Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialplanabfindung bei Tod des Arbeitnehmers. Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs. Vererblichkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Abfindungsanspruch aus einem Sozialplan kann nur vererbt werden, wenn er zum Zeitpunkt des Todes des Arbeitnehmers bereits entstanden war. Haben die Betriebsparteien den Zeitpunkt der Entstehung des Abfindungsanspruchs nicht ausdrücklich geregelt, ist er durch Auslegung des Sozialplans zu ermitteln. Dabei ist im Falle einer Betriebsstilllegung insbesondere zu berücksichtigen, dass dem Arbeitnehmer regelmäßig keine wirtschaftlichen Nachteile entstehen, wenn er vor der betriebsbedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses stirbt.

 

Orientierungssatz

  • Abfindungsansprüche aus Sozialplänen sind vermögensrechtliche Ansprüche, die gemäß § 1922 Abs. 1 BGB auf die Erben übergehen.
  • Ein Abfindungsanspruch kann nicht vererbt werden, wenn er zum Zeitpunkt des Todes des Arbeitnehmers noch nicht entstanden war.
  • Es ist Sache der Betriebsparteien zu regeln, wann Ansprüche aus einem Sozialplan entstehen. Erforderlichenfalls ist der Sozialplan auszulegen.
  • Bei der Auslegung eines Sozialplans sind neben seinem Wortlaut und seiner Systematik insbesondere sein Sinn und Zweck von Bedeutung.
  • Sozialpläne dienen dazu, die den Arbeitnehmern durch eine Betriebsänderung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile abzumildern oder auszugleichen. Solche Nachteile entstehen regelmäßig nicht, wenn ein betriebsbedingt gekündigter Arbeitnehmer vor Ablauf der Kündigungsfrist stirbt.
 

Normenkette

BetrVG § 112 Abs. 1 Sätze 2-3, § 77 Abs. 4 S. 1; BGB § 1922 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 05.04.2005; Aktenzeichen 3 Sa 463/04)

ArbG Stralsund (Urteil vom 14.09.2004; Aktenzeichen 4 Ca 211/04)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Sozialplanabfindung.

Die Kläger sind die Erben des vormals bei der Beklagten beschäftigten K… A…. Am 12. Juni 2003 beschloss die Beklagte die vollständige Stilllegung ihres Betriebs zum 31. Januar 2004. Am 19. Juni 2003 vereinbarte sie mit dem für diesen Betrieb gewählten Betriebsrat einen Sozialplan. Dieser dient nach seiner Präambel “dem Ausgleich bzw. der Milderung von wirtschaftlichen Nachteilen, die den Arbeitnehmern infolge der Betriebsschließung entstehen”. Er enthält ua. folgende Regelungen:

“§ 1 Geltungsbereich

1. Der Sozialplan gilt für 12 Arbeitnehmer und drei Auszubildende …, die am 19. Juni 2003 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis standen und die aus Anlass der geplanten Betriebsschließung entlassen werden.

2. Als betriebsbedingte Entlassungen gelten:

• betriebsbedingte Kündigung des Arbeitgebers,

• betriebsbedingte, arbeitgeberseitig veranlasste Aufhebungsvereinbarung,

• arbeitgeberseitig veranlasste, betriebsbedingte Eigenkündigung.

§ 3 Abfindung

1. …

Stichtag für die Berechnung von Alter und Betriebszugehörigkeit ist der Tag der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. …

2. Die Sozialplanabfindung ist jeweils mit dem Austritt des Arbeitnehmers zur Zahlung fällig.

5. Eine Abfindung aus dem Sozialplan entsteht nicht, wenn das Arbeitsverhältnis gekündigt wird, weil die Voraussetzung für eine personenbedingte/verhaltensbedingte Kündigung vorliegt.”

Mit Schreiben vom 24. Juni 2003 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers A… auf Grund der Betriebsstilllegung zum 31. Januar 2004 und bezifferte die ihm aus dem Sozialplan voraussichtlich zustehenden Abfindungsansprüche mit 11.160,97 Euro. Am 26. November 2003 verstarb Herr A….

Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung haben die Kläger die Sozialplanabfindung in der dem Erblasser mitgeteilten, unstreitigen Höhe eingeklagt. Sie haben die Auffassung vertreten, der Abfindungsanspruch sei spätestens mit Ausspruch der betriebsbedingten Kündigung entstanden und habe daher vererbt werden können.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie gesamthänderisch 11.160,97 Euro zuzüglich Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19. Februar 2004 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers sei der Anspruch auf die Sozialplanabfindung noch nicht entstanden gewesen. Das Arbeitsverhältnis des Erblassers habe nicht auf Grund der Betriebsschließung, sondern auf Grund seines Todes geendet.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre Klage weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers war ein Anspruch aus dem Sozialplan noch nicht entstanden und deshalb nicht Bestandteil des nach § 1922 Abs. 1 BGB auf die Kläger übergegangenen Vermögens. Selbst wenn mit dem Abschluss des Sozialplans und dem Ausspruch der betriebsbedingten Kündigung bereits ein aufschiebend bedingter Anspruch entstanden sein sollte, erstarkte dieser mangels Eintritts der Bedingung nicht zum Vollrecht.

