Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung wegen Stasi-Zusammenarbeit und Fragebogenlüge

 

Normenkette

BGB § 626; KSchG § 1 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 12.03.1998; Aktenzeichen 1 Sa 269/97)

ArbG Stralsund (Urteil vom 01.04.1997; Aktenzeichen 5 Ca 617/96)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 12. März 1998 – 1 Sa 269/97 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger war seit dem 12. November 1990 bei der Beklagten aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 12. November 1990 in Verbindung mit dem Änderungsvertrag vom 1. April 1991 beschäftigt, und zwar zuletzt als Leiter der ihm unterstehenden Abteilung Soziale Dienste mit 17 Mitarbeitern.

Die Beklagte hat nach vorhergehender Anhörung des Personalrats laut Schreiben vom 4. Oktober 1996 das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 11. Oktober 1996 außerordentlich zum 31. Oktober 1996 und hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin unter Hinweis auf § 53 BAT-O gekündigt. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger hatte mit Datum vom 25. April 1991 gegenüber der Beklagten eine schriftliche “Erklärung über die Treuepflicht zum Grundgesetz und Unterrichtung über außerordentliche Kündigungsmöglichkeiten” nach den Vorschriften des Einigungsvertrages unterschrieben, mit der er u.a. versicherte, nicht für das frühere Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit (im folgenden: MfS) tätig gewesen zu sein. Durch die bei der Beklagten am 22. September 1996 eingegangene Auskunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (im folgenden: Gauck-Behörde) vom 14. August 1996 ist dieser am 23. September 1996 bekanntgeworden, daß der Kläger in den Akten des MfS für die Zeit vom 19. Juni 1975 bis 5. Januar 1979 als inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit (IMS) unter dem Decknamen “K… II” erfaßt war. Zu einer auf den 26. September 1996 angesetzten persönlichen Anhörung erschien der Kläger nicht, sondern entschuldigte sich mit gesundheitlichen Gründen und führte dabei mit Schreiben vom 30. September 1996 zur Sache aus, da ihm nur ein geringfügiger Teil der Akte zugänglich sei, vor allem der Abschlußbericht fehle, könne er nur darauf verweisen, der Kontakt habe in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner damaligen dienstlichen Tätigkeit gestanden, durch die er zwangsläufig meldepflichtig gewesen sei; da der Abbruch vor 18 Jahren von ihm selbst herbeigeführt worden sei, habe er dies später für sich als unerheblich betrachtet.

Der Kläger war von 1962 bis 1990 Angehöriger der Nationalen Volksarmee (NVA), zuletzt als Fachgruppenleiter im Lehrstuhl Pädagogik/Psychologie an der Offiziershochschule der Volksmarine. Im Jahre 1975 stand er im Range eines Kapitänleutnants; er wohnte dabei in der NVA-Siedlung D…. Dort traf er anläßlich eines Besuches in der Familie eines Kollegen mit dessen Tante zusammen, die er aufgrund der Äußerung, sie werde demnächst nach Mallorca fahren, für eine Besucherin aus Westdeutschland oder West-Berlin hielt. Hiervon hat er den für die militärische Abwehr zuständigen, in der Siedlung bekannten Sicherheitsoffizier des MfS, den Hauptmann K…, unterrichtet, der dies in einem Bericht vom 10. Juni 1975 festhielt. Auf dessen Veranlassung hat der Kläger selbst einen handschriftlichen Bericht vom 9. Juni 1975 über den Vorgang gefertigt. Da der besagte Kollege des Klägers zu dieser Zeit durch das MfS bereits “operativ bearbeitet” wurde, hat der Hauptmann K… in seinem Bericht die “operative Nutzung des (Klägers) zur Aufklärung dieser Verbindung” vorgeschlagen und den Kläger veranlaßt, unter dem Datum des 19. Juni 1975 eine handschriftliche Verpflichtungserklärung mit folgendem Wortlaut zu erstellen:

“Verpflichtung

Ich, L… P…, geb. …, verpflichte mich hiermit auf freiwilliger Grundlage, die Organe des MfS zu unterstützen. Über diese Zusammenarbeit unter allen Umständen strengstes Stillschweigen bewahren. Die mir gestellten Aufgaben werde ich ehrlich und gewissenhaft erfüllen. Mir ist bekannt, daß (geschwärzt) das MfS ebenfalls bei dessen verantwortungsvoller Tätigkeit unterstützt und ich werde mir alle Mühe geben (unleserlich) moralisch und mit Rat u. Tat ihr zu helfen.”

