Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebliche Altersversorgung: Betriebliche Übung – Voraussetzungen, Inhalt und Auslegung. Betriebliche Altersversorgung. Anspruch aus betrieblicher Übung. Voraussetzungen der betrieblichen Übung. Auslegungsgrundsätze. Inhalt der betrieblichen Übung. Freiwilligkeitsvorbehalt und Vorschaltzeit. Inhaltsbestimmung einer betrieblichen Übung

 

Orientierungssatz

  • Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die betriebliche Übung ein gleichförmiges und wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers, das den Inhalt der Arbeitsverhältnisse gestaltet und geeignet ist, vertragliche Ansprüche auf eine Leistung zu begründen, wenn die Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers schließen durften, ihnen werde die Leistung auch künftig gewährt. Eine solche betriebliche Übung hat nach der ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung des § 1b Abs. 1 Satz 4 BetrAVG nF im Bereich der betrieblichen Altersversorgung anspruchsbegründende Qualität.
  • Ist es Inhalt einer solchen gleichförmigen betrieblichen Praxis, allen Mitarbeitern, die mindestens eine zehnjährige Betriebszugehörigkeit aufzuweisen haben, nachfolgend eine betriebliche Altersversorgung zu versprechen, so kommt es nicht darauf an, daß die Versorgungszusage stets zum gleichen Zeitpunkt (also etwa genau nach 10 Jahren) gemacht wird. Entscheidend ist, daß alle Mitarbeiter, in deren Person die Voraussetzungen der (internen) Versorgungsrichtlinie vorliegen, eine Versorgungszusage erhalten. Die Versorgungszusagen selbst dürfen gebündelt und/oder rückwirkend auf den Ablauf einer bestimmten Wartefrist datiert werden. Solche Verfahrensfragen stehen der Annahme einer betrieblichen Übung nicht entgegen.
  • Die Prüfung der Frage, ob und mit welchem Inhalt Ansprüche von Arbeitnehmern auf künftige Gewährung von Leistungen aus betrieblicher Übung erwachsen, hat das Bundesarbeitsgericht bislang in erster Linie als tatrichterliche Aufgabe gesehen. Dementsprechend hat es angenommen, daß im Revisionsrechtszug nur überprüft werden kann, ob der angenommene Erklärungswert des tatsächlichen Verhaltens den Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB entspricht, ob er mit den Gesetzen der Logik und den allgemeinen Erfahrungssätzen vereinbar ist und ob vom Berufungsgericht auch alle von ihm festgestellten wesentlichen Umstände des Einzelfalles berücksichtigt sind (16. September 1998 – 5 AZR 598/97 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 54 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 41, zu I 3b der Gründe; 16. April 1997 – 10 AZR 705/96 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 53 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 39, zu II 1b der Gründe). Dafür spricht, daß nach der zutreffenden ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die betriebliche Übung in die Einzelarbeitsverhältnisse eingeht und so die Arbeitsverträge ergänzt (17. September 1970 – 5 AZR 539/69 – BAGE 22, 429, zu 2a der Gründe). Wegen des lang andauernden, gleichförmigen und oft den gesamten Betrieb erfassenden Charakters der betrieblichen Übung erwägt der Senat aber, wie bei Formularverträgen die gefundenen Auslegungsergebnisse einer vollen revisionsrechtlichen Überprüfung zu unterziehen (18. Oktober 1972 – 4 AZR 482/71 – AP BAT §§ 22, 23 Lehrer Nr. 3; 1. März 1972 – 4 AZR 200/71 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 11 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 3). Vorliegend brauchte die Frage nicht entschieden zu werden, da die Auslegung des Berufungsgerichts auch dem bisherigen, eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab nicht stand hielt.
  • Werden nach Ablauf einer bestimmten Wartefrist (hier: 10 Jahre) Versorgungszusagen stets nur mit dem Inhalt der bei Fristablauf gültigen Versorgungsrichtlinie gemacht, so entspricht es nicht der betrieblichen Übung, den Mitarbeitern inhaltliche Versorgungszusagen auf den Stand ihres Firmeneintritts zu versprechen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Versorgungsregelungen nur als arbeitgeberinterne Richtlinie zur Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer dient und den Arbeitnehmern nicht in allgemeiner Form bekannt gemacht wird. Allerdings muß der Arbeitgeber bei der inhaltlichen Ausfüllung des Versorgungsversprechens nach Ablauf der Wartefrist die Grundsätze der Billigkeit (§ 315 BGB) beachten.
 

