Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Ausschlußfrist. unerlaubte Handlung

 

Normenkette

TVG § 4 Ausschlußfristen; BGB §§ 242, 276, 280, 286, 823 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 29.09.1988; Aktenzeichen 6 Sa 1058/87)

ArbG München (Urteil vom 08.09.1987; Aktenzeichen 14 Ca 14742/86)

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 29. September 1988 – 6 Sa 1058/87 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Beklagte war bei der Klägerin bis zum 31. Dezember 1984 als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien war der Manteltarifvertrag für kaufmännische Angestellte in den bayerischen Betrieben des Groß- und Außenhandels vom 18. Oktober 1982 (MTV) anzuwenden. In § 18 MTV ist geregelt:

  1. „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind gegenüber der Geschäftsleitung oder der von ihr bezeichneten Stelle zunächst mündlich, bei Erfolglosigkeit schriftlich innerhalb der folgenden Fristen geltend zu machen:

    1. Ansprüche wegen Nichtübereinstimmung des ausgezahlten Betrages mit der Entgeltabrechnung bzw. dem Entgeltnachweis: unverzüglich.
    2. Ansprüche wegen fehlerhafter Errechnung des Entgelts oder der Abzüge: 4 Wochen nach Aushändigung der Entgeltabrechnung.
    3. Alle übrigen Ansprüche:

      2 Monate nach Fälligkeit (Urlaub 3 Monate nach Ende des Urlaubsjahres).

    4. Im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses: 2 Monate nach dem Ausscheiden.
  2. Für Ansprüche des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis gegenüber den Arbeitnehmern gelten die Fristen des Abs. 1 sinngemäß.
  3. Die Ansprüche erlöschen, wenn sie nicht vor Ablauf der in Ziff. 1 b – d genannten Fristen schriftlich geltend gemacht worden sind (Ausschlußfristen).
  4. Sind die Ansprüche fristgerecht geltend gemacht, ist ihre Erfüllung aber von der Geschäftsleitung abgelehnt worden oder erklärt sich die Geschäftsleitung innerhalb von 2 Wochen nicht, so muß der Arbeitnehmer, sofern er das Arbeitsgericht anrufen will, nach Ablehnung oder nach Fristablauf innerhalb von 2 Monaten Klage erheben. Geschieht dieses nicht, so erlöschen die Ansprüche.

    Dies gilt auch sinngemäß für Ansprüche des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer.

  5. …”

Mit Schreiben vom 13. November 1984 wies die Klägerin den Beklagten an, der Firma P. und der Firma R. Waren nur mehr gegen Vorauskasse auszuhändigen oder zu liefern. Der Beklagte lieferte den beiden Firmen in der Zeit vom 22. November bis 31. Dezember 1984 Baumaterialien dennoch ohne Vorauskasse. Im Laufe des Jahres 1985 stellte die Klägerin fest, daß beide Kunden zahlungsunfähig und Forderungen von insgesamt 141.417,95 DM nicht mehr zu erlangen waren.

Mit der am 6. Dezember 1986 zugestellten Klage hat die Klägerin den Beklagten auf Schadenersatz in Anspruch genommen, weil er entgegen einer ausdrücklichen Weisung Baumaterialien an zahlungsunfähige Kunden geliefert habe.

Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 141.417,95 DM nebst Zinsen zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Forderung dem Grunde nach bestritten und im übrigen die Auffassung vertreten, daß etwaige Ansprüche wegen tariflicher Ausschlußfristen erloschen seien.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage zu Recht abgewiesen. Sie ist unbegründet.

I. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß etwaigen Ansprüchen der Klägerin aus positiver Forderungsverletzung (§§ 280, 286 BGB) und unerlaubter Handlung (§ 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 266 StGB) die tarifliche Ausschlußfrist entgegensteht.

1. Nach § 18 Ziff. 3 MTV erlöschen Ansprüche des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis, wenn er sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit schriftlich gegenüber dem Arbeitnehmer geltend gemacht hat (§ 18 Ziff. 1 c i.V. mit § 18 Ziff. 2 MTV).

2. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, etwaige Schadenersatzansprüche der Klägerin seien spätestens Ende 1985 fällig geworden. Die Zahlungsrückstände durch Lieferungen an die Firmen R. und P. habe die Klägerin bereits im Januar und Februar 1985 erkannt, wie sich aus den gegen die säumigen Kunden erhobenen Klagen ergebe. Im Laufe des Jahres 1985 habe die Klägerin den Eintritt des Schadens erkannt, weil Zahlungen von den belieferten Firmen wegen deren Vermögenslosigkeit und Auflösung nicht zu erlangen gewesen seien. Die Klägerin hätte zur Wahrung der tariflichen Ausschlußfrist ihre Ansprüche gegen den Beklagten innerhalb von zwei Monaten seit Kenntnis vom Schadenseintritt geltend machen müssen. Das in der Klage enthaltene Verlangen sei verspätet gewesen.

3. Diese Ausführungen lassen keinen Rechtsfehler erkennen.

Stellen Tarifnormen für den Beginn der Ausschlußfristen auf die Fälligkeit des Anspruchs ab, so wird ein Schadenersatzanspruch fällig, sobald der Gläubiger vom Schadensereignis Kenntnis erlangt oder bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt Kenntnis erlangt hätte (BAG Urteil vom 16. Mai 1984 – 7 AZR 143/81 – AP Nr. 85 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Der Schadenersatzanspruch muß in seinem Bestand feststellbar sein und geltend gemacht werden können. Dies ist der Fall, sobald der Geschädigte in der Lage ist, sich den erforderlichen Überblick ohne schuldhaftes Zögern zu verschaffen (BAG Urteil vom 26. Mai 1981 – 3 AZR 269/78 – AP Nr. 71 zu § 4 TVG Ausschlußfristen).

Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kannte die Klägerin spätestens Ende 1985 den Zahlungsausfall, der durch die weisungswidrigen Lieferungen des Beklagten an die zahlungsunfähigen Firmen R. und P. eingetreten ist. Die Klägerin konnte daher zu diesem Zeitpunkt den Schadenersatzanspruch gegen den Beklagten geltend machen. Dies wird auch von der Revision nicht angegriffen. Das anhängige strafrechtliche Ermittlungsverfahren durfte die Klägerin nicht abwarten, da aus diesem keine weitere Aufklärung des Sachverhalts zu erwarten war (vgl. BAG Urteil vom 26. Mai 1981, a.a.O.).

Der Schadenersatzanspruch der Klägerin ist daher spätestens mit Ablauf des 28. Februar 1986 (zwei Monate nach Fälligkeit) verfallen (§ 18 Ziff. 1 c, 2 und 3 MTV).

II. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision greifen nicht durch.

1. Der Revision ist nicht zu folgen, soweit sie den Verfall des Klageanspruchs deshalb verneint, weil der Beklagte nicht nur aus positiver Forderungsverletzung, sondern auch deliktisch aus unerlaubter Handlung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 266 StGB auf Schadenersatz hafte. Als „Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis” im Sinne der Ausschlußklausel des § 18 MTV ist nicht nur der Anspruch aus schuldhafter Verletzung des Arbeitsvertrags, sondern auch der auf demselben Sachverhalt beruhende deliktische Anspruch zu verstehen. Damit wird auch der Schadenersatzanspruch aus unerlaubter Handlung von der Ausschlußfrist des § 18 MTV erfaßt.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zählen zu den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis wegen des einheitlichen Lebensvorgangs nicht nur vertragliche Erfüllungs- und Schadenersatzansprüche, sondern auch solche aus unerlaubter Handlung. Daher rechnen Schadenersatzansprüche wegen unerlaubter Handlungen auch dann zu den von einer tariflichen Ausschlußfrist erfaßten Ansprüchen, wenn der Tarifvertrag die Ausschlußfrist ohne weiteren Zusatz für „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis” regelt (vgl. BAGE 20, 30, 34 = AP Nr. 37 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II 4 der Gründe; BAG Urteil vom 30. September 1970 – 1 AZR 535/69 – AP Nr. 2 zu § 70 BAT, zu 3 b der Gründe; BAGE 24, 125, 128 = AP Nr. 3 zu § 70 BAT, zu I 2 der Gründe; BAG Urteil vom 5. März 1981 – 3 AZR 559/78 – AP Nr. 9 zu § 70 BAT, zu II 1 der Gründe; BAG Urteil vom 26. Mai 1981, a.a.O., zu I 1 b der Gründe).

b) Die Revision kann sich demgegenüber nicht mit Erfolg auf ein Urteil des Vierten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Juni 1967 (– 4 AZR 183/66 – AP Nr. 36 zu § 4 TVG Ausschlußfristen) berufen. Diese Entscheidung folgert aus der unterschiedlich geregelten Verjährung eines Schadenersatzanspruchs aus unerlaubter Handlung und eines vertraglichen Schadenersatzanspruchs, daß die tarifliche Ausschlußfrist für „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis” die Ansprüche aus unerlaubter Handlung nicht umfasse. Dieser Auffassung folgt der Senat nicht. Sie berücksichtigt nicht den Zusammenhang zwischen vertraglichen und deliktischen Ansprüchen im Arbeitsverhältnis. Eine Anrufung des Großen Senats nach § 45 Abs. 2 Satz 1 ArbGG wegen Abweichung von einer Entscheidung des Vierten Senats ist nicht geboten, da die entsprechenden Ausführungen im Urteil des Vierten Senats für dessen Entscheidung nicht tragend sind.

2. Entgegen der Ansicht der Revision ist der Verfall auch nicht dann ausgeschlossen, wenn man das Verhalten des Beklagten als eine deliktische Vorsatztat (Untreue nach § 266 StGB) ansieht.

a) § 18 MTV unterscheidet nicht danach, ob die den Anspruch begründende Handlung vorsätzlich oder fahrlässig geschehen ist.

Der Tarifwortlaut gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß nur bestimmte Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis dem Verfall unterliegen sollen. Deshalb werden von der tariflichen Ausschlußfrist auch Ansprüche erfaßt, die auf vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung beruhen (vgl. BAG Urteil vom 6. Mai 1969 – 1 AZR 303/68 – AP Nr. 42 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; BAG Urteil vom 12. Juli 1972 – 1 AZR 445/71 – AP Nr. 51 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II 1 c der Gründe).

b) Eine solche Tarifauslegung verstößt auch nicht gegen § 276 Abs. 2 BGB. Durch die Anwendung der tariflichen Ausschlußfrist auf Vorsatztaten wird die Haftung des Schuldners nicht im voraus erlassen. Nach § 18 Ziff. 1 c MTV kann der Geschädigte zwei Monate nach Fälligkeit seinen Anspruch geltend machen.

c) Der Anwendung der zweimonatigen Ausschlußfrist auf Ansprüche, die auf vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen beruhen, steht auch nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen (§ 242 BGB). Tarifliche Regelungen unterliegen keiner allgemeinen Billigkeitskontrolle. Tatsachen dafür, daß der Beklagte sich so verhalten hat, daß seine Berufung auf die Ausschlußfrist arglistig wäre, sind nicht festgestellt.

 

Unterschriften

Michels-Holl, Dr. Leinemann, Dr. Wittek, Dr. Walz, Wittendorfer

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1073471

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