Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialplananspruch - tarifliche Ausschlußfrist

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Sozialplanansprüche unterliegen tariflichen Ausschlußfristen (ständige Rechtsprechung vgl BAG Urteil vom 30. November 1994 - 10 AZR 79/94 - AP Nr 88 zu § 112 BetrVG 1972).

2. Bestimmt eine zweistufige tarifliche Ausschlußklausel, daß ein Anspruch zwei Monate nach Fälligkeit bzw nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schriftlich geltend zu machen ist, so kann die Geltendmachung rechtswirksam auch schon vor diesen Ereignissen erfolgen.

3. Bei vorzeitiger schriftlicher Geltendmachung beginnt die Frist für eine tariflich geregelte 14tägige Bedenkzeit des Arbeitgebers und für die sich daran anschließende gerichtliche Geltendmachung nicht ab dem Zeitpunkt der schriftlichen Geltendmachung, sondern erst ab der Fälligkeit des Anspruches zu laufen.

 

Normenkette

TVG § 4

 

Verfahrensgang

LAG München (Entscheidung vom 28.07.1995; Aktenzeichen 6 Sa 829/94)

ArbG München (Entscheidung vom 15.07.1994; Aktenzeichen 13a Ca 13823/93)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf eine Abfindung aus einem Sozialplan.

Die Klägerin war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 1. April 1969 als Sekretärin der Geschäftsleitung tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet der allgemeinverbindliche Manteltarifvertrag für den Groß- und Außenhandel in Bayern vom 12. Juli 1990 (MTV) Anwendung.

Am 5. Mai 1992 wurde bei der Beklagten ein Sozialplan abgeschlossen, dessen Nr. 2.6.2. lautet:

"Fälligkeit

Der Anspruch auf Auszahlung der Abfindung ent-

steht im Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Un-

ternehmen und kommt im Folgemonat zur Auszahlung.

Erhebt der/die von der Betriebsschließung betrof-

fene Mitarbeiter/-in Klage, auf Feststellung der

Unwirksamkeit der Auflösung des Arbeitsverhält-

nisses, oder des Sozialplanes, so wird der An-

spruch auf Zahlung der Abfindung im Zeitpunkt der

rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreites

fällig..."

Mit Schreiben vom 17. Juni 1992 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1992 wegen Schließung des Zentralbereiches in S . Gleichzeitig bot sie der Klägerin die Weiterbeschäftigung in ihrem Betrieb in E an. Die Klägerin erhob gegen diese Kündigung Kündigungsschutzklage. In der Klageschrift wies sie darauf hin, daß im Falle der Wirksamkeit der Kündigung ein Anspruch auf eine Abfindung nach dem Sozialplan vom 5. Mai 1992 bestehe, weil ihr die angebotene Weiterbeschäftigung in E unzumutbar sei. Das in diesem Rechtsstreit ergangene klageabweisende Urteil wurde der Klägerin am 17. Juni 1993 zugestellt. Die Klägerin hat keine Berufung eingelegt.

Mit der Klageschrift vom 6. September 1993, der Beklagten am 27. September 1993 zugestellt, hat die Klägerin einen Anspruch auf Abfindung aus dem Sozialplan in Höhe von 62.569,66 DM brutto geltend gemacht.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 62.569,66 DM

brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, der Anspruch sei gemäß § 19 MTV verfallen. Im übrigen sei der Anspruch auch deswegen unbegründet, weil der Klägerin die Weiterbeschäftigung in E zumutbar sei. Die Hin- und Rückfahrt von Ei nach E betrage weniger als 100 Minuten. Die Dauer der täglichen Fahrzeit ist zwischen den Parteien streitig.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt unter Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanz zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht zur weiteren Sachverhaltsklärung und Entscheidung über den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf eine Abfindung nach dem Sozialplan vom 5. Mai 1992.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine Abfindung nach dem Sozialplan, weil sie diesen nicht innerhalb der tariflichen Ausschlußfrist von zwei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht habe. Der Anspruch sei damit jedenfalls erloschen. In der Kündigungsschutzklage könne keine schriftliche Geltendmachung des Anspruches auf eine Sozialplanabfindung gesehen werden, weil die Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Voraussetzung für diesen Anspruch gerade geleugnet werde. Der mit Rechtskraft des Kündigungsschutzverfahrens am 18. Juli 1993 fällige Anspruch sei damit erstmals mit der Klageschrift vom 6. September 1993 geltend gemacht worden. Dies sei jedoch verspätet, weil die Klageschrift der Beklagten erst am 27. September 1993 und damit nach Ablauf der am 18. September 1993 endenden Ausschlußfrist zugegangen sei.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

II. Die Klägerin hat den behaupteten Anspruch auf eine Abfindung aus dem Sozialplan vom 5. Mai 1992 innerhalb der tariflichen Ausschlußfristen des § 19 MTV geltend gemacht, so daß ein eventueller Anspruch nicht erloschen ist.