Normenkette

BetrAVG § 1b Abs. 1 S. 4, § 17 Abs. 3 S. 3; BGB §§ 133, 157, 315; ZPO § 561 a.F.

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 31.01.2001; Aktenzeichen 6 Sa 837/00 B)

ArbG Hannover (Urteil vom 23.03.2000; Aktenzeichen 3 Ca 249/99 B)

 

Tenor

  • Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 31. Januar 2001 – 6 Sa 837/00 B – aufgehoben.
  • Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 23. März 2000 – 3 Ca 249/99 B – abgeändert.
  • Die Klage wird abgewiesen.
  • Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte auf Grund betrieblicher Übung gegenüber der Klägerin verpflichtet ist, deren Vordienstzeiten bei der Betriebsrentenberechnung zu berücksichtigen.

Die am 6. März 1942 geborene Klägerin war bei der Beklagten seit dem 1. April 1974 als Buchhalterin beschäftigt. Die an sie gerichtete Einstellungszusage vom 28. Januar 1974 wies zwar auf verschiedene Nebenleistungen wie 13. Monatsgehalt oder Urlaubsgeld, nicht jedoch auf eine betriebliche Altersversorgung durch die Beklagte hin.

Bei der Beklagten besteht eine mit dem 1. Januar 1939 beginnende Tradition der zusätzlichen Invaliditäts-, Alters- und Hinterbliebenenversorgung. Im Sommer 1938 hatten Aufsichtsrat und Vorstand beschlossen, künftig eine zusätzliche Versorgung für Betriebsangehörige, die eine zehnjährige ununterbrochene Betriebszugehörigkeit vorweisen können, zu versprechen. Zwar sollte der Anspruch auf zusätzliche Fürsorge bei einem Ausscheiden vor dem Versorgungsfall hinfällig werden; zugleich wurden aber die Kündigungsmöglichkeiten für die Arbeitgeberseite eingeschränkt. Bei der Höhe der Betriebsrente sollten Vordienstzeiten ab dem 21. Lebensjahr zur Hälfte als pensionsfähige Dienstzeit angerechnet werden. Gemäß diesen Grundsätzen wurden ab Januar 1939 Einzelversorgungszusagen an die Betriebsangehörigen gemacht.

Diese Verfahrensweise blieb in den nächsten Jahrzehnten im wesentlichen unverändert, allerdings wurde die Regelung 1958 dahin geändert, daß der Begünstigte nach der gesonderten Verpflichtungserklärung des Vorstandes eine “Gegenerklärung” zu unterzeichnen hat, mit er die Rechtsverbindlichkeit wie die Freiwilligkeit der Leistungen der Genossenschaft anerkennt. 1978 wurden erstmalig auch die Anrechnungsbestimmungen für Vordienstzeiten geändert: Einerseits eingeschränkt, in dem die hälftige Anrechnung anderweitig verbrachter Berufsjahre nur noch “in der Regel” erfolgen sollte, andererseits aber auch erweitert, weil bei besonderen Leistungen auch eine volle Anrechnung möglich werden sollte. Eine entscheidende Änderung erfuhr die Anrechnungsbestimmung jedoch mit dem Beschluß von Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten vom 16. September 1982. Ziff. II.2. Satz 1 der Zusagevoraussetzungen wurde dahingehend abgeändert, daß die vor dem Eintritt in die Genossenschaft anderweitig verbrachten Berufsjahre nicht angerechnet werden. – Die jeweils von den Organen beschlossenen Versorgungsregelungen wurden nie in allgemeiner Form der Belegschaft mitgeteilt.

