Entscheidungsstichwort (Thema)

Wegfall des Feststellungsinteresses bei vergangenheitsbezogenen Anordnungen des Arbeitgebers. Befristeter Einsatz eines Arbeitnehmers bei einer Tochtergesellschaft. Feststellungsinteresse nach Beendigung der Maßnahme. Prozeßrecht

 

Orientierungssatz

  • Ein rechtliches Interesse an der Feststellung, daß eine zeitlich begrenzte Weisung des Arbeitgebers rechtswidrig war, besteht regelmäßig nur bis zur Beendigung der angeordneten Maßnahme.
  • Wird der Rechtsstreit in einem solchen Fall nicht für erledigt erklärt, muß der Kläger ein fortbestehendes Feststellungsinteresse darlegen. Dazu muß er vortragen, daß sich aus der begehrten Feststellung konkrete Rechtsfolgen für die Gegenwart oder die Zukunft ergeben können.
 

Normenkette

ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 26.05.2000; Aktenzeichen 2 Sa 423/99)

ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 09.11.1998; Aktenzeichen 15 Ca 1121/98)

 

Tenor

  • Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 26. Mai 2000 – 2 Sa 423/99 – in der Kostenentscheidung und insoweit aufgehoben, als es der Klage stattgegeben hat.
  • Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 9. November 1998 – 15 Ca 1121/98 – wird in vollem Umfang zurückgewiesen.
  • Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Befugnis der Beklagten, den Kläger zur Erbringung der Arbeitsleistung an eine ihrer Tochtergesellschaften abzuordnen.

Die Beklagte ist ein Luftfahrtunternehmen. Der Kläger war seit April 1989 in deren Verkehrsfliegerschule in B… als Fluglehrer tätig. Den dazu gehörenden Bereich “Ausbildung und Training fliegendes Personal” übertrug die Beklagte zum 1. Januar 1997 auf ihre neu gegründete Tochtergesellschaft, die L… GmbH. Die bei ihr bisher durchgeführte Ausbildungs- und Trainingstätigkeit gab sie Ende des Jahres 1996 vollständig auf.

Dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die L… hatte der Kläger fristgerecht widersprochen. Daraufhin ordnete die Beklagte am 12. Dezember 1996 schriftlich an, daß der Kläger für das Jahr 1997 zur L… abgestellt und bei dieser als Fluglehrer eingesetzt wird. Mit Schreiben vom 19. Dezember 1997, vom 26. Dezember 1998 sowie vom 23. Dezember 1999 wiederholte sie diese Anordnung für das jeweils nachfolgende Kalenderjahr.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die dauerhafte Abordnung an ein konzernzugehöriges Unternehmen verstoße gegen die Verleihbeschränkungen des AÜG. Sie sei nicht durch das Konzernprivileg des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG gedeckt und unwirksam. Die Beklagte sei verpflichtet, ihn als Copilot zu beschäftigen.

Der Kläger hat zunächst beantragt festzustellen,

  • daß die mit Schreiben der Beklagten vom 19. Dezember 1997 vorgenommene Abstellung/Versetzung des Klägers zur L… GmbH unwirksam ist,
  • daß zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis des Inhalts besteht, daß der Kläger ausschließlich im Liniendienst bei der Beklagten als Copilot, Flotte Boeing 737, mit Einsatz/Dienstort F… einzusetzen ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat der Kläger seinen Antrag zu 1) geändert und zuletzt beantragt festzustellen, daß die mit Schreiben der Beklagten vom 23. Dezember 1999 angeordnete Abstellung/Versetzung zur L… unwirksam ist. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage insoweit stattgegeben und im übrigen die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Beklagte verfolgt mit der für sie vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.

Seit Februar 2001 ist der Kläger fluguntauglich. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete deshalb mit Ablauf des 30. September 2001.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur teilweisen Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung der klageabweisenden Entscheidung des Arbeitsgerichts.

  • Die zulässige Revision ist begründet. Die Feststellungsklage ist im dritten Rechtszug unzulässig geworden. Ihr fehlt das von § 256 Abs. 1 ZPO vorausgesetzte Feststellungsinteresse.

    • Nach dieser Vorschrift erfordert die Zulässigkeit eines Feststellungsantrags ein besonderes rechtliches Interesse des Klägers daran, daß das Rechtsverhältnis durch gerichtliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Verfügt der Arbeitgeber unter Berufung auf sein Weisungsrecht eine Änderung der Arbeitsbedingungen, insbesondere eine Umsetzung, kann sich der Arbeitnehmer hiergegen mit einer Feststellungsklage wenden (BAG 30. August 1995 – 1 AZR 47/95 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 44 mwN). Solange er von der Maßnahme betroffen ist, besteht ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Umfangs seiner Leistungspflicht (BAG 9. Februar 1989 – 6 AZR 174/87 – BAGE 61, 77).

      Der noch rechtshängige Feststellungsantrag betrifft den mit Schreiben vom 23. Dezember 1999 angeordneten Einsatz als Fluglehrer bei der L…. Diese Anordnung war auf das Kalenderjahr 2000 befristet; weitere Anordnungen kommen wegen der zwischenzeitlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr in Betracht. Der Klageantrag bezieht sich demnach auf einen abgeschlossenen Sachverhalt. Er ist auf die Feststellung eines vergangenen Rechtsverhältnisses gerichtet.

    • Ein Interesse an der alsbaldigen Feststellung eines vergangenen Rechtsverhältnisses besteht allerdings nur, wenn sich hieraus konkrete Folgen für die Gegenwart oder Zukunft ergeben (st. Rspr. BAG 23. April 1997 – 5 AZR 727/95 – BAGE 85, 347; 24. September 1997 – 4 AZR 429/95 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Reichsbund Nr. 1 = EzA ZPO § 256 Nr. 48; 17. Oktober 2001 – 4 AZR 720/00 – AP ZPO 1977 § 256 Nr. 65 = EzA ZPO § 256 Nr. 58). § 256 Abs. 1 ZPO dient nicht der gutachterlichen Klärung abstrakter Rechtsfragen (BAG 11. Juni 2002 – 1 ABR 44/01 – zur Veröffentlichung in der Amtl. Sammlung vorgesehen). Es gehört nicht zu den Aufgaben der Gerichte, einer Partei zu bescheinigen, ob sie im Recht war oder nicht (BAG 11. September 2001 – 1 ABR 1/01 – nv.; 11. Dezember 2001 – 1 ABR 9/01 – EzA ZPO § 256 Nr. 61).

      Für eine Feststellungsklage, die ursprünglich auf ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis gerichtet war, gilt nichts anderes. Wird nach Erlöschen des Rechtsverhältnisses die Hauptsache nicht für erledigt erklärt, sondern die Feststellungsklage fortgeführt, bedarf es der Darlegung konkreter Rechtsfolgen für die Gegenwart oder die Zukunft (BAG 21. September 1993 – 9 AZR 580/90 – BAGE 74, 201, 202). Ob diese Voraussetzung vorliegt, hat das jeweils entscheidende Gericht – auch noch in der Revisionsinstanz – von Amts wegen zu prüfen (BAG 23. April 1997 – 5 AZR 727/95 – aaO). Dabei hat das erkennende Gericht den Sachverhalt nicht von Amts wegen zu untersuchen. Vielmehr hat der Kläger die zur Begründung eines fortbestehenden Feststellungsinteresses erforderlichen Tatsachen darzulegen und im Streitfall zu beweisen (BAG 15. Dezember 1999 – 5 AZR 457/98 – AP ZPO 1977 § 256 Nr. 59 = EzA ZPO § 256 Nr. 52).

    • Ein fortbestehendes Feststellungsinteresse hat der Kläger nicht darlegen können. Sein Vorbringen zu seiner beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main anhängigen Schadensersatzklage wegen einer unterbliebenen Ausbildung zum Kapitän auf dem Muster “A 320” reicht hierfür nicht aus. Grundsätzlich kann zwar eine Partei aus Gründen der Prozeßwirtschaftlichkeit die ursprünglich auf die Feststellung eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses aufgewendeten Mühen für die Feststellung eines vergangenen Rechtsverhältnisses verwerten, soweit eine für künftige Verfahren erhebliche Rechtsfrage rechtskräftig geklärt wird (BAG 21. September 1993 – 9 AZR 580/90 – aaO). Das vom Kläger begehrte Feststellungsurteil könnte eine solche Wirkung nicht entfalten.

      • Gegenstand des Antrags ist die Abordnung des Klägers zur L… vom 23. Dezember 1999 für die Dauer des Jahres 2000. Schon vom zeitlichen Ablauf her kann diese Maßnahme nicht ursächlich dafür gewesen sein, daß der Kläger für die Bewerbungen in den Jahren 1997 und 1998 die erforderliche Anzahl von Flugstunden für eine Bewerbung zur Kapitänsausbildung nicht nachweisen konnte.
      • Eine dem Antrag stattgebende Entscheidung würde das Arbeitsgericht deshalb auch nicht nach § 322 ZPO binden. Zwischen den Parteien könnte im anhängigen Verfahren nur festgestellt werden, ob die Abordnung des Klägers für das Jahr 2000 wirksam war oder nicht. Die für das Schadensersatzverfahren maßgeblichen Abordnungen betreffen einen anderen Zeitraum und damit einen anderen Streitgegenstand. Auch wenn sich vergleichbare Rechtsfragen stellten, wäre das Arbeitsgericht nicht an einer eigenständigen Beurteilung dieser Rechtsfragen gehindert. Eine Senatsentscheidung im anhängigen Verfahren hätte lediglich die Wirkung eines Gutachtens. Das Bedürfnis nach der gutachterlichen Beurteilung einer die Parteien interessierenden Rechtsfrage kann ein entsprechendes Feststellungsinteresse jedoch nicht begründen.
  • Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
 

Unterschriften

Schmidt, Dr. Armbrüster, Brühler, Kapitza, G. Helmlinger

 

Fundstellen

Haufe-Index 874898

BB 2003, 587

NZA 2003, 230

AP, 0

EzA-SD 2003, 21

EzA

ArbRB 2003, 79

BAGReport 2003, 283

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