Leitsatz (redaktionell)

1.

Die auch bei grober Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers möglichen Haftungserleichterungen (vgl. Urteil des Senats vom 12. Oktober 1989 - 8 AZR 276/88 - BAGE 63, 127 = AP Nr. 97 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers) sind nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Arbeitnehmer freiwillig eine Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen hat, die auch im Falle grober Fahrlässigkeit für den Schaden eintritt.

2.

Im Einzelfall können Haftungserleichterungen deshalb ausscheiden, weil der Arbeitnehmer mit besonders grober (gröbster) Fahrlässigkeit handelte.

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 16.11.1995; Aktenzeichen 11 Sa 114/93)

ArbG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 12.02.1993; Aktenzeichen 1 Ca 4/90)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die als Ärztin beim Kläger beschäftigte Beklagte zur Erstattung von Zahlungen verpflichtet ist, die der Kläger an die Hinterbliebenen einer bei einer Bluttransfusion verstorbenen Patientin geleistet hat.

Die Beklagte legte 1986 ihr medizinisches Staatsexamen ab. Nach zehnmonatiger Tätigkeit als Assistenzärztin in den Abteilungen Radiologie und Chirurgie verschiedener Krankenhäuser wurde sie vom Kläger ab dem 16. August 1987 befristet zum Zwecke der Weiterbildung zur Ärztin für Anästhesiologie angestellt. Das Arbeitsverhältnis bestimmte sich nach dem BAT.

Anläßlich einer am 28. Januar 1988 durchgeführten Magenoperation verabreichte die Beklagte einer Patientin mit der Blutgruppe Null zwei Blutkonserven. Dabei bemerkte sie nicht, daß es sich um die von einer vorangegangenen Operation stammenden Blutkonserven mit der Blutgruppe A handelte. Zu der Verwechslung war es gekommen, weil die Beklagte die Blutgruppe der Patientin C nicht feststellte und übersah, daß in dem zu den Blutkonserven gehörenden Transfusionsprotokoll der Name der Patientin G angegeben war. Den abschließenden "Bedside-Test", der dazu dient, die Übereinstimmung zwischen Patientenblut und Blutkonserve zu überprüfen, führte die Beklagte falsch durch. Sie entnahm Blut über die Zuspritzmöglichkeit des bereits vor Operationsbeginn gelegten venösen Zugangs am linken Handrücken der Patientin, jedoch erst, nachdem die Transfusionskanüle bereits eingeführt und das Transfusionssystem schon gefüllt war. Auf diese Weise entnahm die Beklagte für den Test statt Blut der Patientin Blut aus der Blutkonserve, so daß sie Spenderblut mit Spenderblut verglich. Die Verwechslung der Blutgruppen wurde erst nach der Transfusion durch Blutdruckabfall bei der Patientin festgestellt. Die Patientin verstarb infolge der Transfusion.

Der Kläger zahlte an die Hinterbliebenen und die beteiligte Krankenkasse insgesamt 110.418,10 DM. Einen weiteren Schadensersatz an die Angehörigen leistete die private Berufshaftpflichtversicherung der Beklagten.

Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz in Höhe der von ihm geleisteten 110.418,10 DM. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe grob fahrlässig gehandelt. Sie habe es versäumt, sich vor Einleitung der Narkose Kenntnis von der Blutgruppe der Patientin zu verschaffen und die Namensbeschriftung auf den Blutkonserven und den Beipackzetteln zu überprüfen. Die Nichtübereinstimmung der Blutgruppen hätte sie beim "BedsideTest" erkennen können, wenn sie nicht pflichtwidrig das Blut aus einer für die Bluttransfusion vorgesehenen Kanüle entnommen hätte. Die Beklagte könne sich nicht auf ihren verhältnismäßig niedrigen Ausbildungsstand und die Schwierigkeit der Narkoseführung berufen. Die Blutübertragung sei nicht aufgrund eines Operations- oder Narkosezwischenfalls erforderlich gewesen, habe nicht unter Zeitdruck durchgeführt werden müssen und gehöre zu den Aufgaben, die ein approbierter Arzt, unabhängig von seiner Weiterbildung zum Facharzt, beherrschen müsse. Ein Mitverschulden der Anästhesieschwester sei nicht zu berücksichtigen, weil nach den Transfusionsrichtlinien der Bundesärztekammer und des Bundesgesundheitsamtes der transfundierende Arzt die Verantwortung für die Eignung der Blutkonserve trage.

