Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung wegen Tätigkeit für das MfS (Hochschulforstingenieur

 

Orientierungssatz

Außerordentliche Kündigung eines Hochschulforstingenieurs nach dem Einigungsvertrag wegen Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit (Klage abgewiesen).

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil desLandesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 17. Dezember 1998 - 9 Sa 1165/97 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die der Beklagte auf Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 der Anlage I zum Einigungsvertrag (fortan: Abs. 5 Ziff. 2 EV) stützt.

Der am 17. August 1949 geborene Kläger ist promovierter Hochschulforstingenieur und stand seit 1978 in einem Arbeitsverhältnis zur Staatlichen Forstverwaltung der DDR. Von 1980 bis 1991 war er als Betriebsdirektor beschäftigt. Seit dem 1. Januar 1992 war der Kläger als Angestellter des beklagten Landes in der Funktion eines Sachgebietsleiters Forsteinrichtung im F. Sachsen-Anhalt tätig.

Am 1. Februar 1968 verpflichtete sich der Kläger gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR (MfS) schriftlich zur Mitarbeit. Am 10. November 1981 gab er erneut eine entsprechende Verpflichtungserklärung gegenüber dem MfS ab.

Unter dem 24. Januar 1991 verneinte der Kläger zunächst im Personalfragebogen die Frage nach einer Mitarbeit für das MfS. Mit Schreiben vom 10. September 1991 offenbarte er gegenüber dem damaligen Leiter der Forstverwaltung folgendes:

"..., daß es in meinem bisherigen Leben Berührungen zu den Staatssicherheitsorganen gegeben hat: Ich hatte Kontakte als Schüler der Erweiterten Oberschule und als Student. Aus dem Gedächtnis möchte ich den Zeitraum etwa von 1967 bis 1977 oder 1978 angeben. Ob ich seinerzeit etwas unterschrieben habe, entzieht sich meiner Erinnerung. Sicher bin ich mit dem heutigen Sprachgebrauch als informeller Mitarbeiter geführt worden. Nach meiner Vermittlung vom Studium nach N. wurden die Kontakte nochmals hergestellt. Sie hatten aber seit meinem Einsatz als Betriebsleiter eigentlich nur dienstlichen Charakter. Einige Male im Jahre wurde ich in meinem Büro aufgesucht und zu Problemen des Betriebes befragt. Höchstens 3 - 4mal in all den Jahren habe ich glaube ich auch etwas aufgeschrieben. Für mich waren es dann Leitergespräche mit dieser Dienststelle. Es ging, soweit ich mich erinnere, um Exportprobleme, Diplomatenjagd, Probleme zu militärischen Objekten. Ich möchte aber nicht ganz ausschließen, daß ich dort noch als informeller Mitarbeiter geführt worden bin. ..."

Auf Anfrage teilte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (künftig: BStU) dem Beklagten am 3. Februar 1997 mit, aus den bisher erschlossenen Unterlagen ergäben sich Hinweise auf eine inoffizielle Tätigkeit des Klägers im Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, und zwar als inoffizieller Mitarbeiter (IMS) unter Verwendung der Decknamen "Wolfgang Schäfer", auch "Schäfer" oder "W. Schäfer" von Februar 1968 bis November 1979 und "Winfried Jahns", auch "W. Jahns" und "Wilfried Jahns" von November 1981 bis offen (Auflösung des Staatssicherheitsdienstes). Die Personalakte umfasse 210 Seiten. Die vorliegende Arbeitsakte umfasse 94 Seiten und betreffe lediglich den Zeitraum von 1981 bis 1989. Die Arbeitsakte über den Zeitraum von 1968 bis 1979 sei bisher nicht aufgefunden worden. Nach der Darstellung des Staatssicherheitsdienstes seien dem Kläger während des Armeedienstes Aufträge zur Absicherung des Personalbestandes gegen Fahnenflucht sowie zur Absicherung des VS-Gebietes gegen Geheimnisverrat erteilt worden. Der Kläger habe in mündlicher und schriftlicher Form berichtet. Es lägen zehn handgeschriebene Berichte vor, die mit Decknamen unterzeichnet seien, eine Tonbandabschrift von einem mündlich erstatteten Bericht des Klägers als IMS sowie 32 Treffberichte der Führungsoffiziere und drei Treffberichte über offizielle Zusammentreffen. Der Kläger habe über politische Haltungen und Äußerungen einzelner Personen, deren Kontakte berichtet und dem Staatssicherheitsdienst in Bezug auf einige Personen seines Umfeldes empfohlen, diesen besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

Nach persönlicher Anhörung des Klägers kündigte der Beklagte mit Schreiben vom 22. April 1997, das dem Kläger am 28. April 1997 zuging, das Arbeitsverhältnis unter Berufung auf Abs. 5 Ziff. 2 EV außerordentlich fristlos, hilfsweise wegen der unvollständigen und wahrheitswidrigen Beantwortung der Frage nach einer Zusammenarbeit mit dem MfS ordentlich zum 30. September 1997.

