Höhe von 0,45 DM je gefahrenem Kilometer zusteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, daß die vom Tarifvertrag vorgesehene Vereinbarung wirksam widerrufen worden sei. Die vertragliche Vereinbarung habe lediglich eine dem Grunde nach tariflich festgelegte Leistung der Höhe nach einer einvernehmlichen Regelung zugeführt. Die vertragliche Vereinbarung habe ihre Grundlage im tariflichen Rechts- und Pflichtenkreis; es habe sich daher lediglich um eine Konkretisierung eines tariflichen Rechts des Klägers gehandelt. Die Ausübung des Widerrufsrechts stehe auch nicht unter dem Vorbehalt des billigen Ermessens iSv. § 315 BGB oder einer Inhaltskontrolle nach § 242 BGB. Die Anwendung dieser Vorschriften scheide bereits deshalb aus, weil das Widerrufsrecht beiden Vertragsparteien gleichermaßen eröffnet worden sei. Für eine unbeschränkte Widerrufsmöglichkeit spreche auch der Wortlaut des § 4.5.3.1 BMTV 1998, wonach jede Partei „jederzeit” zum Widerruf berechtigt sei.

Das Arbeitsgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das arbeitsgerichtliche Urteil abgeändert, die Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil zugelassen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die zulässige Feststellungsklage mit Recht abgewiesen.

1. Der Kläger hat keinen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Zahlung eines Kilometergeldes von 0,45 DM über den 31. März 1998 hinaus.

a) Es kann dahingestellt bleiben, ob und ggf. inwieweit die mit Abschluß des Arbeitsvertrages geschlossene Vereinbarung über eine Fahrgelderstattung eine konstitutive Regelung darstellt, welche einen eigenen, unabhängig vom Tarifvertrag bestehenden Anspruch begründen kann; jedenfalls begründet diese Vereinbarung keinen Anspruch des Klägers auf ein Kilometergeld in der geforderten Höhe. Nach dieser Vereinbarung steht dem Kläger ein Kilometergeld von nur 0,15 DM zu, weniger als die 0,23 DM, die der Kläger von der Beklagten entsprechend den tariflichen Regelungen in § 4.5.1 BMTV 1997 iVm. § 2 Ziff. 2.1 TV Auslösung als pauschales Kilometergeld auch nach dem Widerruf der Beklagten vom 18. März 1998 erhält.

b) Die Höhe des arbeitsvertraglich zu zahlenden Kilometergeldes ist auch nicht auf 0,45 DM erhöht worden.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, eine konkludente Vereinbarung über die Erhöhung des Kilometergeldes auf 0,36 DM bzw. 0,45 DM sei nicht geschlossen worden. Die Beklagte habe die Erhöhungen des Kilometergeldes jeweils im Zusammenhang mit den tariflichen Regelungen über die Höhe des Kilometergeldes vorgenommen. Da der Arbeitsvertrag und die Fahrvereinbarung auf den BMTV Bezug genommen hätten, sei auch für den Kläger erkennbar gewesen, daß mit der Zahlung des erhöhten Kilometergeldes nur die tarifliche Regelung vollzogen, nicht aber zusätzlich ein einzelvertraglicher Anspruch auf ein entsprechend hohes Kilometergeld begründet werden sollte. Das hält der Revision stand.

Zu Unrecht macht die Revision geltend, eine tarifvertragliche Verpflichtung zur Zahlung des Kilometergeldes sei erst mit Abschluß des Anerkennungstarifvertrages im Jahre 1993 begründet worden. Deshalb sei vorher mit der Zahlung eines erhöhten Kilometergeldes eine Anpassung der individualrechtlichen Vereinbarung zumindest auf 0,36 DM erfolgt. Darüber hinaus habe auch eine Anpassung des arbeitsvertraglich vereinbarten Kilometergeldes auf 0,45 DM stattgefunden, weil die Beklagte durch die Empfehlungsvereinbarung vom 6. November 1996 diese Höhe als für den Betrieb angemessen anerkannt habe und nicht nur der tarifvertraglichen Pflicht nachgekommen sei. Die Revision verkennt, daß im Arbeitsvertrag und in der Fahrvereinbarung auf den BMTV Bezug genommen worden ist und sich somit alle Erhöhungen des Kilometergeldes nur als Vollzug der tariflichen Regelungen darstellen.