Vom Vorstand der Beklagten erhielt die Klägerin am 14. Januar 1985 “mit sofortiger Wirkung” eine zusätzliche Invaliditäts-, Alters- und Hinterbliebenenversorgung “nach der zur Zeit geltenden Regelung” zugesagt. Durch Aufsichtsratsbeschluß vom 20. September 1990 wurde ihr diese betriebliche Altersversorgung “im Rahmen der zur Zeit geltenden Bestimmungen” schon mit Wirkung ab 1. April 1984 zuerkannt und der Beginn ihrer pensionsfähigen Dienstzeit auf den 1. April 1974, also ihren Arbeitsbeginn, festgesetzt. Die Klägerin erkannte die Bedingungen dieser Versorgungszusage mit Erklärung vom 8. November 1990 an.

Seit dem 19. Februar 1997 bezog die Klägerin eine Berufsunfähigkeitsrente und seit dem 1. März 1997 erhält sie eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Kurz nach Bewilligung dieser Renten durch die BfA beantragte sie am 5. August 1998 bei der Beklagten ihre Betriebsrente. Die Beklagte berechnete deren Höhe ohne Berücksichtigung von Vordienstzeiten mit 61 % der letzten Bruttobezüge. Infolge eines Mißverständnisses über die Höhe der gesetzlichen Rentenzahlungen an die Klägerin ging sie weiter davon aus, daß gemäß ihrem Gesamtversorgungssystem aktuell keine Zahlungspflicht bestehe. Im Laufe der nachfolgenden Korrespondenz bekam die Klägerin Kenntnis von der allgemeinen Versorgungsregelung 1982 und den Regelungen aus den Jahren 1965 und 1978. Seitdem ist sie der Auffassung, die Vordienstzeiten seien hälftig zu berücksichtigen, was zu einem Gesamtversorgungsanspruch der Klägerin in Höhe von 70 % des letzten Bruttoentgeltes führen würde.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe ihren Betriebsrentenanspruch im Wege der betrieblichen Übung oder der Gesamtzusage erworben. Dabei seien für den Inhalt der Anwartschaft die zum Zeitpunkt ihrer Arbeitsaufnahme im Jahr 1974 geltenden Regelungen maßgeblich. Demzufolge sei ihre frühere Beschäftigung hälftig bei der versorgungsfähigen Dienstzeit zu berücksichtigen. Die diesbezügliche Streichung in der Versorgungsregelung 1982 könne den Inhalt ihrer bereits erworbenen Anwartschaft nicht mehr ändern. Zudem sei für diese Neufassung ausdrücklich geregelt, daß sie keine rückwirkende Kraft habe. Mit ihrer Klage begehrt sie Zahlung der Differenzbeträge für den Zeitraum vom 19. Februar 1997 bis zum 30. Juni 1999.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.578,74 DM zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vornehmlich darauf verwiesen, der Klägerin ein auf einer zuvor getroffenen Entscheidung von Vorstand und Aufsichtsrat beruhendes Individualangebot gemacht zu haben, das von der Klägerin mit ihrer Erklärung vom 8. November 1990 angenommen worden sei. Inhaltlich habe sich diese Versorgungsvereinbarung auf die Rentenregelung 1982 bezogen, also auf eine interne Richtlinie, die die Gleichbehandlung gewährleisten sollte, aber weder der Klägerin noch der Belegschaft jemals bekannt gemacht worden sei. Einer solchen Versorgungsrichtlinie könne ebensowenig wie der Versorgungspraxis schon ein Bindungswille der Beklagten entnommen werden: Stets habe es, aufbauend auf den jeweiligen Versorgungsregelungen, eines gesonderten Organbeschlusses und einer nachfolgenden Individualzusage oder -vereinbarung bedurft, um einklagbare Ansprüche der Arbeitnehmer zu begründen. Bei derartigen individualrechtlichen Vereinbarungen sei immer die jeweils gültige Versorgungsregelung vollzogen worden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb in der Sache erfolglos. Mit der Revision verfolgt sie das Ziel einer Klageabweisung weiter.

