Entscheidungsstichwort (Thema)

Jubiläumszuwendung. Ausschlussfrist. Geltendmachung durch den Betriebsrat für künftige Jubilare. Gratifikation/Sondervergütung. Tarifauslegung. Ausschlussfristen

 

Orientierungssatz

Lässt ein Tarifvertrag zur Wahrung der in ihm vorgesehenen Ausschlussfrist eine Geltendmachung von Ansprüchen der Arbeitnehmer “durch den Betriebsrat dem Grunde nach” genügen, wobei diese Geltendmachung bis zur Erfüllung der Ansprüche auch für “sich anschließende Ansprüche” ausreichen soll, so können vom Betriebsrat für die Arbeitnehmer auch noch nicht entstandene Ansprüche geltend gemacht und damit dem Verfall entzogen werden.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, 611, 613a; MTV für die Beschäftigten der Metallindustrie Südbaden vom 8. Mai 1990 § 18

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 22.07.2003; Aktenzeichen 11 Sa 36/03)

ArbG Lörrach (Urteil vom 17.03.2003; Aktenzeichen 3 Ca 232/03)

 

Tenor

  • Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 22. Juli 2003 – 11 Sa 36/03 – wird zurückgewiesen.
  • Die Kläger zu 3, 5, 6 und 7 haben die Gerichtskosten erster Instanz zu 3/10, die Beklagte hat sie zu 7/10 zu tragen.

    Die Gerichtskosten zweiter Instanz und die in zweiter Instanz entstandenen außergerichtlichen Kosten der Beklagten haben die Kläger zu 3, 5, 6 und 7 ebenfalls zu 3/10 zu tragen. Sie haben ferner ihre eigenen in zweiter Instanz angefallenen außergerichtlichen Kosten zu tragen. Die übrigen Kosten zweiter Instanz hat die Beklagte zu tragen.

    Die Gerichtskosten der Revisionsinstanz haben die Kläger zu 3, 5, 6 und 7 zu 1/15, die dort angefallenen außergerichtlichen Kosten der Beklagten haben sie zu 1/6 zu tragen. Sie haben ferner ihre eigenen in der Revisionsinstanz angefallenen außergerichtlichen Kosten zu tragen. Die übrigen Kosten der Revision hat die Beklagte zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien stritten bzw. streiten darüber, ob die Kläger Anspruch auf Zahlung einer Jubiläumszuwendung aus Anlass ihres 25- bzw. 40-jährigen Dienstjubiläums haben. Die Kläger zu 3, 5, 6 und 7 haben die Klage (über 4.896,13 Euro, 2.215,94 Euro, 2.343,25 Euro und 3.528,94 Euro) in der Revisionsinstanz mit Einwilligung der Beklagten zurückgenommen.

Die Beklagte betreibt in G… eine Landmaschinenfabrik. Eine ihrer Rechtsvorgängerinnen gab im Jahr 1977 eine Personalinformation 4.6 heraus, die in der am 1. Januar 1984 gültigen Fassung unter anderem wie folgt lautete:

“II. Jubiläumszuwendungen

1. Jubilarenehrengabe

Im Monat seines Dienstjubiläums erhält der Jubilar ein Geldgeschenk.

Diese freiwillige Sozialleistung des Unternehmens beträgt:

bei 25-jährigem Dienstjubiläum 1 Monatsentgelt brutto bei 40-jährigem Dienstjubiläum 2 Monatsentgelte brutto

bei 50-jährigem Dienstjubiläum 2 Monatsentgelte brutto”

Unter dem 6. Oktober 1995 gab die damalige Geschäftsleitung unter dem Eindruck einer immer schwieriger werdenden wirtschaftlichen Situation des Unternehmens ein Schreiben folgenden Inhalts an die Belegschaft aus:

“BEKANNTMACHUNG

Einstellung der Jubiläumszahlungen

Aufgrund von geänderten Steuervorschriften ist es uns leider unmöglich, die bisher gewährten Jubiläumsgeldzahlungen in der praktizierten Form beizubehalten.

Aus diesem Grunde werden die Zahlungen mit Wirkung vom 01. Oktober 1995 eingestellt.