Bei der in der Verpflichtungserklärung bezeichneten weiteren Person handelte es sich um die damalige, 1995 geschiedene Ehefrau des Klägers. Diese war, was dem Kläger damals nicht bekannt war, schon seit längerem als inoffizielle Mitarbeiterin für das MfS als IMS “K…” tätig. In der Folgezeit ist der Kläger mehrfach durch das MfS nach seinen Begegnungen mit dem Kollegen und dessen Frau befragt worden.

Nach der Auskunft der Gauck-Behörde gibt es in der Akte des MfS elf Treffberichte von Führungsoffizieren und eine Tonbandabschrift; zur Gerichtsakte sind allerdings nur Kopien der Treffauswertung vom 26. August 1975 über ein Treffen mit dem IMS “K…” und deren (geschwärzt; gemeint ist offenbar der Kläger) Ehemann, des Treffberichtes vom 20. August 1976 mit dem IM “K…” und “K… II” und des Treffberichtes vom 15. August 1978 mit dem IMS “K… II” gelangt. Außerdem liegen vom Kläger mit seinem “Klarnamen” unterzeichnete Quittungen über eine von ihm entgegengenommene Prämie von 100,00 Mark und über einen weiteren Betrag von 30,00 Mark für die Erfüllung des Auftrages – Besuch der Familie (geschwärzt) – zum Ankauf einer Aufmerksamkeit vor. Außerdem soll der Kläger nach dem Bericht der Gauck-Behörde ein nicht quittiertes Sachgeschenk im Wert von 50,00 Mark erhalten haben, dessen Übergabe in dem Treffbericht vom 20. August 1976 erwähnt wird.

Dem Bericht der Gauck-Behörde nicht beigefügt war die darin erwähnte Abschlußeinschätzung vom 5. Januar 1973, wobei es sich bezüglich der Jahreszahl offensichtlich um einen Schreibfehler handelt. Der Kläger hat eine Kopie der vom 5. Januar 1979 stammenden Abschlußeinschätzung im Verlaufe des Prozesses zur Akte gereicht, die sich zunächst auf den IMS “K…” bezieht und in der es weiter heißt:

“Auf Grund operativer Hinweise über einen Offizier der NVA/Volksmarine und dessen Ehefrau machte es sich erforderlich, daß am 19.6.1975 der Ehemann in die inoffizielle Zusammenarbeit mit einbezogen wurde, wobei der Ehemann keine Kenntnis erhielt, daß seine Ehefrau bereits inoffiziell tätig ist. Bei dem Ehemann wurde der Eindruck hinterlassen, daß er seine Ehefrau selbst dem Mitarbeiter zur inoffiziellen Arbeit vorgeschlagen und zugeführt hat.

In der Folgezeit erfolgten die Treffs mit dem IMS “K…” gemeinsam mit deren Ehemann mit gemeinsamer Aufgabenstellung zur operativen Bearbeitung eines Offiziers der Volksmarine und dessen Ehefrau, welche im OV (geschwärzt) in Richtung § 100 StGB bearbeitet werden. Im OV (geschwärzt) leistete der IMS mit seinem Ehepartner eine gute inoffizielle Arbeit und erfüllte die ihm übertragenen politisch-operativen Aufgaben genau wie der Ehepartner.

Ihre Berichterstattung war wahrheitsgemäß und objektiv. Es erfolgte keine Dekonspiration. Auf Grund des Studiums des Ehemanns an der politischen Militärakademie in Moskau wohnt der IMS “K…” seit Dezember 1976 mit in Moskau. Darum erfolgte der operative Einsatz im OV “A…” 1977 und 1978 nur in den Sommermonaten während des Aufenthaltes in der DDR.

Persönliche Sorgen traten bei dem IMS zum Wohnungsproblem und zum (geschwärzt) Sohn auf. Da nach Meinung des IMS und dessen Ehemann durch die zuständigen Stellen der DDR keine Unterstützung zur Lösung des Wohnungsproblems gegeben wurde, zeigte sich bei beiden 1978 eine ausgeprägte Unzufriedenheit, die sich in der letzten Zeit auch negativ auf die inoffizielle Zusammenarbeit auswirkte, indem die bisher vorhandenen Initiativen zur Lösung der operativen Aufgaben merklich nachließen.

Wegen des weiteren Aufenthaltes in der Sowjetunion, des Abschlusses des OV “A…” und da nach Rückkehr aus der SU, 1980, der IMS nicht in D… wohnen bleiben wird, erfolgt wegen ungenügender Perspektive der Abbruch der Verbindung zum IMS.”

