Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifpluralität bei Nachwirkung eines Tarifvertrages. Parallelsache zu Senatsurteil vom 28. Mai 1997 – 4 AZR 546/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen

 

Normenkette

TVG §§ 3-4; Entgelttarifvertrag für den Wirtschaftsbereich Heizungs-, Klima- und Sanitärtechnik in Berlin und Brandenburg vom 11. Juni 1993; Entgelttabelle vom 24./31. Januar 1994 mit Wirkung ab 1. Februar 1994 abgeschlossen zwischen dem Industrieverband für Heizungs-, Klima- und Sanitärtechnik Brandenburg e.V. (IV HKS Brandenburg) und der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM)

 

Verfahrensgang

LAG Brandenburg (Urteil vom 17.03.1995; Aktenzeichen 5 Sa 671/94)

ArbG Brandenburg (Urteil vom 14.07.1994; Aktenzeichen 1 Ca 2185/93)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten noch um 1.407,47 DM brutto nebst Zinsen als Vergütungsdifferenzen für die Monate Februar bis Juni 1994.

Der am 5. September 1957 geborene Kläger ist seit 1. Januar 1991 als “Facharbeiter für Heizungsinstallation” im Betrieb der Beklagten auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 1. Juni 1991 beschäftigt. In diesem Arbeitsvertrag heißt es in § 2 u.a.:

“Der Stundenlohn beträgt brutto DM 13,25 unter Vereinbarung der Tarifgruppe VI HKS-Verband/Montage.

… – Im übrigen richtet sich der Arbeitsvertrag nach den jeweils geltenden Tarifverträgen der in Frage kommenden Sparte.

Die Arbeitszeit wird durch den jeweils gültigen Tarifvertrag geregelt und beträgt z.Z. 43,75 Stunden wöchentlich.

…”

Zunächst erhielt der Kläger den sich aus dem jeweiligen – zwischen der IG Metall, deren Mitglied er ist, und dem Industrieverband Heizung-Klima-Sanitär Berlin und Brandenburg e.V. (im folgenden: IV-HKS Berlin/Brandenburg) geschlossenen – Entgelttarifvertrag im Wirtschaftsbereich Heizungs-, Klima- und Sanitärtechnik in Berlin und Brandenburg Tarifgebiet II (im folgenden: ETV) ergebenden Lohn nach der Tarifgruppe VI. Die Beklagte kündigte ihre Mitgliedschaft bei dem IV-HKS Berlin/Brandenburg zum 31. Dezember 1993. Am 20. Oktober 1993 wurde der Industrieverband für Heizungs-, Klima- und Sanitärtechnik Brandenburg e.V. (im folgenden: IV-HKS Brandenburg) gegründet, deren Gründungsmitglied die Beklagte ist. Am 21. Dezember 1993/23. Dezember 1993 kündigte die IG Metall u.a. den Entgelttarifvertrag zum 31. März 1994. Am 24. Januar 1994/25. Januar 1994 kündigte der IV-HKS Berlin/Brandenburg sämtliche Tarifverträge mit der IG Metall fristlos, hilfsweise ordentlich. Am 27. Januar 1994 beschloß er seine Auflösung. Das wurde der IG Metall am 1. Februar 1994 mitgeteilt. Die Beklagte zahlte nur einen Stundenlohn von 17,50 DM brutto, obwohl im ETV ab Oktober 1993 21,61 DM brutto ausgewiesen waren. Den von der Beklagten mit Schreiben vom 14. September 1993 bei der IG Metall gestellten Antrag auf Anwendung der Härteklausel lehnte die IG Metall mit Schreiben vom 31. März 1994 ab.

Zwischen dem IV-HKS Brandenburg und der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM) wurde am 24. Januar 1994 ein Verhandlungsergebnis erzielt, nach dem die Übernahme der zwischen der IG Metall und der CGM und dem Landesinnungsverband Sanitär-Heizung-Klima Brandenburg am 20. Januar 1994 abgeschlossenen Tarifverträge ab 1. Februar 1994 vereinbart wurde. Die Entgelttabelle für die Innungsbetriebe, die zwischen Innungsverband und CGM – gleichlautend auch mit der IG Metall – ab Januar 1994 vereinbart und von dem IV-HKS Brandenburg ab 1. Februar 1994 übernommen wurde, weist für die Lohngruppe VI einen Stundenlohn von 16,65 DM aus.

Mit der beim Arbeitsgericht am 12. November 1993 eingegangenen Klage hat der Kläger zunächst die Differenzvergütung zwischen dem gezahlten Entgelt und dem Tariflohn nach dem ETV für die Monate April 1993 bis September 1993 geltend gemacht und durch Klageerweiterungen die Monate Oktober 1993 bis Juni 1994 einbezogen. Über die Ansprüche bis einschließlich Januar 1994 haben die Parteien im Zuge des Rechtsstreits einen Teilvergleich geschlossen; für einige Monate hat der Kläger die Klage zurückgenommen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe auch für die Zeit ab 1. Februar 1994 der Tariflohn nach dem ETV zu. Bis 31. März 1994 gelte der ETV fort. Der Verbandsaustritt lasse die Tarifbindung nicht entfallen. Die außerordentliche Kündigung des Tarifvertrages sei unwirksam. Ab 1. April 1994 wirke der ETV nach. Eine wirksame anderweitige Abmachung fehle. Der mit der CGM abgeschlossene Tarifvertrag sei mangels Mitgliedschaft seinerseits auf das Arbeitsverhältnis nicht anwendbar. Eine arbeitsvertragliche Inbezugnahme der Entgelttabelle liege nicht vor. Im übrigen seien die vertragsschließenden Parteien nicht tariffähig.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.407,47 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 13. Juli 1994 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie hat die Auffassung vertreten, der ETV sei aufgrund ihres Verbandsaustritts, wegen der Verbandsauflösung und wegen der Kündigung dieses Tarifvertrages nicht mehr anwendbar. Der zwischen dem tariffähigen IV-HKS Brandenburg und der tariffähigen CGM abgeschlossene Tarifvertrag stelle eine den ETV ablösende anderweitige Vereinbarung dar. Mit der Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag sei eine flexible Anpassung an die jeweiligen geltenden tarifvertraglichen Bestimmungen gewollt gewesen. Ob bei Abschluß des Arbeitsvertrages mit Tarifverträgen der CGM habe gerechnet werden können, sei unerheblich. Den Parteien stehe es frei, bereits im vorhinein ablösende Tarifvereinbarungen auch individualrechtlich zu vereinbaren, auch wenn diese ungünstiger für den Arbeitnehmer seien.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers das arbeitsgerichtliche Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Der Kläger hat Anspruch auf den geltend gemachten Betrag von 1.407,47 DM brutto nebst Zinsen.

