Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwirkung

 

Orientierungssatz

1. Die Verwirkung eines Anspruch setzt neben einem Zeitmoment auch ein Umstandsmoment voraus. Es müssen zu der späteren Geltendmachung besondere Umstände hinzukommen, die das Vertrauen des Schuldners darauf rechtfertigen, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden.

2. Läßt ein im Ausland eingesetzter Arbeitnehmer Besuche des Geschäftsführers der persönlich haftenden Gesellschafterin seiner Arbeitgeberin (Kommanditgesellschaft) ungenutzt, um aufgelaufene Forderungen geltend zu machen, so begründet das noch kein schutzwürdiges Vertrauen. Ebensowenig kann ein Arbeitgeber darauf vertrauen, daß er nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr in Anspruch genommen werde, wenn der Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist zunächst nur solche Forderungen geltend macht, die mit der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses unmittelbar zusammenhängen (zB Resturlaub, Zeugnis, Ausfüllung der Lohnsteuerkarte).

 

Normenkette

BGB § 242

 

Verfahrensgang

LAG Nürnberg (Urteil vom 14.02.2001; Aktenzeichen 4 Sa 993/99)

ArbG Würzburg (Urteil vom 28.10.1999; Aktenzeichen 5 Ca 509/99 A)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 14. Februar 2001 – 4 Sa 993/99 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger nach Beendigung eines mehrjährigen Auslandsaufenthalts monatliche Pauschalzahlungen zu leisten, die vertraglich als „Vorortleistungen” vereinbart waren.

Der Kläger war bei der Beklagten seit 1988 als Außendienstmitarbeiter tätig. Nach dem Anstellungsvertrag beruhte die Vergütung auf freier, außertariflicher Vereinbarung. Der Jahresurlaub sollte dem Kläger in Höhe der „gesetzlichen bzw. tarifvertraglichen Bestimmungen (VBM)” zustehen. Die Vereinbarung enthielt zudem unter Ziff. 7 eine Regelung der Probezeit, die wörtlich den Bestimmungen des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie entsprach.

Im Jahre 1995 beteiligte sich die Beklagte im Rahmen eines joint-venture an der J. in Jinan, Volksrepublik China. Der Kläger sollte dort das Vertriebsnetz aufbauen. Die Parteien schlossen hierfür folgende Vereinbarung:

„(…)

Ihr deutscher Arbeitsvertrag mit S. bleibt unveraendert gueltig.

(…)

Sie mieten in Jinan im Auftrag von S. eine Ihren Beduerfnissen angemessen Wohnung. S. traegt die Kosten fuer die Wohnungseinrichtung und die Miete einschliesslich aller Neben- und Verbrauchskosten. Im Fall Ihrer Abwesenheit aus Jinan behaelt sich S. das Recht vor, diese Wohnung anderen Person aus der S.-Organisation, die sich dienstlich in Jinan aufhalten, zeitweise zur Verfuegung zu stellen.

(…)

Fuer die Dauer Ihrer Taetigkeit in China zahlt S. Ihnen ausserdem monatlich DM 2.500,–. Diese Zahlung erfolgt an Sie vor Ort in bar netto steuerfrei.

(…)”

Die Zahl 2.500,– war gestrichen und neben ihr findet sich der handschriftliche Vermerk:

„DM 3.100,– 07.01.97 geändert D.”

Herr D. ist Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin der Beklagten.

Ob es zu dieser Änderung kam, weil der Kläger „gesichtswahrend” dieselbe Aufwandsentschädigung beziehen sollte wie der vergleichbare chinesische Mitarbeiter des joint-venture – so die Behauptung des Klägers – oder weil er erklärt hatte, mit 2.500,00 DM bei der Anmietung einer Wohnung nicht auszukommen – so die Behauptung der Beklagten –, ist streitig geblieben. Ebenfalls streitig geblieben ist die Behauptung des Klägers, bei dieser Gelegenheit habe ihm der Geschäftsführer D. den sofortigen Ausgleich des Rückstandes der monatlichen Pauschalzahlungen zugesagt.

Zu der Amietung einer Wohnung in China kam es nicht; der Kläger wohnte während seines gesamten Aufenthaltes im Hotel. Dadurch entstanden nach Behauptung der Beklagten in den Jahren 1997 und 1998 92.726,18 DM Hotel- und Verpflegungskosten, die von ihr getragen wurden. Die monatlichen Pauschalzahlungen leistete die Beklagte nicht.