Der Kläger hat geltend gemacht, er habe bei Unterzeichnung der Erklärung vom 25. April 1991 keinen Grund zu der Annahme gehabt, daß er in den Akten des MfS als IM geführt werde, und er habe seine Kontakte zum MfS nicht als bewußte, finale Tätigkeit verstanden. Er habe sich seinerzeit aufgrund des für ihn bestehenden Verbotes von Westkontakten verpflichtet gesehen, die Begegnung mit der Besucherin des Kollegen zu melden, um sich selbst abzusichern. Diese Meldung habe er nicht seinem Dienstvorgesetzten, sondern dem bekanntermaßen für das MfS tätigen Offizier K… gemacht, weil er davon ausgegangen sei, daß durch eine solche vertrauliche Mitteilung die Gefahr von Nachteilen für seinen Freund und dessen Familie geringer sei als durch eine offizielle Meldung. Er habe sich dann zwar auf Drängen des K… bereitgefunden, Mitteilungen über die Familie A… zu machen, dabei jedoch keine kompromittierenden Informationen geliefert, so daß die Familie durch ihn keine Nachteile erlitten habe, was der Kollege dem Kläger im Verlaufe des Prozesses an Eides Statt versichert hat. Wie er, der Kläger, inzwischen erfahren habe, habe der Kollege damals selbst dem MfS eine umfassende Darstellung seiner familiären Kontakte in die BRD überlassen. Eine Geldzuwendung durch das MfS habe er eigentlich gar nicht annehmen wollen und erst auf Drängen des K… zur Weiterleitung an den IM “K…”, also seine Ehefrau, entgegengenommen.

Der Kläger hat ferner geltend gemacht, die Auskunft der Gauck-Behörde sei in bezug auf ihn unzuverlässig, da er lediglich in den Akten des MfS zum Vorgang des IM “K…” miterfaßt sei und sich die Schriftstücke nur zum Teil auf ihn bezögen. Er selbst habe nie einen Decknamen verwendet und alle vorgelegten Schriftstücke mit seinem Klarnamen unterzeichnet. Wenn er mit seinem Vorbringen im Prozeß, insbesondere in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht, den Eindruck erweckt habe, etwas vertuschen zu wollen, sei es ihm lediglich darum gegangen, seine geschiedene Frau nicht belasten zu müssen, der gegenüber er sich bis zu der erst im Jahre 1997 erlangten Kenntnis von der “Abschlußeinschätzung” des MfS schuldig gefühlt habe, sie 1975 dem MfS als inoffizielle Mitarbeiterin zugeführt zu haben. Dieses Dilemma, entweder seine eigene Tätigkeit zu verschweigen oder aber mit seiner Tätigkeit auch die Verstrickung seiner Ehefrau preiszugeben, habe auch schon bei Unterzeichnung der Treueerklärung im Jahre 1991 bestanden.

Der Kläger meint, wegen dieser besonderen Umstände sei die Belastung durch seine früheren Kontakte zum MfS nur als gering einzustufen. Er bekenne sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und habe dies auch durch sein Verhalten seit 1989 bewiesen; insoweit verweist er auf seine Mitgliedschaft in einer Arbeitsgruppe zur Erneuerung des Bildungswesens im Jahre 1989, seine Beteiligung an einem öffentlichen Aufruf zur Militärreform vom 19. Januar 1990 und sein Engagement für die gesellschaftliche Umgestaltung der DDR ebenso wie auf die ihm durch Zeugnisse der Beklagten bescheinigte Anteilnahme am Aufbau einer demokratischen Verwaltung und Kompetenz als Abteilungsleiter der Sozialen Dienste.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 11. Oktober 1996 zum 31. März 1997 beendet worden ist,

