Entscheidungsstichwort (Thema)

Annahmeverzug bei unwirksamer Kündigung

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Arbeitgeber, dessen Kündigung aus "sonstigen Gründen" (§ 13 Abs 3 KSchG) rechtsunwirksam ist, gerät ausnahmsweise nicht in Annahmeverzug, wenn ihm die weitere Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht zumutbar ist. Hierfür reicht nicht jedes Verhalten aus, das zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt, vielmehr ist ein besonders grober Vertragsverstoß erforderlich und die Gefährdung von Rechtsgütern des Arbeitgebers, seiner Familienangehörigen oder anderer Arbeitnehmer, deren Schutz Vorrang vor dem Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Verdienstes hat (Bestätigung von BAG 26.4. 1956 GS 1/56 = BAGE 3, 66 = AP Nr 5 zu § 9 MuSchG).

 

Normenkette

BGB §§ 615, 293-296, 611, 626 Abs. 1-2; BetrVG § 102 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG München (Entscheidung vom 05.12.1986; Aktenzeichen 2 (3) Sa 617/86)

ArbG Rosenheim (Entscheidung vom 21.11.1985; Aktenzeichen 1 Ca 1701/84)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger Entgelt unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zusteht.

Der Kläger war seit dem 1. Januar 1977 bei der Firma G P, die eine Lederwarenfabrik betrieb, als technischer Betriebsleiter mit einem monatlichen Gehalt von zuletzt 7.200,-- DM beschäftigt. Am 4. Oktober 1982 wurde über das Vermögen des Firmeninhabers das Konkursverfahren eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter bestellt. Am 23. oder 24. September 1982 hatte der Kläger 732 Stücke Fertigleder aus dem Betrieb entfernt, um sie für sich zu veräußern. Als der Beklagte davon erfuhr, kündigte er dem Kläger am 20. Oktober 1982 fristlos und bestätigte diese Kündigung am 22. Oktober 1982 schriftlich. Er begründete die Kündigung im wesentlichen damit, der Kläger habe Fertigleder in einem geschätzten Wert von ungefähr 80.000,-- DM gestohlen oder unterschlagen. Der Betriebsrat des Gemeinschuldners wurde vor der Kündigung nicht angehört. Ob der Gemeinschuldner schon vor der Konkurseröffnung von der Mitnahme des Leders erfahren hatte, ist streitig. Der Kläger gab nach anfänglicher Weigerung das Leder an den Beklagten heraus.

Das Arbeitsgericht stellte durch rechtskräftiges Urteil vom 2. Oktober 1984 fest, daß die Kündigung wegen Verletzung von § 102 Abs. 1 BetrVG rechtsunwirksam sei. Im Strafverfahren wurde der Kläger am 9. Januar 1984 von der Anklage des Diebstahls rechtskräftig freigesprochen. Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger zunächst Vergütungs- und Schadenersatzansprüche in Höhe von insgesamt 54.429,10 DM geltend gemacht. Im zweiten Rechtszuge hat er nur noch Arbeitsvergütung in unstreitiger Höhe von 33.551,-- DM verlangt.

Er hat hierzu vorgetragen, der Beklagte schulde ihm für geleistete Arbeit in der Zeit vom 5. bis 20. Oktober 1982 als Vergütung 3.840,-- DM und für die darauffolgende Zeit bis zum 31. März 1983 weitere 29.711,-- DM abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes aus Annahmeverzug.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 33.551,-- DM

nebst 4 % Zinsen seit dem 17. Januar 1985 zu

zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat zur Begründung vorgetragen, er sei nicht in Annahmeverzug geraten, da es für ihn, den Beklagten, unzumutbar gewesen sei, die Arbeitsleistung des Klägers angesichts der ihm vorgeworfenen schweren Verfehlung anzunehmen. Das Verhalten des Klägers habe das Vertrauen in seine Integrität als Betriebsleiter erschüttert und die Belange der Gläubigergemeinschaft gefährdet. Wäre die fristlose Kündigung nicht an der Voraussetzung des § 102 Abs. 1 BetrVG gescheitert, wäre sie begründet gewesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

A. Der Senat folgt den Annahmen des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe für die Zeit von der Konkurseröffnung bis zum Zugang der Kündigung am 20. Oktober 1982 einen Vergütungsanspruch nach § 611 BGB und für die darauf folgende Zeit bis zum 31. März 1983 einen Entgeltanspruch unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs (§§ 611, 615 BGB).

I. Der Kläger macht Vergütungsansprüche für die Zeit nach Konkurseröffnung gegen den Beklagten als Konkursverwalter geltend. Bei diesen Ansprüchen handelt es sich um Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 KO.

II. Da der Kläger unwidersprochen vorgetragen hat, er habe bis zur fristlosen Kündigung gearbeitet, hat er für die Zeit nach Konkurseröffnung (5. Oktober 1982) bis zum Kündigungszugang (20. Oktober 1982) nach § 611 BGB Anspruch auf Vergütung in unstreitiger Höhe von 3.840,-- DM.

III. Der weitergehende Gehaltsanspruch des Klägers in unstreitiger Höhe von 29.711,-- DM für die Zeit vom 21. Oktober 1982 bis zum 31. März 1983 ist unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs (§§ 611, 615 BGB) begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat auch nach der fristlosen Kündigung durch den Beklagten fortbestanden, weil das Arbeitsgericht im Vorprozeß rechtskräftig entschieden hatte, die Kündigung sei wegen eines Verstoßes gegen § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam.

1. Nach § 615 BGB hat der Arbeitgeber die vereinbarte Vergütung weiterzuzahlen, wenn er mit der Annahme der Dienste in Verzug kommt. Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs richten sich auch für das Arbeitsverhältnis nach den §§ 293 ff. BGB. Danach muß der Schuldner in der Regel die geschuldete Leistung anbieten (§§ 294, 295 BGB). Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer unberechtigterweise fristlos kündigt, gerät der Arbeitgeber allerdings in Annahmeverzug, ohne daß es eines Arbeitsangebots des Arbeitnehmers bedarf. Nach § 296 BGB ist nämlich auch ein wörtliches Angebot (§ 295 BGB) überflüssig, wenn für eine vom Gläubiger vorzunehmende Mitwirkungshandlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist und der Gläubiger die Handlung nicht rechtzeitig vornimmt. Die nach dem Kalender bestimmte Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers besteht darin, dem Arbeitnehmer einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und ihm Arbeit zuzuweisen. Da der Arbeitgeber mit der fristlosen Kündigung deutlich zu erkennen gegeben hat, daß er die Arbeitsleistung für die Zukunft ablehnt, muß er den Arbeitnehmer wieder zur Arbeit auffordern, wenn er trotz fristloser Kündigung nicht in Annahmeverzug geraten will (BAGE 46, 234, 243 = AP Nr. 34 zu § 615 BGB, zu B II 5 b der Gründe). Das hat der Beklagte nicht getan.

2. Ganz ausnahmsweise gerät der Arbeitgeber im Falle einer unwirksamen fristlosen Kündigung jedoch auch dann nicht in Annahmeverzug, wenn er es ablehnt, den gekündigten Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen.

a) Der Annahmeverzug des Arbeitgebers setzt nämlich weiter voraus, daß er die Annahme der Dienste des Arbeitnehmers ohne einen vom Recht anerkannten Grund verweigert hat. Er ist berechtigt, die Arbeitsleistung abzulehnen, wenn ihm die Weiterbeschäftigung unter Berücksichtigung der dem Arbeitnehmer zuzurechnenden Umstände nach Treu und Glauben nicht zuzumuten ist (BAGE GS 3, 66, 74 f. = AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG, zu II 2 der Gründe; BAGE 28, 233, 245 f. = AP Nr. 8 zu § 103 BetrVG 1972, zu B II 2 a der Gründe = EzA § 103 BetrVG 1972 Nr. 17 mit Anm. Kraft). Nicht bei jedem Verhalten des Arbeitnehmers, das zur fristlosen Kündigung berechtigt, kann der Arbeitgeber die Arbeitsleistung ablehnen. Nur bei besonders groben Vertragsverstößen wird der Annahmeverzug ausgeschlossen, nämlich nur, wenn bei Annahme der Leistung Rechtsgüter des Arbeitgebers, seiner Familienangehörigen oder anderer Arbeitnehmer gefährdet werden, deren Schutz Vorrang vor den Interessen des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Verdienstes hat (Kraft, Anm. zu EzA § 103 BetrVG 1972 Nr. 17).

