Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristlose Kündigung eines Betriebsratsvorsitzenden vor Eintritt der formellen Rechtskraft des LAG-Ersetzungsbeschlusses

 

Leitsatz (redaktionell)

Bestätigung des Senatsurteils vom 25. Januar 1979 – 2 AZR 983/77BAGE 31, 253 = AP Nr. 12 zu § 103 BetrVG 1972

 

Normenkette

BetrVG § 103; KSchG § 15

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 16.03.1989; Aktenzeichen 4 Sa 8/89)

ArbG Berlin (Urteil vom 01.12.1988; Aktenzeichen 27 Ca 306/88)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das am 16. März 1989 verkündete Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin – 4 Sa 8/89 – aufgehoben.

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 1. Dezember 1988 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Berlin – 27 Ca 306/88 – abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit März 1977 als Bereitstellungsgruppenleiter gegen eine Vergütung von 3.800,– DM brutto pro Monat tätig; er ist seit einigen Jahren freigestellter Vorsitzender des für den Betrieb der Beklagten gewählten Betriebsrats.

Der mit Schreiben vom 27. September 1988 dem Kläger ausgesprochenen fristlosen Kündigung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Seit dem 20. März 1987 erschien der damalige stellvertretende Betriebsratsvorsitzende bei der Beklagten, Herr I., krankheitsbedingt nicht zur Arbeit. Ein entsprechendes ärztliches Attest erhielt die Beklagte erst am 25. März 1987. Am gleichen Tage erteilte die Beklagte deswegen Herrn I. eine schriftliche Abmahnung. In einem vor dem Arbeits- und Landesarbeitsgericht Berlin geführten Rechtsstreit verlangte der Arbeitnehmer I. die Entfernung dieser Abmahnung aus seiner Personalakte. In diesem Rechtsstreit behauptete der Arbeitnehmer I. u.a., er hätte bereits am frühen Morgen des 20. März 1987 den Kläger telefonisch von seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit unterrichtet und ihn gebeten, dem stellvertretenden Produktionsleiter, dem Zeugen E., hiervon Kenntnis zu geben. Der Kläger hätte unverzüglich dieser Bitte entsprochen und diese Information an den Zeugen E. weitergegeben.

Über die streitige Behauptung des Arbeitnehmers I. erhob das Arbeitsgericht Berlin im genannten Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 1987 Beweis durch Vernehmung des Zeugen E. und des Klägers. Während der Zeuge E. bekundete, der Kläger habe überhaupt nicht mit ihm über eine Erkrankung des Arbeitnehmers I. am 20. März 1987 gesprochen, sagte der Kläger vor dem Arbeitsgericht Berlin als Zeuge aus, Herr E. sei am 20. März 1987 im Betriebsratsbüro erschienen und habe sich nach dem Arbeitnehmer I. erkundigt; daraufhin hätte er, der Kläger dem Zeugen E. im Betriebsratszimmer unter vier Augen mitgeteilt, daß I. krank sei.

Nachdem am 26. Oktober 1987 bei der Beklagten das Sitzungsprotokoll der arbeitsgerichtlichen Verhandlung mit den beiden protokollierten, sich einander widersprechenden Zeugenaussagen einging, versuchte die Beklagte, den Sachverhalt zu klären und hörte den Kläger am 31. Oktober 1987 zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen an; dieser erklärte, daß er bei seiner Aussage – wie im arbeitsgerichtlichen Protokoll festgehalten – bleibe. Am gleichen Tag begehrte die Beklagte die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Klägers. Dieses Zustimmungsverlangen lehnte der Betriebsrat mit Schreiben vom 2. November 1987 ab. Die Beklagte leitete daraufhin am 5. November 1987 beim Arbeitsgericht. Berlin das gerichtliche Ersetzungsverfahren ein; während das Arbeitsgericht den Antrag zurückwies, ersetzte das Landesarbeitsgericht Berlin durch Beschluß vom 29. August 1988 – 9 TaBV 4/88 – die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers, ohne die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung zuzulassen. Diese Entscheidung wurde der Beklagten am 26. September 1988 zugestellt. Nach einer vorhergehenden fristlosen Kündigung vom 5. September 1988, die inzwischen rechtskräftig für unwirksam erklärt worden ist, erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 27. September 1988, das am gleichen Tage der Kläger überleben wurde, die streitgegenständliche Kündigung. Am gleichen Tag legte der Betriebsrat der Beklagten im Verfahren – 9 TaBV 4/88 – Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht ein, die mit Beschluß vom 8. Dezember 1988 – 2 ABN 37/88 – als unzulässig verworfen worden ist.

Mit der beim Arbeitsgericht Berlin am 3. Oktober 1988 eingegangenen Klage werdet sich der Kläger gegen die Kündigung vom 27. September 1988 und macht geltend, diese sei bereits deswegen unwirksam, weil der Zustimmungsersetzungsbeschluß des Landesarbeitsgerichts Berlin zur Zeit der Kündigung noch nicht rechtskräftig und die Nichtzulassungsbeschwerde des Betriebsrats jedenfalls nicht offensichtlich unstatthaft gewesen sei. Im übrigen bleibe er dabei, daß er in der Verhandlung vom 15. Oktober 1987 in Sachen I. ./. Fa. L. S. GmbH die Wahrheit gesagt habe.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß sein Arbeitsverhältnis bei der Beklagten nicht durch die fristlose Kündigung vom 27. September 1988 aufgelöst werde, sondern fortbestehe.

Die Beklagte hat mit ihrem Klageabweisungsantrag unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25. Januar 1979 (BAGE 31, 253 = AP Nr. 12 zu § 103 BetrVG 1972) die Auffassung vertreten, die Kündigung habe bereits vor Eintritt der formellen Rechtskraft ausgesprochen werden können, da sich aus den Gründen der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 29. August 1988 ergebe, daß eine Nichtzulassungsbeschwerde offensichtlich unzulässig sei. Wolle man entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf den Eintritt der formellen Rechtskraft des Ersetzungsbeschlusses abstellen, so werde dem Betriebsrat bzw. dem zu kündigenden Arbeitnehmer gestattet, den Arbeitgeber durch Einlegung einer offensichtlich aussichtslosen Nichtzulassungsbeschwerde entgegen dem Inhalt des Ersetzungsbeschlusses zu zwingen, die außerordentliche Kündigung noch weiter hinauszuschieben. Die Kündigung als solche sei auch rechtswirksam; dies ergebe sich bereits aus der Präklusionswirkung der Ersetzung der Zustimmung zur fristlosen Kündigung durch das Landesarbeitsgericht. Im übrigen sei der Kläger am 11. Oktober 1988 inzwischen vom Amtsgericht T. wegen vorsätzlicher uneidlicher Falschaussage zu 90 Tagessätzen a 60,– DM verurteilt worden; auch in zweiter Instanz sei gegen den Kläger eine Geldstrafe festgesetzt worden.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Feststellungsantrag des Klägers erkannt; die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die nach der gerichtlichen Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates ausgesprochene Kündigung ist wirksam, § 103 BetrVG, § 15 KSchG, § 626 BGB.

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:

Die fristlose Kündigung vom 27. September 1988 scheitere an §§ 15 KSchG, 103 BetrVG, 134 BGB, weil für den Kläger als Betriebsratsvorsitzenden die fehlende Zustimmung des Betriebsrats noch nicht wirksam durch das Gericht ersetzt worden sei. Zwar sei die Kündigung erst nach Zustellung des Ersetzungsbeschlusses des Landesarbeitsgerichts vom 29. August 1988 ausgesprochen worden, der Betriebsrat habe aber Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht gegen diese Entscheidung eingelegt, so daß vor Rechtskraft des Ersetzungsbeschlusses die Kündigung nicht wirksam habe ausgesprochen werden können. Allerdings habe das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 25. Januar 1979 – 2 AZR 983/77BAGE 31, 253 = AP Nr. 12 zu § 103 BetrVG 1972) die Aussichtslosigkeit einer weiteren Rechtsverfolgung durch Nichtzulassungsbeschwerde der aus der Rechtskraft folgenden Unanfechtbarkeit gleichgesetzt; nach Änderung der Revisionsvorschriften aufgrund der Arbeitsgerichts-Novelle vom 1. Juli 1977 könne an dieser Auffassung jedoch nicht festgehalten werden. Denn in § 72 a Abs. 5 Satz 6 ArbGG werde nunmehr ausdrücklich geregelt, wann der Ersetzungsbeschluß rechtskräftig werde, nämlich erst mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundesarbeitsgericht. Zum anderen überzeuge die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht, weil es zu einer unerwünschten Rechtsunsicherheit führe, wenn die Zulässigkeit einer Kündigung von der Beurteilung der Aussichten der Nichtzulassungsbeschwerde durch die Parteien abhängig gemacht werde; das Gebot der Rechtssicherheit verdiene den Vorrang vor der Möglichkeit, daß bei Verweigerung der Zustimmung durch den Betriebsrat unter Ausschöpfung aller Rechtsmittel das Ersetzungsverfahren in die Länge gezogen werde, um so den Ausspruch einer Kündigung zu verhindern. Auch die vom Bundesarbeitsgericht gebildete Parallele in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Notwendigkeit der rechtzeitigen Anbringung einer Verfassungsbeschwerde bei Einlegung eines offensichtlich unzulässigen Rechtsmittels überzeuge nicht, weil dort allein der Revisionsführer vor der Entscheidung stehe, die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels zu prüfen, während im anstehenden Fall Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich hierüber Gedanken machen müßten, was erhebliche Folgen nach sich ziehe. Schließlich greife der Hinweis auf § 713 ZPO nicht; zwar beruhe diese Vorschrift auf der Erwägung, daß die Vollstreckungswirkung eines Urteils nicht wegen einer abstrakten, formalen Rechtsmittelmöglichkeit eingeschränkt werden solle. Die Entscheidung, ob ein Rechtsmittel in Betracht komme, werde dort jedoch nicht von der Bewertung der Parteien abhängig gemacht, sondern obliege allein dem Gericht.

II. Dieser Würdigung kann nicht gefolgt werden. Vielmehr hält der Senat nach Überprüfung an der in Urteil vom 25. Januar 1979 (BAGE 31, 253 = AP, aaO) vertretenen Auffassung fest.

1. Mit der vom Kläger (und dem Landesarbeitsgericht) angegriffenen Entscheidung vom 25. Januar 1979 hat der Senat in der nach § 15 KSchG entscheidungserheblichen Frage, wann die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung des Betriebsrats „durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist”, einen Lösungsweg gefunden, mit dem auf der einen Seite durch die grundsätzlich aufgestellte Voraussetzung der Rechtskraft der Erseztzungsentscheidung dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit entsprochen wird. Auf der anderen Seite soll – und das gilt ausnahmslos für Fälle, in denen dem Arbeitgeber ein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist im Ersetzungsverfahren gerichtlich bestätigt wird – dem betreffenden Arbeitnehmer die Möglichkeit verwehrt werden, durch eine aussichtslose Nichtzulassungsbeschwerde den Ausspruch der Kündigung durch den Arbeitgeber über Gebühr hinauszuzögern.

2. An den für diese Lösung sprechenden Gründen ist auch im Hinblick auf die abweichende Meinung des Landesarbeitsgerichts festzuhalten, zumal die Entscheidung des Senats vom 25. Januar 1979 (aaO) – soweit ersichtlich – im Schrifttum überwiegend Zustimmung gefunden hat (so KR-Etzel, 3. Aufl., § 103 BetrVG Rz 135, Grunsky, Anm. zu AP Nr. 12 zu § 103 BetrVG 1972; Stahlhacke, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 4. Aufl., Rz 788, Fußn. 168; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., 103 Rz 26; Stege/Weinspach, BetrVG, 5. Aufl., § 103 Rz 14; Bopp, Beteiligung des Betriebsrats bei Kündigungen, 1979, IX, 3, S. 66; Meisel, Die Mitwirkung und Mitbestimmung des Betriebsrates in personellen Angelegenheiten, 5. Aufl., Rz 692; ohne Stellungnahme: Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, 2. Aufl., § 103 Rz 38; kritisch: Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 103 Rz 29; Mareck, BB 1986, 1082, 1084). Zweifel, die vorliegend nicht abschließend zu klären sind, werden im wesentlichen nur zur Auffassung des Senats geäußert, der Arbeitgeber sei nicht nur berechtigt, sondern gehalten, nach Zustellung des Beschlusses des Landesarbeitsgerichts, der die Zustimmung des Betriebsrates ersetzt oder diese Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt, ohne die Rechtsbeschwerde zuzulassen, nunmehr unverzüglich die Kündigung auszusprechen.

a) Das Argument, aufgrund der Neuregelung des Revisionsrechts aus Anlaß der sog. Beschleunigungsnovelle vom 1. Juli 1979 habe sich etwas geändert, trifft nicht zu. Tatsächlich hat sich nämlich mit dem Wegfall der früheren Divergenzrechtsbeschwerde und der Schaffung der Nichtzulassungsbeschwerde in dem hier interessierenden Zusammenhang sachlich nichts geändert (ebenso Grunsky, aaO). Zwar bestimmt jetzt § 72 a Abs. 5 Satz 6 ArbGG ausdrücklich, mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundesarbeitsgericht werde das Urteil bzw. der Beschluß (§ 92 a Satz 2 ArbGG) rechtskräftig. Davon ist jedoch der Senat auch ohne ausdrückliche Bestimmung nach der früheren Regelung im Beschlußverfahren nach dem Betriebsverfassungsgesetz ausgegangen (BAGE 31, 253, 259 = AP, aaO, zu I 2 b der Gründe). Die Lösung des Problems bestand gerade darin, vor Eintritt der formellen Rechtskraft von einer Unanfechtbarkeit der Ersetzungsentscheidung auszugehen, wenn die gleichwohl mögliche Nichtzulassungsbeschwerde offensichtlich unzulässig war. Daß der Gesetzgeber mit der Beschleunigungsnovelle dem etwa entgegenwirken wollte, ist den Gesetzesmaterialien zur fraglichen Regelung, die vom Regierungsentwurf bis zur endgültigen Fassung des Gesetzes in diesem Punkt unverändert geblieben ist, nicht zu entnehmen. Dem Gesetzgeber ging es vielmehr lediglich darum, die Nichtzulassungsbeschwerde des neuen Arbeitsgerichtsgesetzes in ihrer verfahrensmäßigen Gestaltung in den Absätzen 2 bis 5 des jetzigen § 72 a ArbGG an die Verfahrensordnungen anzugleichen, die auch bisher schon diese Regelung kannten, wie z.B. § 160 a SGB, § 132 VWGO (so ausdrücklich Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Beschleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, BR-Drucks. 4/78 vom 6. Januar 1978, zu Nummer 48, S. 35, 36). Von dieser rechtlichen Situation war aber der Senat in seiner Entscheidung vom 25. Januar 1979 bereits ausgegangen.

b) Ferner verdient die Argumentation zur Verfassungsbeschwerde-Entscheidung (§§ 90, 93 Bundesverfassungsgerichtsgesetz) weiter Geltung, wonach bei der Prüfung, ob der Rechtsweg erschöpft sei, eine formell rechtskräftige Entscheidung ebenso zu behandeln ist, wie eine Entscheidung, gegen die an sich im Gesetz ein Rechtsmittel vorgesehen ist, das aber im konkreten Fall bereits aus formellen Gründen wegen fehlender Statthaftigkeit oder Zulässigkeit aussichtslos ist (siehe I 3 a der Senatsentscheidung). Wie dem Landesarbeitsgericht zuzugeben ist, steht zwar im Falle der Verfassungsbeschwerde allein der Rechtsmittelführer vor der Prüfung der Frage, ob das Rechtsmittel Erfolg haben, werde, während im Streitfall außer dem Betriebsrat bzw. dem beteiligten Arbeitnehmer auch der Arbeitgeber als Rechtsmittelgegner zu prüfen hat, ob das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde aussichtsreich sei. Die damit zwangsläufig verbundene Prognose-Entscheidung und daraus ggf. folgende Risiken hat aber im wesentlichen der Arbeitgeber zu tragen, dessen verfrüht ausgesprochene Kündigung möglicherweise schon an § 103 BetrVG, § 15 KSchG scheitert. Es ist nicht gerechtfertigt, § 15 KSchG auch noch dahin erweiternd auszulegen, zu Lasten des Arbeitgebers die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds im Falle einer positiven Ersetzungsentscheidung aufgrund eines durch zwei Instanzen geklärten Beschlußverfahrens trotz Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung nur wegen einer aussichtslosen Nichtzulassungsbeschwerde bis zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hinauszuschieben. Diesen in § 626 BGB einerseits und § 15 KSchG andererseits angelegten Wertungswiderspruch zur Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung gilt es einzugrenzen und nicht noch zu vertiefen.

c) Der Senat hat in der früheren Entscheidung ergänzend für die Wirkungen, die eine gerichtliche Entscheidung bei einem aussichtslosen Rechtsmittel bereits vor Eintritt der formellen Rechtskraft haben kann, auf die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit in § 713 ZPO hingewiesen. Diese Vorschrift bestimme, daß die in den §§ 711, 712 ZPO zugunsten des Vollstreckungsschuldners zugelassenen Anordnungen nicht ergehen sollten, wenn die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, unzweifelhaft nicht vorlägen. Diese Vorschrift beruhe auf der Erwägung, daß die Vollstreckungswirkung eines Urteils nicht wegen einer abstrakten formalen Rechtsmittelmöglichkeit eingeschränkt werden solle.

Auch an dieser Argumentation ist festzuhalten. Wie das Berufungsgericht nicht hinreichend berücksichtigt hat, setzt die Entscheidung, ob eine Kündigung nach Zustellung des zweitinstanzlichen Ersetzungsbeschlusses ausgesprochen oder eine Zwangsvollstreckung vor endgültiger Rechtskraft durchgeführt werden soll, eine Prognose des Arbeitgebers bzw. Gläubigers darüber voraus, wie die Aussichten des einzulegenden Rechtsmittels eingeschätzt werden, über deren Berechtigung letztlich in beiden Fällen ein Gericht entscheidet. Über die eventuelle Sicherheitsanordnung nach §§ 713, 711 und 712 ZPO befindet ebenso das Gericht wie im Falle des Ausspruchs der Kündigung vor Eintritt der formellen Rechtskraft des Ersetzungsbeschlusses. Es bleibt Sache des Arbeitsgerichts, die eventuelle Unwirksamkeit der Kündigung nach § 15 KSchG, § 103 BetrVG, § 134 BGB festzustellen, wenn die Voraussetzung einer offensichtlich unzulässigen Nichtzulassungsbeschwerde nicht vorlag. Da das Risiko einer Unwirksamkeit der Kündigung aus diesem Grunde im wesentlichen zu Lasten des Arbeitgebers geht (vgl. oben unter II 2 b), der die (eventuell später für unwirksam befundene) Kündigung ausspricht, erscheint es vertretbar, ihm dieses Risiko – wie letztlich bei jeder nicht zweifelsfrei berechtigten Kündigung – zu überbürden. Dagegen hat sich die Beklagte vorliegend auch nicht zur Wehr gesetzt. Im Gegenteil: Sie beruft sich gerade in Anlehnung an die Rechtsprechung des Senats vom 25. Januar 1979 auf die Berechtigung zum unverzüglichen Ausspruch der Kündigung. Andererseits ist es auch vertretbar, dem Arbeitnehmer das Risiko des Unterliegens im Kündigungsschutzprozess aufzubürden, da bereits in einem jedenfalls zwei Instanzen umfassenden Beschlußverfahren um die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung die Berechtigung der Kündigung geklärt worden ist; gewinnt dagegen der Arbeitnehmer wegen Verstoßes gegen §§ 15 KSchG, 103 BetrVG den Kündigungsschutzprozeß, so entsteht ihm dadurch kein unzumutbarer Schaden. Die wie im Falle des § 713 ZPO anzustellende Prüfung (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 47. Aufl., § 713 Anm. 2) belegt daher ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers, ihm die Möglichkeit zum Ausspruch der Kündigung bereits vor Eintritt der formellen Rechtskraft des Ersetzungsbeschlusses unter den geschilderten Voraussetzungen einzuräumen. Will der Arbeitgeber ganz sicher gehen, bleibt es im übrigen ihm überlassen, nach Eintritt der formellen Rechtskraft – wie wohl auch im Streitfall – vorsorglich erneut zu kündigen.

3. Daß vorliegend die Nichtzulassungsbeschwerde des Betriebsrats offensichtlich unzulässig war, ergibt sich schon aus der Begründung des Senatsbeschlusses vom 8. Dezember 1988 – 2 ABN 37/88 –, in dem es auszugsweise heißt:

„… erweist sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Antragsgegners als unzulässig. Sie legt nicht dar, daß das Landesarbeitsgericht von Rechtssätzen des Bundesarbeitsgerichts in der angezogenen Entscheidung abgewichen ist. In der angezogenen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, im Beschlußverfahren gelte der Untersuchungsgrundsatz (§ 83 Abs. 1 ArbGG), es hat für den damals zu entscheidenden Fall angenommen, das Landesarbeitsgericht hätte einen Beteiligten daher hören müssen (§ 83 Abs. 2 ArbGG). Das Urteil enthält keinerlei weitere Ausführungen, in welcher Form eine gebotene Anhörung erfolgen kann. Auch das Landesarbeitsgericht ist in dem anzufechtenden Beschluß grundsätzlich von der Geltung der Untersuchungsmaxime ausgegangen (Nr. II B 2 a der Gründe, S. 14 des Beschlusses). Es hat unter Hinweis auf § 80 Abs. 2 ArbGG ausdrücklich ausgeführt, hinsichtlich der Durchführung der Beweisaufnahme gälten die gleichen Regelungen wie im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren. Es hat weiter festgestellt, der Beteiligte sei gemäß § 83 Abs. 3 ArbGG zu hören und es hat ihn ausweislich des Protokolls auch tatsächlich angehört. Soweit es sich dann mit der Frage einer Zeugenvernehmung oder einer Vernehmung nach §§ 445, 448 ZPO befaßt, weicht es ersichtlich von keinem in der angezogenen Entscheidung aufgestellten Rechtssatz ab. Der Beschwerdeführer rügt damit nur eine angeblich unrichtige Rechtsanwendung.”

Eine Divergenz in dem vom Betriebsrat seinerzeit angenommenen Sinne lag demgemäß schon bei der Zustellung des Beschwerdebeschlusses eindeutig erkennbar nicht vor. Selbst wenn man dem Betriebsrat noch zugesteht, einen abstrakten Rechtssatz des Landesarbeitsgerichts angenommen zu haben, wonach hinsichtlich der Durchführung der Beweisaufnahme im Beschlußverfahren ausgehend von der Untersuchungsmaxime die gleichen Regelungen wie im Urteilsverfahren gälten und der Beteiligte sei gemäß § 83 Abs. 3 ArbGG zu hören, so lag „ersichtlich” – wie es im Beschluß vom 8. Dezember 1988 (aaO) heißt – die behauptete Divergenz nicht vor; denn die seinerzeit angezogene, angeblich abweichende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 34, 230 = AP Nr. 1 zu § 54 BetrVG 1972) enthielt nicht wie der seinerzeitige LAG-Beschluß irgendwelche Ausführungen über die Art und Weise der Anhörung der Beteiligten, etwa als Zeuge oder als Partei. Auch ließ die Darlegung in der Nichtzulasaungsbeschwerde, das Landesarbeitsgericht habe aus dem allgemeinen Rechtssatz, wonach im Beschlußverfahren die gleichen Beweisaufnahmeregeln wie im Urteilsverfahren gelten, zu Unrecht „die Schlußfolgerung gezogen”, für die Anhörung eines Beteiligten seien die Regelungen der Parteivernehmung nach §§ 450 ff. ZPO zur Anwendung zu bringen, mit dieser Formulierung deutlich erkennen, daß nur eine unrichtige Rechsanwendung gerügt wurde. Dies eröffnete nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht.

4. Die dem Kläger nach Ersetzung der fehlenden Zustimmung des Betriebsrats aufgrund des der Beklagten am 26. September 1988 zugestellten Beschlusses des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 29. August 1988 am nächsten Tag, dem 27. September 1988, ausgesprochene Kündigung ist unverzüglich erfolgt (vgl. BAGE 27, 113 = AP Nr. 3 zu § 103 BetrVG 1972).

5. Die außerordentliche Kündigung ist auch begründet, da mit der rechtskräftigen Ersetzung der Zustimmung zur Kündigung für den nachfolgenden Kündigungsschutzprozeß die im Grundsatz bindende Feststellung getroffen wurde, daß die Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit BAGE 27, 113 = AP, aaO; so auch KR-Etzel, aaO, § 103 BetrVG Rz 139; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, § 103 BetrVG Rz 30). Daran kann hier auch kein Zweifel bestehen, nachdem der Kläger wegen der vom Landesarbeitsgericht im Beschlußverfahren festgestellten vorsätzlichen Falschaussage zu Lasten der Beklagten auch im Strafverfahren – wie unstreitig ist – verurteilt worden ist.

 

Unterschriften

Hillebrecht, Dr. Ascheid, Bitter, Dr. Harder, Weyers

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1207730

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