die Beklagte zu verurteilen, ihn, den Kläger, zu den bisherigen Bedingungen als Abteilungsleiter weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, die Kündigung sei aufgrund der bewußten und finalen Tätigkeit des Klägers für das MfS und der hierüber abgegebenen Falscherklärung begründet. Eine Verpflichtung des Klägers zur Meldung des Westkontaktes gerade an das MfS habe nicht bestanden; es sei eine Schutzbehauptung des Klägers, daß dies gegenüber einer offiziellen Meldung für den Betroffenen weniger belastend gewesen sei. Die besondere Verstrikkung des Klägers in die Tätigkeit des MfS zeige sich auch in der Entgegennahme von Geld, selbst wenn er dieses an eine dritte Person weitergegeben haben sollte. Auch sei davon auszugehen, daß der Kläger, der nach seinem Studium in Moskau in der NVA als Diplom-Lehrer für Marxismus-Leninismus tätig geworden sei, als derart systemnahe Person anzusehen sei, daß es einer besonderen Verpflichtungserklärung ohnehin nicht bedurft habe. Sein späteres Engagement am “runden Tisch” sei demgegenüber kein Beweis für seine demokratische Loyalität; gerade besonders engagierte Wendekämpfer seien nachträglich als IM mit äußerst zweifelhafter Motivlage enttarnt worden. Die Vorlage schriftlicher Erklärungen des früheren MfS-Offiziers K… und des betroffenen A… durch den Kläger lasse Zweifel an dessen “demokratischer Fassade” offensichtlich werden. Unter Berücksichtigung der vom Kläger bei ihr, der Beklagten, bekleideten herausgehobenen Position sei deshalb weder die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch die Einhaltung der Kündigungsfrist zumutbar. Es bestehe eine besondere Sensibilität der Tätigkeit wegen des Umgangs mit Problemgruppen, die der Kläger zu begutachten habe und in deren Privatsphäre er somit Einblick erhalte; insbesondere vor dem Hintergrund der in der DDR instrumentalisierten “Asozialität” müßten die Bürger das Vertrauen haben können, daß ihre Probleme strikt rechtsstaatlich behandelt würden.

Das Arbeitsgericht hat die außerordentliche Kündigung für unwirksam erachtet, im übrigen aber die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht unter Zurückweisung der Anschlußberufung der Beklagten vollständig nach den obigen Klageanträgen erkannt.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte nach wie vor die Klageabweisung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, daß die gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung unwirksam ist.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Der Beklagten sei es nicht unzumutbar, das Arbeitsverhältnis jedenfalls bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen, da sie einerseits gegenüber dem am 3. Oktober 1990 neu begründeten Arbeitsverhältnis erst am 25. April 1991 dem Kläger eine Erklärung über frühere MfS-Tätigkeiten abverlangt habe, andererseits der Kläger zwischenzeitlich sechs Jahre ohne jede Beanstandung in seinem Amt tätig gewesen sei und Loyalität als Angehöriger der Verwaltung einer demokratischen Selbstverwaltungskörperschaft gezeigt habe. Die Kündigung habe aber auch als ordentliche nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt, weil sie nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG gerechtfertigt sei. Dies wird vom Berufungsgericht nach näherer Maßgabe seiner Entscheidungsgründe ausführlich begründet, worauf noch einzugehen sein wird.

II. Der Auffassung des Berufungsgerichts tritt der Senat bei. Die Rügen der Revision greifen nicht durch; die Revision setzt vielmehr im wesentlichen nur ihre Würdigung an die Stelle derer des Landesarbeitsgerichts.

1. Soweit die Revision die Entscheidung des Berufungsgerichts zur außerordentlichen Kündigung angreift, geschieht dies ersichtlich nur halbherzig, insofern geltend gemacht wird, die Beklagte sei zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach § 626 BGB, jedenfalls aber zur ordentlichen Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG berechtigt gewesen; dem Landesarbeitsgericht könne nicht zugestimmt werden, daß die Beklagte fast sechs Monate keinen Anstoß daran genommen habe, den Kläger in Ungewißheit über diesen Zustand (?) – gemeint sein könnten eventuelle Verstrickungen mit dem System der DDR – zu beschäftigen.

Damit wird die Würdigung des Landesarbeitsgerichts in ihrem Kern nicht angegriffen. Nachdem die Beklagte die außerordentliche Kündigung zunächst auch auf die Sonderregelungen des Einigungsvertrages (Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Maßgabe 1 Absatz 5 Nr. 2) gestützt hatte, hat das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, der Kläger sei nicht – wie für die Anwendung des Sonderkündigungsrechts nach dem Einigungsvertrag Voraussetzung – bereits am 3. Oktober 1990 als Arbeitnehmer in der öffentlichen Verwaltung der DDR weiterbeschäftigt worden. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nämlich erst am 12. November 1990 begründet worden, so daß eine außerordentliche Kündigung nur nach Maßgabe des § 626 Abs. 1 BGB (gleichlautend § 54 BAT-O) erfolgen konnte. Insoweit ist es auch zutreffend, daß die Beklagte den Kläger fast sechs Monate bis zum Ende der damaligen Probezeit beschäftigt hat, ohne eine Erklärung hinsichtlich einer früheren MfS-Tätigkeit zu verlangen; wenn das Berufungsgericht im Hinblick auf diesen unstreitigen Sachverhalt argumentiert, deshalb sei es andererseits der Beklagten zumutbar, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten, so ist das aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Vor allem aber erhebt die Revision auch keine Einwände gegen die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Einhaltung der Kündigungsfrist sei der Beklagten jedenfalls deshalb zumutbar, weil der Kläger zwischenzeitlich sechs Jahre in seinem Amt tätig gewesen sei, ohne daß es Beanstandungen an der Art der Ausübung der Tätigkeit oder an der Loyalität des Klägers gegeben habe. Letztlich braucht aber auch hierauf nicht entscheidend abgestellt zu werden, weil – auch darin ist dem Landesarbeitsgericht zu folgen – selbst eine ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG nicht sozial gerechtfertigt ist, so daß um so weniger eine außerordentliche Kündigung wirksam ist.