Die Tätigkeit des Klägers in China endete am 16. Oktober 1998. Am 30. November 1998 kündigte er das Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 1999. Unter dem 15. Dezember 1998 forderte er seinen Resturlaub aus seiner Tätigkeit in China. Die Beklagte stellte ihn daraufhin bis zum 30. Mai 1999 frei. Der Kläger faßte in einer „Hausmitteilung” das Ergebnis eines Gesprächs mit dem Geschäftsführer D. zusammen. Danach sollte das Arbeitsverhältnis entsprechend der Kündigung beendet, während der Freistellung der Resturlaub angetreten und dem Kläger im Januar 1999 ein qualifiziertes Arbeitszeugnis erteilt werden. Ferner bat der Kläger um Zusendung seiner Lohnsteuerkarte für das Jahr 1998 und überreichte seine Lohnsteuerkarte 1999 mit der Bitte, diese ausgefüllt bis Mitte Juni 1999 per Post an ihn zu übersenden.

Unter dem 23. Dezember 1998 sandte der Kläger an den weiteren Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin der Beklagten Herrn S. ein Abschiedsschreiben. Darin bedankte er sich ua. dafür, daß Herr S. zu ihm immer fair gewesen sei.

Erst danach machte er am 3. Februar 1999 unter Fristsetzung bis zum 10. Februar 1999 die für den 1. Dezember 1995 bis 16. Oktober 1998 aufgelaufenen Pauschalzahlungen in einer Gesamthöhe von 99.150,00 DM geltend. Mit der am 29. März 1999 erhobenen Klage hat er diese Forderung gerichtlich geltend gemacht. Er hat behauptet, die vereinbarten monatlichen Pauschalzahlungen noch während des Auslandsaufenthalts mehrfach angemahnt zu haben. Er sei jedoch immer vertröstet worden.

Der Kläger hat beantragt

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 99.150,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 11. Februar 1999 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgebracht, Grundlage der Vereinbarung sei gewesen, daß der Kläger eine Wohnung anmiete. Daran habe sich der Kläger nicht gehalten. Im übrigen sei der Kläger mit dieser Forderung ausgeschlossen, weil ausdrücklich die Anwendung des Tarifvertrags der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie vereinbart worden sei und der Kläger nicht die tarifvertragliche Geltendmachungsfrist eingehalten habe. Jedenfalls sei der Anspruch verwirkt. Er habe die Forderung nicht rechtzeitig geltend gemacht, obwohl dazu mehrfach bei Besuchen des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH Gelegenheit bestanden habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die für 1995 und 1996 erhobenen Forderungen (32.500,00 DM) auf Einrede der Beklagten wegen Verjährung abgewiesen. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte das Ziel der vollständigen Klageabweisung.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist unbegründet. Soweit die geltend gemachte Forderung nicht verjährt ist, hat der Kläger einen durchsetzbaren Anspruch gegen die Beklagte. Entgegen der Revision ist dieser Anspruch weder verfallen noch verwirkt.

1. Der Anspruch ergibt sich aus der zwischen den Parteien getroffenen, auf den 18. September 1996 datierten und am 7. Januar 1997 einvernehmlich geänderten Regelung.

Nach dieser Regelung schuldet die Beklagte für die Tätigkeit des Klägers in China in den Jahren 1997 und 1998 eine monatliche Pauschalzahlung von 3.100,00 DM. Das Landesarbeitsgericht hat diese auf den Einzelfall bezogene Vereinbarung dahingehend ausgelegt, die Beklagte sei verpflichtet, die Pauschalzahlung unabhängig davon zu leisten, ob der Kläger in China eine Wohnung angemietet habe. Eine spätere Vertragsänderung sei auch nicht konkludent zustandegekommen. Das hat das Landesarbeitsgericht aus der am 7. Januar 1997 in China vereinbarten Erhöhung der monatlichen Pauschalleistung geschlossen. Da in den vorangegangenen zwei Jahren keine Wohnung angemietet worden war, habe kein nachvollziehbarer Grund für die Erhöhung der behaupteten zweckgebundenen Aufwandsentschädigung bestanden. Die damit vorgenommene Auslegung einer nicht typischen Vereinbarung ist nur eingeschränkt revisionsrechtlich überprüfbar (vgl. Senat 26. Mai 1992 – 9 AZR 27/91 – AP HGB § 74 Nr. 63 = EzA HGB § 74 Nr. 54). Ein Verstoß gegen gesetzliche Auslegungsregeln liegt nicht vor.