1. Nach § 19 Abs. 3 MTV erlöschen Ansprüche, wenn sie nicht vor Ablauf von zwei Monaten nach Fälligkeit (§ 19 Abs. 1 c MTV) bzw. im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwei Monate nach dem Ausscheiden (§ 19 Abs. 1 d MTV) schriftlich geltend gemacht werden. Sind die Ansprüche fristgerecht geltend gemacht, so gilt § 19 Abs. 4 MTV. Danach muß der Arbeitnehmer, wenn die Erfüllung der Ansprüche von der Geschäftsleitung abgelehnt worden ist oder sich die Geschäftsleitung innerhalb von zwei Wochen nicht erklärt, sofern er das Arbeitsgericht anrufen will, nach Ablehnung oder nach Fristablauf innerhalb von zwei Monaten Klage erheben. Geschieht dies nicht, so erlöschen die Ansprüche.

Da Ansprüche aus einem Sozialplan innerhalb tariflicher Ausschlußfristen geltend zu machen sind (vgl. BAG Urteil vom 30. November 1994 - 10 AZR 79/94 - AP Nr. 88 zu § 112 BetrVG, BAG Urteile vom 10. Mai 1995 - 10 AZR 589/94 - und vom 24. Januar 1996 - 10 AZR 279/95 - n.v.), mußte die Klägerin somit beide Stufen der Ausschlußvorschrift des § 19 MTV wahren (vgl. BAG Urteil vom 7. Dezember 1983 - 5 AZR 425/80 - BAGE 44, 337 = AP Nr. 84 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; BAG Urteil vom 24. Januar 1996 - 10 AZR 279/95 - zu 2 c der Gründe). Dies ist vorliegend geschehen.

2.a) Das Landesarbeitsgericht hat zunächst zutreffend angenommen, daß ein Anspruch der Klägerin auf eine Sozialplanabfindung am 18. Juli 1993 fällig geworden ist. Denn gemäß Nr. 2.6.2. des Sozialplanes wird, wenn, wie vorliegend, Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhoben wird, der Anspruch auf Zahlung der Abfindung erst im Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreites fällig. Das die Kündigungsschutzklage abweisende Urteil wurde der Klägerin am 17. Juni 1993 zugestellt. Da die Klägerin keine Berufung einlegte, wurde das Urteil damit am 18. Juli 1993 rechtskräftig und damit zu diesem Zeitpunkt der Anspruch auf eine Sozialplanabfindung fällig.

b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin diesen Anspruch jedoch gemäß § 19 Abs. 1 MTV innerhalb der ersten Stufe der Ausschlußklausel rechtzeitig schriftlich geltend gemacht. Die Klägerin hat bereits in der Klageschrift des Kündigungsschutzverfahrens darauf hingewiesen, daß bei Rechtswirksamkeit der Kündigung vom 17. Juni 1992 ein Anspruch auf eine Abfindung aus dem Sozialplan bestehe, weil eine Weiterbeschäftigung auf einem Arbeitsplatz in E unzumutbar sei. Diese unstreitigen Geltendmachung des Anspruchs durch die Klägerin hat das Landesarbeitsgericht übersehen, wie die Revision zutreffend rügt. Es ist rechtlich unerheblich, daß diese schriftliche Geltendmachung des Anspruchs zeitlich vor dessen Fälligkeit erfolgte. Zwar geht § 19 Abs. 1 MTV ersichtlich davon aus, daß Ansprüche nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bzw. Fälligkeit in der Frist des § 19 Abs. 1 MTV schriftlich geltend zu machen sind. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es aber, den Arbeitgeber zu warnen, daß derartige Ansprüche erhoben werden. Dieser Warnfunktion ist jedoch auch genügt, wenn der Arbeitnehmer seinen Anspruch vorzeitig geltend macht. Damit ist der Anspruch innerhalb der ersten Stufe der Ausschlußfrist fristgerecht geltend gemacht worden. Eine Bezifferung des Anspruches war nicht erforderlich, weil die Beklagte die Höhe der Forderung aus dem Sozialplan bestimmen konnte.

3.a) Entgegen der Auffassung der Beklagten beginnt im Falle der vorzeitigen schriftlichen Geltendmachung des Anspruches die Frist für die gerichtliche Geltendmachung, wie sie für die zweite Stufe der Ausschlußklausel verlangt wird (§ 19 Abs. 4 MTV), nicht schon im Zeitpunkt der schriftlichen Geltendmachung des Anspruches.