2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf geprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen des § 1 KSchG Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (st. Rechtsprechung des BAG, vgl. z.B. Urteil vom 13. Juni 1996 – 2 AZR 483/95 – BAGE 83, 181, 187 = AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1969, zu II 2a der Gründe und vom 4. Dezember 1997 – 2 AZR 750/96 – AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 2a der Gründe). Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angegriffene Urteil stand.

a) In der zuletzt genannten Entscheidung hat der Senat ausgeführt, die Falschbeantwortung des Fragebogens wegen einer Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit der DDR rechtfertige nicht ohne weiteres eine verhaltensbedingte Kündigung, § 1 Abs. 2 KSchG; es komme vielmehr auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalles, u.a. auch darauf an, wie lange die Tätigkeit für das MfS zurückliege und wie schwerwiegend sie gewesen sei (im Anschluß an Senatsurteil vom 20. August 1997 – 2 AZR 42/97 – RzK I 5i Nr. 127 und Urteil des BVerfG vom 8. Juli 1997 – 1 BvR 2111/94 u. a. – BVerfGE 96, 171 = AP Nr. 39 zu Art. 2 GG).

In Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung ist das Berufungsgericht aufgrund einer detaillierten Würdigung der Umstände des Einzelfalles zu dem Ergebnis gekommen, die Kündigung sei nicht nach § 1 Abs. 2 KSchG als sozial gerechtfertigt anzusehen. Diese Würdigung wird von der Revision nur in wenigen Einzelpunkten angegriffen.

b) Soweit die Revision zunächst geltend macht, die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene einzelfallbezogene Würdigung der Tätigkeit des Klägers für das MfS berücksichtige nicht im gebotenen Umfang, inwieweit sich der Kläger verfassungsrechtlichen Grund- und Wertentscheidungen der BRD und demokratischen Grundsätzen widersetzt habe, ist mit dieser Pauschalargumentation nichts gewonnen. Abgesehen davon, daß zur Zeit der hier einschlägigen Tätigkeit des Klägers in den Jahren 1975 bis 1979 die freiheitlich-demokratische Grundordnung der BRD in der DDR bekanntlich nicht galt, hat das Landesarbeitsgericht gerade hinsichtlich der spezifischen Lebensbedingungen in der damaligen Wohnsiedlung der NVA im Hinblick auf die Tätigkeit des Klägers ausgeführt, ihm sei nicht zu widerlegen, in der betreffenden Situation angenommen zu haben, daß eine unmittelbare vertrauliche Mitteilung an den für die militärische Abwehr zuständigen Sicherheitsoffizier des MfS für den betroffenen Kollegen weniger belastend sei als eine offizielle Mitteilung an den Dienstvorgesetzten. Auf diese, an der konkreten Fallsituation orientierte Würdigung des Berufungsgerichts geht die Revision nicht näher ein. Sie rügt in diesem Zusammenhang – auch mit einer formellen Rüge –, das Berufungsgericht habe nicht überprüft, ob für den Kläger nach der Dienstvorschrift der NVA “Wachsamkeit und Geheimhaltung” DV 010/0/009 überhaupt eine Verpflichtung zur Anzeige von Westkontakten gegenüber dem MfS bestand. Das hatte der Kläger jedoch gar nicht für sich in Anspruch genommen. Die Revision beharrt insoweit auf ihrem bereits erstinstanzlich vorgetragenen Standpunkt, die einschlägige Dienstvorschrift habe eine Meldung an den militärischen Dienstvorgesetzten vorgesehen. Sie will indessen nicht gelten lassen, daß das Landesarbeitsgericht dem Kläger abgenommen hat, er habe seinerzeit in einer Konfliktsituation wegen der Mitwisserschaft über die Westkontakte seines Kollegen A… sich statt an den Dienstvorgesetzten – wie es an sich die Dienstvorschrift vorsah – an den im Nachbarhaus wohnenden Sicherheitsoffizier der militärischen Abwehr gewendet.