2. Dem Kläger steht das Kilometergeld von 0,45 DM über den 31. März 1998 hinaus auch nicht nach den tarifvertraglichen Vorschriften zu. Nach § 4.5.3.1 BMTV 1997 iVm. § 2 Ziff. 2.2 TV Auslösung 1997 steht dem Kläger das erhöhte Kilometergeld von 0,45 DM nur zu, wenn eine Fahrvereinbarung besteht. Andernfalls hat er für die angeordneten Fahrten bei Benutzung des eigenen Fahrzeugs nur den Anspruch auf die pauschale Erstattung des Fahrgeldes gem. § 4.5.1 BMTV 1997 iVm. § 2 Ziff. 2.1 TV Auslösung 1997 iHv. 0,23 DM je Kilometer. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß die Beklagte die Fahrvereinbarung mit ua. dem Kläger mit Schreiben vom 18. März 1998 wirksam widerrufen hat.

a) Der BMTV gilt kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit zwischen den Parteien unmittelbar und zwingend (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG), weil nicht nur der Kläger, sondern seit dem Anerkennungstarifvertrag vom 11. August 1993 auch die Beklagte tarifgebunden sind. Darüber hinaus haben die Parteien seine Anwendung auf das Arbeitsverhältnis vereinbart.

b) Für den tarifvertraglichen Anspruch des Klägers auf Zahlung eines Kilometergeldes sind die folgenden tariflichen Vorschriften einschlägig.

BMTV 1970:

§ 7

Nahmontage

2. Fahrgeld

[1] Notwendiges Fahrgeld wird – auch bei Benutzung eigener Verkehrsmittel – erstattet für Fahrten entweder zwischen der Montagestelle und dem Sitz des entsendenden Betriebes oder zwischen der Montagestelle und der Ortsmitte des Betriebsortes oder zwischen der Montagestelle und der Wohnung des Montagearbeiters oder zwischen der Montagestelle und der Ortsmitte des Wohnortes des Montagearbeiters und in den Fällen des § 6 Ziff. 7 zwischen Unterkunftsort und Montagestelle.

3. Nahauslösung

[4] Bei der Berechnung des Zeitaufwandes ist die kürzeste Strecke unter Benutzung der günstigsten öffentlichen Verkehrsmittel maßgebend. Dies gilt jedoch nicht bei Benutzung eigener Verkehrsmittel, soweit der Arbeitgeber hierfür Kilometergeld oder eine andere angemessene Entschädigung bezahlt. In diesem Fall sowie bei Benutzung werkseitig gestellter Fahrzeuge, deren Benutzung dem Montagearbeiter zumutbar ist, wird der tatsächliche Zeitaufwand zugrunde gelegt.

Der nachfolgende BMTV 1980 bestimmt in § 7.2.2:

„Montagestammarbeiter, die aufgrund einer schriftlichen Vereinbarung mit dem Arbeitgeber (5) ein privates Fahrzeug führen, erhalten als Fahrgeld für angeordnete Fahrten je gefahrenen Kilometer ein Kilometergeld, dessen Höhe im Tarifvertrag für Auslösungssätze und Erschwerniszulagen festgelegt wird.”

In Anm. 7 zu § 6.2.2 – auf die in Anm. 5 zu § 7.2.2 verwiesen wird – war geregelt, daß die schriftliche Vereinbarung von Arbeitgeber und Montagestammarbeiter jederzeit mit Ankündigungsfrist von einer Woche widerrufen werden kann. Der BMTV 1992 enthielt eine inhaltlich übereinstimmende Regelung.