Wir sind sicher, daß wir im Frühjahr 1996 eine Möglichkeit finden werden, Dienstjubiläen in abgeänderter Form auf absolut freiwilliger Basis entsprechend zu honorieren.”

Hierauf wandte sich der Betriebsrat mit Schreiben vom 22. November 1995 an die Geschäftsleitung der Rechtsvorgängerin der Beklagten und widersprach der Einstellung der Jubiläumszahlungen mit folgender Formulierung:

“… wir gehen davon aus, daß es sich bei der Jubiläumsgeld-Regelung um eine Gesamtzusage handelt, zumindest aber um eine betriebliche Übung entsprechend der Einschätzung ihres Firmenanwaltes.

In diesem Fall ist nach der herrschenden Rechtsauffassung eine vertragliche Bindungswirkung eingetreten, die eine Rücknahme der Leistung, einen Widerruf o. ä. nicht mehr zuläßt.

Die Bindungswirkung hinsichtlich der bestehenden Arbeitsverhältnisse wird nach unserer Meinung nicht dadurch beseitigt, daß die Geschäftsleitung ein Jahr die Zahlungen einstellt und dann später eine andere Regelung einführt.

Deshalb widerspricht der Betriebsrat Ihrem Schreiben vom 22. September 1995.

Alle betroffenen Betriebsangehörigen haben einen individuellen vertraglichen Anspruch auf das Jubiläumsgeld, sodaß der Betriebsrat die Einstellung der Zahlungen für nicht rechtmäßig hält.”

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Metallindustrie Südbaden vom 8. Mai 1990 kraft Verbandszugehörigkeit Anwendung. § 18 MTV enthielt eine Ausschlussfristenregelung mit folgendem Inhalt:

“18.1 Ansprüche der Beschäftigten aus dem Arbeitsverhältnis sind dem Arbeitgeber gegenüber folgendermaßen geltend zu machen:

18.1.1 Ansprüche, auf Zuschläge aller Art innerhalb von 2 Monaten nach Fälligkeit;

18.1.2 Alle übrigen Ansprüche innerhalb von 6 Monaten nach Fälligkeit, spätestens jedoch innerhalb von 3 Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Fristen geltend gemacht werden, sind verwirkt, es sei denn, daß der Beschäftigte durch unverschuldete Umstände nicht in der Lage war, diese Fristen einzuhalten.

18.2 Wenn ein Anspruch vom betroffenen Arbeitnehmer oder schriftlich durch den Betriebsrat dem Grunde nach geltend gemacht ist, dann ist, so lange der Anspruch nicht erfüllt ist, eine nochmalige Geltendmachung auch für sich anschließende Ansprüche nicht erforderlich.

…”

Der Kläger zu 1 war seit 31. Juli 1956, der Kläger zu 2 seit 25. Oktober 1956, der Kläger zu 4 seit 3. April 1956, der Kläger zu 8 seit 23. April 1957 und der Kläger zu 9 seit 24. April 1957 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Diese Kläger feierten jeweils zum entsprechenden Kalendertag 40 Jahre später ihr 40-jähriges Dienstjubiläum.

Der Kläger zu 8 hat mit Schreiben vom 10. Juli 1997 die Jubiläumszuwendung geltend gemacht, der Kläger zu 9 behauptet eine mündliche Geltendmachung Ende April 1997. Für die Kläger zu 1 und 2 bzw. den Kläger zu 4 erfolgte vor Erhebung der Zahlungsklage am 23. Dezember 1998 bzw. am 24. Dezember 1998 keine gesonderte Geltendmachung.

Die vorgenannten Kläger haben die Auffassung vertreten, die Beklagte sei zur Zahlung der Jubilarenehrengabe in Höhe von jeweils zwei Monatsvergütungen verpflichtet, weil die Personalinformationen aus 1977 und 1984 eine entsprechende Gesamtzusage beinhalteten. Die Gesamtzusage enthalte keinen Freiwilligkeitsvorbehalt, welcher dem Unternehmen das Recht einräumen würde, die Zahlungen jederzeit wieder einzustellen. Die Formulierung “freiwillige Sozialleistung” reiche für einen Widerrufsvorbehalt nicht aus. Die komplette Streichung der Jubiläumszuwendung halte auch der gegebenenfalls erforderlichen Billigkeitskontrolle nicht stand, die Interessen der Kläger seien dabei nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Die Kläger haben deshalb unter Berücksichtigung ihrer individuellen, im Übrigen unstreitigen Vergütungsansprüche beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger folgende Zahlungen zu leisten:

zu 1) 7.410,66 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Juni 1996,

zu 2) 6.286,84 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 1. September 1996,

zu 4) 6.393,19 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 1. März 1996,

zu 8) 5.118,03 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Juni 1997 und

zu 9) 5.380,84 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 1. März 1997.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, durch die in der Personalinformation jeweils angegebenen Zusätze “Geldgeschenk” und “freiwillige Sozialleistung” habe die damalige Arbeitgeberin für die Arbeitnehmer erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass sie sich rechtlich nicht binden wolle. Die Streichung der Jubiläumsleistungen sei auf Grund der schlechten wirtschaftlichen Situation gerechtfertigt gewesen. Das Schreiben des Betriebsrats vom 22. November 1995 sei keine Geltendmachung für die einzelnen Arbeitnehmer, denn der Betriebsrat habe mit Sicherheit nicht für alle Beschäftigten tätig werden wollen, die einen eventuellen Anspruch hätten geltend machen können. Der Betriebsrat sei auch nicht von allen Arbeitnehmern beauftragt worden, vielmehr habe der Betriebsrat lediglich seine Rechtsauffassung dargestellt. Im Übrigen könnten Ansprüche nur geltend gemacht werden, wenn sie bereits entstanden seien. Dies sei aber zum Zeitpunkt des Schreibens des Betriebsrats hinsichtlich aller Kläger des vorliegenden Verfahrens nicht der Fall gewesen, da diese ihre Betriebsjubiläen noch nicht erreicht gehabt hätten. Zum Zeitpunkt des Schreibens sei eine Vielzahl von Fallkonstellationen denkbar gewesen, die das Entstehen eines Anspruchs noch hätten verhindern können. Dass der Kläger zu 9 seine Ansprüche mündlich im April 1997 geltend gemacht habe, sei unzutreffend.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klageabweisung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

  • Das Landesarbeitsgericht hat im Anschluss an das Urteil des Senats vom 23. Oktober 2002 – 10 AZR 48/02 – (AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 243 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 169, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) Ansprüche der Kläger auf die Jubiläumszuwendungen bejaht und angenommen, diese seien nicht gem. § 18 MTV verfallen. Der Betriebsrat habe die Ansprüche mit seinem Schreiben vom 22. November 1995 auch für die Kläger rechtzeitig und formgerecht geltend gemacht, obwohl es sich bei diesen um künftige Jubilare gehandelt habe.
  • Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

    1. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 23. Oktober 2002 (– 10 AZR 48/02 – aaO) entschieden hat, stellt die Personalinformation 4.6 eine Gesamtzusage dar, aus der für die Jubilare arbeitsvertragliche Ansprüche auf die Jubiläumszuwendung erwuchsen. Die Jubiläumszuwendung ist nicht etwa als bloße Möglichkeit in Aussicht gestellt, sondern nach Grund und Höhe geregelt und mit dem Indikativ “erhält” zugesagt. Damit wäre es nicht zu vereinbaren, jeglichen Rechtsbindungswillen der damaligen Arbeitgeberin zu verneinen und die Gewährung der Zuwendung bei bzw. nach Erreichen des Dienstjubiläums ihrem Gutdünken bzw. dem ihrer Rechtsnachfolgerinnen zu überlassen, selbst wenn die Gewährung zuvor nie in Frage gestellt wurde.

    Die Bezeichnung der Jubiläumszuwendung als “freiwillige Sozialleistung” lässt auch nicht den Schluss zu, die Zusage stehe unter einem Widerrufsvorbehalt. Diese Bezeichnung bringt für die Arbeitnehmer nicht unmissverständlich zum Ausdruck, dass sich der Arbeitgeber eine grundsätzlich freie Lösung von der gegebenen Zusage vorbehält, sondern kann auch so verstanden werden, dass sich der Arbeitgeber “freiwillig” zur Erbringung der Leistung verpflichtet, ohne dazu durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Gesetz gezwungen zu sein. Es kommt darauf an, wie der Empfänger einer Erklärung diese verstehen muss (§§ 133, 157 BGB). Daher muss der Arbeitgeber es in seiner Erklärung gegenüber den Arbeitnehmern unmissverständlich deutlich machen, wenn er sich den Widerruf einer zugesagten Sozialleistung vorbehalten bzw. eine vertragliche Bindung von vornherein verhindern will. Er kann zB die Leistung “ohne Anerkennung einer Rechtspflicht” oder “jederzeit widerruflich” in Aussicht stellen (vgl. BAG 7. August 2002 – 10 AZR 709/01 – AP EntgeltFG § 4a Nr. 2 = EzA EntgeltfortzG § 4a Nr. 3, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; 23. Oktober 2002 – 10 AZR 48/02 – AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 243 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 169, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, mwN). Ein solcher Vorbehalt unterblieb.

    Auch aus der Bezeichnung der Zuwendung als “Geldgeschenk” ist nicht auf einen solchen Widerrufsvorbehalt zu schließen. Es handelt sich insoweit ebenso wie bei der Bezeichnung als “Ehrengabe” um einen Begriff, mit dem das Unternehmen zwar seine Großzügigkeit unterstrich, nicht aber seine rechtliche Bindung in Frage stellte. Bei Jubiläumsgratifikationen der hier streitigen Art handelt es sich um Entgelt, mit dem eine Anerkennung für geleistete Dienste und ein Anreiz für weitere Dienstleistung erfolgt. Sie sind selbst dann kein Geschenk iSv. §§ 516, 518 BGB, wenn sie vom Arbeitgeber so bezeichnet werden (BAG 23. Oktober 2002 – 10 AZR 48/02 – aaO mwN). Die Arbeitgeberin hat den Bezug zur bisher erbrachten Arbeitsleistung in den Personalinformationen 4.6 eindeutig und unmissverständlich hergestellt. Auch aus der Kombination der Begriffe “Ehrengabe”, “Geldgeschenk” und “freiwillige Sozialleistung” brauchten deshalb die Arbeitnehmer nicht zu entnehmen, das Unternehmen wolle sich nach Belieben oder jedenfalls nach billigem Ermessen von der gegebenen Zusage, dass der Jubilar bei seinem Dienstjubiläum die Zuwendung “erhält”, lösen können, dh. ohne auf den Konsens der Betroffenen bzw. eine Änderungskündigung gem. § 2 KSchG angewiesen zu sein. In diese Bindung ist die Rechtsvorgängerin der Beklagten und sodann die Beklagte selbst gem. § 613a BGB eingetreten (BAG 23. Oktober 2002 – 10 AZR 48/02 – aaO).

    2. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die Beklagte hat demgegenüber keine neuen Gesichtspunkte ins Feld geführt, die eine andere Beurteilung gebieten würden.

    a) Soweit die Beklagte darauf hinweist, in den 70er und 80er Jahren seien noch keine außergewöhnlich hohen Anforderungen an die Formulierung eines Widerrufsvorbehalts gestellt worden, die strengere Rechtsprechung bezüglich der klaren Formulierung des Widerrufsvorbehalts habe sich erst später entwickelt, verkennt sie, dass die Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) damals keine anderen waren. Allenfalls wenn damals eine höchstrichterliche oder eine gefestigte einheitliche Instanzrechtsprechung vergleichbare Formulierungen als Widerrufsvorbehalt gewertet hätte, hätten die Arbeitnehmer als Empfänger der Gesamtzusage diese so verstehen müssen, wobei allerdings die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerinnen bei Änderung der Rechtsprechung hätte klarstellen müssen, dass sie die Gesamtzusage nur im ursprünglichen Sinne aufrecht erhalten wolle. Eine Änderung der Rechtsprechung hat die Beklagte im Übrigen selbst nicht behauptet. Das Fehlen einschlägiger Urteile zu vergleichbaren Formulierungen konnte für die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerinnen kein Vertrauen darauf begründen, diese Formulierungen seien als Widerrufsvorbehalt auszulegen und würden von den Arbeitnehmern so verstanden.

    b) Dass die Jubiläumszuwendung auch Mitarbeitern gewährt wurde, die über längere Zeit wegen Krankheit an der Erbringung ihrer Arbeitsleistung gehindert waren, ändert nichts daran, dass der Zuwendung Entgeltcharakter zukommt. Soweit es um Zeiträume geht, für die der Arbeitgeber Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu leisten hatte, versteht sich dies mangels einer entsprechenden Einschränkung der Anspruchsvoraussetzungen von selbst. Aber auch eventuelle Krankheitszeiten ohne Entgeltfortzahlungsanspruch stehen nicht entgegen. Mit den Zuwendungen sollte, worauf die Beklagte durchaus zu Recht hinweist, auch die erwiesene Betriebstreue honoriert werden. Insofern wurden sie zwar nicht lediglich als Gegenleistung für tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung gezahlt, sondern verfolgten den weitergehenden Zweck, Betriebstreue zu fördern. Diese zusätzliche Zwecksetzung macht die Jubiläumszuwendung aber entgegen der Ansicht der Beklagten nicht zu einem bloßen Geschenk, auf das kein Anspruch bestünde. Die Betriebstreue stellt lediglich eine weitere Anspruchsvoraussetzung dar. Zudem wäre eine anteilige Berechnung der Zuwendung nach Zeiten der Arbeitsleistung bzw. Entgeltfortzahlung oder ein entsprechendes Hinausschieben des Dienstjubiläums auch kaum praktikabel.

    3. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist dem Landesarbeitsgericht auch darin beizupflichten, dass die Ansprüche der Kläger zu 1, 2, 4, 8 und 9 nicht gem. § 18 MTV verfallen sind.

    a) Für den Anspruch des Klägers zu 8 folgt dies schon daraus, dass dieser unstreitig die Jubiläumszuwendung mit Schreiben vom 10. Juli 1997 gegenüber der Beklagten rechtzeitig geltend gemacht hat.

    b) Für die Kläger zu 1, 2, 4 und 9 genügte die Geltendmachung der Ansprüche durch den Betriebsrat mit Schreiben vom 22. November 1995.

    aa) Zwar hat der Betriebsrat grundsätzlich keine allgemeine Vollmacht, Individualansprüche der Arbeitnehmer für diese geltend zu machen. Allerdings kann der Betriebsrat durch den Tarifvertrag zur Geltendmachung solcher Ansprüche bevollmächtigt werden (vgl. Wank in: Wiedemann 6. Aufl. § 4 TVG Rn. 840). Eben dies ist hier mit § 18.2 MTV geschehen. Insoweit ist daran festzuhalten, dass der Betriebsrat mit seinem Schreiben vom 22. November 1995 unmissverständlich deutlich gemacht hat, ihm gehe es nicht bloß um einen kollektivrechtlichen Beteiligungsanspruch, sondern eben gerade um einen individuellen vertraglichen Anspruch der Betroffenen (vgl. BAG 23. Oktober 2002 – 10 AZR 48/02 – AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 243 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 169, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht darauf hingewiesen, der Betriebsrat habe die Ansprüche nicht ausdrücklich im Namen und Auftrag des Arbeitnehmers geltend machen müssen, um dem tariflichen Erfordernis gerecht zu werden. Die Geltendmachung durch den betroffenen Arbeitnehmer selbst und die Geltendmachung durch den Betriebsrat werde in § 18.2 MTV gleichgestellt.

    bb) In seinem Urteil vom 23. Oktober 2002 – 10 AZR 48/02 – (aaO) hat der Senat offen lassen können, ob das Schreiben des Betriebsrats vom 22. November 1995 die Ausschlussfrist auch für die Ansprüche künftiger Jubilare wahrte. Die Frage ist mit den Vorinstanzen zu bejahen.