Es kann deshalb unerörtert bleiben, ob der Kläger sich nicht auch mit Recht auf Ziff. II Nr. 9 der Dienstvorschrift berufen konnte, wonach “der zuständige Mitarbeiter des MfS über alle Meldungen und Anträge zu Kontakten, Verbindungen und Zusammentreffen von Angehörigen und Zivilbeschäftigten der NVA sowie von Beschäftigten mit Personen oder Institutionen jeglicher Art aus dem nichtsozialistischen Ausland durch die Chefs, Kommandeure und Leiter zu informieren” ist. Auch wenn man mit der Revision davon ausgeht, bei der vorliegenden Situation sei Ziff. II Nr. 2 und Nr. 3 (1c) der Dienstvorschrift einschlägig gewesen, wonach der Kläger klassenmäßig und wachsam zu handeln und die Geheimhaltung zu wahren sowie anschließend dem Vorgesetzten sofort Meldung zu machen hatte, ändert das nichts an der Plausibilität der Argumentation des Landesarbeitsgerichts, eine derartige Meldung hätte nach Ziff. II Nr. 9 der Dienstvorschrift durch den Vorgesetzten ohnehin an den zuständigen Mitarbeiter des MfS weitergegeben werden müssen. Demnach sei dem Kläger nicht zu widerlegen, daß er unter den Lebensbedingungen in der damaligen Wohnsiedlung der NVA angenommen habe, eine unmittelbare vertrauliche Mitteilung an den als Nachbarn bekannten Sicherheitsoffizier des MfS sei für den betroffenen Kollegen weniger belastend als eine offizielle Meldung an den Dienstvorgesetzten (Berufungsurteil S. 20).

Diese Würdigung erscheint – abgesehen von dem Abstellen auf die damalige konkrete Situation vor Ort, wie dies im übrigen in dem Bericht des Offiziers K… inhaltlich als zutreffend bestätigt wird – auch deshalb rechtlich vertretbar, weil hinsichtlich des Entlastungsvorbringens nicht der Kläger beweispflichtig war, die Dienstvorschrift vorzulegen und ihre richtige Anwendung zu belegen. Vielmehr war es Sache der Beklagten, das Entschuldigungs- bzw. Rechtfertigungsvorbringen des Klägers zu entkräften (st. Rechtsprechung des BAG, vgl. u.a. Urteil vom 26. August 1993 – 2 AZR 154/93 – BAGE 74, 127, 134 = AP Nr. 112 zu § 626 BGB, zu B I 1c aa der Gründe, m.w.N. und Urteil vom 6. August 1987 – 2 AR 226/87 – AP Nr. 97, aaO, zu II 2a der Gründe). Deshalb ist im übrigen auch die formelle Rüge der Beklagten nicht begründet, das Landesarbeitsgericht habe Gelegenheit geben müssen, zu der kurz vor der letzten mündlichen Verhandlung zweiter Instanz durch den Kläger eingereichten Dienstvorschrift noch Stellung nehmen zu können. Nicht der Kläger war insoweit vorlagepflichtig, sondern die Beklagte hätte umgekehrt das erstinstanzlich schon frühzeitig erfolgte Berufen des Klägers auf diese Dienstvorschrift entkräften und ggf. den Wortlaut der Dienstvorschrift vorlegen müssen. Tatsächlich hat sich die Beklagte aber nur auf den Vortrag beschränkt, die einschlägige Dienstvorschrift habe nicht die Meldung an das MfS, sondern an den militärischen Dienstvorgesetzten vorgesehen.

c) Das Landesarbeitsgericht hat in diesem Zusammenhang im übrigen nicht beschönigt, daß der Kläger sich aufgrund dieses Vorganges ohne ersichtlichen Druck zu einer weitergehenden Berichtstätigkeit über seinen Kollegen bereitgefunden habe, wie sich aus seiner Verpflichtungserklärung vom 19. Juni 1975 und den vorgelegten Treffberichten ergebe. Es hat aber dazu ausgeführt, es liege eine mildere Form der Verstrickung insoweit vor, als der Kläger nicht unter einem Decknamen tätig geworden sei und ihm auch nicht, wie es sonst beim MfS durchaus üblich gewesen sei, in der Verpflichtungserklärung ein Deckname zugeteilt worden sei. Vielmehr sprächen sowohl die Fassung der Verpflichtungserklärung als auch die Ausführungen in der Abschlußeinschätzung vom 5. Januar 1979 für die Richtigkeit der Darstellung des Klägers, daß er vom MfS nur am Rande von dessen ihm nicht vollen Umfangs bekannten Zusammenarbeit mit seiner damaligen Ehefrau herangezogen worden sei. In diesem Zusammenhang stellt das Berufungsgericht für den Senat nach § 561 ZPO verbindlich fest, den zur Akte gereichten Treffberichten ließen sich keine konkret belastenden Aussagen des Klägers über den Kollegen entnehmen. Die Revision tritt auch nicht der Auffassung des Berufungsgerichts entgegen, es sei außerdem nicht Aufgabe des Gerichts gewesen, außerhalb eines konkreten Beweisantrages von Amts wegen zu ermitteln, ob sich aus weiteren in der Gauck-Akte befindlichen Treffberichten womöglich eine den Betroffenen stärker belastende Berichtstätigkeit ergebe.