I. Ansprüche auf Sozialplanabfindungen können vererbt werden. Sie sind nicht höchstpersönlicher Natur, sondern vermögensrechtlicher Art und können daher im Wege der Erbfolge auf Dritte übergehen (Oetker GK-BetrVG 8. Aufl. §§ 112, 112a Rn. 137; Richardi/Annuß BetrVG 10. Aufl. § 112 Rn. 199; Fitting 23. Aufl. §§ 112, 112a Rn. 181).

II. Die Kläger haben keinen Abfindungsanspruch erworben, weil ein solcher zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers noch nicht entstanden war. Nach dem Sozialplan war Voraussetzung für die Entstehung des Abfindungsanspruchs die auf der Betriebsstilllegung beruhende Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Zu dieser ist es nicht gekommen.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Sozialpläne als Betriebsvereinbarungen besonderer Art wegen ihrer aus § 77 Abs. 4 Satz 1, § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG folgenden normativen Wirkung wie Tarifverträge auszulegen. Auszugehen ist deshalb zunächst vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Von besonderer Bedeutung ist ferner der Sinn und Zweck der Regelung. Der tatsächliche Wille der Betriebsparteien ist zu berücksichtigen, sofern er in dem Regelungswerk seinen Niederschlag gefunden hat. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (vgl. 12. November 2002 – 1 AZR 632/01 – BAGE 103, 312, zu A II 1 der Gründe; 25. März 2003 – 1 AZR 335/02 – EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 5, zu I 1 der Gründe; 22. März 2005 – 1 AZR 3/04 – EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 13, zu 1 der Gründe).

2. Die an diesen Grundsätzen orientierte Auslegung des Sozialplans vom 19. Juni 2003 ergibt, dass ein Arbeitnehmer den Anspruch auf eine Abfindung nur erwirbt, wenn er das betriebsbedingte Ausscheiden aus dem Betrieb erlebt.

a) Aus dem Wortlaut des Sozialplans ergibt sich nicht eindeutig, wann der Abfindungsanspruch entsteht. Die Verwendung des Begriffs “Entlassung” spricht zwar dafür, dass Anspruchsvoraussetzung die arbeitgeberseitig veranlasste Beendigung des Arbeitsverhältnisses sein soll. Da nach § 1 Nr. 2 des Sozialplans aber auch die betriebsbedingte Kündigung des Arbeitgebers, die betriebsbedingte, arbeitgeberseitig veranlasste Aufhebungsvereinbarung und die arbeitgeberseitig veranlasste, betriebsbedingte Eigenkündigung als betriebsbedingte Entlassung gelten, könnte nach dem Wortlaut des Sozialplans auch bereits mit dem Vorliegen einer dieser Tatbestände der Abfindungsanspruch entstanden sein.

b) Der systematische Zusammenhang der Sozialplanbestimmungen spricht maßgeblich dafür, dass der Abfindungsanspruch erst mit dem auf der Betriebsstilllegung beruhenden Ausscheiden aus dem Betrieb entstehen soll. Das folgt insbesondere aus § 3 Nr. 5 des Sozialplans. Danach “entsteht” eine Abfindung aus dem Sozialplan nicht, “wenn das Arbeitsverhältnis gekündigt wird, weil die Voraussetzung für eine personenbedingte/verhaltensbedingte Kündigung vorliegt”. Von dieser Bestimmung sollen erkennbar nicht nur die Fälle erfasst werden, in denen statt einer betriebsbedingten Kündigung eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung ausgesprochen wird, sondern auch diejenigen, in denen die personen- oder verhaltensbedingte Kündigung die betriebsbedingte Kündigung “überholt”, also nach ihr ausgesprochen wird. Da die Betriebsparteien bestimmt haben, dass in einem solchen Fall der Anspruch auf die Abfindung nicht “entsteht”, kann er zuvor allein durch den Abschluss des Sozialplans oder den Ausspruch der betriebsbedingten Kündigung noch nicht entstanden sein. Andernfalls hätten die Betriebsparteien die Regelung dahin gehend treffen müssen, dass der bereits entstandene Anspruch erlischt.

