Entscheidungsstichwort (Thema)

Befristeter Arbeitsvertrag nach Art 1 § 1 BeschFG 1985

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die gesetzliche Befristungsregelung des Art 1 § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BeschFG 1985 erfordert nur eine Neueinstellung des Arbeitnehmers bis zur Dauer von achtzehn Monaten, nicht dagegen die Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes für den befristet eingestellten Arbeitnehmer.

2. Die in der Protokollnotiz Nr 1 zu Nr 1 der Sonderregelungen der Anlage 2y des Bundes-Angestelltentarifvertrages (SR 2y BAT) enthaltene Regelung, nach der "Zeitangestellte nur eingestellt werden dürfen, wenn hierfür sachliche oder in der Person des Angestellten liegende Gründe vorliegen", ist eine tarifliche Abschlußnorm iS des § 4 Abs 1 TVG.

3. Bei fehlender Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages können die Arbeitsvertragsparteien wirksam die Geltung der Protokollnotiz Nr 1 zu Nr 1 SR 2y BAT ausschließen. Sofern es sich in diesem Fall um eine Neueinstellung iS des Art 1 § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 BeschFG 1985 handelt, bedarf es keines sachlichen Grundes für die Befristung des Arbeitsvertrages.

 

Orientierungssatz

Befristeter Arbeitsvertrag für die Dauer von ca sechs Wochen mit Lehrerin nach Art 1 § 1 Abs 1 Nr 1 BeschFG 1985 - Begriff der Neueinstellung iS des Art 1 § 1 Abs 1 Nr 1 BeschFG 1985 - Frage, ob die arbeitsvertraglich abbedungene Protokollnotiz Nr 1 zu Nr 1 der SR 2y BAT eine Betriebs-, Beendigungs- oder Abschlußnorm darstellt.

 

Normenkette

BAT Anlage SR; BGB § 620; TVG § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 1; BeschFArbRG § 1; PersVG BE § 87 Nr. 9; PersVG BE § 79 Abs. 1; BeschFG 1985 Art. 1 § 1 Abs. 1 S. 1 Nr

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 22.07.1987; Aktenzeichen 12 Sa 35/87)

ArbG Berlin (Entscheidung vom 26.02.1987; Aktenzeichen 20 Ca 97/86)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zu dem beklagten Land steht.

Am 15. Mai 1986 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag "aufgrund des Art. 1 § 1 BeschFG 1985" ab. Danach sollte die Klägerin als Lehrerin im Bereich des Bezirksamtes K für die Zeit vom 21. Mai 1986 bis 4. Juli 1986 als Zeitangestellte beschäftigt werden. In § 5 des formularmäßigen Arbeitsvertrages wird auf den "BAT unter Berücksichtigung der jeweils in Frage kommenden Sonderregelungen mit allen künftigen Änderungen und Ergänzungen" verwiesen. In einem maschinenschriftlichen Zusatz ist folgende Regelung enthalten:

"Von den in der SR 2y BAT enthaltenen Regelungen

für Zeitangestellte gilt die Protokollnotiz

Nr. 1 zu Nr.1 SR 2y BAT nicht."

Die Klägerin wurde an der L-Oberschule im Fach Arbeitslehre eingesetzt und unterrichtete dort für die Lehrerin B, die seit dem 2. Dezember 1985 arbeitsunfähig erkrankt war. Im Juni 1986 trat die Klägerin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft - GEW - bei. Unter Hinweis auf das krankheitsbedingte Ausscheiden der Lehrerin B begehrte die Klägerin die Umwandlung ihres befristeten Arbeitsverhältnisses in ein unbefristetes. Mit ihrer am 21. August 1986 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Befristung des Arbeitsvertrages sei unwirksam und der Arbeitsvertrag bestehe über den 4. Juli 1986 hinaus fort.

