Entscheidungsstichwort (Thema)

Zusatzversorgung in Hamburg

 

Leitsatz (amtlich)

Für Versorgungsansprüche nach dem Ruhegeldgesetz in Hamburg ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben.

 

Normenkette

ArbGG 1979 § 2 Abs. 1 Nr. 3; BetrAVG § 18; RuhegeldG Hamburg § 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 14.11.1988; Aktenzeichen 4 Sa 2/87)

ArbG Hamburg (Urteil vom 05.11.1986; Aktenzeichen 24 Ca 247/86)

 

Tenor

  • Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 14. November 1988 – 4 Sa 2/87 – aufgehoben.
  • Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Das Landesarbeitsgericht ist der Auffassung, daß für Versorgungsansprüche nach dem Hamburger Ruhegeldgesetz der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben ist.

Der am 20. November 1925 geborene Kläger trat am 1. Oktober 1951 als Berufsmusiker in die Dienste der Beklagten. In einem Änderungsvertrag vom 24. März 1966 ist vereinbart, daß sich die zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung nach dem Gesetz über die zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung für Arbeiter und Angestellte der Freien und Hansestadt Hamburg (Ruhegeldgesetz) vom 3. Juli 1961 in seiner jeweiligen Fassung richtet (im folgenden RGG). Nach § 10 Abs. 3 RGG i. V. m. § 2 RGG in der Fassung vom 3. März 1981 hat der Kläger einen Versorgungsanspruch in Höhe von maximal 75 v.H. der ruhegeldfähigen Bezüge, wenn er berufsunfähig wird oder mit Erreichen des 63. Lebensjahres in den Ruhestand tritt. Durch das 9. Gesetz zur Änderung des RGG vom 5. Dezember 1984 wurde – wie durch die 19. Satzungsänderung der VBL vom 10. November 1983 (BAnz Nr. 53 vom 15. März 1984) – die Versorgungsberechnung umgestellt. Die Versorgung wird zum Abbau der Überversorgung von einem Nettobetrag berechnet; Versorgungsminderungen werden zunächst durch einen Ausgleichsbetrag ausgeglichen, der stufenweise abgebaut wird.

Der Kläger hat die Rechtsauffassung vertreten, daß durch die Änderung des RGG in seine erreichten Versorgungsanwartschaften in unzulässiger Weise eingegriffen worden sei. Außerdem verstoße die Beklagte gegen Anrechnungsverbote. Er habe schon vor Eintritt eines Versorgungsfalles ein Interesse an der Feststellung, daß sich seine Versorgungsansprüche nach dem RGG in der Fassung vom 3. März 1981 richteten. Wegen bestehender gesundheitlicher Schäden müsse er mit einer vorzeitigen Berufsunfähigkeit rechnen.

Der Kläger hat beantragt,

  • festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm im Falle der Berufsunfähigkeit Ruhegeld in Höhe von 75 % der ruhegeldfähigen Bezüge zu zahlen,
  • festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger nach Vollendung des 63. Lebensjahres und Eintritt in den Ruhestand Ruhegeld in Höhe von 75 % der ruhegeldfähigen Bezüge zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat ein Rechtsschutzinteresse des Klägers in Abrede gestellt und die Gesetzesänderung als rechtmäßig verteidigt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, weil für Versorgungsansprüche nach dem Hamburger RGG der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben sei. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er seine Ansprüche weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Die Gerichte für Arbeitssachen sind für die Entscheidung über die Versorgungsansprüche der Arbeitnehmer der Beklagten zuständig.

1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis zuständig. Eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit ist dann gegeben, wenn der Streitgegenstand eine unmittelbare Rechtsfolge des Zivilrechts darstellt. Dagegen liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor, wenn der Streitgegenstand eine unmittelbare Folge des öffentlichen Rechts ist. Ob ein Rechtsstreit dem bürgerlichen oder dem öffentlichen Recht zuzuweisen ist, richtet sich, wenn eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Zu dessen Beurteilung kommt es darauf an, ob die an der Streitigkeit Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen, ob sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen, ihm zugeordneten Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient oder ob er sich zivilrechtlichen Regeln unterstellt (GmS-OGB BGHZ 97, 312, 313, 314 = NJW 1986, 2359; BGHZ 102, 280, 283 = NJW 1988, 2295, 2296, zu III 1 der Gründe; NJW 1988, 2297, zu III 1 der Gründe).

2. Die Versorgungsansprüche, die der Kläger geltend macht, sind Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis der Beklagten. Sie werden inhaltlich ausgestaltet durch das Gesetz über die zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung für Angestellte und Arbeiter der Freien und Hansestadt Hamburg (Ruhegeldgesetz – RGG).

a) Nach dem RGG ist die gewährte Ruhegeld- und Hinterbliebenenversorgung (§ 1 Abs. 2 RGG) als betriebliche Altersversorgung der Arbeiter und Angestellten der Beklagten ausgestaltet.