Deshalb kann der Auffassung der Revision nicht gefolgt werden, entscheidend sei, daß elf Treffen mit Mitarbeitern der Staatssicherheit stattgefunden hätten und der Kläger anläßlich dieser Treffen Geldgeschenke für die Erfüllung des Auftrages (Besuch der Familie A…) entgegengenommen habe. Auch damit hat sich das Landesarbeitsgericht befaßt und ausgeführt, aus dem Treffbericht vom 15. August 1978 werde ersichtlich, daß der Hauptmann K… eine Lustlosigkeit des Klägers an der weiteren Zusammenarbeit mit dem MfS durch ein Geldgeschenk zu überwinden trachtete, das auch nach der Darstellung in dem Treffbericht nicht speziell dem Kläger, sondern ebenso seiner Frau zugedacht war, so daß die Angabe des Klägers, er habe dieses Geld eigentlich gar nicht annehmen wollen und deswegen an seine Ehefrau weitergegeben, als durchaus plausibel und glaubhaft erscheine. Auch diese Würdigung hält sich in dem dem Tatsachenrichter zukommenden Beurteilungsspielraum; sie wird auch von der Revision nicht konkret angegriffen.

Wenn die Revision in diesem Zusammenhang weiter meint, der Wertung des Landesarbeitsgerichts bezüglich der Abschlußeinschätzung könne nicht beigepflichtet werden, so setzt sie nur ihre Würdigung dieses Abschlußberichts an die Stelle derer des Berufungsgerichts. Diese steht durchaus in Übereinstimmung mit dem Inhalt des Berichts, wenn dort davon die Rede ist, der Kläger und seine damalige Ehefrau hätten 1978 eine ausgeprägte Unzufriedenheit gezeigt, die sich in der letzten Zeit auch negativ auf die inoffizielle Zusammenarbeit ausgewirkt habe, indem die bisher vorhandenen Initiativen zur Lösung der operativen Aufgaben merklich nachließen. Wenn der damalige Führungsoffizier der Ehefrau des Klägers zu dem Abschlußresümee gekommen ist, aufgrund dieser Sachlage erfolge “wegen ungenügender Perspektive der Abbruch der Verbindung zum IMS”, so bestätigt dies die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, im wesentlichen sei der Kläger nur angesichts der inoffiziellen Zusammenarbeit zwischen seiner Frau und dem MfS abgeschöpft worden und seine Mitarbeit für das MfS sei nur als eine mildere Form anzusehen.

d) Soweit die Revision schließlich bemängelt, die Mitarbeit des Klägers für das MfS könne nicht gleichsam dadurch geheilt werden, daß sich der Kläger in den Wendejahren für die gesellschaftliche Umgestaltung der DDR aktiv eingesetzt habe, der Kläger habe Motive für eine Abkehr von dem Einparteiensystem der DDR darlegen müssen und demgemäß habe er die vorgelegte Erklärung vom 25. April 1991 wahrheitsgemäß ausfüllen müssen, so wird auch damit nur die Wertung des Landesarbeitsgerichts angegriffen und durch eine andere, nämlich die der Beklagten, ersetzt.