  • Die Zahlungsklage ist zulässig. Der Streitgegenstand (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) ist hinreichend bestimmt. Der Kläger begehrt 1.407,47 DM brutto als Lohndifferenzen für die Monate Februar 1994 bis Juni 1994. Das reicht aus.
  • Die Klage ist begründet.

    Der Kläger hat Anspruch auf Vergütung nach Lohngruppe VI des Entgelttarifvertrages zwischen der IG Metall und dem IV-HKS Berlin/Brandenburg für Brandenburg (ohne den Großraum Berlin) vom 11. Juni 1993 über den 31. Januar 1994 hinaus mit der Folge, daß die Zahlungsklage begründet ist.

    Der Entgelttarifvertrag gilt für den Kläger aufgrund Nachwirkung, § 4 Abs. 5 TVG weiter; eine “andere Abmachung” im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG liegt nicht vor, und zwar weder aufgrund des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer im Wirtschaftsbereich Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik im Land Brandenburg, gültig ab 1. Februar 1994, abgeschlossen zwischen dem Industrieverband für Heizungs-, Klima- und Sanitärtechnik Brandenburg e.V. und der Christlichen Gewerkschaft Metall Landessekretariat Berlin/Brandenburg der Entgelttabelle für die gewerblichen Arbeitnehmer im Wirtschaftsbereich Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik in Brandenburg gültig ab 1. Februar 1994 noch aufgrund vertraglicher Abrede. Die Entgelttabelle 1994 verdrängt den nachwirkenden ETV auch nicht aufgrund Tarifpluralität im Hinblick auf den Grundsatz der Tarifeinheit, nach dem im Betrieb die Tarifanwendung einheitlich erfolgen muß.

    • Der ETV gilt für den Kläger für die Monate Februar bis Juni 1994 aufgrund Nachwirkung im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG.

      • Beiderseitige Tarifbindung hat hinsichtlich des ETV vorgelegen, § 4 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1 TVG.

        Der Kläger ist Mitglied der IG Metall und war damit gemäß § 3 Abs. 1 TVG an den ETV gebunden.

        Die Beklagte war zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des ETV 1993 Mitglied des IV-HKS Berlin/Brandenburg, der den ETV mit der IG Metall abgeschlossen hat. Sie war damit gemäß § 3 Abs. 1 TVG tarifgebunden.

        Durch den Verbandsaustritt der Beklagten mit Wirkung zum 31. Dezember 1993 entfiel für sich genommen – die Auflösung des IV-HKS Berlin/Brandenburg am 27. Januar 1994 außer Betracht gelassen – die Tarifbindung der Beklagten nicht. Gemäß § 3 Abs. 3 TVG bleibt nämlich die Tarifgebundenheit bestehen, bis der Tarifvertrag endet. Diese Vorschrift gilt insbesondere für die Fälle des Verbandsaustritts und soll verhindern, daß die unmittelbare und zwingende Wirkung eines Tarifvertrages durch eine einseitige Maßnahme des Arbeitgebers (oder Arbeitnehmers) wie insbesondere durch seinen Verbandsaustritt beseitigt werden kann (BAGE 44, 191, 196 = AP Nr. 3 zu § 3 TVG; BAGE 53, 179, 183 = AP Nr. 4 zu § 3 TVG; Urteil des Senats vom 13. Dezember 1995 – 4 AZR 1062/94 – AP Nr. 3 zu § 3 TVG Verbandsaustritt, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 3 Rz 21, 35).

        Das gesetzlich angeordnete Fortbestehen der Tarifbindung dauert aber nur solange, “bis der Tarifvertrag endet”, § 3 Abs. 3 TVG.

        Für die Beklagte bestand eine Tarifbindung für die Monate Februar bis Juni 1994 nur dann, wenn der ETV nicht zu einem früheren Zeitpunkt im Sinne des § 3 Abs. 3 TVG “geendet” hat.

        Geht man von der Kündigung u.a. des ETV durch die IG Metall vom 21. Dezember 1993 zum 31. März 1994 aus, so hat “für die beiden Monate Februar und März 1994 … sogar noch die Tarifbindung gemäß § 3 Abs. 1 TVG in Verbindung mit § 3 Abs. 3 TVG” bestanden, worauf die Revisionsbeantwortung zutreffend hinweist. Dagegen ist sie für die Zeit ab 1. April 1994 entfallen.

      • Mit der Auflösung des IV-HKS Berlin/Brandenburg am 27. Januar 1994 ist die Tarifbindung entfallen.

        Der Senat geht für den normativen Teil des Tarifvertrages, wozu die hier in Rede stehende tarifliche Vergütungsregelung zählt, davon aus, daß der normative Teil bei der Verbandsauflösung entfällt (Urteil vom 15. Oktober 1986 – 4 AZR 289/85 – BAGE 53, 179 = AP Nr. 4 zu § 3 TVG; vgl. auch BFH Urteil vom 25. Oktober 1963 – VI 68/62 U – AP Nr. 2 zu § 34a EStG). Der Senat hat das damit begründet, daß der Gesetzgeber die Rechtsfolgen der Auflösung einer Tarifvertragspartei im Hinblick auf den Fortbestand der von ihr abgeschlosenen Tarifverträge nicht geregelt hat. § 3 Abs. 3 TVG erfaßt nicht den Fall der Verbandsauflösung, sondern bestimmt nur die Rechtsfolgen beim Wegfall der Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1 TVG durch die Beendigung der Mitgliedschaft in dieser Tarifvertragspartei. Nach Auffassung des Senats besteht insoweit eine Gesetzeslücke, deren Ausfüllung im Hinblick auf die verschiedenen Regelungsmöglichkeiten nicht Aufgabe der Rechtsprechung, sondern Sache des Gesetzgebers ist. Deshalb endet mit dem Wegfall der Tarifvertragspartei der Tarifvertrag, weil mit Auflösung einer Tarifvertragspartei die Tarifgebundenheit ihrer Mitglieder nach § 3 Abs. 1 TVG entfällt.