2. Die Forderung ist entgegen der Revision nicht verfallen.

Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Anwendung der Verfallvorschrift des Manteltarifvertrags für die Bayerische Metall- und Elektroindustrie abgelehnt. Weder ist dieser Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt worden (§ 5 Abs. 4 TVG) noch ist festgestellt, daß beide Parteien tarifgebunden sind und ihr Arbeitsverhältnis deshalb vom Tarifvertrag erfaßt (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG) wird. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, eine einvernehmliche mündliche Inbezugnahme der tarifvertraglichen Regelungen der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie sei nicht zustandegekommen. Auch das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

3. Der Anspruch ist auch nicht verwirkt. Das gilt auch, wenn zugunsten der Beklagten unterstellt wird, der Kläger habe den Anspruch erstmals mit dem Anwaltsschreiben im Februar 1999 geltend gemacht.

Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung. Mit der Verwirkung wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie dient dem Vertrauensschutz und verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger längere Zeit seine Rechte nicht geltend gemacht hat. Der Berechtigte muß vielmehr unter Umständen untätig gewesen sein, die den Eindruck erweckten, daß er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so daß der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (vgl. BAG 25. April 2001 – 5 AZR 497/99 – AP BGB § 242 Verwirkung Nr. 46 = EzA BGB § 242 Verwirkung Nr. 1 mwN).

Selbst wenn man zugunsten der Beklagten davon ausgeht, daß das Zeitmoment erfüllt ist, fehlt es jedenfalls am Umstandsmoment. Die Beklagte hat keine Tatsachen dargelegt, nach denen sie darauf vertrauen durfte, daß der Kläger sie mit der geltend gemachten Forderung nicht mehr in Anspruch nehmen werde. Unerheblich ist, daß der Kläger mit dem Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin D. während seines Chinaaufenthalts wiederholt Kontakt gehabt, beide zeitweise in demselben Hotel gewohnt und nach der Behauptung der Beklagten mehrfach zusammen gefrühstückt haben sollen, ohne daß der Kläger die geltend gemachte Forderung angesprochen habe. Die Revision übersieht, daß das bloße Absehen von Mahnungen noch keine Vertrauensposition des Schuldners begründet. Im übrigen ist ihre Darlegung in sich widersprüchlich. Sie berücksichtigt nicht, daß bei einem dieser Besuche des Geschäftsführers der persönlich haftenden Gesellschafterin mit dem Kläger eine Anhebung der monatlichen Pauschalzahlungen vereinbart worden ist.

Auch aus den Umständen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses und im Zusammenhang mit der Freistellung folgt nichts anderes. Zwar hat der Kläger zunächst nur die Forderungen geltend gemacht, die typischerweise bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses sofort zu klären sind. Daraus konnte die Beklagte aber nicht schließen, der Kläger wolle sonstige aufgelaufene Forderungen nicht mehr erheben.

Schließlich ergibt sich aus dem Abschiedsschreiben des Klägers am Vortag des Weihnachtsfestes an den persönlich haftenden Gesellschafter der Beklagten nichts anderes. Der Kläger ist zu Recht der Ansicht, daß es sich hierbei um eine Höflichkeitsgeste ohne rechtliche Bedeutung gehandelt hat.

II. Die Beklagte hat nach § 284 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB die Geldschuld zu verzinsen. Einer Umstellung des Urteilstenors auf Euro bedarf es nicht. Aus DM-Titeln kann ohne weiteres in Euro vollstreckt werden (Küttner/Reinecke Personalbuch 2002 Stichwort Euro Rn. 11).

III. Die Beklagte hat gem. § 97 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Düwell, Reinecke, Zwanziger, Fox, Gaber

 

Fundstellen

Haufe-Index 771188

FA 2003, 89

NZA 2002, 1176

EzA-SD 2002, 6

EzA

NJOZ 2003, 1522

PP 2002, 26

SPA 2002, 7

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