Mit der am 30. April 1997 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit beider Kündigungen geltend gemacht.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dem beklagten Land sei seine weitere Beschäftigung zuzumuten, zumal seine Tätigkeit überwiegend im Wald zu verrichten sei. Er sei auch bereit, in einer niedrigeren Vergütungsgruppe weiterzuarbeiten. Er habe zwar die Verpflichtungserklärungen abgegeben, aber nicht alle ihm im "Gauck-Bericht" angegebenen Einzelberichte selbst gefertigt. Es müsse berücksichtigt werden, daß er mit Schriftsatz vom 14. August 1979 aus freien Stücken von einer Zusammenarbeit mit dem MfS zurückgetreten sei. Zu seinen Gunsten hätte auch gewertet werden müssen, daß er seine Kontakte zum MfS bereits 1991 offenbart und auf eine Übernahme einer Leitungsfunktion verzichtet habe.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 22. April 1997 weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst worden sei.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, das Maß der individuellen Verstrickung des Klägers sei so erheblich, daß ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar sei. Der Kläger sei über einen Zeitraum von mehr als 19 Jahren ohne erkennbaren Zwang für das MfS tätig gewesen. Seine Tätigkeit habe sich durch eine hohe Intensität ausgezeichnet. Die vom Kläger gefertigten Berichte deckten das gesamte klassische Berichtsspektrum einschließlich Personeneinschätzungen ab. Der Kläger sei als Sachgebietsleiter in keiner untergeordneten Position tätig. Damit sei im Hinblick auf das der Verwaltung entgegengebrachte Vertrauen eine weitere Beschäftigung des Klägers im öffentlichen Dienst unzumutbar.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat die Klageabweisung im wesentlichen wie folgt begründet:

Die Kündigung vom 22. April 1997 habe das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos aufgelöst. Die Voraussetzungen des besonderen Kündigungstatbestandes nach Abs. 5 Ziff. 2 EV lägen vor. Der Kläger sei bewußt und gewollt für das MfS tätig geworden. Wegen der von Februar 1968 bis November 1979 und von November 1981 bis zur Auflösung des MfS im Jahre 1989 für das MfS geleisteten Tätigkeit sei eine weitere Beschäftigung des Klägers im öffentlichen Dienst unzumutbar. Der Kläger sei im erheblichen Maß in die Tätigkeit des MfS verstrickt. Hierfür spreche zum einen die Dauer seiner Tätigkeit für das MfS von ca. 18 Jahren. Zum anderen zeichneten sich die schriftlichen Berichte, zumindest zwei, durch die Besonderheit aus, daß er Personen der besonderen Aufmerksamkeit des MfS empfahl. So schließe der Kläger beispielsweise 1982 einen schriftlichen Bericht über eine Person mit den Worten ab: "Persönliche Meinung: Die Sache verdient eine Registrierung. Hier hat jemand gezeigt, daß er alles andere als ein Freund der DDR ist.". Weiter habe der Kläger ua. über einen Fachschulbewerber berichtet, daß dieser kirchliche Bindungen habe, gegen die Rüstung sei und dessen Eltern Wahlverweigerer seien. Abschließend habe der Kläger bemerkt: " ... sollte verstärkt kontrolliert werden. Offensichtlich kämpft hier ein junger Mensch mit Leidenschaftlichkeit als Christ letztendlich für den Gegner.". Eine Delegierung des Betroffenen zum Studium sei nicht erfolgt. Die Besonderheit der Berichte sowie die Treffhäufigkeit sprächen dafür, daß der Kläger aus Sorge um sein berufliches Weiterkommen ein brauchbarer Mitarbeiter des MfS habe sein wollen. Letztlich sei die Tätigkeit des Klägers als IMS lediglich aufgrund des politischen Geschehens im Jahre 1989 beendet worden. Auch der Umstand, daß der Kläger sich im September 1991 als inoffizieller Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes offenbarte und diese Tätigkeit bereut habe, lasse seine Belastung in keinem günstigeren Licht erscheinen. Die Unzumutbarkeit ergebe sich auch aus der gegenwärtigen Tätigkeit als Sachgebietsleiter, die immerhin in die Vergütungsgruppe II a BAT-Ost eingruppiert sei.

Der Beklagte habe sein Kündigungsrecht auch nicht verwirkt. Der Kläger habe im Jahre 1991 die für das MfS geleistete Tätigkeit nicht in vollem Umfang offenbart, sondern als "dienstlich bedingt" bezeichnet. Laut seiner Offenbarung habe es sich bei seinen Gesprächen mit dem MfS um Exportprobleme, die Diplomatenjagd und um Probleme zu militärischen Objekten gehandelt. Erst mit dem Einzelbericht des BStU vom 13. Dezember 1996 sei bekannt geworden, daß der Kläger zielgerichtet über Personen und Sachverhalte berichtet hatte. Damit habe der Einzelbericht neue Umstände zu Tage gebracht, die geeignet gewesen seien und das Land berechtigten, neu über die Ausübung des Kündigungsrechts zu entscheiden.

II. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die außerordentliche Kündigung vom 22. April 1997 hat das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 28. April 1997 aufgelöst.

1. Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers findet der Sonderkündigungstatbestand gem. Abs. 5 Ziff. 2 EV Anwendung. Der Kläger gehörte im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Beitritts dem öffentlichen Dienst der ehemaligen DDR an.

2. Der Kläger war im Sinne von Abs. 5 Ziff. 2 EV für das MfS tätig. Aufgrund seiner Verpflichtungserklärungen vom 1. Februar 1968 und vom 10. November 1981 lieferte der Kläger dem MfS schriftliche und mündliche Berichte. Zwar hat der Kläger die Richtigkeit des Inhalts des Berichts des BStU vom 13. Dezember 1996 bestritten und darauf hingewiesen, daß für den Zeitraum 1968 bis 1979 keine von ihm geschriebenen Berichte vorgelegt wurden. Damit war die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, daß der Kläger "unstreitig" vom 1. Februar 1968 bis November 1979 und vom 10. November 1981 bis 1989 für das MfS tätig war, so nicht richtig. Die auf diesen Widerspruch gerichtete Rüge der Revision hat jedoch keinen Erfolg. Erkennbar wollte das Landesarbeitsgericht lediglich zum Ausdruck bringen, daß die MfS-Tätigkeit in den genannten Zeiträumen aufgrund des vorgelegten BStU-Berichts zur Überzeugung des Gerichts feststehe. Eine Überzeugung, die das Landesarbeitsgericht offenbar auch daraus herleitete, daß der Kläger bei seiner Anhörung vom 21. Februar 1997 nicht ausschloß, Berichte über Personen gefertigt zu haben, wobei er ausdrücklich auch zum Zeitraum nach der ersten Verpflichtungserklärung einräumte, "bis ca. 1977 habe er ohne Zweifel mit dem MfS zusammengearbeitet".

3. Die außerordentliche Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV setzt weiter voraus, daß wegen der Tätigkeit für das MfS ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Ob dies der Fall ist, muß in einer Einzelfallprüfung festgestellt werden. Abs. 5 Ziff. 2 EV ist keine "Mußbestimmung". Nicht jedem, der für das MfS tätig war, ist zu kündigen. Das individuelle Maß der Verstrickung bestimmt über die außerordentliche Auflösbarkeit des Arbeitsverhältnisses. Je größer das Maß der Verstrickung, desto unwahrscheinlicher ist die Annahme, dieser Beschäftigte sei als Angehöriger des öffentlichen Dienstes der Bevölkerung noch zumutbar (vgl. Senatsurteil 11. Juni 1992 - 8 AZR 474/91 -BAGE 70, 309, 320). Beim inoffiziellen Mitarbeiter wird sich der Grad der persönlichen Verstrickung vor allem aus Art, Dauer und Intensität der Tätigkeit sowie aus Zeit und Grund der Aufnahme und der Beendigung der Tätigkeit für das MfS ergeben. Maßgebend ist, ob das Vertrauen der Bürger in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bei Bekanntwerden der Tätigkeit für das MfS in einer Weise beeinträchtigt würde, die das Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar macht.

Ebenfalls bei der Prüfung der Zumutbarkeit zu beachten ist die Art der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer in dem in Frage stehenden Arbeitsverhältnis ausübt. Ob das Vertrauen in die Verwaltung durch die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers erschüttert wird, hängt nicht nur von der Verstrickung des Arbeitnehmers mit dem MfS ab, sondern auch davon, welche Wirkungsmöglichkeiten und Befugnisse der Arbeitnehmer in seinem jetzigen Arbeitsverhältnis hat (BVerfG 8. Juli 1997 - 1 BvR 1934/93 - NJW 1997, 2305, zu C I 2 b der Gründe). Die Beschäftigung eines belasteten Arbeitnehmers mit rein vollziehender Sachbearbeitertätigkeit oder handwerklicher Tätigkeit wird das Vertrauen in die Verwaltung weniger beeinträchtigen als die Ausübung von Entscheidungs- und Schlüsselfunktionen durch einen ebenso belasteten Arbeitnehmer.

Der Frage, ob die frühere Tätigkeit ein Festhalten am jetzigen Arbeitsverhältnis noch zu rechtfertigen vermag, wohnt auch ein zeitliches Element inne. Der Arbeitgeber kann die Kündigung nicht zeitlich unbegrenzt aussprechen. Auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 626 Abs. 2 BGB kann der wichtige Grund nach Abs. 5 Ziff. 2 EV durch bloßen Zeitablauf entfallen, ohne daß die weitergehenden Voraussetzungen der allgemeinen Verwirkung, wie das Vorliegen eines Umstandsmoments, erfüllt sein müßten (vgl. näher Senatsurteil 28. April 1994 - 8 AZR 157/93 - BAGE 76, 334, 340, zu II 3 a bb der Gründe mwN). Der Kündigungsberechtigte darf einen Kündigungsgrund unabhängig von § 626 Abs. 2 BGB nicht beliebig lange zurückhalten, um davon bei ihm gut dünkender Gelegenheit Gebrauch zu machen.

Eine feste Zeitgrenze, ab wann die Unzumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis nicht mehr gegeben ist, besteht nicht. Vielmehr bedarf es einer Abwägung des Zeitablaufs mit dem Gewicht der Kündigungsgründe. Maßgebend sind die konkreten Umstände des Einzelfalles, denn das Erscheinungsbild der Verwaltung wird mitgeprägt von der Zeitdauer, die der frühere MfS-Mitarbeiter nach der Wiedervereinigung unbeanstandet tätig war (Senatsurteil 28. April 1994 aaO).

4. Die vom Landesarbeitsgericht durchgeführte Einzelfallprüfung gelangt zu dem richtigen Ergebnis, daß die MfS-Tätigkeit des Klägers aufgrund ihrer Dauer, der Häufigkeit und ihrer Intensität geeignet ist, die Unzumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis für den Beklagten zu begründen. Dabei hat das Landesarbeitsgericht zu Recht besonders auf einen handgeschriebenen Bericht des Klägers über einen Fachschulbewerber aus dem Jahre 1982 abgestellt, der als Christ kirchliche Bindungen habe, gegen Rüstung sei und verstärkt kontrolliert werden sollte.

Zu Unrecht rügt die Revision, das Landesarbeitsgericht habe den Grundsatz der fairen Prozeßführung verletzt und den Kläger entlastende Umstände nicht ausreichend gewürdigt. So kann entgegen der Auffassung der Revision der Brief des Klägers vom 14. August 1979, wonach er seine Zusage zur MfS-Mitarbeit widerrufen habe, den Kläger nicht entscheidend entlasten. Dieser Widerruf wurde durch die erneute Verpflichtungserklärung vom 10. November 1981 weitgehend entwertet. Der bloße Hinweis des Klägers auf die Einschätzung des MfS vom 5. Dezember 1981, wonach "es zweckmäßig erscheint, diesen Mann nicht fallen zu lassen, sondern ihn systematisch entsprechend seiner Funktion zur Zusammenarbeit zu zwingen, dabei schrittweise zu überzeugen und letztlich als zuverlässigen IM aufzubauen", reicht nicht für die Annahme aus, der Kläger sei über den vom MfS üblicherweise ausgeübten Druck hinaus in besonderer Weise zur Weiterarbeit gezwungen worden, so daß er sich in einer besonderen Not- oder Konfliktlage befunden habe. Auch der Vortrag des Klägers, daß er 2/3 des Arbeitsjahres eine Einzeltätigkeit als Forsteinrichter im Wald ausübe, kann die Beurteilung der Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung nicht entscheidend ändern. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, daß der Kläger als Sachgebietsleiter eine gehobene Position bekleidet, die mit einem erheblichen Maß an Vertrauen der Öffentlichkeit verbunden ist. Das Angebot des Klägers, für den Beklagten zur Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses auch in einer untergeordneten Funktion tätig zu werden, hat für die Wirksamkeit der Kündigung des Klägers als Sachgebietsleiter keinen Einfluß.

5. Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zu folgen, daß dem Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht deshalb zumutbar ist, weil er über Jahre hinweg trotz Kenntnis wesentlicher Umstände das Arbeitsverhältnis fortgesetzt habe. Die Revision übersieht, daß die beim Beklagten erst aufgrund des Berichts des Bundesbeauftragten bekannt gewordenen Einzeltatsachen das Gewicht der Selbstoffenbarung deutlich überschreiten.

a) Im Anwendungsbereich des Sonderkündigungsrechts nach Abs. 5 Ziff. 2 EV ist der Arbeitgeber gehalten, zu einer möglichst raschen Entscheidung über die Fortdauer des Arbeitsverhältnisses mit einem durch seine frühere MfS-Tätigkeit belasteten Arbeitnehmer zu kommen. Denn das Erscheinungsbild der Verwaltung wird mitgeprägt von der Zeitdauer, die der Arbeitnehmer nach der Wiedervereinigung unbeanstandet tätig war (Senatsurteil 28. April 1994 - 8 AZR 157/93 - BAGE 76, 334, 341, zu II 3 a bb der Gründe). Deshalb darf der öffentliche Arbeitgeber nicht generell vor Ausspruch einer Kündigung die Auskunft des Bundesbeauftragten abwarten, sondern muß im Regelfall - bei vollständiger und wahrheitsgemäßer Auskunft - anhand des Ergebnisses der Befragung des Mitarbeiters entscheiden (Senatsurteil 26. Juni 1997 - 8 AZR 449/96 - nv., zu II 4 b der Gründe). Allerdings ist der öffentliche Arbeitgeber nicht gehindert, auch zu einem späteren Zeitpunkt und gerade im Zusammenhang mit einer Auskunft des Bundesbeauftragten außerordentlich zu kündigen, wenn die persönliche Belastung des Arbeitnehmers durch neu bekannt gewordene Umstände in einem anderen Licht erscheint (vgl. Senatsurteil 26. Juni 1997 aaO, zu II 4 c der Gründe; Senatsurteil 11. September 1997 - 8 AZR 14/96 - nv., zu II 2 der Gründe).

Nimmt der öffentliche Arbeitgeber die durch Fragebogen oder auf sonstige Weise erlangte Kenntnis von der MfS-Tätigkeit eines Arbeitnehmers nicht zum Anlaß für eine Kündigung, kann er später keine Kündigung gemäß Abs. 5 Ziff. 2 EV auf die ihm schon bekannten Umstände stützen. Er geht also das Risiko ein, daß er nach Erteilung der Auskunft des Bundesbeauftragten nicht mehr kündigen kann, wenn durch diese nur ein bereits bekannter Sachverhalt bestätigt wird. Bringt jedoch die Auskunft des Bundesbeauftragten neue Umstände zutage, die geeignet sind, die Einschätzung des belasteten Arbeitnehmers zu ändern, kann über die Ausübung des Kündigungsrechts neu entschieden werden. Arbeitnehmer, die nicht bereit waren, ihre Verstrickung mit der Staatssicherheit überhaupt oder dem vollen Umfang nach zu offenbaren, sind nicht allein durch Zeitablauf vor einer möglichen Kündigung geschützt.

b) Die dem Beklagten erst durch die Auskunft des Bundesbeauftragten bekannt gewordenen Umstände ließen die frühere Einschätzung der MfS-Tätigkeit des Klägers in einem anderen Licht erscheinen. So war dem Beklagten aufgrund der Offenbarung des Klägers unbekannt geblieben, daß der Kläger über Weltanschauung, politische Haltungen und Äußerungen einzelner Personen und deren Kontakte berichtete und dem Staatssicherheitsdienst in Bezug auf einige Personen seines Umfelds empfohlen hatte, diesen besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Nach der Offenbarung des Klägers vom September 1991 konnte der Beklagte davon ausgehen, die ab 1981 für das MfS geleistete Tätigkeit habe sich auf den dienstlichen Bereich eines Betriebsleiters beschränkt.

III. Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

Ascheid

Dr. Wittek

Mikosch

Schömburg

Zankl

 

Fundstellen

Dokument-Index HI611094

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