Im Laufe des Schuljahres 1986/87 ist eine frei gewordene Stelle an der L-Oberschule mit einer anderen Lehrerin besetzt worden, die die gleiche Examensnote wie die Klägerin aufzuweisen hatte.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Protokollnotiz Nr. 1 zu Nr. 1 SR 2y BAT finde auf ihr Arbeitsverhältnis Anwendung, so daß die Befristung eines sachlichen Grundes bedürfe. Ein sachlicher Grund liege nicht vor, weil dem beklagten Land bereits bei Abschluß des Vertrages bekannt gewesen sei, daß die langfristig erkrankte Frau B nicht wieder in den Dienst zurückkehren werde. Nach der Protokollnotiz Nr. 4 zu Nr. 1 SR 2y BAT hätte das beklagte Land sie anstelle der im Schuljahr 1986/87 neu eingestellten Lehrerin berücksichtigen müssen.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß das zwischen den Parteien

bestehende Arbeitsverhältnis durch die Be-

fristung in dem Arbeitsvertrag vom 15. Mai

1986 nicht am 4. Juli 1986 geendet hat,

sondern fortbesteht.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat vorgetragen, erst nach Vertragsabschluß mit der Klägerin sei aufgrund der amtsärztlichen Untersuchung bekannt geworden, daß die Lehrerin B aus dem Dienst ausscheiden werde. Mit Beginn des Schuljahres 1986/87 sei die aus der Beurlaubung zurückgekehrte Lehrerin P der L-Oberschule zugeteilt worden und habe im Fach Arbeitslehre unterrichtet. Die im Schuljahr 1986/87 neu eingestellte Lehrerin I habe ein Kind allein zu erziehen und spreche türkisch, was deshalb bedeutsam sei, weil zwei Drittel der Schüler dieser Schule Türken seien. Aus diesem Grunde sei Frau I der Klägerin vorgezogen worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Das beklagte Land beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die vereinbarte Befristung des Arbeitsverhältnisses der Parteien ist wirksam, so daß das Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf der vertraglichen Frist am 4. Juli 1986 beendet worden ist.

I. Der unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Art. 1 § 1 des Beschäftigungsförderungsgesetzes 1985 - BeschFG 1985 - abgeschlossene Arbeitsvertrag ist wirksam befristet, denn es handelt sich im Streitfall um eine Neueinstellung für eine Dauer von weniger als achtzehn Monaten (Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeschFG 1985). Eines sachlichen Grundes für die Befristung des Arbeitsvertrages bedurfte es nicht. Die einen sachlichen Grund für eine befristete Einstellung fordernde Protokollnotiz Nr. 1 zu Nr. 1 der Sonderregelungen der Anlage 2y des Bundes-Angestelltentarifvertrages (SR 2y BAT) greift hier nicht ein, weil die Klägerin beim Abschluß des Arbeitsvertrages nicht tarifgebunden war und die Anwendung dieser Tarifnorm deshalb arbeitsvertraglich wirksam ausgeschlossen werden konnte. Der spätere Beitritt der Klägerin zur tarifschließenden Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft konnte an der Wirksamkeit der vereinbarten Befristung nichts ändern.

1. Das Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 - BeschFG 1985 - vom 26. April 1985 (BGBl. I S. 710) gilt nach Maßgabe des Übernahmegesetzes vom 9. Mai 1985 (GVBl. Berlin S. 1086) auch im Lande Berlin. Es ist dort am 19. Mai 1985 in Kraft getreten. Nach Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeschFG 1985 ist es bis zum 1. Januar 1990 zulässig, die einmalige Befristung des Arbeitsvertrages bis zur Dauer von 18 Monaten zu vereinbaren, wenn der Arbeitnehmer neu eingestellt wird. Diese Voraussetzungen sind im Streitfalle erfüllt.

a) Die Klägerin war bei dem beklagten Land erstmals aufgrund des Arbeitsvertrages vom 15. Mai 1986 befristet in der Zeit vom 21. Mai 1986 bis 4. Juli 1986 beschäftigt. Damit liegt die Dauer der Befristung erheblich unter dem vom Gesetzgeber in Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeschFG 1985 festgelegten zeitlichen Höchstrahmen von achtzehn Monaten.

b) Das Landesarbeitsgericht hat auch zutreffend angenommen, daß die Vereinbarung einer nach Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeschFG 1985 zulässigen Befristung des Arbeitsvertrages nicht voraussetzt, daß "ein neuer Arbeitsplatz" geschaffen worden ist.