Dem Beschluß des Großen Senats (aaO), in dem diese Rechtssätze aufgestellt wurden, lag denn auch ein Sachverhalt zugrunde, in dem von einem vertragsgemäßen Angebot der Arbeitsleistung schon deshalb nicht ausgegangen werden konnte, weil die Arbeitnehmerin den Arbeitgeber, seine Ehefrau und einen Lehrling mit dem Beil bedroht und die mehrmaligen Arbeitsangebote mit der Zerstörung von Blumen und Blumentöpfen in der Gärtnerei verknüpft hatte.

b) An diesen strengen Anforderungen für die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung bei einer nach § 13 Abs. 3 KSchG (vorliegend in Verbindung mit § 102 BetrVG) unwirksamen Kündigung hält der Senat fest, weil anderenfalls die sonstigen Unwirksamkeitsgründe im Sinne von § 13 KSchG weitgehend sanktionslos blieben, wenn dem Arbeitnehmer zwar der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bestätigt, ihm der Anspruch auf Arbeitsentgelt für die weitere Arbeitsleistung aber schon bei einer Unzumutbarkeit i.S. des § 626 BGB versagt würde.

c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch keine Divergenz zwischen dem Beschluß des Großen Senats (BAGE 3, 66) und der Entscheidung des Senats vom 11. November 1976 (BAGE 28, 233) vor. Insoweit übersieht das Landesarbeitsgericht, daß der Senat in der Entscheidung vom 11. November 1976 auf den Beschluß des Großen Senats Bezug genommen hat. Dementsprechend hat der Senat ausgeführt, die noch nicht rechtskräftige Ersetzung der Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung gegenüber einem Betriebsratsmitglied könne den Annahmeverzug des Arbeitgebers keinesfalls ausschließen. Im übrigen wäre eine Divergenz auch schon deshalb gar nicht möglich gewesen, weil der Senat in der Entscheidung vom 11. November 1976 sich mit der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung im Anschluß an eine nach § 626 Abs. 2 BGB verfristete Kündigung zu befassen hatte. Die rechtlichen Auswirkungen der erst 1969 eingeführten Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB für den Annahmeverzug hat der Große Senat in dem Beschluß vom 26. April 1956 (BAGE 3, 66) noch nicht berücksichtigen können.

3. Vorliegend sind besondere Umstände, die über den für die Kündigung aus wichtigem Grund maßgeblichen Sachverhalt hinausgehen, nicht ersichtlich.

a) Das Landesarbeitsgericht hat den Vortrag des Beklagten als richtig unterstellt, der Kläger habe treuwidrig versucht, erhebliche Vermögenswerte des Gemeinschuldners zum Nachteil der Konkursgläubiger beiseite zu schaffen und sich rechtswidrig anzueignen. Ein solches Verhalten hat es zu Recht als schwere Pflichtverletzung gewertet, die das Vertrauen in die Integrität des Klägers unheilbar erschüttert und ihn als Betriebsleiter untragbar gemacht habe*Gleichwohl hat das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend angenommen, der Beklagte sei deshalb noch nicht berechtigt gewesen, die weiteren Dienste des Klägers abzulehnen.

b) Diese Würdigung ist insbesondere deswegen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, weil nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht die Gefahr bestanden hat, daß der Kläger in der Zukunft sein unrechtmäßiges Verhalten fortsetze. Zwar hat der Kläger das weggeschaffte Leder erst nach anfänglicher Weigerung wieder herausgegeben. Daraus kann aber nicht auf seinen Willen geschlossen werden, auch künftig ungeachtet der gegenteiligen Auffassung des Beklagten derartiges Material aus dem Betrieb an sich zu nehmen. Anders als in dem Fall, der dem Beschluß des Großen Senats zugrunde lag, waren vorliegend bei einer Weiterbeschäftigung absolut geschützte Rechtsgüter des beklagten Arbeitgebers und seiner Angehörigen nicht gefährdet. Vorliegend hat aufgrund des unterstellten einmaligen Fehlverhaltens des Klägers durchaus damit gerechnet werden können, er werde seine Arbeitsleistung künftig ordnungsgemäß erbringen.