        Diese Auffassung ist im Schrifttum auf Kritik gestoßen (vgl. nur Kempen/Zachert, aaO, § 3 Rz 39, m.w.N.).

        Darauf braucht der Senat aber deswegen nicht einzugehen, weil der ETV gemäß § 4 Abs. 5 TVG nachwirkt, und zwar sowohl für die in Rede stehenden Monate Februar bis Juni 1994, obwohl die vom Kläger geltend gemachten Differenzbeträge für Februar und März 1994 an sich von der bis 31. März 1994 fortgeltenden Tarifbindung der ehemaligen Mitglieder des IV-HKS Berlin/Brandenburg erfaßt waren, nachdem weder von einer “anderen Abmachung” im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG auszugehen ist, die die Nachwirkung im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG beseitigt hätte, noch ein Fall der Tarifpluralität vorliegt, der ggf. wegen des anzuwendenden Grundsatzes der Tarifeinheit den nachwirkenden ETV verdrängt hätte.

        Der Senat hat in der genannten Entscheidung vom 15. Oktober 1986 (aaO) darauf hingewiesen, daß die Arbeitnehmer nicht durch die Verbandsauflösung, die zur Beendigung des Tarifvertrages führt, den Schutz der tariflichen Vorschriften verlieren. Nach Ablauf des Tarifvertrages gelten seine Rechtsnormen vielmehr nach § 4 Abs. 5 TVG weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Damit ist zum einen die Aufrechterhaltung der bisherigen Rechte und Pflichten sichergestellt. Zum anderen ist aber auch gewährleistet, daß nicht ein Rechtszustand, der durch den Wegfall einer Tarifvertragspartei entstanden ist, fortbesteht, will man nicht in der Mitteilung der Verbandsauflösung zugleich eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung der Tarifverträge sehen, die zwar im vorliegenden Fall sogar erfolgt ist und jedenfalls als ordentliche – Tatsachen, die für eine wirksame außerordentliche Kündigung eines Tarifvertrages im Sinne der Rechtsprechung des Senats stehen, vgl. Urteil des Senats vom 18. Dezember 1996 – 4 AZR 129/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen, sind nicht vorgetragen – zum 30. Juni 1994 gewirkt hätte, hätte nicht ihrerseits die IG Metall am 21. Dezember 1993 u.a. den ETV zum 31. März 1994 gekündigt, so daß von daher auch bei Annahme der Geltung des § 3 Abs. 3 TVG im Falle der Verbandsauflösung die Tarifbindung per 31. März 1994 geendet hätte, also nur die Monate Februar und März 1994 von der Tarifbindung noch abgedeckt gewesen wären, für die der Kläger Differenzbeträge verlangt.

        An der Nachwirkungslehre hat der Senat trotz der gegen sie erhobenen Bedenken mit Urteil vom 13. Dezember 1995 (– 4 AZR 1062/94 – AP Nr. 3 zu § 3 TVG Verbandsaustritt) festgehalten. Auf die Ausführungen in diesem Urteil nimmt der Senat Bezug. Die nach wie vor insbesondere von Rieble (Anm. zu BAG, aaO; derselbe, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rz 1266 ff.) dagegen erhobene Bedenken überzeugen nicht, zumal er letztlich das Ergebnis des Senats jedenfalls im Falle der Auflösung des Arbeitgeberverbandes teilt.

    • Diese Nachwirkung des § 4 Abs. 5 TVG ist nicht durch eine “andere Abmachung” im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG beendet worden.

      Eine “andere Abmachung” im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG kann durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder einzelvertragliche Abrede getroffen werden (Senatsurteil vom 18. März 1992 – 4 AZR 339/91 – AP Nr. 13 zu § 3 TVG). Da der Sinn der Nachwirkung in der Verhinderung eines inhaltslosen Arbeitsverhältnisses liegt, so der Senat im Anschluß an Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 185, kann als eine “andere Abmachung” nur eine rechtlich relevante Vereinbarung angesehen werden (BAGE 29, 182, 188 = AP Nr. 4 zu § 4 BAT). Das ist eine Vereinbarung, die auf das konkrete Arbeitsverhältnis Anwendung findet. Das jeweilige Arbeitsverhältnis muß erfaßt sein. Eine andere Abmachung ist nur bei einer positiven, das Arbeitsverhältnis erfassenden kollektivrechtlichen oder einzelvertraglichen Regelung gegeben (Urteil des Senats vom 27. November 1991 – 4 AZR 211/91 – BAGE 69, 119 = AP Nr. 22 zu § 4 TVG Nachwirkung, zu A I 3 der Gründe; Urteil des Achten Senats vom 14. Februar 1991 – 8 AZR 166/90 – AP Nr. 10 zu § 3 TVG.

      Daran fehlt es hier.