    Soweit der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 17. Mai 2001 – 8 AZR 366/00 – (AP BAT-O § 70 Nr. 2 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 136) noch angenommen hatte, die Geltendmachung könne erst nach Fälligkeit des Anspruchs erfolgen, hält er daran nicht fest (vgl. 13. Februar 2003 – 8 AZR 236/02 – AP BGB § 613a Nr. 244 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 162). Aus den vom Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 11. Dezember 2003 – 6 AZR 539/02 – (ZTR 2004, 264, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) im Einzelnen dargelegten Gründen kann eine Geltendmachung zur Wahrung der Ausschlussfrist grundsätzlich auch schon vor der Fälligkeit des Anspruchs erfolgen. Dafür, dass die Formulierung “nach Fälligkeit” in § 18 MTV eine frühere Geltendmachung ausschließen sollte, besteht kein Anhaltspunkt. Wäre dies gewollt gewesen, hätte es nahe gelegen, die Worte “nach Fälligkeit” bereits in § 18.1 MTV aufzunehmen. Die Formulierung findet sich demgegenüber erst in § 18.1.1 und § 18.1.2 MTV bei der Bestimmung der Frist. Sie kennzeichnet wie auch die Angabe “nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses” in § 18.1.2 MTV lediglich den Beginn der Ausschlussfrist und ermöglicht damit die Berechnung des Fristendes.

    In seinem Urteil vom 27. März 1996 – 10 AZR 668/95 – (AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 134 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 123) hat der Senat eine die Ausschlussfrist wahrende Geltendmachung von Ansprüchen auch für künftige, noch nicht entstandene Ansprüche bejaht. Zwar hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 11. Dezember 2003 – 6 AZR 539/02 – (ZTR 2004, 264, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) bekräftigt, eine ordnungsgemäße Geltendmachung gem. § 63 Unterabs. 1 BMT-G II setze voraus, dass der Anspruch bereits entstanden sei. Speziell für den Fall des Unterabs. 2 der genannten Tarifbestimmung stellt aber auch der Sechste Senat auf den in der Tarifnorm zum Ausdruck gebrachten Willen der Tarifvertragsparteien ab und hält eine die Ausschlussfrist wahrende Geltendmachung vor der Entstehung der Ansprüche für ausreichend.

    Jedenfalls dann, wenn eine Tarifvertragsvorschrift wie § 18.2 MTV eine Geltendmachung durch den Betriebsrat “dem Grunde nach”, also ohne Bezifferung, ausreichen lässt und “eine nochmalige Geltendmachung auch für sich anschließende Ansprüche” als “nicht erforderlich” bezeichnet, kommt eine Frist wahrende Geltendmachung auch schon vor Entstehung der Ansprüche in Betracht. Ist der rechtliche Konflikt, wie hier die Frage der Fortwirkung der konkreten Gesamtzusage von ein bzw. zwei Monatsentgelten als Jubiläumsgeld trotz Widerrufs, durch den Betriebsrat präzise bezeichnet, so erfüllt die Geltendmachung für “alle betroffenen Betriebsangehörigen” die mit der Ausschlussfrist bezweckte Warnfunktion auch hinsichtlich der Ansprüche künftiger Betriebsjubilare. Bei voller Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen (Erreichen des Betriebsjubiläums) war die Beklagte nicht im Unklaren darüber, dass der Betriebsrat für den jeweiligen Jubilar einen Anspruch auf die Jubiläumszuwendung bejahte und eine entsprechende Zahlung begehrte. Einer erneuten Zahlungsaufforderung durch den Jubilar oder den Betriebsrat bedurfte es deshalb nicht (vgl. auch Däubler/Zwanziger TVG § 4 Rn. 1161).

  • Bei der Kostenentscheidung waren die Klagerücknahmen der Kläger zu 3, 5, 6 und 7 zu berücksichtigen (§ 92 Abs. 1 Satz 1, § 100 Abs. 1 ZPO; vgl. Zöller/Greger ZPO 24. Aufl. § 269 Rn. 19a).
 

Unterschriften

Dr. Freitag, Fischermeier, Marquardt, Staedtler, Kay Ohl

 

Fundstellen

Haufe-Index 1167844

NZA 2005, 599

SAE 2004, 316

ZTR 2004, 540

AP, 0

EzA-SD 2004, 3

EzA

BAGReport 2005, 191

NJOZ 2005, 1821

SPA 2004, 7

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