In § 4.5.3.1 BMTV 1997 heißt es:

„4.5.3.1 Montagestammarbeiter, die aufgrund einer schriftlichen Vereinbarung mit dem Arbeitgeber ein privates Fahrzeug führen, erhalten anstelle des Fahrgeldes nach § 4.5.1 für angeordnete Fahrten je gefahrenen Kilometer ein Kilometergeld, dessen Höhe im Tarifvertrag für Auslösungssätze und Fahrtkosten festgelegt wird.

Die schriftliche Vereinbarung kann von Arbeitgeber und Montagestammarbeiter jederzeit mit einer Ankündigungsfrist von einer Woche schriftlich widerrufen werden.”

c) Es kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, daß die zusammen mit dem Arbeitsvertrag vom 10. Juni 1970 geschlossene Fahrvereinbarung als Fahrvereinbarung iSd. BMTV in den Fassungen seit dem BMTV 1980 zu werten ist. Dafür spricht, daß die Parteien bei Inkrafttreten des BMTV 1980, der eine schriftliche Fahrvereinbarung als Voraussetzung für die Zahlung des Kilometergeldes bei Benutzung eines privaten Fahrzeuges festlegte, die frühere Fahrvereinbarung von 1970 ohne weiteres als entsprechende Fahrvereinbarung angesehen und praktiziert haben. Deshalb kann auch offenbleiben, ob bereits die Fahrvereinbarung von 1970 zweiseitige Verpflichtungen begründete, die zur Beendigung eines Widerrufs oder einer Kündigung bedurft hätten, wie es bei den Fahrvereinbarungen iSd. BMTV ab 1980 vorgesehen ist. Ggf. haben die Parteien konkludent eine entsprechende Änderung der Fahrvereinbarung vorgenommen. Dem steht auch nicht ohne weiteres entgegen, daß § 7.2.2 BMTV 1980 von einer schriftlichen Vereinbarung spricht. Zum einen ist die Fahrvereinbarung zunächst schriftlich abgeschlossen worden und lediglich die konkludente Änderung in einer Fahrvereinbarung iSd. Tarifvertrags wäre nicht in schriftlicher Form erfolgt. Im übrigen spricht viel dafür, daß dem Schriftformerfordernis für die Fahrvereinbarung in § 7.2.2 BMTV 1980 nur deklaratorische Bedeutung zukommen solle(vgl. dazu BAG 5. Juli 1995 – 5 AZR 69/94 – nv.; 6. September 1972 – 4 AZR 422/71 – AP BAT § 4 Nr. 2). Wenn entgegen diesen Annahmen davon ausgegangen würde, daß eine Fahrvereinbarung iSd. Tarifvertrags nicht vorliegt, stünde dem Kläger von vornherein kein tariflicher Anspruch auf ein Kilometergeld iHv. 0,45 DM gem. § 4.5.3.1 BMTV 1997 iVm. § 2 Ziff. 2.2 TV Auslösung zu.

d) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht auch erkannt, daß ein freies, nicht an billiges Ermessen gebundenes Widerrufsrecht der Beklagten bestand.

aa) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt(st. Rspr., vgl. nur Senat 8. September 1999 – 4 AZR 661/98 – AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 33 = EzA TVG § 1 Rückwirkung Nr. 4, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

bb) Das Landesarbeitsgericht hat bei der Auslegung der Regelung in § 4.5.3.1 BMTV der Formulierung „jederzeit” nicht nur eine zeitliche Bedeutung zugelegt, sondern angesichts fehlender Anhaltspunkte für eine Überprüfbarkeit der Widerrufsentscheidung auch eine inhaltliche Bedeutung iSv. „nach freiem Belieben”. Dem ist im Ergebnis zu folgen.

cc) Allerdings kann die Auslegung der tariflichen Regelung im Sinne eines freien Widerrufsrechts entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts nicht damit begründet werden, daß dadurch die Gleichbehandlung von Mitarbeitern mit und ohne Fahrvereinbarung erreicht werden könne. Die Zielsetzung bei der Ausübung des Widerrufsrechts ist für die Auslegung der tariflichen Regelung als freies oder an § 315 BGB gebundenes Widerrufsrecht ohne Relevanz.