Der Kläger hat, soweit für die Revision noch von Bedeutung, beantragt,

die Beklagte zu verurteien, an ihn 110.418,10 DM nebst Zinsen zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, sie habe im Verhältnis zu dem klagenden Land für den Schaden, der durch den Tod der Patientin entstanden sei, nicht einzustehen, weil sie nicht grob fahrlässig im Sinne des über § 14 BAT im Arbeitsverhältnis der Parteien entsprechend geltenden § 96 Landesbeamtengesetz Baden-Württemberg (fortan: LBG) gehandelt habe.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

I. Die Beklagte ist dem Kläger in vollem Umfang zum Schadensersatz verpflichtet. Eine Haftungsmilderung nach den Grundsätzen der Arbeitnehmerhaftung scheidet aus, weil die Beklagte mit besonders grober (gröbster) Fahrlässigkeit handelte.

1. Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Beklagte habe schuldhaft ihre arbeitsvertraglichen Pflichten dadurch verletzt, daß sie als Ärztin der Patientin C bei einer Bluttransfusion Blut der falschen Blutgruppe verabreicht und dadurch den Tod der Patientin herbeiführte. Hierüber streiten die Parteien in der Revisionsinstanz auch nicht mehr. Sie bewerten lediglich den Grad des Verschuldens der Beklagten unterschiedlich.

2. Die Haftung der Beklagten wegen schuldhafter Vertragsverletzung (§§ 280, 286 BGB analog) ist nicht nach § 14 BAT i.V.m. § 96 LBG ausgeschlossen.

a) Über § 14 des im Arbeitsverhältnis der Parteien geltenden BAT finden für die Schadenshaftung des Angestellten die für die Beamten des Arbeitgebers geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung. Die Beamten des beklagten Landes Baden-Württemberg haben nach § 96 Abs. 1 LBG ihrem Dienstherrn einen durch schuldhafte Verletzung ihrer Dienstpflichten verursachten Schaden nur dann zu ersetzen, wenn ihnen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. Dieses Haftungsprivileg gilt über § 14 BAT auch für die Angestellten des klagenden Landes.

b) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von grober Fahrlässigkeit der Beklagten ausgegangen. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe objektiv eine besonders grobe und auch subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung begangen, beruht auf einer nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Würdigung des Sachverhalts.

Die Beklagte hatte gleich mehrere Sicherheitsmaßnahmen mißachtet, die ein Arzt bei einer Bluttransfusion zu beachten hat. So hat die Beklagte nicht versucht, die Blutgruppe der Patientin in Erfahrung zu bringen, obwohl nach der Art der Operation damit zu rechnen war, daß eine Transfusion erforderlich werden würde. Sie hat übersehen oder nicht festgestellt, welcher Name auf dem Transfusionsprotokoll der Blutkonserven stand, welche ihr gegeben wurden. Sie hat auf diese Weise die bei Bluttransfusionen notwendigen Sicherheitsmaßnahmen weitgehend unterlassen und die ihr zuarbeitende Krankenschwester nicht kontrolliert. Die Gefährdung der Patientin durch die falschen Blutkonserven hätte nur noch durch den "Bedside-Test" erkannt werden können, den sie gegen die Regeln der ärztlichen Kunst durchführte.

Das Landesarbeitsgericht hat auch die subjektiven Umstände des Pflichtverstoßes zutreffend in seine Beurteilung einbezogen. Es hat das Ausmaß der an die Beklagte gestellten Anforderungen mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens und unter Berücksichtigung der bis zum Vorfall erworbenen Berufserfahrung der Beklagten ohne Rechtsfehler eingeschätzt. Die Beklagte ist approbierte Ärztin und befand sich bereits in der Facharztausbildung. Die Blutübertragung gehört nicht zu den spezifischen Aufgaben eines Anästhesiearztes, sondern muß von jedem Arzt ausgeführt werden können. Die Beklagte war keiner besonderen Streßsituation ausgesetzt, da die Transfusion ohne Zeitdruck und nicht aufgrund eines Operations- oder Narkosezwischenfalls angeordnet wurde. Schließlich war die Klägerin mit den zur Narkoseführung erforderlichen Geräten vertraut und hatte bereits bei ähnlich schwierigen Operationen als Anästhesistin gearbeitet.

3. Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zuzustimmen, daß dem Kläger kein mitwirkendes Verschulden gem. § 254 BGB zuzurechnen ist.

Zwar beruht die Verwechslung der Blutkonserven auch auf Fehlleistungen anderer Mitarbeiter, deren Verschulden als Erfüllungsgehilfen der Kläger gem. § 278 BGB wie eigenes Verschulden zu vertreten hatte. Ein Pflichtverstoß der beteiligten Anästhesieschwester ist darin zu sehen, daß sie nicht auf den Namen der Patientin achtete, als sie die falschen Blutkonserven dem Kühlschrank entnahm. Die Verwechslung wäre auch vermieden worden, wenn die Blutkonserven der vorangegangenen Operation nicht im Kühlschrank geblieben wären. Die Fehlleistungen anderer Mitarbeiter entlasten die Beklagte aber nicht. Als Ärztin hatte die Beklagte die alleinige Verantwortung für die Eignung der bei der Bluttransfusion verwendeten Blutkonserven (Ziff. 3.5.2 der Transfusionsrichtlinien). Sie kann sich daher nicht auf ein Mitverschulden ihr unterstellter Mitarbeiter berufen.

4. Auch die Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung führen nicht zu einer Haftungsmilderung.

a) Nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27. September 1994 ( - GS 1/89 (A) - BAGE 78, 56 = AP Nr. 103 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers) finden die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung auf alle Arbeiten Anwendung, die durch den Berieb veranlaßt sind und aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden. Die Anwendung der Grundsätze ist nicht davon abhängig, daß die den Schaden verursachenden Arbeiten gefahrgeneigt sind. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Vorwurf fahrlässigen Verhaltens betrifft die durch Arbeitsvertrag bestimmten Dienstpflichten der Beklagten.

b) Im Beschluß des Großen Senats vom 27. September 1994 (aaO) sind die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung wir folgt zusammengefaßt worden:

Bei grober Fahrlässigkeit hat der Arbeitnehmer in aller Regel den gesamten Schaden zu tragen, bei leichtester Fahrlässigkeit haftet er dagegen nicht, während bei normaler Fahrlässigkeit der Schaden in aller Regel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer quotal zu verteilen ist. Ob und ggf. in welchem Umfang der Arbeitnehmer an den Schadensfolgen zu beteiligen ist, richtet sich im Rahmen einer Abwägung der Gesamtumstände, insbesondere von Schadensanlaß und Schadensfolgen, nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten. Zu den Umständen, denen je nach Lage des Einzelfalles ein unterschiedliches Gewicht beizumessen ist und die im Hinblick auf die Vielfalt möglicher Schadensursachen auch nicht abschließend bezeichnet werden können, gehören der Grad des dem Arbeitnehmer zur Last fallenden Verschuldens, die Gefahrgeneigtheit der Arbeit, die Höhe des Schadens, ein vom Arbeitgeber einkalkuliertes oder durch Versicherung deckbares Risiko, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb und die Höhe des Arbeitsentgelts, in dem möglicherweise eine Risikoprämie enthalten ist. Auch können u.U. die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers, wie die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, sein Lebensalter, seine Familienverhältnisse und sein bisheriges Verhalten, zu berücksichtigen sein.