Eine unmittelbar anschließende gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen nach einer vorzeitigen schriftlichen Geltendmachung entspricht nicht dem Zweck der tariflichen Verfallklausel des § 19 Abs. 4 MTV die den Arbeitnehmer dazu zwingt, durch rechtzeitige Klageerhebung Klarheit über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruches zu schaffen. Ein solcher Zwang ist nur sinnvoll, wenn der Arbeitnehmer die Klage auch durchsetzen kann. Dies ist bei nichtfälligen Ansprüchen in der Regel nicht der Fall (vgl. BAG Urteil vom 18. Januar 1969 - 3 AZR 451/67 - AP Nr. 41 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Dann kann aber nicht angenommen werden, daß die Tarifvertragsparteien den Arbeitnehmer zu einer erfolglosen Klage veranlassen wollten. Weiter ist hier zu berücksichtigen, daß für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses noch nicht feststeht, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien überhaupt enden wird. Die Verfallfrist des § 19 Abs. 4 MTV kann nicht vor Klärung dieser Rechtsfrage zu laufen beginnen, denn es steht erst im Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteiles fest, ob der Anspruch auf eine Sozialplanabfindung, der nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht, grundsätzlich gegeben ist. Die gegenteilige Auffassung der Beklagten würde dazu führen, daß die Ausschlußfrist abgelaufen ist, bevor überhaupt feststeht, ob der Anspruch dem Grunde nach entstanden ist. Eine derartige Regelung kann vernünftigerweise von den Tarifvertragsparteien nicht gewollt sein. Damit geht § 19 Abs. 4 MTV ersichtlich davon aus, daß solche Ansprüche erst nach Fälligkeit gerichtlich geltend zu machen sind (vgl. auch BAG Urteile vom 3. Dezember 1970 - 5 AZR 68/70 -, vom 17. Oktober 1974 - 3 AZR 4/74 -, vom 22. Februar 1978 - 5 AZR 805/76 -, vom 4. September 1991 - 5 AZR 647/90 - AP Nr. 45, 55, 63 und 113 zu § 4 TVG Ausschlußfristen).

b) Beginnt aber die zweite Stufe der Ausschlußfrist erst mit der Fälligkeit des Anspruches und macht § 19 Abs. 4 MTV den Beginn der Klagefrist zudem noch von der Ablehnung des Anspruches durch den Arbeitgeber bzw. von dessen Nichterklärung innerhalb von zwei Wochen abhängig, so beginnt auch diese 14tägige Bedenkzeit für den Arbeitgeber nicht schon mit der schriftlichen Geltendmachung, sondern erst mit der Fälligkeit des Anspruches zu laufen. Denn auch der Arbeitgeber weiß erst ab diesem Moment, ob ein Anspruch auf eine Sozialplanabfindung dem Grunde nach gegeben ist oder nicht. Sich vorher zu dem Anspruch zu erklären, besteht für ihn kein Anlaß. Es ist daher nicht sachgerecht, die Bedenkzeit vor Fälligkeit des Anspruches beginnen zu lassen.

c) Bei dieser Rechtslage hat die Klägerin mit der vorliegenden Zahlungsklage vom 6. September 1993, die der Beklagten am 27. September 1993 zugestellt worden ist, die gerichtliche Geltendmachung gemäß § 19 Abs. 4 MTV rechtzeitig bewirkt. Der am 18. Juli 1993 fällig gewordene Anspruch auf eine Sozialplanabfindung wäre gemäß § 19 Abs. 4 MTV erst nach Ablauf der 14tägigen Bedenkzeit und der sich anschließenden Zwei-Monats-Frist für die gerichtliche Geltendmachung bei einer nach dem 27. September 1993 erfolgten Geltendmachung verfallen gewesen.

III. Das Landesarbeitsgericht hat damit rechtsfehlerhaft das Erlöschen des Anspruches auf eine Sozialplanabfindung angenommen. Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Das Landesarbeitsgericht wird nunmehr, was es bisher unterlassen hat, zu klären haben, ob die zwischen den Parteien streitigen Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Abfindung gegeben sind.

Matthes Dr. Jobs Böck

Schlaefke Lindemann

 

Fundstellen

Haufe-Index 436655

BB 1996, 2302

BB 1996, 2302 (LT1-3)

DB 1997, 234-235 (LT1-3)

EBE/BAG 1996, 107-109 (LT1-3)

AiB 1997, 114-115 (LT1-3)

EWiR 1996, 859 (L1-3)

NZA 1996, 986

NZA 1996, 986-988 (LT1-3)

RdA 1996, 325 (L1-3)

ZIP 1996, 1312

ZIP 1996, 1312-1314 (LT1-3)

ZTR 1997, 37 (L1-3)

AP § 112 BetrVG 1972 (L1-3), Nr 107

AP § 4 TVG Ausschlußfristen, Nr 134

AR-Blattei, ES 350 Nr 150 (LT1-3)

ArbuR 1996, 322 (L1,3)

EzA-SD 1996, Nr 14, 14-16 (LT1-3)

EzA § 4 TVG Ausschlußfristen, Nr 123

ZfPR 1997, 55 (L1-3)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge