Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitspflicht eines Lehrers. Teilnahme an Klassenfahrten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Durchführung von ein- oder mehrtägigen Klassenfahrten gehört zu dem herkömmlichen Berufsbild eines Lehrers.

2. Ein angestellter Lehrer ist auch ohne ausdrückliche Regelung im Arbeitsvertrag grundsätzlich verpflichtet, ein- oder mehrtägige Klassenfahrten durchzuführen.

 

Normenkette

BGB § 611 Abs. 1; SchulOG NW § 1 Abs. 2; SchulMG NW § 3 Abs. 2; SchulOG NW 1 § 1 Abs. 2; SchulMG NW § 5 Abs. 2 Nr. 4

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 18.06.1982; Aktenzeichen 5 Sa 179/82)

ArbG Münster (Entscheidung vom 18.12.1981; Aktenzeichen 1 Ca 615/81)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Verpflichtung des Klägers, als Klassenlehrer oder begleitender Lehrer Klassenfahrten von ein- bis mehrtägiger Dauer durchzuführen.

Der im Jahre 1949 geborene Kläger ist aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 10./23. November 1977 seit dem 22. August 1977 als Lehrer im Angestelltenverhältnis mit einer Unterrichtsverpflichtung von 19 Wochenstunden bei dem beklagten Land beschäftigt. Nach § 3 des Arbeitsvertrages gilt für das Dienstverhältnis der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) mit den Sonderregelungen für Angestellte als Lehrkräfte (SR 2 e BAT) vom 23. Februar 1961 und den diesen ergänzenden und ändernden Tarifverträgen. Der Kläger erhält eine Vergütung entsprechend der VergGr. II a der Anlage 1 a zum BAT. Er ist derzeit am A - Gymnasium in S eingesetzt.

Am 12. Mai 1980 fuhren die Schüler der Sexta des Gymnasiums für eine Woche in das Landheim der Schule. Der Schulleiter verlangte von dem Kläger, welcher der Klassenlehrer war, an der Klassenfahrt als verantwortliche Begleitperson teilzunehmen. Der Kläger weigerte sich unter Hinweis auf die strafrechtlichen und haftungsrechtlichen Konsequenzen, falls einem der Kinder auf der Fahrt etwas zustoßen würde. Aufgrund seiner Weigerung wurde der Kläger zu einem Dienstgespräch beim Schulkollegium in M geladen, wo er eingehend über seine dienstlichen Verpflichtungen, auch im Zusammenhang mit Schullandheimaufenthalten, belehrt wurde. Ihm wurde erklärt, daß er bei einer erneuten Weigerung mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen müsse.

Der Kläger vertritt die Auffassung, er könne mangels gesetzlicher Grundlage und wegen der erheblichen, insbesondere strafrechtlichen und haftungsrechtlichen Risiken nicht verpflichtet werden, an Schulwanderungen oder Schulfahrten teilzunehmen.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß er von dem beklagten

Land nicht verpflichtet werden könne,

Klassenfahrten von ein- bis mehrtägiger

Dauer als Klassenlehrer oder begleiten-

der Lehrer durchzuführen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es vertritt die Auffassung, aus dem Arbeitsvertrag des Klägers ergebe sich nicht allein die Verpflichtung, 19 Wochenstunden Unterricht zu erteilen und einige sonstige "aus der Natur des Unterrichtsauftrages" folgende Aufgaben wahrzunehmen. Vielmehr sei es die gesetzlich verankerte Aufgabe der Schule, Unterricht und Gemeinschaftsleben zu gestalten. Das ergebe sich auch aus der "Einführung in die Allgemeine Schulordnung" gemäß dem Runderlaß des Kultusministers vom 8. November 1978 (GABl. NW S. 491). Erzieher könne nur sein, wer im Geiste der Bildungs- und Erziehungsziele sein Amt ausübe. Mittel auf dem Weg zu diesen Zielen seien gerade auch Schulwanderungen, Schulfahrten, Schullandheimaufenthalte und Studienfahrten. Die Anordnung solcher Veranstaltungen stehe nicht im Belieben der einzelnen Schule oder des einzelnen Lehrers. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 4 des nordrhein- westfälischen Gesetzes über die Mitwirkung im Schulwesen - Schulmitwirkungsgesetz (SchMG) - vom 13. Dezember 1977 (GV.NW S. 448) sei die Planung derartiger Veranstaltungen in die Entscheidungskompetenz der Schulkonferenz gelegt worden, an deren Beschlüsse Schulleiter und Lehrer gemäß § 3 Abs. 2 SchMG grundsätzlich gebunden seien. Dem entspreche der Inhalt der Richtlinien für Schulwanderungen und Schulfahrten im Runderlaß des Kultusministers vom 23. Juli 1980 (GABl.NW S. 413). Im Runderlaß des Kultusministers vom 17. Oktober 1983 (GABl.NW S. 496) sei die Verpflichtung des Lehrers zur Teilnahme klargestellt worden.

Dieser Verpflichtung des Lehrers zur Teilnahme an den Schulfahrten könne nicht die mit der Leitung verbundene Belastung und Verantwortung entgegengehalten werden. Wie bei anderen Berufen innerhalb und außerhalb des öffentlichen Dienstes berge auch der Lehrerberuf Risiken in sich, die nicht mit letzter Sicherheit von vornherein ausgeschlossen werden könnten. Im übrigen werde den an Klassenfahrten teilnehmenden Lehrern voller Rechtsschutz gewährt; wie sich aus den Richtlinien ergebe, seien sie weitgehend vor Haftungsansprüchen gesichert. Würde der Kläger mit seinem Antrag in dessen umfassender und allgemeiner Form durchdringen, so würde sein Verhalten Schule machen. Das wäre dann das Ende jeglicher außerschulischer Veranstaltungen, also auch von Wandertagen, Klassenfahrten, Besichtigungen von Museen und Gedenkstätten, Teilnahme an Sportveranstaltungen außerhalb des Schulgeländes, Besuchen von Naturparks und Freizeitgeländen und dergleichen mehr. Es ergäbe sich eine Verarmung des schulischen Lebens und eine Reduzierung der schulischen Erziehung auf den Schulbetrieb allein unter Verstärkung des "Schulstresses". Allenfalls könne man annehmen, daß im Einzelfall ein Lehrer aus gewichtigen Gründen zur Teilnahme an Klassenfahrten usw. nicht verpflichtet sei.

Schließlich bedürfe es für die Verpflichtung der Lehrer zur Teilnahme an Klassenfahrten nicht einer gesetzlichen Regelung. Das öffentliche Dienstrecht sei vielmehr von dem Grundsatz beherrscht, daß die zum Amtsinhalt des Lehrerberufes gehörenden Tätigkeiten weder tarifvertraglich noch gesetzlich festgelegt würden. Entsprechende Konkretisierungen fänden - wie hier durch die Richtlinien - durch Dienstanweisungen statt.

Der Kläger tritt diesen Ausführungen entgegen. Beschlüsse der Schulkonferenz seien unbeachtlich, da diese Einrichtung nicht Arbeitgeber der Lehrer sei. Zwar würde eine Weigerung eines Lehrers oder einer Mehrzahl von Lehrern die Durchführung von Schulwanderungen und Schulfahrten in das Belieben der Lehrer stellen; demgegenüber sei aber das Interesse des Lehrers, kein unabsehbares Risiko aufgebürdet zu bekommen, höher zu veranschlagen. Die sogenannten "Wanderrichtlinien" seien keine arbeitsrechtliche Grundlage für die Verpflichtung eines Lehrers zur Durchführung von Wanderfahrten. Sie sagten nur darüber etwas aus, wer die Leitung derartiger Veranstaltungen übernehmen solle.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt das beklagte Land seinen Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Sie führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und zur Abweisung der Klage. Der Kläger ist aufgrund seines Arbeitsvertrages grundsätzlich verpflichtet, als Klassenlehrer oder begleitender Lehrer Klassenfahrten von ein- bis mehrtägiger Dauer durchzuführen.

I. Die Klage ist zulässig. In Übereinstimmung mit den Vorinstanzen ist das gemäß § 256 ZP0 erforderliche rechtliche Interesse des Klägers an alsbaldiger Feststellung des Streitverhältnisses zu bejahen.

1. Zwar kann nach § 256 ZP0 nur auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses geklagt werden; bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses werden nicht als zulässiger Streitgegenstand eines Feststellungsbegehrens angesehen (BGHZ 22, 43, 48; BGHZ 68, 331, 332; BAG Urteil vom 28. November 1984 - 5 AZR 123/83 - zur Veröffentlichung bestimmt, unter A I der Gründe). Eine Feststellungsklage muß sich aber nicht notwendig auf das Rechtsverhältnis im ganzen erstrecken; sie kann vielmehr auch - wie vorliegend - einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis betreffen, z.B. bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder den Umfang einer Leistungspflicht (BAG Urteil vom 28. November 1984, aa0, m.w.N.; Senatsurteil vom 12. Dezember 1984 - 7 AZR 509/83 - zur Veröffentlichung vorgesehen, unter I der Gründe; unveröffentlichtes Senatsurteil vom 16. Januar 1985 - 7 AZR 343/82 -, unter I der Gründe).

Der Streit der Parteien geht um die grundsätzliche Verpflichtung des Klägers zur Teilnahme an ein- oder mehrtägigen Klassenfahrten. Während der Kläger jegliche Verpflichtung leugnet, wird sie von dem beklagten Land im Grundsatz bejaht. Das beklagte Land will auch aktuelle Folgerungen aus seinem Rechtsstandpunkt ziehen, nämlich den Kläger auf Klassenfahrten einsetzen; es hat bereits arbeitsrechtliche Konsequenzen bei künftigen Weigerungen des Klägers in Aussicht gestellt. Daher ist das vom Kläger behauptete Recht, nicht an ein- oder mehrtägigen Klassenfahrten teilnehmen zu müssen, durch eine tatsächliche Unsicherheit gefährdet. Ein Feststellungsurteil ist geeignet, den Streit der Parteien über den Inhalt der dem Kläger obliegenden Arbeitspflicht zu bereinigen. Damit ist das rechtliche Interesse an einer alsbaldigen Feststellung gegeben (vgl. BGHZ 69, 144, 147 m.w.N.; Thomas/Putzo, ZP0, 13. Aufl. 1985, § 256 Anm. 5 a, b; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZP0, 43. Aufl. 1985, § 256 Anm. 3 B, C).

2. Der Kläger kann auch nicht wegen der grundsätzlichen Subsidiarität der Feststellungsklage auf eine Leistungsklage in Form der Unterlassungsklage verwiesen werden. Dabei mag dahinstehen, ob eine Unterlassungsklage des Arbeitnehmers gegenüber der Erteilung von Weisungen durch den Arbeitgeber überhaupt sinnvoll wäre. Die Zulässigkeit einer Feststellungsklage ist nämlich trotz der Möglichkeit, Leistungsklage zu erheben, dann zu bejahen, wenn die Durchführung des Feststellungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Prozeßwirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt (BGH MDR 1984, 28 f. = NJW 1984, 1118 f. m.w.N.; Senatsurteil vom 12. Dezember 1984, aa0). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Zudem ist von dem Beklagten als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erwarten, daß er sich einem Feststellungsurteil beugen und den Kläger nicht weiter zu Klassenfahrten heranziehen werde (vgl. nur BGH, aa0, m.w.N.; BAG Urteil vom 26. November 1980 - 4 AZR 1181/78 - BAG 34, 281, 284 = AP Nr. 6 zu § 17 BAT; BAG Urteil vom 24. Februar 1982 - 4 AZR 223/80 - BAG 38, 69, 72 = AP Nr. 7 zu § 17 BAT).

3. Der Klageantrag ist auch hinreichend bestimmt. Aus dem Antrag des Klägers ("ein- bis mehrtägige Dauer") und seinem Sach- und Rechtsvortrag ergibt sich, daß er mit Klassenfahrten a l l e Schulwanderungen und Schulfahrten im Sinne der genannten Runderlasse einschließlich der Unterrichtsgänge und Unterrichtsfahrten (vgl. Runderlaß vom 23. Juli 1980, aa0, unter A 1.2 und 1.3 sowie Runderlaß vom 17. Oktober 1983, aa0, unter A 1) erfaßt wissen will. So haben auch die Vorinstanzen den Antrag verstanden, ohne daß sich der Kläger hiergegen gewandt hätte. Insofern war die Auseinandersetzung um den Schullandheimaufenthalt im Mai 1980 nur der Anlaß für den weitergehenden Streit um alle Arten von Klassenfahrten. Hinreichend bestimmt ist es auch, wenn der Kläger die Feststellung begehrt, nicht zur Teilnahme "als Klassenlehrer oder begleitender Lehrer" verpflichtet zu sein. Er leugnet damit eine Verpflichtung unabhängig davon, ob er Klassenlehrer der betreffenden Klasse ist oder nicht.

II. Die Klage ist aber nicht begründet. Der Kläger ist nach seinem Arbeitsvertrag im Grundsatz verpflichtet, als Klassenlehrer oder begleitender Lehrer Klassenfahrten von ein- bis mehrtägiger Dauer durchzuführen.

1. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung - teilweise unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils - ausgeführt, weder aus gesetzlichen Vorschriften noch aus den Wanderrichtlinien lasse sich die vom beklagten Land angenommene Rechtsfolge herleiten. Es könne davon ausgegangen werden, daß es zur Zuständigkeit der Schulkonferenz gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 4 SchMG gehöre, auch über Klassen- und Wanderfahrten zu entscheiden. Daraus wie aus den Wanderrichtlinien könne nur entnommen werden, daß Klassen- und Wanderfahrten zu den von den Schulen angebotenen Veranstaltungen gehörten. Diese Regelungen gäben aber nichts für die Frage her, ob nach dem Inhalt des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrages der Kläger verpflichtet sei, Klassenfahrten von ein- bis mehrtägiger Dauer als Klassenlehrer oder begleitender Lehrer durchzuführen. Eine solche Verpflichtung lasse sich nicht ausdrücklich aus dem schriftlichen Arbeitsvertrag und den in Bezug genommenen tarifvertraglichen Vorschriften des BAT und der SR 2 e BAT entnehmen. Aus dem Vertrag ergebe sich demgemäß die Hauptpflicht des Klägers, 19 Unterrichtsstunden pro Woche zu unterrichten, die dafür erforderlichen Vor- und Nacharbeiten durchzuführen, Aufsichtstätigkeiten auf dem Schulgelände auszuüben, an Konferenzen teilzunehmen und Sprechstunden für Eltern abzuhalten. Zudem seien Runderlasse eines Arbeitgebers des öffentlichen Dienstes grundsätzlich nur interne Verwaltungsanweisungen, die keinen normativen Charakter hätten und demgemäß das Arbeitsverhältnis nicht unmittelbar gestalten könnten. Das könne nur dann anders sein, wenn der Inhalt eines solchen Runderlasses ausdrücklich oder stillschweigend zum Inhalt des Einzelarbeitsvertrages gemacht werde. Gerade dies sei nicht geschehen.

Für die Annahme einer betrieblichen Übung über die Verpflichtung der Lehrer, Klassenfahrten und Klassenwanderungen zu leiten oder zu begleiten, fehle es an der tatbestandlichen Voraussetzung. Denn es liege keine einheitliche, verbindliche Regelung der in Rede stehenden Veranstaltungen, darüber hinaus aber auch keine Zustimmung der Betroffenen vor.

2. Diese Ausführungen halten einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat verkannt, daß die Durchführung von ein- oder mehrtägigen Klassenfahrten zu den typischen Aufgaben eines Lehrers gehören und daher keiner ausdrücklichen Erwähnung im Arbeitsvertrag bedürfen.

a) Der zwischen den Parteien abgeschlossene Formulararbeitsvertrag ist ein sog. typischer Arbeitsvertrag, der der vollen Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt, weil er Vertragsbedingungen enthält, die in gleicher Weise für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen bestimmt sind. Das Revisionsgericht kann einen sog. typischen Arbeitsvertrag selbst frei auslegen; es ist nicht auf die Prüfung beschränkt, ob die Auslegung der Tatsachengerichte gegen Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstößt oder wesentliche Umstände außer acht läßt (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. etwa BAG 4, 340 = AP Nr. 7 zu § 1 TOA; BAG 5, 122 = AP Nr. 31 zu § 3 TOA; BAG 8, 91, 96 f. = AP Nr. 1 zu § 305 BGB, zu III der Gründe; Urteil vom 1. März 1972 - 4 AZR 200/71 - AP Nr. 11 zu § 242 BGB Betriebliche Übung).

b) Der Kläger ist nach § 1 des Arbeitsvertrages als "Lehrer im Angestelltenverhältnis" eingestellt, und zwar nach § 2 des Arbeitsvertrages mit einer Pflichtstundenzahl von 19 Unterrichtsstunden. Der Arbeitsvertrag enthält keine Festlegung der vom Kläger als Lehrer wahrzunehmenden Aufgaben. Bei einer derartigen Sachlage bezieht sich die einem Lehrer gemäß § 611 Abs. 1 BGB obliegende Arbeitspflicht nicht nur auf die Erteilung der im Arbeitsvertrag festgelegten Unterrichtsstunden, sondern umfaßt alle Dienstleistungen, die üblicherweise mit der Aufgabenstellung eines Lehrers an einer allgemeinbildenden Schule verknüpft sind. Hierzu gehören grundsätzlich auch die Vorbereitung und Durchführung von ein- oder mehrtägigen Klassenfahrten.

aa) Die Aufgabenstellung einer allgemeinbildenden Schule erschöpft sich nicht in der Vermittlung von spezifischem Fachwissen in den einzelnen Unterrichtsfächern. Der Erziehungsauftrag der allgemeinbildenden Schulen erstreckt sich vielmehr auch darauf, die Schüler durch entsprechende schulische Veranstaltungen in ihrem sozialen Verhalten unter Beachtung der in den Schulgesetzen der Länder festgelegten Erziehungszielen zu beeinflussen. Als Erziehungsziel ist in § 1 Abs. 2 des Ersten Gesetzes zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen - SchOG - vom 8. April 1952 (GS.NW S. 430) festgelegt, bei den Schülern "Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken". Um diesem Erziehungsauftrag gerecht werden zu können, bedarf es der Mitwirkung der Lehrer bei der Vorbereitung und Durchführung schulischer Veranstaltungen, die von ihrer Aufgabenstellung her dazu geeignet sind, das soziale Verhalten der Schüler auch außerhalb des planmäßigen Unterrichts zu fördern. Klassenfahrten von ein- oder mehrtägiger Dauer sind derartige schulische Veranstaltungen, bei denen der Erziehungsauftrag der Schule außerhalb des planmäßigen Unterrichts verwirklicht werden soll. Die Vorbereitung und Durchführung derartiger schulischer Veranstaltungen (z.B. Schulwanderungen, Klassenfahrten, Schullandheimaufenthalte, Studienfahrten) gehören zu den erzieherischen Aufgaben eines Lehrers, ohne daß es hierzu einer ausdrücklichen Erwähnung im Arbeitsvertrag bedarf.

bb) Das Landesarbeitsgericht hat zwar zutreffend angenommen, daß die Schulgesetze des Landes Nordrhein-Westfalen eine Verpflichtung des Lehrers zur Teilnahme an ein- oder mehrtägigen Klassenfahrten nicht ausdrücklich regeln. Die einschlägigen Bestimmungen (§ 5 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 3 des Gesetzes über die Mitwirkung im Schulwesen - SchMG - vom 13. Dezember 1977, GV.NW S. 448; § 1 Abs. 4 Satz 2 SchOG) setzen aber das Bestehen einer entsprechenden Dienstleistungspflicht der angestellten Lehrer voraus.

Nach § 5 Abs. 2 Nr. 4 SchMG entscheidet die Schulkonferenz im Rahmen des § 3 über die Planung von Veranstaltungen der Schule außerhalb des planmäßigen Unterrichts. Zu diesen Veranstaltungen zählen auch Schulwanderungen und Schulfahrten (vgl. Petermann, SchMG, 10. Aufl., § 5, S. 97; Tiebel/Mombaur, Die Schulmitwirkung in Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl., § 5 SchMG Anm. zu Abs. 2 Nr. 4). Die der Schulkonferenz übertragene Planungskompetenz wäre hinsichtlich der angestellten Lehrer sinnlos, wenn diese Lehrergruppe bereits grundsätzlich nicht verpflichtet wäre, die von der Schulkonferenz geplanten schulischen Veranstaltungen durchzuführen. In § 3 Abs. 2 SchMG ist darüber hinaus bestimmt, daß die Lehrer die Schüler in Freiheit und Verantwortung im Rahmen der Konferenzbeschlüsse unterrichten und erziehen. Auch aus der zuletzt genannten Vorschrift geht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, daß der Gesetzgeber nicht nur von der Verpflichtung des Lehrers zur Unterrichtserteilung, sondern - bei angestellten Lehrern - auch von dem Bestehen einer arbeitsvertraglich geschuldeten Erziehungspflicht des Lehrers im Rahmen der Durchführung von schulischen Veranstaltungen außerhalb des planmäßigen Unterrichts ausgeht.

Für eine Zuordnung der hier streitigen Verpflichtung zum arbeitsvertraglich geschuldeten typischen Aufgabenbereich eines Lehrers spricht auch die Vorschrift des § 1 Abs. 4 SchOG, in der bestimmt ist, daß "Unterricht und Gemeinschaftsleben der Schule so zu gestalten sind, daß sie zu fähiger und verständnisvoller Anteilnahme am öffentlichen Leben vorbereiten". Zum "Gemeinschaftsleben" einer allgemeinbildenden Schule gehört die Durchführung von ein- oder mehrtägigen Klassenfahrten als fester Bestandteil des schulischen Lebens.

cc) Dem Landesarbeitsgericht ist darin zuzustimmen, daß sich eine unmittelbare Verpflichtung des Klägers zur Teilnahme an Klassenfahrten nicht aus den einschlägigen Runderlassen des Kultusministers (sog. Wanderrichtlinien) ergibt. Zwar heißt es im Runderlaß vom 17. Oktober 1983 (GABl.NW S. 496) unter A 3.1, die Teilnahme an Schulwanderungen und Schulfahrten gehöre zu den dienstlichen Aufgaben des Lehrers. Die Leitung übernehme, insbesondere bei mehrtägigen Veranstaltungen, grundsätzlich der Klassenlehrer, soweit nicht wegen des besonderen Charakters der Veranstaltung die Leitung einem anderen Lehrer (Fachlehrer) übertragen werde. Sei einem Lehrer die Leitung und Teilnahme aus gesundheitlichen oder anderen zwingenden Gründen nicht zuzumuten, so könne der Schulleiter einen anderen Lehrer, der dazu bereit sei, beauftragen. Im Runderlaß vom 23. Juli 1980, welcher den Runderlaß vom 18. Juli 1974 (GABl.NW S. 419) neu gefaßt hat, hieß es noch - weniger deutlich - unter A 2.31, die Schulwanderung oder Schulfahrt leite grundsätzlich der Klassenlehrer. In Ausnahmefällen könne der Schulleiter im Benehmen mit dem Klassenlehrer einen anderen Lehrer, der dazu bereit sei, mit der Leitung beauftragen.

Derartige Runderlasse haben als Verwaltungsanordnungen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine unmittelbare zivil- und arbeitsrechtliche Bedeutung. Sie können Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer nicht begründen (Urteil vom 30. September 1970 - 4 AZR 343/69 - AP Nr. 34 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; Urteil vom 25. November 1970 - 4 AZR 69/69 - BAG 23, 83, 90 = AP Nr. 2 zu §§ 22, 23 BAT Lehrer; Urteil vom 13. Dezember 1972 - 4 AZR 147/72 - AP Nr. 37 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, unter 1 der Gründe; Urteil vom 31. Januar 1973 - 4 AZR 258/72 - AP Nr. 4 zu §§ 22, 23 BAT Lehrer; Urteil vom 26. Februar 1975 - 4 AZR 225/74 - AP Nr. 84 zu §§ 22, 23 BAT; Urteil vom 19. März 1975 - 4 AZR 265/74 - AP Nr. 85 zu §§ 22, 23 BAT; Urteil vom 19. September 1979 - 4 AZR 887/77 - BAG 32, 105, 112 f. = AP Nr. 2 zu § 11 SchwbG; Urteil vom 30. Januar 1980 - 4 AZR 1098/77 - AP Nr. 6 zu §§ 22, 23 BAT Lehrer; Urteil vom 12. April 1984 - 2 AZR 348/82 - unveröffentlicht, unter B II 3 a der Gründe). Da hier aber bereits aufgrund des Arbeitsvertrages die grundsätzliche Verpflichtung zur Teilnahme an ein- oder mehrtägigen Klassenfahrten besteht, haben die oben bezeichneten Runderlasse nur die Bedeutung, diese allgemeine Verpflichtung näher zu konkretisieren.

c) Der Streitfall erfordert keine Stellungnahme zu der Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Kläger im Einzelfall die Durchführung einer ein- oder mehrtägigen Klassenfahrt (z.B. aus gesundheitlichen oder familiären Gründen) verweigern kann.

Dem Kläger geht es im vorliegenden Rechtsstreit um die Klärung der Frage, ob er grundsätzlich dazu verpflichtet ist, an ein- oder mehrtägigen Klassenfahrten als Klassenlehrer oder begleitender Lehrer teilzunehmen. Das Bestehen einer derartigen Dienstleistungspflicht ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag, denn es gehört, wie oben unter II 2 b der Gründe bereits ausgeführt worden ist, zu dem herkömmlichen Berufsbild des Lehrers, gelegentlich ein- oder mehrtägige Klassenfahrten durchzuführen.

Der Hinweis des Klägers auf die damit verbundenen strafrechtlichen und haftungsrechtlichen Risiken ist nicht dazu geeignet, das Bestehen einer grundsätzlichen Verpflichtung der hier streitigen Art zu verneinen. Es gibt eine Reihe von Berufen (z.B. Ärzte, ärztliches Hilfspersonal, Berufskraftfahrer), mit deren Ausübung erhöhte strafrechtliche und haftungsrechtliche Risiken verbunden sind. Hieraus kann aber grundsätzlich keine gegenstandliche Einschränkung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung hergeleitet werden. Dies schließt allerdings nicht aus, daß der Kläger ausnahmsweise Klassenfahrten mit einem besonderen strafrechtlichen und haftungsrechtlichen Gefährdungsrisiko (z.B. schwierige Gebirgstouren) im Einzelfall ablehnen kann.

III. Wegen der zu bejahenden grundsätzlichen arbeitsvertraglichen Verpflichtung des Klägers zur Teilnahme an ein- oder mehrtägigen Klassenfahrten war die Klage demgemäß unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile kostenpflichtig abzuweisen (§ 91 Abs. 1 ZP0).

Dr. Seidensticker Roeper Dr. Becker

Neumann Dr. Sponer

 

Fundstellen

Haufe-Index 441290

BAGE 48, 327-337 (LT1-2)

BAGE, 327

NJW 1986, 213

NJW 1986, 213-214 (LT1-2)

BlStSozArbR 1985, 306-306 (T)

JR 1986, 440

AP Nr 48 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten (LT1-2)

DÖD 1985, 225-226 (LT1-2)

EzA § 611 BGB, Nr 27

MDR 1985, 960-960 (LT1-2)

RiA 1986, 9-10 (T)

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