c) Auch wenn der Arbeitnehmer bei grober Fahrlässigkeit in aller Regel den gesamten Schaden zu tragen hat, sind Haftungserleichterungen bei grober Fahrlässigkeit nicht ausgeschlossen. Die Entscheidung ist nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen, wobei es entscheidend darauf ankommen kann, daß der Verdienst des Arbeitnehmers in einem deutlichen Mißverhältnis zum Schadensrisiko der Tätigkeit steht (Urteil des Senats vom 12. Oktober 1989 - 8 AZR 276/88 - BAGE 63, 127 = AP Nr. 97 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers).

d) Das Landesarbeitsgericht ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Es hat jedoch die Auffassung vertreten, eine Haftungsmilderung bei grober Fahrlässigkeit scheide hier deshalb aus, weil die Beklagte gegen die Folgen grober Fahrlässigkeit bei ihrer Berufshaftpflichtversicherung versichert sei. Dieser Begründung folgt der Senat nicht.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein Arbeitnehmer sich nicht auf Haftungsbeschränkung berufen, wenn zu seinen Gunsten eine gesetzlich vorgeschriebene Haftpflichtversicherung (z. B. Kfz-Haftpflichtversicherung) eingreift (vgl. BAG Urteil vom 11. Januar 1966 - 1 AZR 361/65 - AP Nr. 36 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers; ebenso BGH Urteil vom 8. Dezember 1971 - VI ZR 102/70 - AP Nr. 68 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Diese bei Bestehen einer gesetzlichen Pflichtversicherung geltenden Grundsätze können nicht auf den Fall übertragen werden, daß der Arbeitnehmer sich gegen das Risiko seiner betrieblichen Tätigkeit freiwillig selbst versichert hat. Die private Haftpflichtversicherung, für deren Abschluß kein gesetzlicher Zwang besteht, haftet nur in dem Umfang, in dem der Arbeitnehmer selbst haftet. Bei Bestehen einer Pflichtversicherung liegen Risiken vor, die der Gesetzgeber als so gefahrträchtig erachtet hat, daß er den Handelnden im Hinblick auf mögliche Gefahren für andere ohne Versicherungsschutz nicht tätig sehen wollte. Diese Tatsache überlagert gleichsam die Grundsätze der beschränkten Arbeitnehmerhaftung. Für die Anwendung dieser Grundsätze besteht kein Raum in der vom Gesetzgeber durch die Pflichtversicherung vorgesehenen Wertung. Besteht ein solcher Pflichtversicherungsschutz jedoch nicht, hängt die Anwendung der Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung nicht von der Zufälligkeit des Bestehens einer privaten Haftpflichtversicherung ab (BAG Urteil vom 14. Oktober 1993 - 8 AZR 242/92 - EzA § 611 BGB Gefahrgeneigte Arbeit Nr. 28).

e) Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig. Die volle Haftung der Beklagten folgt nämlich bereits daraus, daß die Beklagte mit besonders grober (gröbster) Fahrlässigkeit handelte. Wie bereits dargelegt (siehe unter 2 b), hatte die Beklagte, ohne daß eine besondere Streßsituation vorlag, gleich mehrere Sicherheitsmaßnahmen mißachtet, die eine Verwechslung von Blutgruppen ausschließen sollten. Wegen der akuten Lebensgefährdung, die bei der Übertragung von Blut einer falschen Blutgruppe entsteht, ist eine solche Häufung von Fehlern und Unterlassungen durch einen Arzt schlechterdings nicht hinnehmbar. Ein solches ärztliches Verhalten ist als besonders grobe Fahrlässigkeit zu bewerten. Eine Haftungsmilderung nach den Grundsätzen der Arbeitnehmerhaftung ist im konkreten Fall auch nicht im Hinblick auf die Höhe des eingetretenen Schadens angezeigt.

II. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 441574

BB 1998, 749

DB 1998, 476

NJW 1998, 1810

FA 1998, 120

FA 1998, 93

JR 1998, 220

NZA 1998, 310

RdA 1998, 187

AP, 0

ArztR 1998, 135

MedR 1998, 334

VersR 1998, 895

KHuR 1998, 34

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