dd) Dem bloßen Wortlaut nach kann aus der Formulierung, daß die Fahrvereinbarung „jederzeit” mit einer Ankündigungsfrist von einer Woche widerrufen werden kann, zwar nur die Freiheit des Zeitpunkts des Widerrufs abgeleitet werden und nicht darüber hinaus die inhaltliche Ungebundenheit. Andererseits ist die bereits zeitliche Ungebundenheit häufig auch ein Indiz für das Fehlen einer inhaltlichen Bindung für den Widerruf bzw. die Kündigung. So kann ein Auftrag gem. § 671 Abs. 1 BGB vom Auftraggeber „jederzeit” gekündigt werden, und zwar ohne sachliche Begründung oder billiges Ermessen.

Für die freie Widerruflichkeit der Fahrvereinbarung spricht vorliegend insbesondere, daß es sich bei der Fahrvereinbarung um eine eigenständige Nebenabrede mit gegenseitigen, prinzipiell gleichwertigen Rechten und Pflichten handelt. Der Kläger hat die Pflicht, sein privates Fahrzeug für angeordnete Fahrten zu benutzen, und hat das Recht, für die Fahrten das tariflich bestimmte Kilometergeld zu erhalten. Die Beklagte hat das Recht, die Nutzung des privaten Fahrzeugs des Klägers zu verlangen, muß aber dafür das tariflich festgelegte Kilometergeld zahlen. In dieser Vereinbarung kann keine generelle Begünstigung des Arbeitnehmers gesehen werden, weil das Kilometergeld nicht ohne weiteres die realen Kosten eines gefahrenen Kilometers übersteigt, die je nach Fahrzeug erheblich differieren können. Insoweit ist die Funktion des § 315 BGB, der vor unbilligen Benachteiligungen durch die Ausübung eines einseitigen Bestimmungsrechts schützen will, vorliegend nicht einschlägig. Wertungsmäßig stellt sich das Widerrufsrecht hier eher als Kündigungsrecht einer selbständigen Neben- bzw. Zusatzvereinbarung mit prinzipiell gleichwertigen Rechten und Pflichten dar. Insoweit stellt sich vorliegend auch nicht die Frage, ob ein freies Widerrufsrecht deshalb nicht angenommen werden könne, weil dadurch in den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses eingegriffen und der Inhaltsschutz des Arbeitsverhältnisses umgangen werde(vgl. dazu ua. Wiedemann TVG 6. Aufl. Einl. Rn. 363, 373, 374 mwN). Dabei kann im übrigen nicht von der Differenz zwischen dem Kilometergeld von 0,25 DM bzw. 0,45 DM und dem sich daraus ergebenden monatlichen Verlust des Klägers von etwa 300,00 DM ausgegangen werden. Dabei bliebe unberücksichtigt, daß das höhere Kilometergeld ein Ausgleich für die Verpflichtung ist, ein privates Fahrzeug für die angeordneten Fahrten zu benutzen.

e) Die Ausübung des Widerrufsrechts durch die Beklagte verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Der Kläger hat keine Umstände vorgetragen, aus denen sich herleiten läßt, daß die Ausübung des der Beklagten tarifvertraglich zugebilligten Widerrufsrechts mißbräuchlich oder treuwidrig sei. Es kann rechtlich nicht beanstandet werden, daß die Beklagte durch den Widerruf der Regelungsempfehlung vom 6. November 1996 für die Mitarbeiter ohne Fahrvereinbarung und durch den Widerruf der Fahrvereinbarung gegenüber dem Kläger und den anderen Mitarbeitern mit einer Fahrvereinbarung für alle Montagearbeiter eine einheitliche Regelung im Sinne der pauschalen Erstattung des Fahrgeldes gem. § 4.5.1 BMTV 1997 iVm. § 2 Ziff. 2.1 TV Auslösung 1997 erreichen wollte.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

 

Unterschriften

Schliemann, Bott, Wolter, Pflügner-Wax, Seifner

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 30.08.2000 durch Freitag, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 584680

DB 2001, 1312

BuW 2001, 614

EBE/BAG 2001, 91

FA 2001, 222

SAE 2001, 199

AP, 0

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