      • Eine solche “andere Abmachung” im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG ist nicht die zwischen dem IV-HKS Brandenburg und der CGM geschlossene Entgelttabelle 1994. Die Nachwirkung des alten Tarifvertrages wird durch einen neuen Tarifvertrag beendet, wenn dieser konkret auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbar ist (Urteil vom 14. Februar 1991 – 8 AZR 166/90 – AP, aaO; Urteil des Senats vom 27. November 1991 – 4 AZR 211/91 –, aaO; Urteil des Senats vom 18. März 1992 – 4 AZR 339/91 – AP Nr. 13 zu § 3 TVG). Der neue Tarifvertrag wirkt dann unmittelbar auf den Arbeitsvertrag ein, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezüglich des neuen Tarifvertrages kongruent tarifgebunden sind oder wenn der neue Tarifvertrag allgemeinverbindlich ist. In diesem Fall löst der neue Tarifvertrag den alten ab (“Zeitkollisionsregel”, vielfach auch Ordnungsprinzip genannt). Da beide Tarifverträge denselben Rang haben, findet auch kein Günstigkeitsvergleich zwischen ihnen statt (Hromadka/Maschmann/Wallner, Der Tarifwechsel, S. 102, Rz 266). Das ist hier nicht der Fall. Denn die Entgelttabelle vom 24./31. Januar 1994 gilt wegen fehlender Tarifbindung des Klägers nicht für das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten. Der Kläger ist insoweit Außenseiter. Die Nachwirkung wird für Außenseiter nicht schon deswegen ausgeschaltet, weil überhaupt ein neuer Tarifvertrag in Kraft tritt (Urteil des Senats vom 27. November 1991 – 4 AZR 211/91 – AP, aaO). Vielmehr muß das jeweilige Arbeitsverhältnis oder der jeweilige Arbeitnehmer vom Tarifvertrag erfaßt sein. Das übersieht die Revision. Das wird auch nicht immer gesehen oder deutlich genug herausgestellt (vgl. z.B. Koberski/Clasen/Menzel, TVG, Stand April 1997, § 4 Rz 191 ff.). Demgegenüber weist Kania für den Fall der Aufspaltung zutreffend darauf hin, daß für Arbeitnehmer, die von einem Übertritt in die andere Gewerkschaft – hier CGM – absehen, es bei der Nachwirkung des früher maßgeblichen Tarifvertrages – hier ETV – gemäß § 4 Abs. 5 TVG verbleibt. Für diese stellt der mit einer anderen Gewerkschaft, der sie nicht angehören, abgeschlossene Tarifvertrag keine “andere Abmachung” im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG dar, da sie nicht von der Normwirkung des Tarifvertrages erfaßt werden (DB 1995, 625, 631, l. Sp., 2. Abs.). Auch die Revisionsbeantwortung hat zutreffend herausgestellt, daß der MTV/die Entgelttabelle 1994, abgeschlossen zwischen CGM und IV-HKS Brandenburg, für den Kläger als Außenseiter nicht gelten und es deswegen bei der Nachwirkung im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG hinsichtlich des ETV für den Kläger bleibt. Es bleibt daher bei dem von H.C. Nipperdey formulierten Satz “Die Nachwirkung wird für die Außenseiter nicht dadurch beseitigt, daß ein neuer Tarifvertrag in Kraft tritt, es sei denn, dieser wird für allgemeinverbindlich erklärt (Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. II/1, 7. Aufl., 1967, § 36 III 3 Fußn. 22, S. 690; vgl. auch Senatsurteil vom 27. November 1991, aaO sowie Urteil des Ersten Senats vom 19. Januar 1962 – 1 AZR 147/61 – AP Nr. 11 zu § 5 TVG, zu IV 2 der Gründe). Eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung für die Entgelttabelle ist nicht erfolgt. Auch darauf hat die Revisionsbeantwortung zutreffend hingewiesen.
      • Die in § 2 des Arbeitsvertrages vom 1. Juni 1991 enthaltene Bezugnahmeklausel ist keine “andere Abmachung” im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG des Inhalts, daß nunmehr – ab 27. Januar 1994/1. Februar 1994 oder 1. April 1994 – die Entgelttabelle gilt und die Nachwirkung beendet hat oder gar nicht erst hat entstehen lassen.

        Das Landesarbeitsgericht hat in seiner Hilfsbegründung darauf abgestellt, eine die Nachwirkung des ETV beseitigende andere Abmachung liege deswegen nicht vor, weil eine solche nur im Nachwirkungszeitraum abgeschlossen werden könne. Eine frühere arbeitsvertragliche Regelung, die durch die Bindung an einen Tarifvertrag gegenstandslos geworden sei, könne nach Beendigung des Tarifvertrages nicht wieder aufleben.

        Der Achte Senat hat in seiner Entscheidung vom 14. Februar 1991 (– 8 AZR 166/90 – AP Nr. 10 zu § 3 TVG) ausgeführt, mit der Tarifbindung sei die einzelvertragliche Regelung verdrängt. Sie habe für die Dauer der Wirkungen des Tarifvertrages für die Arbeitsverhältnisse keine Bedeutung, könne daher, solange die Nachwirkung des Tarifvertrages auf die Arbeitsverhältnisse andauere, auch nicht “aufleben”.

        Dagegen spricht nach dem Ersten Senat “viel dafür, daß durch die Beendigung der zwingenden Wirkung eines Tarifvertrages eine frühere vertragliche Vereinbarung wieder auflebt und damit die Nachwirkung der Tarifnorm beseitigt, was hier nicht zu entscheiden ist” (Urteil vom 21. September 1989 – 1 AZR 454/88 – BAGE 62, 360 = AP Nr. 43 zu § 77 BetrVG 1972, zu IV 2, 3 der Gründe). Auch der Zehnte Senat hat die Frage nicht abschließend entschieden (Urteil vom 10. April 1996 – 10 AZR 722/95 – AP Nr. 4 zu § 101 ArbGG 1979, zu III 3c, d der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Der Sechsten Kammer des Landesarbeitsgerichts Berlin erscheint es mehr als zweifelhaft, bei Beendigung der zwingenden Wirkung eines Tarifvertrages eine frühere vertragliche Vereinbarung von selbst wieder aufleben zu lassen und damit die Nachwirkung des Tarifvertrages zu verhindern (Urteil vom 19. Oktober 1990 – 6 Sa 64/90 – LAGE § 4 TVG Nachwirkung Nr. 1 = NZA 1991, 278). Demgegenüber meint die Neunte Kammer des Landesarbeitsgerichts Berlin, auch eine frühere einzelvertragliche Regelung könne eine “andere Abmachung” im Sinne von § 4 Abs. 5 TVG sein (Urteil vom 5. Dezember 1994 – 9 Sa 74/94 – LAGE § 4 TVG Nachwirkung Nr. 2 = NZA 1995, 1174), wobei aber die Auslegung der Vertragsklausel dazu geführt hat, anzunehmen, sie sei – auch – für den Fall einer Nachwirkung erfolgt.