 

Entscheidungsgründe

 Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, daß bei der Berechnung ihrer Betriebsrente Dienstzeiten vor ihrem Arbeitsverhältnis zur Beklagten berücksichtigt werden.

  • Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, bei der Beklagten bestehe seit 1938/1939 die betriebliche Übung, die von Vorstand und Aufsichtsrat beschlossenen Versorgungsordnungen auf alle Mitarbeiter anzuwenden. Von Beginn an über alle Änderungen hinweg bis September 1982 sei es Inhalt dieser Versorgungspraxis gewesen, die nach Vollendung des 21. Lebensjahres erreichten Vordienstzeiten hälftig auf die versorgungsfähige Zeit bei der Beklagten anzurechnen. Auf einen entsprechenden Bindungswillen hätten die Arbeitnehmer, so auch die Klägerin zum Zeitpunkt ihres Eintritts bei der Beklagten, nach Treu und Glauben schließen und sich darauf einrichten dürfen. Die zum Inhalt des Einzelarbeitsvertrages gewordene betriebliche Übung sei nicht mehr frei widerruflich gewesen. Ohne entsprechende Vertragsänderung oder Änderungskündigung bleibe die geänderte Versorgungsregelung 1982 für die Ansprüche der Klägerin ohne Belang. Ebenso sei es unerheblich, daß der Klägerin eine Versorgung erst nach Ablauf einer zehnjährigen ununterbrochenen hauptberuflichen Tätigkeit im Jahr 1985 zugesagt worden sei. Die Dienstzeit von zehn Jahren bis zur Erteilung einer Versorgungszusage sei als “Vorschaltzeit” zu verstehen mit der Folge, daß eine aufschiebend bedingte Versorgungszusage bereits bei Beginn des Arbeitsverhältnisses zu den damals gültigen Regelungen erworben worden sei. Die so begründete Anwartschaft sei in ihrem Entstehen zum Vollrecht allein von der von der Klägerin zu erbringenden Betriebstreue abhängig gewesen. Auch bei einer 1982 noch nicht nach dem Betriebsrentengesetz unverfallbaren Anwartschaft könne ein Widerruf oder Teilwiderruf nur mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage begründet werden, wofür die Beklagte aber nichts vorgetragen habe.
  • Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

    • Insoweit zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, daß bei der Beklagten Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung auf Grund deren langjähriger Praxis im Wege der betrieblichen Übung entstehen konnten.

      • Im Bereich der betrieblichen Altersversorgung ist die betriebliche Übung als Rechtsquelle vom Gesetzgeber ausdrücklich anerkannt (§ 1 Abs. 1 Satz 4 BetrAVG aF; § 1b Abs. 1 Satz 4 BetrAVG nF). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die betriebliche Übung ein gleichförmiges und wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers, das den Inhalt der Arbeitsverhältnisse gestaltet und geeignet ist, vertragliche Ansprüche auf eine Leistung zu begründen, wenn die Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers schließen durften, ihnen werde die Leistung auch künftig gewährt (zB 16. Juli 1996 – 3 AZR 352/95 – AP BetrAVG § 1 Betriebliche Übung Nr. 7 = EzA BetrAVG § 1 Betriebliche Übung Nr. 1, zu B I und II der Gründe).
      • Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Beklagte hat mit ihrer Praxis der betrieblichen Altersversorgung eine betriebliche Übung begründet. Die diesbezüglichen Angriffe der Revision bleiben erfolglos.

        • Im Zeitpunkt des Eintritts der Klägerin bei der Beklagten hatte diese 35 Jahre lang systematisch Versorgungszusagen gegeben oder Versorgungsvereinbarungen getroffen. Dies stets auf der Grundlage von Versorgungsregelungen, die nach eigenem Vortrag der Beklagten intern als Richtlinien für die Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer des Betriebes gelten sollten. Zudem haben die Parteien bereits erstinstanzlich unstreitig gestellt, daß allen Mitarbeitern, die eine zehnjährige Betriebszugehörigkeit aufzuweisen hatten, nachfolgend eine betriebliche Altersversorgung gewährt worden ist. Soweit die Beklagte in der Revisionsinstanz erstmals vortragen läßt, daß drei Mitarbeiter mit einer längeren Betriebszugehörigkeit als zehn Jahre niemals eine Versorgungszusage erhalten hätten und diese ausgeschieden seien, ist dies für die Revisionsentscheidung ohne Bedeutung (§ 561 ZPO aF). Auch das Verfahren war stets gleichförmig: Zunächst faßten Aufsichtsrat und Vorstand den Beschluß, einem bestimmten Arbeitnehmer, der eine zehnjährige ununterbrochene Betriebszugehörigkeit zuvor erfüllt hatte, eine Versorgungszusage zu erteilen. Mit der Mitteilung dieses Beschlusses an den Begünstigten wurden Informationen über die wichtigsten Regelungen der im Zeitpunkt der Beschlußfassung jeweils geltenden Versorgungsregelungen verbunden und – jedenfalls ab 1958 – eine “Gegenerklärung” des Begünstigten eingeholt, daß er die mitgeteilten Bedingungen der Versorgungszusage für sich als verbindlich anerkenne und sie als freiwillig akzeptiere. Aus einem derartigen gleichförmigen und wiederholten Verhalten des Arbeitgebers bei der Erteilung von Versorgungszusagen durften die Arbeitnehmer schließen, auch ihnen werde künftig eine derartige Leistung gewährt.
        • Demgegenüber greift die Aufklärungsrüge der Revision nicht. Soweit die Beklagte in der Revisionsinstanz darauf verweist, es sei dann vorgetragen worden, daß die Versorgungszusagen keineswegs immer schon nach zehn Jahren erteilt worden seien, ist dies unerheblich. Für die Annahme einer betrieblichen Übung kommt es nicht darauf an, daß die Versorgungszusagen jeweils nach einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit erteilt wurden. Entscheidend ist, daß alle Arbeitnehmer des Betriebes, die die Voraussetzungen der Versorgungsregelung erfüllten, eine Zusage erhielten (BAG 16. Juli 1996 – 3 AZR 352/95 – aaO). Auch Bündelungen zu einem späteren Zeitpunkt sind möglich. Im übrigen zeigt gerade der Fall der Klägerin, daß selbst bei zeitlich späteren Versorgungszusagen eine Rückdatierung auf den Ablauf der Zehn-Jahres-Frist vorgenommen wurde.
        • Ebensowenig greift der Revisionseinwand, von einer betrieblichen Übung könne nicht ausgegangen werden, weil die Arbeitnehmer bei Erteilung der Versorgungszusage einen Freiwilligkeitsvorbehalt anerkannt hätten. Dies verkennt, daß die “Freiwilligkeit” erst anläßlich der Erteilung der Versorgungszusage (oder des Abschlusses der Versorgungsvereinbarung) akzeptiert wurde und eine betriebliche Übung nicht nachträglich beseitigen konnte.
    • Das Landesarbeitsgericht hat jedoch den Inhalt der bei der Beklagten bestehenden betrieblichen Übung verkannt und daher der Klage zu Unrecht stattgegeben.

      • Der Prüfungsmaßstab bei der Frage, ob und mit welchem Inhalt Ansprüche von Arbeitnehmern auf zukünftige Gewährung von Leistungen aus betrieblicher Übung erwachsen, kann dahinstehen. Das Bundesarbeitsgericht hat dies bislang in erster Linie als tatrichterliche Aufgabe gesehen, bei dem das Revisionsgericht nur überprüfen könne, ob der angenommene Erklärungswert des tatsächlichen Verhaltens den Auslegungsregelungen der §§ 133, 157 BGB entspreche, mit den Gesetzen der Logik und den allgemeinen Erfahrungssätzen vereinbar sei und ob das Berufungsgericht auch alle von ihm festgestellten wesentlichen Umstände des Einzelfalles (§ 561 Abs. 2 ZPO aF) berücksichtigt habe (16. September 1998 – 5 AZR 598/97 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 54 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 41, zu I 3b der Gründe; 16. April 1997 – 10 AZR 705/96 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 53 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 39, zu II 1b der Gründe). Für eine derart eingeschränkte revisionsrechtliche Überprüfung der tatrichterlichen Erkenntnisse zu Bestand und Inhalt einer betrieblichen Übung spricht, daß nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts diese kraft stillschweigender einzelvertraglicher Vereinbarung in die Einzelarbeitsverhältnisse eingeht und so die Arbeitsverträge ergänzt (17. September 1970 – 5 AZR 539/69 – BAGE 22, 429, zu 2a der Gründe). Andererseits spricht wegen des lang andauernden, gleichförmigen und oft den gesamten Betrieb erfassenden Charakters der betrieblichen Übung viel dafür, wie bei Formularverträgen (BAG 18. Oktober 1972 – 4 AZR 482/71 – AP BAT §§ 22, 23 Lehrer Nr. 3) die gefundenen Auslegungsergebnisse einer vollen revisionsrechtlichen Überprüfung zu unterziehen (vgl. BAG 1. März 1972 – 4 AZR 200/71 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 11 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 3). Die Frage kann hier jedoch dahingestellt bleiben, weil die Auslegung des Berufungsgerichts auch einem eingeschränkten rechtlichen Prüfungsrahmen nicht standhält.
      • Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die bei der Beklagten herrschende betriebliche Übung habe zum Inhalt, daß die Arbeitnehmer bei Beginn des Arbeitsverhältnisses davon ausgehen dürften, ihnen werde nach einer ununterbrochenen 10-jährigen Betriebszugehörigkeit eine Versorgungszusage mit dem Inhalt der betrieblichen Versorgungsregelung gemacht, die zum Zeitpunkt ihres Arbeitsbeginns Gültigkeit hatte. Zu Recht wendet jedoch die Revision insoweit ein, daß sich die Beklagte genau dagegen abgesichert hatte: Die Arbeitnehmer, also auch die Klägerin, durften bei Arbeitsaufnahme nur darauf vertrauen, daß sie nach zehn Jahren vom Vorstand/Aufsichtsrat der Beklagten eine Versorgungszusage erhalten, die der Vorstand inhaltlich nach den aus Gründen der Gleichbehandlung verabschiedeten Richtlinien (“Interne Versorgungsregelung”) ausgestalten würde. Die betriebliche Übung bei der Beklagten besteht nicht in einer Versorgungszusage mit Jeweiligkeitsklausel, sondern in dem Versprechen, nach 10 Jahren eine Versorgungszusage zu erhalten, die den dann gültigen jeweiligen Regelungen entspricht. Folgerichtig wurden die von den Organen der Beklagten beschlossenen generellen Versorgungsregelungen (als Richtlinien für die einzelnen Vorstandsbeschlüsse) nie in allgemeiner Form der Belegschaft und auch nicht der Klägerin mitgeteilt, sondern inhaltlich erst bei Erteilung der Versorgungszusage nach abgelaufener Wartefrist übermittelt. Die Arbeitnehmer konnten sich also gerade nicht auf bestimmte Versorgungsinhalte einrichten. Diesen wesentlichen Umstand hat das Landesarbeitsgericht nicht berücksichtigt.