Gesetzliche Voraussetzung für den Erlaubnistatbestand des Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeschFG 1985 ist das Vorliegen einer "Neueinstellung". Auf eine positive Festlegung dieses Begriffes hat der Gesetzgeber verzichtet. Er hat sich vielmehr damit begnügt, in Art. 1 § 1 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BeschFG 1985 zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen keine Neueinstellung anzunehmen ist. Danach liegt keine Neueinstellung vor, wenn zu einem vorhergehenden befristeten oder unbefristeten Arbeitsvertrag mit demselben Arbeitgeber ein enger sachlicher Zusammenhang besteht. Ein solcher enger sachlicher Zusammenhang ist insbesondere anzunehmen, wenn zwischen den Arbeitsverträgen ein Zeitraum von weniger als vier Monaten liegt. Aus dieser negativen Umschreibung ergibt sich kein Hinweis für die Annahme, daß eine Neueinstellung i. S. des Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeschFG 1985 nur dann vorliegt, wenn für den befristet eingestellten Arbeitnehmer vom Arbeitgeber ein neuer Arbeitsplatz geschaffen worden ist. Das gesetzliche Tatbestandsmerkmal "neu" bezieht sich auf den Arbeitnehmer, nicht auf den von ihm auf Zeit einzunehmenden Arbeitsplatz.

Gegen eine arbeitsplatzbezogene Auslegung des Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeschFG 1985 spricht auch die Systematik des Gesetzes. Auf die Arbeitsplatzsituation beim Arbeitgeber stellt lediglich der in Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeschFG 1985 enthaltene Erlaubnistatbestand ab, wenn dort die Zulässigkeit der Befristung des Arbeitsvertrages davon abhängig gemacht wird, daß "kein Arbeitsplatz für einen unbefristet einzustellenden Arbeitnehmer zur Verfügung steht". Hätte der Gesetzgeber auch bei dem Erlaubnistatbestand der Nr. 1 dieser Vorschrift eine arbeitsplatzbezogene Betrachtungsweise für erforderlich gehalten, so hätte er dies - ebenso wie im Erlaubnistatbestand der Nr. 2 geschehen - deutlich zum Ausdruck bringen müssen.

Auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeschFG 1985 läßt sich kein Hinweis auf das Erfordernis der Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes entnehmen. Die Vorschrift dient zwar beschäftigungspolitischen Zielen (vgl. RegE, BT-Drucks. 10/2102, S. 15). Die Arbeitgeber sollen veranlaßt werden, auch bei unsicherer Auftragslage Überstunden abzubauen und statt dessen befristete Neueinstellungen vorzunehmen (vgl. RegE, BT-Drucks. 10/2102, S. 14). Die mit der Regelung des Art. 1 § 1 BeschFG 1985 verfolgten beschäftigungspolitischen Ziele zwingen jedoch entgegen der Auffassung der Revision nicht zu der Annahme, der Gesetzgeber habe die Zulässigkeit von befristeten Arbeitsverträgen davon abhängig machen wollen, daß der Arbeitgeber neue Arbeitsplätze für die betreffenden Arbeitnehmer schafft.

Die Revision verkennt, daß den beschäftigungspolitischen Zielvorstellungen des Gesetzgebers auch dann Rechnung getragen wird, wenn der Arbeitgeber frei gewordene Arbeitsplätze (z. B. wegen Erreichens des Rentenalters) im Hinblick auf die Unsicherheit der Auftragslage zunächst mit befristet eingestellten Arbeitnehmern wieder besetzt. Der Arbeitgeber könnte in Fällen der zuletzt genannten Art den frei gewordenen Arbeitsplatz auch unbesetzt lassen und stattdessen in Überstunden ausweichen, um zunächst eine Stabilisierung der Auftragslage abzuwarten. Einer derartigen Personalpolitik soll durch die Befristungserleichterung des Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeschFG 1985 entgegengewirkt werden.

2. Da die Voraussetzungen des Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeschFG 1985 hier vorliegen, bedurfte es aus Gründen des staatlichen Rechts keiner Prüfung, ob die Befristung des Arbeitsvertrages der Klägerin im Sinne der Befristungsrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (grundlegend: BAGE GS 10, 65 = AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag) durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt war. Denn die Vorschrift des Art. 1 § 1 BeschFG 1985 will aus beschäftigungspolitischen Gründen den Abschluß befristeter Arbeitsverträge in dem dort festgelegten Umfang von den Schranken des staatlichen Rechts und der daraus abgeleiteten Rechtsprechung befreien (vgl. BAG Urteil vom 25. September 1987 - 7 AZR 315/86 -, zu C I 3 a cc der Gründe, auch zur Veröffentlichung vorgesehen).

3. Das Erfordernis eines sachlichen Grundes für die Befristung des Arbeitsvertrages der Klägerin ergibt sich auch nicht aus tarifrechtlichen Gründen.

Wie der Senat im Urteil vom 25. September 1987 (aaO) entschieden hat, wird die Protokollnotiz Nr. 1 zu Nr. 1 SR 2y BAT als für den Arbeitnehmer günstigere Tarifnorm zwar nicht durch Art. 1 § 1 BeschFG 1985 verdrängt. Die Parteien haben die Geltung dieser tariflichen Vorschrift jedoch in ihrem Arbeitsvertrag wirksam ausgeschlossen. Das war möglich, weil es sich bei dieser Tarifnorm weder um eine Betriebs- noch um eine Beendigungs-, sondern um eine tarifliche Abschlußnorm handelt und die Klägerin bei Abschluß des Arbeitsvertrages (15. Mai 1986) noch nicht Gewerkschaftsmitglied war.

a) Der Senat hat bereits in dem Urteil vom 25. September 1987 (aaO, unter C I 3 a cc der Gründe) klargestellt, daß die Protokollnotiz Nr. 1 zu Nr. 1 SR 2y BAT, nach "der Zeitangestellte nur eingestellt werden dürfen, wenn hierfür sachliche oder in der Person des Angestellten liegende Gründe vorliegen", mangels Allgemeinverbindlichkeit des BAT unmittelbar und zwingend nur für tarifgebundene Arbeitnehmer gilt. Für nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer wird die Vertragsfreiheit nur durch die Schranken zwingenden staatlichen Rechts begrenzt. Der Senat ist damit im Urteil vom 25. September 1987 (aaO) davon ausgegangen, daß es sich bei der Protokollnotiz Nr. 1 zu Nr. 1 SR 2y BAT jedenfalls nicht um eine tarifliche Norm über betriebliche Fragen i. S. des § 3 Abs. 2 TVG handelt. An dieser Rechtsauffassung hält der Senat nach erneuter Prüfung fest.

b) Die Qualifikation der genannten Protokollnotiz i. S. einer betrieblichen Norm hätte zur Folge, daß eine Tarifbindung des beklagten Landes ausreichend wäre (§ 3 Abs. 2 TVG). Auf die fehlende Gewerkschaftszugehörigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (15. Mai 1986) käme es rechtlich nicht an.

Diese Auffassung, die vereinzelt auch in der Literatur vertreten wird (Kohte, BB 1986, 397, 406 und U. Mayer, BlStSozArbR 1985, 225, 228), hat das Landesarbeitsgericht zu Recht abgelehnt.