c) Der Große Senat (BAGE 3, 66) hat zwar darauf hingewiesen, auch ein einmaliges besonders schwer zu mißbilligendes Verhalten des Arbeitnehmers könne den Arbeitgeber berechtigen, die weitere Beschäftigung abzulehnen. Es muß sich allerdings auch hierbei nach den Ausführungen des Großen Senats um einen besonders verwerflichen Eingriff in absolut geschützte Rechtsgüter handeln. Vorliegend hat das Landesarbeitsgericht aber nur unterstellt, der Kläger habe treuwidrig versucht, geldwerte Güter an sich zu bringen. Je nach den Umständen des konkreten Einzelfalles kann auch hierin ein Verhalten liegen, das den Arbeitgeber berechtigt, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers für die Zukunft abzulehnen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, an die der Senat gebunden ist, ist das Fortschaffen des Leders im Werte von ungefähr 80.000,-- DM zwar an sich durchaus geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Es sind aber keine Umstände ersichtlich, die das Verhalten des Klägers als Extremfall erscheinen lassen, und die es dem Beklagten erlaubt hätten, die Arbeitsleistung des Klägers nach Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung zurückzuweisen. Hierbei hatte das Landesarbeitsgericht auch zu beachten, ob durch das Verhalten des Klägers die Eröffnung des Konkursverfahrens erforderlich geworden ist. Dies war zu verneinen. Die Entscheidung, einen Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens zu stellen, fiel bereits vor dem 20. September 1982, der Kläger hat aber das Leder erst am 23. oder 24. September 1982 an sich genommen.

d) Zu Unrecht rügt die Revision, das Landesarbeitsgericht habe eine fehlerhafte Interessenabwägung vorgenommen. Entscheidend ist, ob dem Arbeitgeber nach Treu und Glauben zugemutet werden kann, den Arbeitnehmer trotz Unwirksamkeit der Kündigung weiterzubeschäftigen. Das Berufungsgericht hatte also keine Interessen-, sondern eine Zumutbarkeitsprüfung vorzunehmen. Dies hat es getan. Rechtsfehler sind auch insoweit nicht ersichtlich. Die Zumutbarkeitsprüfung des Berufungsgerichts geht von dem zutreffenden Ansatz aus, daß das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer unwirksamen Kündigung nicht in jedem Falle einen Vergütungsanspruch nach § 615 BGB begründet, wenn der Arbeitgeber die weitere Beschäftigung abgelehnt hat. Wie das Landesarbeitsgericht ferner gesehen hat, entfällt nur beim Vorliegen besonders schwerwiegender Umstände, die dem Arbeitgeber die Annahme der Dienste unzumutbar machen, eine Vergütungspflicht aus Annahmeverzug. Das Berufungsgericht hat auch alle erheblichen Umstände des vorliegenden Einzelfalles berücksichtigt.

Die Verfahrensrügen der Revision greifen nicht durch. Insoweit wird von einer Begründung abgesehen (§ 565 a ZPO).

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Hillebrecht - Dr. Weller

zugleich für den durch Urlaub

an der Unterschrift verhinderten

Richter Ascheid

Dr. Müller Dr. Wolter

 

Fundstellen

BB 1988, 914-914 (LT1)

DB 1988, 866-867 (LT1)

SteuerBriefe 1988, 241 (ST1)

JR 1988, 352

NZA 1988, 465-466 (LT1)

RdA 1988, 126

RzK, I 13b Nr (LT1)

AP § 615 BGB (LT1), Nr 42

AR-Blattei, Annahmeverzug Entsch 35 (LT1)

AR-Blattei, ES 80 Nr 35 (LT1)

EzA § 615 BGB, Nr 54 (LT1)

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