Das Landesarbeitsgericht hat sich ausführlich mit dem Verhalten des Klägers anläßlich der Erklärung vom 25. April 1991 auseinandergesetzt (Berufungsurteil S. 24 f.). Es ist dabei von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgegangen, wonach die Falschbeantwortung der Frage nach einer Tätigkeit für das MfS das für den Bestand des Arbeitsverhältnisses unerläßliche Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nachhaltig zerstören kann (vgl. u.a. Senatsurteile vom 13. September 1995 – 2 AZR 862/94 – AP Nr. 53 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX; vom 13. Juni 1996 – 2 AZR 483/95 – BAGE 83, 181 = AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1969; vom 13. März 1997 – 2 AR 506/96 – RzK I 5h Nr. 39; vom 20. August 1997 – 2 AZR 42/97 – RzK I 5i Nr. 127; vom 4. Dezember 1997 – 2 AZR 750/96 – AP, aaO und vom 9. Juli 1998 – 2 AZR 772/97 – n.v.; so auch BVerfG Urteil vom 8. Juli 1997 – 1 BvR 2111/94 u. a. – BVerfGE 96, 171 = AP, aaO). Das Landesarbeitsgericht hat nämlich ausgehend von dieser Rechtsprechung dem Kläger zunächst den von ihm reklamierten Gewissenskonflikt zugute gehalten, durch ein Bekenntnis seiner eigenen Tätigkeit für das MfS könne er auch zu einer Aufdeckung der Tätigkeit seiner damaligen Ehefrau beitragen, zu der er gegenüber der Beklagten nicht verpflichtet gewesen sei. Das Berufungsgericht hat dazu angemerkt, daß der Kläger aufgrund der Vorstellung, seine Ehefrau in die Verstrickung mit dem MfS hineingezogen zu haben, durchaus auch ein eigenes Bekenntnis hemmende Schuldgefühle haben konnte, erscheine jedenfalls nachvollziehbar, da aus den dem Gericht vorgelegten Schriftstücken aus der Akte des MfS ersichtlich sei, daß dem Kläger deren frühere und weitergehende Kontakte zum MfS nicht bekannt waren. Letztere Annahme ist in der Tat zutreffend und wird auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen; so heißt es in dem Abschlußbericht des Führungsoffiziers der Ehefrau des Klägers vom 5. Januar 1979, aufgrund operativer Hinweise über einen Offizier der NVA/Volksmarine und dessen Ehefrau sei es erforderlich gewesen, daß am 10. Juni 1975 der Ehemann in die inoffizielle Zusammenarbeit miteinbezogen wurde, “wobei der Ehemann keine Kenntnis erhielt, daß seine Ehefrau bereits inoffiziell tätig ist. Bei dem Ehemann wurde der Eindruck hinterlassen, daß er seine Ehefrau selbst dem Mitarbeiter zur inoffiziellen Arbeit vorgeschlagen und zugeführt hat”.

Wenn das Berufungsgericht aufgrund dieser Umstände es als weniger gravierend angesehen hat, daß der Kläger auch im weiteren Verlauf der Dauer des Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten sich nicht dazu durchgerungen hat, die ursprünglich falsche Erklärung gegenüber der Beklagten zu berichtigen, bevor die Aufdeckung durch den Gauck-Bericht erfolgte, so ist diese Würdigung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Argumentation der Revision führt jedenfalls nicht weiter, dem Kläger sei vorzuhalten, daß er sich nicht zu seiner Vergangenheit bekannt habe; die vorsätzliche Falschbeantwortung könne auch nicht durch zukünftiges Verhalten geheilt werden. Diese Auffassung der Revision steht im Widerspruch zu der einschlägigen Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 4. Dezember 1997, AP, aaO, zu II 3c der Gründe) und der des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 8. Juli 1997 – 1 BvR 2111/94 u. a. – BVerfGE 96, 171, 187 f. = AP, aaO, zu C II 2c bb der Gründe); dort hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, auch bei der Beurteilung der sog. Fragebogenlüge sei von Relevanz eine Berücksichtigung des Zeitfaktors, denn persönliche Haltungen könnten sich ebenso wie die Einstellung zur eigenen Vergangenheit im Laufe der Zeit ändern; längere beanstandungsfreie Zeiträume könnten auf Bewährung, innere Distanz, Abkehr von früheren Einstellungen und Taten hinweisen. Gerade im Hinblick auf diese Rechtsprechung ist es nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht berücksichtigt hat, daß der Vertrauensverlust, der durch die Aufdeckung der “Fragebogenlüge” ausgelöst werden konnte, dadurch relativiert werde, daß seit jener falschen Erklärung des Klägers ein Zeitraum von rund sechs Jahren vergangen sei, in denen sich der Kläger in seinem Amt bewährt und im Grundsatz das Vertrauen der Beklagten gewonnen habe. Das Berufungsgericht hat schließlich für den Senat nach § 561 ZPO verbindlich festgestellt, für die Einschätzung der Beklagten, es handele sich hierbei womöglich nur um eine “demokratische Fassade”, die möglicherweise auch auf unlauteren Motiven beruht haben könnte, gebe es jedenfalls keine tatsächlichen Anhaltspunkte.

 

Unterschriften

Etzel, Bitter, Bröhl, Nipperdey, Piper

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1810740

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