Die Regelungsbefugnis gegenüber gewerkschaftlich nicht organisierten Arbeitnehmern hat der Gesetzgeber in § 3 Abs. 2 TVG im Hinblick auf die verfassungsrechtlich geschützte negative Koalitionsfreiheit der nichtorganisierten Arbeitnehmer (Art. 9 Abs. 3 GG) nur in engen Schranken zugelassen. Eine Erstreckung der Tarifnormen auf nichtorganisierte Arbeitnehmer ist danach nur zulässig, wenn es sich um tarifliche Vorschriften über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen handelt. Bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 9 Abs. 3 GG) ist die Vorschrift des § 3 Abs. 2 TVG eng auszulegen.

Als Rechtsnormen über betriebliche Fragen können nur solche Tarifvorschriften angesehen werden, die in der sozialen Wirklichkeit aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nur einheitlich gelten können (BAG Urteil vom 21. Januar 1987 - 4 AZR 547/86 - AP Nr. 47 zu Art. 9 GG, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl. 1977, § 3 Rz 69). Hierzu zählen z. B. Fragen der Betriebsgestaltung, die sich auf die Betriebsmittel, auf die Mitarbeiter und auf die organisatorische Zusammenfassung des Ganzen beziehen (BAG Urteil vom 21. Januar 1987, aaO; Dieterich, Die betrieblichen Normen nach dem TVG vom 9. 4. 1949, 1964, S. 39 f.). Nur wenn aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen das Bedürfnis nach einer einheitlichen Regelung besteht, ist es aus verfassungsrechtlichen Gründen gerechtfertigt, Normen auf nichtorganisierte Arbeitnehmer ohne Allgemeinverbindlichkeitserklärung zu erstrecken. Die Befugnis zur tarifautonomen Rechtsetzung muß im Grundsatz auf Mitglieder der Tarifvertragsparteien beschränkt werden. Bei einer nicht durch Sachzwänge (z. B. einheitliche Organisation des Betriebes) gebotenen Ausdehnung der Tarifbindung auf nichtorganisierte Arbeitnehmer verlören die Gewerkschaften als Träger der kollektiven Koalitionsfreiheit zwangsläufig an Attraktivität, was die Tarifautonomie schwächen würde (vgl. Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, TVG, 1984, § 3 Rz 3).

Die Qualifikation der hier strittigen Protokollnotiz i. S. einer betrieblichen Norm läßt sich nicht mit dem Hinweis darauf rechtfertigen, mit dem Abschluß von befristeten oder unbefristeten Arbeitsverträgen nehme der Arbeitgeber kraft seiner Organisationsgewalt auf die Zusammensetzung der Belegschaft Einfluß (so Mayer, BlStSozArbR 1985, 225, 228 und Kohte, BB 1986, 397, 406). Tarifliche Regelungen über die Zusammensetzung der Belegschaft können zwar auch betriebliche Normen i. S. des § 3 Abs. 2 TVG darstellen. Dies gilt aber nur, soweit sie nach ihrem Regelungsgehalt einheitlich für alle Arbeitnehmer oder bestimmte Arbeitnehmergruppen gelten sollen, z. B. wenn es um die fachlichen Anforderungen an bestimmte Arbeitnehmergruppen oder um das zahlenmäßige Verhältnis bestimmter Arbeitnehmergruppen zur Gesamtzahl der Mitarbeiter eines Betriebs geht (BAG Urteil vom 21. Januar 1987, aaO; Dieterich, aaO, S. 42). Dabei genügt es nicht, daß sich die Tarifnorm nur mittelbar auf die Zusammensetzung der Belegschaft auswirkt. Nur wenn sich der Regelungsgehalt der Tarifnorm unmittelbar auf "betriebliche Fragen" (z. B. auf das quotenmäßige Verhältnis von befristet und unbefristet beschäftigten Arbeitnehmern) bezieht, liegt eine betriebliche Norm i. S. des § 3 Abs. 2 TVG vor.

Einen derartigen Regelungsgehalt weist die erwähnte Protokollnotiz nicht auf. Das Erfordernis eines sachlichen oder in der Person des Angestellten liegenden Grundes für die Befristung des Arbeitsvertrages bezieht sich auf das einzelne Arbeitsverhältnis, nicht auf die Zusammensetzung der Belegschaft. Wie der Senat bereits in dem Urteil vom 25. September 1987 (aaO, unter C II der Gründe) entschieden hat, handelt es sich bei der Protokollnotiz Nr. 1 zu Nr. 1 SR 2y BAT um eine Tarifnorm, die zugunsten des Arbeitnehmers von der gesetzlichen Befristungsregelung des Art. 1 § 1 BeschFG 1985 abweicht, weil sie die Zulässigkeit befristeter Arbeitsverträge von strengeren Voraussetzungen abhängig macht als das Gesetz. Als generalklauselartige Befristungsbeschränkung setzt sie der Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien Schranken, indem sie den Abschluß von befristeten Arbeitsverträgen nur dann erlaubt, "wenn hierfür sachliche oder in der Person des Angestellten liegende Gründe vorliegen". Ziel einer derartigen Tarifnorm ist nicht eine Beschränkung der Organisationsgewalt des Arbeitgebers im Hinblick auf eine bestimmte Zusammensetzung der Belegschaft, sondern vielmehr der Schutz des einzelnen Arbeitnehmers vor einer nicht an sachliche Gründe gebundenen Befristung seines Arbeitsverhältnisses. Das Landesarbeitsgericht hat daher zu Recht das Vorliegen einer betrieblichen Norm i. S. des § 3 Abs. 2 TVG verneint.

c) Die Anwendbarkeit der Protokollnotiz Nr. 1 zu Nr. 1 SR 2y BAT ergibt sich auch nicht daraus, daß die Klägerin im Juni 1986 und damit nach Vertragsabschluß (15. Mai 1986) sowie nach erfolgter Arbeitsaufnahme (21. Mai 1986) der GEW beigetreten ist, denn es handelt sich bei der im Arbeitsvertrag von der Geltung ausgenommenen Protokollnotiz nicht um eine Beendigungs-, sondern um eine Abschlußnorm i. S. des § 4 Abs. 1 TVG.

aa) Die Frage, ob eine Tarifvorschrift, die sich mit Fragen des befristeten Arbeitsverhältnisses befaßt, eine Beendigungs- oder Abschlußnorm darstellt, kann nicht allgemein beantwortet werden. Es ist vielmehr durch Auslegung der betreffenden Tarifnorm zu ermitteln, ob sie Abschlußmodalitäten oder Beendigungsfragen im Zusammenhang mit befristeten Arbeitsverhältnissen regelt. Je nach dem Regelungsgehalt können daher tarifliche Befristungsregelungen als Abschluß- oder als Beendigungsnorm qualifiziert werden. Soweit in der Literatur (vgl. etwa Däubler/Hege, TVG, 2. Aufl. 1981, Anm. 403, 404; Hagemeier/Kempen/Zachert/Zilius, aaO, § 1 Rz 31; Wiedemann/Stumpf, aaO, § 1 Rz 227) die Auffassung vertreten wird, bei tariflichen Befristungsregeln handele es sich stets um Beendigungsnormen, kann dem nicht gefolgt werden. Diese Auffassung verkennt, daß die Rechtsnatur von Tarifnormen nicht pauschal, sondern nur durch Auslegung unter Berücksichtigung des jeweiligen Regelungsgehalts der betreffenden Tarifvorschrift sowie des tariflichen Gesamtzusammenhangs bestimmt werden kann.

bb) Die hiernach erforderliche Tarifauslegung ergibt, daß die Protokollnotiz Nr. 1 zu Nr. 1 SR 2y BAT eine tarifliche Abschlußnorm i. S. des § 4 Abs. 1 TVG ist.

Ihrem Regelungsgehalt nach bezieht sich die betreffende Protokollnotiz auf die Einstellung von Zeitangestellten, und zwar in Form einer generellen Befristungsbeschränkung. Indem die Tarifvertragsparteien bestimmt haben, daß Zeitangestellte nur bei Vorliegen von sachlichen oder in ihrer Person liegenden Gründen eingestellt werden dürfen, haben sie erkennbar die Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien bei Abschluß eines befristeten Arbeitsvertrages einschränken wollen. Nur bei Vorliegen von sachlichen oder Gründen in der Person des Angestellten soll der Abschluß eines befristeten Arbeitsvertrages tarifrechtlich erlaubt sein. Fehlt es an diesen Voraussetzungen, so soll nur eine unbefristete Einstellung zulässig sein.

Für eine Qualifikation der Protokollnotiz Nr. 1 zu Nr. 1 SR 2y BAT i. S. einer tariflichen Abschlußnorm spricht auch der Umstand, daß die Tarifvertragsparteien erkennbar darauf abstellen, ob zur Zeit der Einstellung sachliche oder in der Person des Angestellten liegende Gründe vorliegen. Die Frage, ob ein sachlicher Grund auch noch zum Zeitpunkt der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorliegen muß, haben die Tarifvertragsparteien nicht ausdrücklich geregelt. Die tarifliche Anknüpfung an das Vorliegen von sachlichen oder personenbedingten Gründen zum Zeitpunkt der Einstellung macht jedoch deutlich, daß die Tarifvertragsparteien damit Abschlußmodalitäten, nicht aber Fragen der Beendigung von wirksam oder unwirksam befristeten Arbeitsverhältnissen regeln wollten. Eine derartige Auslegung steht auch mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (seit BAG GS 10, 65 = AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; vgl. auch Senatsurteil vom 3. Dezember 1986 - 7 AZR 354/85 - AP Nr. 110 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, unter II der Gründe, m.w.N., auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) im Einklang. Danach dürfen die Parteien befristete Arbeitsverträge abschließen, wenn bei Vertragsabschluß sachliche Gründe für die Befristung vorgelegen haben.

Schließlich spricht auch der hier maßgebliche tarifliche Gesamtzusammenhang für eine Qualifikation der Protokollnotiz Nr. 1 zu Nr. 1 SR 2y BAT i. S. einer tariflichen Abschlußnorm. So knüpft die Protokollnotiz Nr. 2 zu Nr. 1 SR 2y BAT ausdrücklich an den Abschluß des Arbeitsvertrages an, wenn dort bestimmt ist, daß "der Abschluß eines Zeitvertrages für die Dauer von mehr als fünf Jahren unzulässig ist". Auch die Protokollnotiz Nr. 3 zu Nr. 1 SR 2y BAT bezieht sich ausdrücklich auf den Abschluß des Arbeitsvertrages. Danach "darf ein Arbeitsvertrag für Aufgaben von begrenzter Dauer nicht abgeschlossen werden, wenn bereits bei Abschluß des Arbeitsvertrages zu erwarten ist, daß die vorgesehenen Aufgaben nicht innerhalb einer Frist von fünf Jahren erledigt werden können". Damit regeln auch die beiden zuletzt genannten Protokollnotizen, die in einem systematischen Zusammenhang zu der hier streitigen Protokollnotiz stehen, die von den Arbeitsvertragsparteien bei Abschluß eines befristeten Arbeitsvertrages zu beachtenden Modalitäten.

cc) Die Qualifikation der Protokollnotiz Nr. 1 zu Nr. 1 SR 2y BAT i. S. einer tariflichen Abschlußnorm hat zur Folge, daß diese tarifliche Befristungsbeschränkung nur dann unmittelbar und zwingend gilt, wenn beide Arbeitsvertragsparteien zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages tarifgebunden sind.

An diesem Erfordernis fehlt es im Streitfall. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen des Landesarbeitsgerichts war die Klägerin zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages (15. Mai 1986) nicht Mitglied der GEW. Die Klägerin ist vielmehr erst nach erfolgter Arbeitsaufnahme (21. Mai 1986) im Juni 1986 der GEW beigetreten. Der nachträgliche Gewerkschaftsbeitritt hätte nur dann die Unwirksamkeit der arbeitsvertraglichen Ausschlußklausel zur Folge, wenn es sich bei der Protokollnotiz Nr. 1 zu Nr. 1 SR 2y BAT um eine tarifliche Beendigungsnorm handeln würde. Da dies nicht der Fall ist, konnten die Arbeitsvertragsparteien die Geltung der betreffenden Protokollnotiz im Arbeitsvertrag wirksam ausschließen, so daß es im Streitfall auch aus tarifrechtlichen Gründen keines sachlichen Grundes für die Befristung des Arbeitsverhältnisses bedurfte.

Entgegen der Ansicht der Revision ist es rechtlich unerheblich, daß die Klägerin im "unmittelbaren Zusammenhang" mit der Begründung ihres Arbeitsverhältnisses der GEW beigetreten ist. Eine rückwirkende Anwendung einer tariflichen Abschlußnorm würde den auch im Tarifrecht zu beachtenden Geboten der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit widersprechen. Ob eine Tarifnorm unmittelbar und zwingend gilt, muß auch in zeitlicher Hinsicht für die tarifunterworfenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eindeutig und zweifelsfrei zu ermitteln sein. Da die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Gewerkschaftsbeitritt noch in einem "unmittelbaren Zusammenhang" zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses steht, nicht nach festen zeitlichen Maßstäben beurteilt werden kann, hätte die Ansicht der Revision eine erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge.

II. Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Protokollnotiz Nr. 4 zu Nr. 1 SR 2y BAT berufen.

Die Protokollnotiz Nr. 4 zu Nr. 1 SR 2y BAT führt nicht zur Unwirksamkeit einer arbeitsvertraglich vereinbarten Befristung. Nach dieser Protokollnotiz sind "die unter Nr. 1 SR 2y BAT fallenden Angestellten bei der Besetzung von Dauerarbeitsplätzen bevorzugt zu berücksichtigen, wenn die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind". Diese tarifliche Regelung schränkt nur das Ermessen des Arbeitgebers bei der Auswahl der Bewerber für Dauerarbeitsplätze ein (vgl. das unveröffentlichte Senatsurteil vom 8. Mai 1985 - 7 AZR 182/84 -). Sie gibt allenfalls einen Anspruch auf Abschluß eines unbefristeten Arbeitsvertrages mit dem seitherigen Arbeitgeber. Einen solchen Anspruch hat die Klägerin jedoch nicht geltend gemacht, denn der Klageantrag geht nur auf Feststellung des Fortbestehens des mit Vertrag vom 15. Mai 1986 begründeten Arbeitsverhältnisses.

III. Nach alledem erweist sich die Befristung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin als rechtswirksam, so daß die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen war (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Dr. Seidensticker Dr. Steckhan Dr. Becker

Wagner Kordus

 

Fundstellen

BAGE 58, 183-194 (LT1-3)

BAGE, 183

BB 1988, 1751-1753 (LT1-3)

DB 1988, 1803-1805 (LT1-3)

SteuerBriefe 1988, 387-387 (L)

AiB 1988, 322-323 (LT1-3)

JR 1989, 132

NZA 1988, 771-772 (LT1-3)

RdA 1988, 318

RzK, I 9b Nr 5 (LT1-3)

ZTR 1988, 388-390 (LT1-3)

AP § 1 BeschFG 1985 (LT1-3), Nr 4

AR-Blattei, Arbeitsvertrag-Arbeitsverhältnis VIII Entsch 83 (LT1-3)

AR-Blattei, ES 220.8 Nr 83 (LT1-3)

EzA § 1 BeschFG, Nr 4 (LT1-3)

EzBAT, Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 Nr 2 (LT1-3)

VR 1989, 32-34 (KT)

VR 1989, 68 (K)

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