      • Gegen eine derartige betriebliche Übung, die inhaltlich einer kollektiven Blankettzusage ähnelt, bestehen keine grundsätzlichen arbeitsrechtlichen Bedenken. Bei einer solchen Gestaltung obliegt es dann dem Arbeitgeber, die Versorgungsbedingungen gemäß § 315 BGB im Rahmen der Billigkeit festzulegen. Soweit die Ausfüllung unbillig ist, wird sie gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB durch den Richter ersetzt (BAG 19. Juni 1980 – 3 AZR 958/79 – AP BetrAVG § 1 Wartezeit Nr. 8 = EzA BetrAVG § 1 Nr. 8, zu I 4 der Gründe). Unbillig wäre dabei eine Bestimmung, die außer acht ließe, welche Vorstellungen und Erwartungen bei den Begünstigten erweckt wurden oder die den Interessen der begünstigten Arbeitnehmer nicht mehr in angemessenem Umfang Rechnung trägt. Dies ist bei der Streichung der Bestimmung, die die hälftige Anerkennung von Vordienstzeiten vorsah, nicht anzunehmen. Eine treuwidrige Entwertung der Zusage liegt nicht vor, zumal die Klägerin nicht einmal nach Eintritt des Versorgungsfalles die Erwartung hegte, ihre Vordienstzeit werde berücksichtigt. Denn sie hatte sich mit einem Beginn der ruhegeldfähigen Dienstzeit ab dem 1. April 1974 einverstanden erklärt und kannte weder die aktuellen noch die früheren Versorgungsregelungen.
      • Die Bestimmung in der Versorgungsregelung 1982, derzufolge diese Neufassung der Pensionsregelung “keine rückwirkende Kraft” hat, berührt die rechtliche Lage der Klägerin nicht. Die neue Pensionsregelung 1982 sollte für künftige Zusagen gelten, also nach dem bisher Ausgeführten auch für die der Klägerin nach zehnjähriger Betriebszugehörigkeit zu erteilende Zusage. Damit hatte die auf Gleichbehandlung zielende Pensionsregelung in der Tat keine rückwirkende, sondern allein die Zukunft gestaltende Kraft. Vielmehr wurde aus Klarstellungsgründen aufgeführt, daß die Neuregelung 1982 im Zeitpunkt ihrer Beschlußfassung bereits erteilte Versorgungszusagen (etwa solche mit Anrechnung von Vordienstzeiten) nicht rückwirkend einseitig umgestalten konnte.
      • Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin ist somit keine Zusage widerrufen oder in eine ihrer Rechtspositionen eingegriffen worden. Es handelt sich vorliegend auch nicht um das Problem einer Vorschaltzeit. Eine solche ist zwar wegen § 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG unwirksam (BAG 21. August 1980 – 3 AZR 143/80 – BAGE 34, 140), jedoch war im Zeitpunkt der Regelungsänderung 1982 die Anwartschaft der am 1. April 1974 eingetretenen Klägerin noch nicht unverfallbar. Das Problem einer Vorschaltzeit stellte sich nur, wenn es die Beklagte nach 10-jähriger Betriebszugehörigkeit der Klägerin in der Folgezeit unter Berufung auf die “Freiwilligkeit” ihrer Versorgungsregelungen abgelehnt hätte, der Klägerin überhaupt eine Versorgungszusage zu machen. So liegt aber der vorliegende Fall nicht.
 

Unterschriften

Reinecke, Bepler, Breinlinger, Kaiser, Platow

 

Fundstellen

DB 2003, 1004

EWiR 2003, 397

NZA 2003, 875

SAE 2003, 180

AP, 0

EzA-SD 2003, 17

EzA

ArbRB 2003, 100

BAGReport 2003, 159

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