c) Vor allem jedoch ergibt sich aus Sinn und Zweck des Sozialplans, dass ein Abfindungsanspruch nur dann entstehen soll, wenn das Arbeitsverhältnis auf Grund der Betriebsstilllegung endet. Nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dient ein Sozialplan dem Ausgleich oder der Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen. Die Betriebsparteien haben diesen Regelungszweck in der Präambel des Sozialplans ausdrücklich übernommen. Dabei stellt eine Sozialplanabfindung nach der ständigen Rechtsprechung des Senats keine nachträgliche Vergütung für die in der Vergangenheit geleisteten Dienste dar; vielmehr hat sie in erster Linie eine Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion im Hinblick auf die infolge einer Betriebsänderung für die Arbeitnehmer eintretenden wirtschaftlichen Nachteile (14. August 2001 – 1 AZR 760/00 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 142 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 108, zu III 1a der Gründe; 21. Oktober 2003 – 1 AZR 407/02 – BAGE 108, 147, zu I 1 der Gründe; 31. Mai 2005 – 1 AZR 254/04 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 175, zu II 1b bb der Gründe). Dem entspricht es, den Entstehungszeitpunkt des Abfindungsanspruchs auf den Zeitpunkt der betriebsbedingten Vertragsbeendigung zu legen. Erst ab diesem Zeitpunkt treten die Nachteile ein, die der Sozialplan ausgleichen oder abmildern soll. Stirbt der Arbeitnehmer vorher, kann der Sozialplan seine Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion nicht erfüllen. Arbeitnehmern, die nicht infolge der Betriebsstilllegung ihren Arbeitsplatz verlieren, sondern schon vorher aus anderen Gründen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, entstehen keine nach dem Sinn des Sozialplans auszugleichenden oder abzumildernden Nachteile. Dies gilt auch im Falle des Todes. Eine ausschließlich die Erben begünstigende Abfindung würde dem Zweck des Sozialplans nicht gerecht (vgl. auch BAG 25. September 1996 – 10 AZR 311/96 – BAGE 84, 158, zu 2 der Gründe). Diese Auslegung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Vererblichkeit vertraglicher und tarifvertraglicher Abfindungsansprüche. Darin wurde regelmäßig entscheidend auf den vereinbarten oder erkennbaren Leistungszweck abgestellt (vgl. 22. Mai 1996 – 10 AZR 907/95 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 13 = EzA TVG § 4 Abfindung Nr. 1, zu II 3a der Gründe; 26. August 1997 – 9 AZR 227/96 – AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 8 = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 29, zu 3 der Gründe; 16. Mai 2000 – 9 AZR 277/99 – AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 20 = EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 36, zu 2 der Gründe; 22. Mai 2003 – 2 AZR 250/02 – AP ZPO § 767 Nr. 8 = EzA BGB 2002 § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 1, zu II 4b der Gründe; wohl auch BAG 13. Dezember 1994 – 3 AZR 357/94 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 6).

3. Hiernach war beim Tod des Erblassers noch kein unbedingter Abfindungsanspruch entstanden, der im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Kläger hätte übergehen können. Da der Erblasser am 26. November 2003 starb, führte die mit Schreiben vom 24. Juni 2003 von der Beklagten zum 31. Januar 2004 ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung nicht zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses.

III. Selbst wenn mit dem Abschluss des Sozialplans und dem Ausspruch der betriebsbedingten Kündigung bereits ein aufschiebend bedingter Anspruch oder eine “Anwartschaft” des Erblassers auf die Sozialplanabfindung entstanden sein sollte, so erstarkte diese Rechtsposition nicht etwa nach seinem Tode mit dem Ablauf der Kündigungsfrist und der Stilllegung des Betriebs am 31. Januar 2004 zu einem Vollrecht. Die dazu erforderliche Bedingung trat nicht ein und kann nicht mehr eintreten. Sie bestand darin, dass das Arbeitsverhältnis auf Grund der betriebsbedingten Kündigung endet. Daher ist sie mit dem Tod des Erblassers endgültig ausgefallen. Ein aufschiebend bedingter Abfindungsanspruch oder eine hierauf gerichtete anwartschaftliche Rechtsposition sind wirkungslos geworden.

 

Unterschriften

Schmidt, Kreft, Linsenmaier, Brocker, Hayen

 

Fundstellen

Haufe-Index 1568809

BAGE 2007, 321

BB 2006, 2027

DB 2006, 2131

NWB 2006, 3968

NWB 2007, 4291

EBE/BAG 2006, 150

FA 2006, 339

FA 2006, 344

JR 2007, 132

NZA 2006, 1238

ZAP 2006, 1261

ZEV 2007, 539

ZIP 2006, 1836

AP, 0

EzA-SD 2006, 11

EzA

MDR 2007, 159

AUR 2006, 414

ArbRB 2006, 330

NJW-Spezial 2006, 518

RdW 2007, 21

SPA 2006, 7

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