In § 1 Abs. 1 RGG ist der Zweck und die Rechtsnatur der Versorgung bestimmt. Hiernach ist die Versorgung ein Zuschuß zu den in §§ 26 und 27 RGG genannten Renten und Leistungen aus öffentlichen Mitteln. Gewährt werden mithin Zuschüsse zu der sozialversicherungsrechtlichen Absicherung der Arbeiter und Angestellten. Dagegen wird keine landeseigene Sozialversicherung aufgebaut.

Versorgungsberechtigt sind voll- und teilzeitbeschäftigte Angestellte und Arbeiter (§§ 2, 3 RGG) nach einer Wartezeit in den Diensten der Beklagten von fünf Jahren (§ 4 Abs. 1 RGG). Rechtsgrund der Versorgungsberechtigung sind Arbeitsverhältnisse. Die Entstehung der Versorgungsansprüche ist rein bürgerlich-rechtlich ausgestaltet. Wenn die Entstehungsvoraussetzungen vorliegen, erwächst der Anspruch auf Alters- und Hinterbliebenen versorgung, ohne daß es eines von der Beklagten zu erlassenden Verwaltungsaktes bedarf.

Die im RGG vorgesehenen Leistungen sind Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer erbrachten Dienste (BVerfG Urteil vom 15. Juni 1988 – 1 BvL 9/83 –, S. 17).

b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts läßt sich aus § 18 BetrAVG nicht ableiten, daß die Versorgungsansprüche dem öffentlichen Recht zugewiesen wurden. Nach § 18 Abs. 3 BetrAVG werden Personen, die mit einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft aus den Diensten der Beklagten ausscheiden, bei einer Zusatzversorgungseinrichtung versichert. Gerade aus dem Zusammenhang in § 18 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und 5, 6 BetrAVG ergibt sich, daß die privatrechtlichen Zusatzversorgungen im öffentlichen Dienst nach einheitlichen Grundsätzen abgewickelt werden sollen, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eintritt eines Versorgungsfalles endet.

c) Das RGG findet auf die Bediensteten des Landes Hamburg unmittelbare Anwendung. Dagegen wird es in einigen Regiebetrieben der Freien und Hansestadt Hamburg angewendet, wenn die Tarifvertragsparteien seine Anwendung vereinbart haben (Heubeck/Höhne/Paulsdorff/Rau/Weinert, BetrAVG, Band I, 2. Aufl., § 18 Rz 37). In diesem Falle kann es sich nur um bürgerlich-rechtliche Ansprüche handeln.

d) Aus der Entwicklung der Zusatzversorgung in Hamburg ergibt sich, daß sie bewußt bürgerlich-rechtlich ausgestaltet worden ist.

Im Frühjahr 1920 wurde der Arbeitgeberverband deutscher Gemeinden und Gemeindeverbände gegründet. Am 1. Juli 1920 trat der Manteltarifvertrag zwischen dem genannten Arbeitgeberverband und dem Verband der Gemeinde- und Staatsarbeiter sowie dem Zentralverband der Gemeindearbeiter und Straßenbahner Deutschlands in Kraft. In ihm ist bestimmt, daß sämtlichen beim Dienstantritt im Vollbesitz der Erwerbsfähigkeit befindlichen Arbeitern eine Alters- und Hinterbliebenenversorgung nach Maßgabe der jeweiligen örtlichen oder bezirksweise erlassenen Bestimmungen zu gewähren ist. Die Vorbereitungen zum Manteltarifvertrag haben dazu geführt, daß bereits im Jahre 1919 bei mehr als 320 Gemeinden von über 570 Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern zusätzliche Versorgungsansprüche geschaffen wurden, die in Hamburg die schon im Jahre 1901 geschaffene Sozialversicherung ergänzten (vgl. Mitteilung des Senats Nr. 61 vom 4. Februar 1921, GVBl. 1921 S. 111).

e) In der Rechtsprechung ist immer angenommen worden, daß die Versorgungsansprüche nach dem RGG bürgerlich-rechtlicher Natur sind. Hiervon ist das Bundesarbeitsgericht in seinen Entscheidungen vom 7. Mai 1976 – 3 AZR 267/75 – AP Nr. 173 zu § 242 BGB Ruhegehalt und vom 22. Januar 1958 – 4 AZR 191/56 – AP Nr. 1 zu § 1 RuhegeldG Hamburg ausgegangen. Zu demselben Ergebnis ist das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluß vom 18. Dezember 1985 – 1 BvR 1381/85 – sowie vom 15. Juni 1988 – 1 BvL 9/83 – gekommen. Diese Auffassung wird auch von den ordentlichen Gerichten geteilt (OLG Hamburg, Beschluß vom 27. April 1979, FamRZ 1980,165, 166).

3. Da das Landesarbeitsgericht zu Unrecht die Klage als unzulässig abgewiesen hat, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zurückverwiesen werden. Das Landesarbeitsgericht muß die Versorgungsansprüche überprüfen.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Schaub, Griebeling, Fieberg, Paul-Reichart

 

Fundstellen

Haufe-Index 841005

BAGE, 272

NJW 1991, 2511

RdA 1990, 314

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