        Im Schrifttum wird wohl überwiegend angenommen, andere Abmachungen im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG könnten jedenfalls grundsätzlich nur solche sein, die nach Ablauf des Tarifvertrages getroffen worden seien (vgl. z.B. Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rz 234; Wiedemann/Stumpf, aaO, § 4 Rz 196; Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Rz 183, m.w.N. in Fußn. 50; Hromadka/Maschmann/Wallner, aaO, Rz 298). Dafür spricht die zukunftsgerichtete Fassung des Gesetzes (“bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden”) (vgl. Frölich, NZA 1992, 1105, 1110 f.). Zum anderen soll die in § 4 Abs. 5 TVG angeordnete Nachwirkung des Tarifvertrages die Kontinuität der tariflichen Regelung sichern (Löwisch/Rieble, aaO). Das braucht nicht abschließend entschieden zu werden, und zwar aus zwei Gründen nicht:

        • Wenn man davon ausgeht, daß ein Abweichen von den Tarifnormen schon im Vorgriff auf die Nachwirkung möglich sein soll (vgl. Urteil des Achten Senats vom 14. Februar 1991 – 8 AZR 166/90 – AP, aaO), so kann das nur durch ausdrückliche Vereinbarung geschehen (Löwisch/Rieble, aaO; Hromadka/Maschmann/Wallner, aaO). Das Landesarbeitsgericht hat insoweit ausgeführt, in der einzelvertraglichen Vereinbarung müsse eindeutig der Wille der Vertragsparteien zum Ausdruck gebracht werden, daß sie unabhängig von dem durch die letzten nachwirkenden tariflichen Regelungen erreichten Standard der Arbeitsbedingungen eine Rückkehr auf ein früheres Niveau beabsichtigten, etwa, wie hinzuzufügen ist, der im Arbeitsvertrag vom 1. Juni 1991 festgehaltene Stundenlohn von 13,25 DM wieder gelten soll. Für eine solche Auslegung sind ebensowenig Anhaltspunkte vorhanden wie für die Auslegung, daß der an sich nachwirkende Tariflohn durch einen Lohn ersetzt werden soll, den die Arbeitgeberin über einen anderen Verband mit einer anderen Gewerkschaft vereinbart.
        • Im übrigen ist jedenfalls, was den Lohn anbelangt, keine dynamische Verweisung erfolgt, die implizieren könnte, daß die jeweiligen für die Arbeitgeberin qua Verbandszugehörigkeit geltenden Tarifverträge anzuwenden sind, auch wenn der neue Tarifvertrag gegenüber dem an sich nachwirkenden Tarifvertrag ungünstigere Lohn-/Arbeitsbedingungen enthält. Gerade das ist im Gegensatz zu der Inbezugnahme, die der Entscheidung des Senats vom 4. September 1996 (– 4 AZR 135/95 – AP Nr. 5 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) zugrunde lag, nicht der Fall. Das Landesarbeitsgericht führt aus, die Parteien hätten in § 2 des Arbeitsvertrages die Höhe des Stundenlohnes angegeben und die Tarifgruppe VI HKS-Verband/Montage vereinbart. Damit sei eindeutig der vom früheren IV-HKS Berlin/Brandenburg mit der IG Metall abgeschlossene Entgelttarifvertrag für den Montagebereich gemeint. Eine Bezugnahme auf einen seinerzeit nicht existierenden Tarifvertrag, der im übrigen von einem anderen Arbeitgeberverband mit einer anderen Gewerkschaft vereinbart worden sei, sei nach dem klaren Wortlaut der Regelung ausgeschlossen. Hieran ändere sich auch nichts dadurch, daß der Vereinbarung einer Vergütungsgruppe nur deklaratorische Bedeutung zukomme. Die deklaratorische Wirkung der Vereinbarung einer Tarifgruppe sei nur im Zusammenhang mit der Tarifautomatik bei der Eingruppierung von Relevanz. Sie könne aber nicht dazu führen, daß die Bezugnahme auf einen bestimmten Tarifvertrag entfalle oder gar die Auslegung ermögliche, daß ein anderer, später abgeschlossener und mit dem Arbeitsvertrag genannten Tarifvertrag konkurrierender Tarifvertrag als den ersten ersetzenden in Bezug genommen sein solle.

          Diese Auslegung hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.

          Die Auslegung nichttypischer Willenserklärungen ist nach ständiger Rechtsprechung in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüfbar, ob sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstößt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt läßt und ob sie rechtlich möglich ist (BAGE 55, 53 = AP Nr. 131 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BGH Urteil vom 31. Januar 1995 – XI ZR 56/94 – ZIP 1995, 658).

          Hier geht es um die Auslegung nichttypischer Erklärungen. Zwar liegt dem Arbeitsvertrag vom 1. Juni 1991 ein Formular zugrunde. Jedoch geht es hier entscheidend um die Bedeutung der maschinenschriftlichen Einfügung “VI HKS-Verband/Montage” in den vorformulierten Vertragstext.

          Danach ist die Auslegung des § 2 des Arbeitsvertrages durch das Landesarbeitsgericht nicht zu beanstanden. Es hat alle wesentlichen Umstände berücksichtigt und weder gegen allgemein anerkannte Auslegungsregeln noch gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen.

          Die Auslegung seitens des Landesarbeitsgerichts ist nicht nur möglich, sondern naheliegend. § 2 Abs. 4 des Arbeitsvertrages ist so zu verstehen, daß sich die Beklagte zur Zahlung des jeweiligen tariflichen Lohns der Tarifgruppe “VI HKS-Verband/Montage” verpflichtete. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, daß diese Wörter nur unverbindlich über den im Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages von der Beklagten gemäß ihrer damaligen Tarifbindung für richtig gehaltenen und gezahlten Lohn orientieren wollten.

          Das Landesarbeitsgericht hat zu der in § 2 Abs. 5 Satz 3 des Formulars enthaltenen Bezugnahmeklausel “im übrigen richtet sich der Arbeitsvertrag nach den jeweils geltenden Tarifverträgen der in Frage kommenden Sparte” ausgeführt, auch über die allgemeine Bezugnahmeklausel könne eine Bindung an die Tarifvereinbarung mit der CGM nicht herbeigeführt werden. Dies gelte jedenfalls für die Höhe des Entgelts, weil insoweit eine Regelung im ersten Satz des Absatzes Lohn getroffen worden sei und sich der Arbeitsvertrag nur “im übrigen” nach den jeweils geltenden Tarifverträgen der in Frage kommenden Sparte richten solle. Hiermit könnten nur sonstige tarifliche Regelungen aus dem Entgeltbereich gemeint sein. Auch das erscheint als zutreffend. Der Lohn ist abschließend geregelt. Lediglich im übrigen sind die jeweils geltenden Tarifverträge in Bezug genommen, wobei möglicherweise in erster Linie an einen Branchenwechsel gedacht ist. Auf Wirkung und Umfang dieser Klausel braucht der Senat nicht näher einzugehen. Auch aus der weiteren Regelung – § 2 Abs. 6 –, daß die Arbeitszeit durch den jeweils gültigen Tarifvertrag geregelt werde und zur Zeit 43, 75 Stunden wöchentlich betrage, ergibt sich nichts anderes. Lediglich hinsichtlich der Arbeitszeit ist der jeweils gültige Tarifvertrag in Bezug genommen; zur Entgelthöhe ist nichts gesagt.

          Festzuhalten bleibt, daß jedenfalls weder die Entgelttabelle 1994 noch § 2 des Arbeitsvertrages vom 1. Juni 1991 für die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits hinsichtlich der Lohnhöhe eine andere Abmachung im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG darstellen.

    • Eine Verdrängung des nachwirkenden ETV durch die Entgelttabelle 1994 wegen Tarifpluralität im Hinblick auf den auf sie anzuwendenden Grundsatz der Tarifeinheit findet nicht statt.

      Die Revision ist der Ansicht, das Nebeneinander des alten, nur noch nachwirkenden Tarifvertrages und des neuen Tarifvertrages im Betrieb der Beklagten müsse über die Tarifkonkurrenz oder Tarifpluralität gelöst werden. Sie führt dazu aus, ein Fall der Tarifkonkurrenz liege nicht vor, meint aber, dem Landesarbeitsgericht sei nicht zu folgen, wenn es der Beklagten in der vorliegenden Fallgestaltung – Nachwirkung des ETV nach § 4 Abs. 5 TVG/Entgelttabelle 1994 CGM – IV-HKS Brandenburg – eine Betrachtung nach dem Grundsatz der Tarifeinheit versage. Es widerspreche dem Prinzip der Tarifeinheit, wenn bei der Beklagten gleichzeitig der alte, nur noch nachwirkende Tarifvertrag und der neue, speziellere Tarifvertrag anzuwenden seien.

      Das Landesarbeitsgericht führt aus, es komme im Betrieb der Beklagten zur Anwendung verschiedener Tarifverträge. Das Entgelt der IG Metall-Mitglieder richte sich weiterhin nach dem nachwirkenden ETV, während für Mitglieder der CGM und für solche Arbeitnehmer, in deren Arbeitsvertrag eine Bezugnahme auf die mit der CGM abgeschlossenen Tarifverträge vereinbart sei, diese Tarifverträge einschließlich der Entgelttabelle maßgeblich seien. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei in einem solchen Fall eine Tarifpluralität anzunehmen, und zwar auch dann, wenn derzeit kein Mitglied der den Tarifvertrag abschließenden Gewerkschaft, hier also der CGM, im Betrieb beschäftigt sei; die potentielle Anwendbarkeit reiche insoweit aus. Es referiert dann die Rechtsprechung des Senats und meint unter Hinweis auf die “Tendenz” des Zehnten Senats in seinen Urteilen vom 22. September 1993 (– 10 AZR 207/92 – BAGE 74, 238 = AP Nr. 21 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz) und vom 26. Januar 1994 (– 10 AZR 611/92 – BAGE 75, 298 = AP Nr. 22 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz) und “die überwiegende Literatur”, “jedenfalls für den Bereich des Entgelts … diese Auffassung” nicht teilen zu können, und macht dazu Ausführungen. Es erkennt zwar, daß der Senat die Frage der Tarifpluralität “in einem vergleichbaren Fall (Urteil vom 27. November 1991 – 4 AZR 211/91 – BAGE 69, 119 = AP Nr. 22 zu § 4 TVG Nachwirkung) nicht problematisiert” hat. Es meint aber, dies sei möglicherweise auf dem Hintergrund geschehen, daß es aus Gründen der Rechtssicherheit jedenfalls im Entgeltbereich nicht erforderlich sei, eine betriebseinheitliche Anwendung tariflicher Regelungen durchzusetzen.

      Das ist indes nicht der Grund, warum der Senat in dem der Entscheidung vom 27. November 1991 zugrunde liegenden Fall die Frage der Tarifpluralität nicht problematisiert hat. Der Grund ist vielmehr ein ganz anderer: Es liegt kein Fall der Tarifpluralität vor.

      Zu einer Tarifpluralität kann es bei unterschiedlicher Organisationszugehörigkeit kommen, z.B. ein Einzelhandelsunternehmen ist an einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gebunden (§ 5 TVG). Gleichzeitig hat es einen Haustarifvertrag mit einer Gewerkschaft abgeschlossen, der nur ein Teil der Arbeitnehmer des Betriebes angehören. Alsdann stellt sich die tarifliche Situation dergestalt dar, daß der Arbeitgeber an zwei Tarifverträge, aber diejenigen Arbeitnehmer, die nicht derjenigen Organisation angehören, die den Haustarifvertrag abgeschlossen hat, nur an den allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gebunden sind. Es besteht eine Tarifpluralität, wenn nur der Arbeitgeber an beide Tarifverträge gebunden ist, dagegen die Arbeitnehmer nur teilweise tarifgebunden sind.

      Hier ist es aber so, daß der ETV nur noch kraft Nachwirkung im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG gilt, während die Entgelttabelle 1994 den Arbeitgeber nach § 3 Abs. 1 TVG bindet. Der Arbeitgeber ist nicht nach § 3 Abs. 1 oder § 3 Abs. 3 TVG an zwei Tarifverträge gebunden, was Voraussetzung für die Tarifpluralität ist, sondern lediglich an einen. Bei der Beklagten liegt eine Tarifbindung an den ETV nicht mehr vor. Sie ist aus dem IV-HKS Berlin/Brandenburg ausgetreten; der IV-HKS Berlin/Brandenburg hat sich aufgelöst. Tarifpluralität entsteht nicht, wenn ein Tarifvertrag lediglich im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG nachwirkt. Es handelt sich insoweit um eine Sonderregelung. Ob überhaupt Tarifpluralität nur bei tarifrechtlicher Geltung zweier Tarifverträge anzunehmen ist oder ob es dabei zu verbleiben hat, daß “die verbindliche Bezugnahme eines Tarifvertrages … eine Geltung des in Bezug genommenen Tarifvertrages … bewirkt und damit die vertragliche Bezugnahme eines Tarifvertrages lediglich eine von mehreren Arten … ist …, die Bindung an einen Tarifvertrag bewirken …”, also … “auch die vertragliche Vereinbarung der Geltung eines Tarifvertrages deshalb zum Entstehen einer Tarifkonkurrenz oder einer Tarifpluralität führen … kann” (Senatsurteil vom 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – BAGE 67, 330 = AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz), braucht nicht entschieden zu werden. Hier geht es um das Verhältnis zwischen nachwirkendem Tarifvertrag und einem Tarifvertrag, an den nur der Arbeitgeber und – vielleicht – einige Arbeitnehmer gebunden sind, nicht aber Außenseiter und eine prophylaktische allgemeine Inbezugnahmeklausel bei Verbandswechsel des Arbeitgebers jedenfalls für den Entgeltbereich nicht gegeben ist. Der ETV wirkt hier lediglich nach, d.h., die unmittelbare Geltung des ETV bleibt erhalten, lediglich die zwingende Geltung des ETV ist entfallen. Die Nachwirkung bezweckt als eine Arbeitnehmerschutzvorschrift, die bisherigen tariflichen Regelungen für eine Übergangszeit dispositiv zu erhalten, und hat damit eine Überbrückungsfunktion, durch die vermieden wird, daß das Arbeitsverhältnis nun inhaltsleer wird und durch dispositive Gesetze sowie einseitige Arbeitgeberanweisungen ausgefüllt wird (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. nur Urteile des Senats vom 18. März 1992 – 4 AZR 339/91 – AP Nr. 13 zu § 3 TVG; vom 13. Juli 1994 – 4 AZR 555/93 – AP Nr. 14 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit). Dieser Zweck impliziert, daß die Nachwirkung nur dann entfällt, wenn eine “Abmachung” getroffen wird, sei es durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung, soweit im Hinblick auf § 77 Abs. 3 BetrVG zulässig, sei es durch Vertragsänderung oder (Massen-) Änderungskündigung, die das einzelne Arbeitsverhältnis erfaßt. Kommt es nicht dazu, gilt der alte Tarifvertrag weiter. Kommt eine “andere Abmachung” nur mit einigen Arbeitnehmern zustande, so bleibt es für die übrigen bei der Fortgeltung des alten Tarifvertrages.

      In § 4 Abs. 5 TVG ist durch die vorgesehene Beendigung der Nachwirkung erst durch eine “andere Abmachung” angelegt, daß es, gelingt nicht für alle Arbeitnehmer ein Abschluß einer solchen etwa durch Tarifvertrag, der für allgemeinverbindlich erklärt wird, zu unterschiedlichen Arbeits-/Entgeltbedingungen kommt. Diese “Beseitigungslast” des Arbeitgebers (Hromadka/Maschmann/Wallner, aaO, Rz 254) kann deshalb nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Senats auch auf den Fall der Tarifpluralität anzuwendenden Grundsatz der Tarifeinheit überspielt werden, der Arbeitgeber von der Beseitigungslast alter ihm nicht mehr als passend erscheinenden Arbeits-/Entgeltbedingungen auf diesem Wege befreit werden, will er andere Arbeits-/Entgeltbedingungen durchsetzen. Es hängt also an der “anderen Abmachung”. Greift diese zu kurz, weil sie nicht alle Arbeitsverhältnisse erfaßt, so bleibt es für die von einer anderen Abmachung nicht erfaßten Arbeitsverhältnisse bei der unbefristeten Weitergeltung des alten Tarifvertrages, bis es dem Arbeitgeber gelingt, auch insoweit eine andere Abmachung durchzusetzen, sei es durch Vereinbarung oder aber durch – wenn auch nicht sehr aussichtsreiche – (vgl. Hromadka/Maschmann/Wallner, aaO, Rz 303 ff.) Änderungskündigung.

      So liegt es hier. Lediglich die Beklagte ist an die Entgelttabelle 1994 gebunden, die ihr neuer Verband auch für sie mit der CGM abgeschlossen hat. Diese Entgelttabelle vermochte den nachwirkenden ETV nur für Mitglieder der CGM abzulösen. Auch durch Vereinbarung mit einzelnen Arbeitnehmern konnte die Entgelttabelle eingeführt und dadurch die Nachwirkung des ETV beendet werden. Waren und sind nicht an die Entgelttabelle kraft Zugehörigkeit zur CGM gebundene Arbeitnehmer nicht bereit, die Entgelttabelle zu akzeptieren, bleibt nur der Weg über die Änderungskündigung.

      Allerdings wird vereinzelt vertreten, daß dann, wenn im Nachwirkungszeitraum des alten Tarifvertrages nur der Arbeitgeber an den neuen Tarifvertrag gebunden ist, es zur Tarifpluralität kommt. “Nach der Rechtsprechung verdrängt der neue Tarifvertrag die nur nachwirkenden Normen des alten Tarifvertrages” (Hromadka/Maschmann/Wallner, aaO, S. 102, Rz 267). Eine Fundstelle wird nicht genannt. Es gibt sie für den Fall der Nachwirkung eines Tarifvertrages und des Abschlusses eines neuen Tarifvertrages mit einer anderen Gewerkschaft auch nicht. Die vom Landesarbeitsgericht erwähnte, aber nicht in den richtigen Zusammenhang gebrachte Entscheidung des Senats vom 27. November 1991 (– 4 AZR 211/91 – AP, aaO) zeigt das Gegenteil. Kania (DB 1995, 625, 631, l. Sp.) führt aus, nachdem er – ohne auf die Entscheidung vom 27. November 1991 zu verweisen – zutreffend von der Nachwirkung des früher maßgeblichen Tarifvertrages für Außenseiter ausgeht, man würde zu einem anderen Ergebnis gelangen, wenn man mit dem Vierten Senat auch in diesem Fall dem Grundsatz der “Tarifeinheit im Betrieb” Geltung verschaffe und die entstehende Tarifpluralität zwischen nachwirkendem Tarifvertrag einerseits und unmittelbar geltendem Tarifvertrag andererseits nach dem Grundsatz der Spezialität durch eine Verdrängung des nachwirkenden Tarifvertrages aus dem Betrieb auflöse. Die von ihm genannten Entscheidungen des Senats vom 14. Juni 1989 (– 4 AZR 200/89 – AP Nr. 16 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz) und vom 5. September 1990 (– 4 AZR 59/90 – AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz) sowie die Entscheidung vom 20. März 1991 (– 4 AZR 455/90 – BAGE 67, 330 = AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz betreffen nicht das Verhältnis zwischen nachwirkendem Tarifvertrag und einem neuen mit einer anderen Gewerkschaft abgeschlossenen Tarifvertrag. Im übrigen kommt Kania zum zutreffenden Ergebnis unter Hinweis auf die ratio legis des § 4 Abs. 5 TVG. Er führt aus, eine Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb liefe dem Sinn und Zweck des § 4 Abs. 5 TVG entgegen. Die Anwendung des § 4 Abs. 5 TVG werde – auch vom Bundesarbeitsgericht (folgt Hinweis auf BAG Urteile vom 18. März 1992, aaO und vom 2. Dezember 1992 – 4 AZR 277/92 – BAGE 72, 48 = AP Nr. 14 zu § 3 TVG) – gerade deshalb bejaht, um einen tariflosen Zustand zu vermeiden. Ein solcher Zustand entstehe indes, verdränge man den nachwirkenden Tarifvertrag nach dem Grundsatz der Tarifeinheit aus dem Betrieb. Der aus einer solchen Tarifkonkurrenz “siegreich” hervorgehende unmittelbar einschlägige Tarifvertrag werde nämlich dadurch nicht für diejenigen Arbeitnehmer maßgeblich, die nicht Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft seien. Für diese gelte überhaupt kein Tarifvertrag. Bei Hromadka/Maschmann/Wallner heißt es, die Arbeitsverträge der Arbeitnehmer, die nicht der tarifschließenden Gewerkschaft angehörten, würden inhaltsleer. Die Geltung des neuen Tarifvertrages könnten sie nur durch Beitritt zur Gewerkschaft herbeiführen. Zwar bleibe es dem Arbeitgeber unbenommen, ihnen die tariflichen Bedingungen vertraglich anzubieten. Dazu verpflichtet sei er jedoch nicht. Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichte ihn nicht dazu. Zu einem anderen Ergebnis komme, wer die Rechtsprechung zur Tarifpluralität ablehne. Er müsse annehmen, daß die Nachwirkung des alten Tarifvertrages nach § 4 Abs. 5 TVG fortbestehe. Im Betrieb würden dann zwei Tarifverträgen gelten: Der alte nach § 4 Abs. 5 TVG und der neue nach § 4 Abs. 1 TVG (aaO, S. 102, Rz 267).

      Das ist nur im Ergebnis richtig. Entscheidend ist, daß ein Fall der Tarifpluralität gar nicht vorliegt, wie oben ausgeführt.

      Die Rechtsprechung zur Tarifpluralität muß nicht abgelehnt werden. Das macht auch Kania nicht, jedenfalls nicht an dieser Stelle (vgl. aber differenzierend DB 1996, 1921 ff.). Entscheidend ist vielmehr, daß wegen der Regelung in § 4 Abs. 5 TVG ein Fall der Tarifpluralität, der über den Grundsatz der Tarifeinheit zu lösen wäre, nicht anzunehmen ist. Daß einige Arbeitsverhältnisse einer neuen tariflichen Regelung unterliegen, andere wegen fehlender Tarifbindung, fehlender Allgemeinverbindlichkeitserklärung, fehlender einzelarbeitsvertraglicher Abänderung oder wegen nicht erklärter oder nicht wirksamer Änderungskündigung noch der alten tariflichen Regelung unterfallen, ist wegen der vorgesehenen Ablösung der Nachwirkung durch eine “andere Abmachung” vorgegeben.

      Nach der Rechtsprechung des Senats führt nicht nur die tarifrechtliche Geltung zweier Tarifverträge zur Tarifpluralität, sondern auch die arbeitsvertragliche Inbezugnahme, weil sie die Geltung des Tarifvertrages bewirkt. Sie ist mit dem Grundsatz der Tarifeinheit dahin zu lösen, daß nur ein Tarifvertrag gilt (vgl. Urteil des Senats vom 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – BAGE 67, 330 = AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz). Daß es demgegenüber zur Geltung mehrerer Tarifverträge im Betrieb kommt, wenn ein Tarifvertrag – wie hier – nur noch aufgrund Nachwirkung anwendbar ist, also wie eine arbeitsvertragliche Regelung nur dispositiv gilt, ist in § 4 Abs. 5 TVG angelegt. Ein Wertungswiderspruch liegt darin nicht.

      Nach alledem ist dem Landesarbeitsgericht im Ergebnis darin beizupflichten, daß der ETV bezogen auf den Kläger nicht durch die Lohntabelle 1994 abgelöst wurde.

      Der Kläger hat damit Anspruch auf Lohn nach dem ETV für die Monate Februar bis Juni 1994 aufgrund Nachwirkung des ETV im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG. Die Normen des mit Verbandsauflösung oder am 31. März 1994 außer Kraft getretenen ETV galten trotz Verbandsaustritt der Beklagten und trotz Verbandsauflösung gemäß § 4 Abs. 5 TVG weiter, bis sie durch eine “andere Abmachung” ersetzt werden; eine solche ist hier von den Parteien nicht getroffen worden. Wegen der nachwirkenden Entgeltsätze in den Montagebetrieben des ETV hat der Kläger nach wie vor Anspruch auf den Stundenlohn von 21,61 DM der Lohngruppe VI für den geltend gemachten Zeitraum; die Höhe der für die Monate Februar bis Juni 1994 beanspruchten Differenzbeträge hat die Beklagte nicht beanstandet.

      Der Zinsanspruch des Klägers folgt aus §§ 284, 288 BGB.

      Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Schaub, Schneider, Dr. Friedrich, Seifner, Schamann

 

Fundstellen

Haufe-Index 893900

AP, 0

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge