Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerrufsvorbehalt. Inhaltskotrolle. Ausübungskontrolle. billiges Ermessen bei Ausübung eines Widerrufsvorbehalts. Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der betrieblichen Lohngestaltung. tarifungebundener Arbeitgeber. Einführung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen. Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung. Entlohnungsgrundsätze

 

Leitsatz (amtlich)

Führt ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber ohne Beteiligung des Betriebsrats Maßnahmen durch, die eine Änderung der im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze bewirken, können davon betroffene Arbeitnehmer nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze verlangen. Die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung trägt allerdings keinen Anspruch auf eine Vergütung, wenn diese Entlohnungsgrundsätze bereits mitbestimmungswidrig eingeführt wurden.

 

Orientierungssatz

1. Die im Arbeitsvertrag getroffene Vereinbarung über die Vergütung wird von Gesetzes wegen ergänzt durch die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer nach den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätzen zu vergüten.

2. Bei einer unter Verstoß gegen das Beteiligungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vorgenommenen Änderung der im Betrieb bestehenden Entlohnungsgrundsätze kann der Arbeitnehmer eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze fordern.

3. Widerruft der nicht tarifgebundene Arbeitgeber lediglich gegenüber Teilen der Beschäftigten einzelne Entgeltbestandteile und bleibt die im Betrieb bestehende Vergütungsstruktur im Übrigen unverändert, hat der Betriebsrat aufgrund des damit veränderten relativen Abstands der jeweiligen Gesamtvergütungen bei dieser Maßnahme nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen.

4. Ein in einer allgemeinen Geschäftsbedingung enthaltener Widerrufsvorbehalt unterliegt neben einer Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB der Ausübungskontrolle nach § 315 Abs. 1 BGB.

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Einleitungshalbs., Abs. 1 Nr. 10; BGB § 305 Abs. 1 S. 1, §§ 307, 308 Nr. 4, § 315 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 05.08.2014; Aktenzeichen 7 Sa 938/13)

ArbG Kempten (Urteil vom 28.08.2013; Aktenzeichen 1 Ca 837/13)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 5. August 2014 – 7 Sa 938/13 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung von Weihnachtsgeld für das Jahr 2012.

Der Kläger war zunächst bei der K beschäftigt. Im Jahr 2008 schloss deren Insolvenzverwalter mit dem Kläger – wie mit der Mehrzahl der Beschäftigten – einen neuen Arbeitsvertrag. Dieser regelt ua. ein monatliches Bruttoentgelt sowie eine ergebnisabhängige Sonderzahlung. Weiter ist im Arbeitsvertrag vereinbart:

„3. Weihnachtsgeld

Das Weihnachtsgeld 2008 berechnet sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst einschließlich Nachtzuschläge der letzten 3 Monate vor dem Monat November 2008. Für die Zahlung gilt folgende Staffelung:

nach 6 Monaten Betriebszugehörigkeit

25 % eines Monatsverdienstes

nach 12 Monaten Betriebszugehörigkeit

35 % eines Monatsverdienstes

nach 24 Monaten Betriebszugehörigkeit

45 % eines Monatsverdienstes

nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit

55 % eines Monatsverdienstes

Für das Rumpfgeschäftsjahr 2008 beträgt die Auszahlung 50 % des errechneten Betrages.

Ab 2009 wird das Weihnachtsgeld in voller Höhe nach vorstehenden Berechnungsgrundlagen bezahlt.

Die Auszahlung des Weihnachtsgelds erfolgt mit der Lohn-/Gehaltsabrechnung des Monats November. Der Arbeitgeber behält sich vor, diese Leistung im Fall der wirtschaftlichen Notlage zu widerrufen.”

Das Arbeitsverhältnis des Klägers ging in der Folgezeit auf die nicht tarifgebundene Beklagte, bei der ein Betriebsrat gebildet ist, über. Diese teilte dem Kläger mit Schreiben vom 12. November 2012 mit, sie widerrufe „das Weihnachtsgeld für das Jahr 2012 aufgrund wirtschaftlicher Notlage”. Der Widerruf erfolgte gegenüber allen Arbeitnehmern, deren Arbeitsvertrag eine Widerrufsklausel vorsieht. Die Arbeitsverträge der übrigen Arbeitnehmer enthalten entweder keine Regelung zur Gewährung eines Weihnachtsgelds oder keinen Widerrufsvorbehalt. Zum Zeitpunkt des Widerrufs stand die Beklagte kurz vor einer Insolvenz, die nur durch den Einstieg eines Investors abgewendet werden konnte. Dieser hatte sein finanzielles Engagement vom Widerruf des Weihnachtsgelds abhängig gemacht.

Mit der Klage hat der Kläger die Zahlung eines Weihnachtsgelds für das Jahr 2012 geltend gemacht. Der Widerrufsvorbehalt in Nr. 3 Abs. 4 des Arbeitsvertrags sei unwirksam. Er verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot nach §§ 307, 308 Nr. 4 BGB. Es sei nicht erkennbar, in welchen Fällen eine wirtschaftliche Notlage vorliege. Diese habe auch nicht bestanden. Jedenfalls entspreche die Ausübung des Widerrufs nicht billigem Ermessen. Zudem sei der Widerruf nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung unbeachtlich. Die Beklagte habe die Entlohnungsgrundsätze geändert, weil der Widerruf nicht gegenüber sämtlichen Arbeitnehmern erfolgt sei. Hierbei habe der Betriebsrat beteiligt werden müssen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.607,58 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2012 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht sie abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

I. Der Kläger hat keinen Anspruch nach Nr. 3 Abs. 4 Satz 1 des Arbeitsvertrags auf Zahlung eines Weihnachtsgelds. Die Beklagte war nach Satz 2 der Vereinbarung berechtigt, die arbeitsvertragliche Zusage eines Weihnachtsgelds einseitig zu widerrufen. Die Widerrufsklausel hält einer Inhaltskontrolle stand. Der Widerruf entsprach billigem Ermessen.

1. Nr. 3 Abs. 4 Satz 2 des Arbeitsvertrags, worin sich der Arbeitgeber vorbehalten hat, die Zahlung eines Weihnachtsgelds im Fall der wirtschaftlichen Notlage zu widerrufen, ist wirksam.

a) Bei der Widerrufsklausel handelt es sich nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts um eine Allgemeine Geschäftsbedingung iSd. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB.

b) Der Widerrufsvorbehalt unterliegt als eine von Rechtsvorschriften abweichende Bestimmung der uneingeschränkten Inhaltskontrolle, § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB (vgl. BAG 11. Oktober 2006 – 5 AZR 721/05 – Rn. 18 mwN). Einseitige Leistungsbestimmungsrechte, die dem Verwender das Recht einräumen, die Hauptleistungspflichten einzuschränken, zu verändern, auszugestalten oder zu modifizieren, unterliegen der Inhaltskontrolle. Sie weichen von dem allgemeinen Grundsatz pacta sunt servanda ab (BAG 12. Januar 2005 – 5 AZR 364/04 – zu B I 4 a der Gründe, BAGE 113, 140).

c) Der Widerrufsvorbehalt ist nicht aus formellen Gründen unwirksam.

aa) Ein Widerrufsvorbehalt muss den formellen Anforderungen von § 308 Nr. 4 BGB gerecht werden. Bei den Widerrufsgründen muss zumindest die Richtung angegeben werden, aus der der Widerruf möglich sein soll, zB wirtschaftliche Gründe, Leistung oder Verhalten des Arbeitnehmers (BAG 21. März 2013 – 5 AZR 651/10 – Rn. 16 mwN; 12. Januar 2005 – 5 AZR 364/04 – zu B I 5 b der Gründe, BAGE 113, 140). Dabei ist zu beachten, dass der Verwender vorgibt, was ihn zum Widerruf berechtigen soll.

bb) Diesem Transparenzgebot wird die Widerrufsklausel gerecht. Der Grad der wirtschaftlichen Störung, die einen Widerruf ermöglichen soll, wird darin konkretisiert. Die Klausel stellt ausdrücklich klar, dass der Arbeitnehmer im Fall der wirtschaftlichen Notlage mit dem Widerruf der zugesagten Zahlung eines Weihnachtsgelds rechnen muss. Angesichts der Vielzahl der möglichen wirtschaftlichen Entwicklungen ist es nicht erforderlich, die „wirtschaftliche Notlage” näher zu konkretisieren, etwa durch die Angabe eines Zeitraums, in dem Verluste vorliegen müssen, wie es die Revision beispielhaft meint. Der Anwendungsfall ist schon auf Ausnahmesituationen beschränkt und damit klar genug umrissen.

d) Die Widerrufsklausel ist auch materiell wirksam.

aa) Die Wirksamkeit des Widerrufsvorbehalts richtet sich nach § 308 Nr. 4 BGB als der gegenüber § 307 BGB spezielleren Norm. Deren Wertungen sind im Rahmen des § 308 Nr. 4 BGB heranzuziehen. Außerdem sind nach § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen (BAG 11. Oktober 2006 – 5 AZR 721/05 – Rn. 19 mwN).

bb) Die Vereinbarung eines Widerrufsrechts ist nach § 308 Nr. 4 BGB zumutbar, wenn der Widerruf nicht grundlos erfolgen soll, sondern wegen der unsicheren Entwicklung der Verhältnisse als Instrument der Anpassung notwendig ist (BAG 12. Januar 2005 – 5 AZR 364/04 – zu B I 4 c der Gründe, BAGE 113, 140). Die gebotene Interessenabwägung muss zu einer Zumutbarkeit der Klausel für den Arbeitnehmer führen. Das richtet sich in Anlehnung an § 307 BGB insbesondere nach der Art und Höhe der Leistung, die widerrufen werden soll, nach der Höhe des verbleibenden Verdienstes und der Stellung des Arbeitnehmers im Unternehmen. Unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte muss der Widerrufsgrund den Widerruf typischerweise rechtfertigen. Auch wenn der Arbeitgeber im Grundsatz ein anerkennenswertes Interesse daran hat, bestimmte Leistungen, insbesondere „Zusatzleistungen” flexibel auszugestalten, darf das Wirtschaftsrisiko des Unternehmers nicht auf den Arbeitnehmer verlagert werden. Eingriffe in den Kernbereich des Arbeitsvertrags sind nach der Wertung des § 307 Abs. 2 BGB nicht zulässig (BAG 11. Oktober 2006 – 5 AZR 721/05 – Rn. 21 f.).

cc) Dem wird Nr. 3 Abs. 4 Satz 2 des Arbeitsvertrags gerecht.

(1) Die Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts für ein dem Arbeitnehmer zugesagtes Weihnachtsgeld bei wirtschaftlicher Notlage des Arbeitgebers ist zulässig, wenn durch dessen Wegfall das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung im Arbeitsverhältnis nicht grundlegend berührt ist. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Fall, soweit der im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende widerrufliche Teil des Gesamtverdienstes unter 25 vH liegt. Sind darüber hinaus Zahlungen des Arbeitgebers widerruflich, die keine unmittelbare Gegenleistung für die Arbeitsleistung darstellen, erhöht sich der widerrufliche Teil der Arbeitsvergütung auf bis zu 30 vH des Gesamtverdienstes. Dem Arbeitnehmer wird hier zu seinem Vorteil eine Leistung zusätzlich zum üblichen Entgelt gewährt. Der Arbeitgeber ist dann bis zur Grenze der Willkür frei, die Voraussetzungen des Anspruchs festzulegen und dementsprechend auch den Widerruf zu erklären (BAG 12. Januar 2005 – 5 AZR 364/04 – zu A I 4 c bb der Gründe, BAGE 113, 140).

(2) Das jährliche Weihnachtsgeld iHv. maximal 55 vH eines Monatsentgelts beträgt nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts weniger als 5 vH des Gesamtentgelts des Klägers. Das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung im Arbeitsverhältnis wird daher nicht grundlegend berührt. Dem Kläger verbleibt nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auch nach Ausübung des Widerrufsrechts eine tarifliche Vergütungshöhe.

dd) Der Widerrufsvorbehalt ist auch nicht unwirksam, weil er keine Ankündigungs- bzw. Auslauffrist enthält. Für eine solche Frist gibt es keinen Ansatz im Gesetz. Die Einräumung einer Auslauffrist ist bei der Ausübungskontrolle in Betracht zu ziehen (BAG 21. März 2012 – 5 AZR 651/10 – Rn. 18 mwN).

2. Die Beklagte hat ihr Widerrufsrecht wirksam ausgeübt.

a) Neben der Inhaltskontrolle der in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen Widerrufsklausel steht die Ausübungskontrolle gemäß § 315 BGB. Die Erklärung des Widerrufs stellt eine Bestimmung der Leistung durch den Arbeitgeber nach § 315 Abs. 1 BGB dar. Der Widerruf muss im Einzelfall billigem Ermessen entsprechen (BAG 21. März 2012 – 5 AZR 651/10 – Rn. 22 mwN; 20. April 2011 – 5 AZR 191/10 – Rn. 20, BAGE 137, 383).

b) Die in Nr. 3 Abs. 4 Satz 2 des Arbeitsvertrags geregelten tatbestandlichen Voraussetzungen des Widerrufsrechts sind erfüllt.

aa) Die Beklagte befand sich zum Zeitpunkt der Ausübung des Widerrufsrechts mit Schreiben vom 12. November 2012 in einer wirtschaftlichen Notlage. Sie war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts in ihrer Existenz bedroht und stand am Rande einer Insolvenz, die nur mit Hilfe eines Investors abgewendet werden konnte.

bb) Es kann vorliegend dahinstehen, ob die Beklagte den Widerruf nach dem Inhalt ihres Schreibens vom 12. November 2012 nur auf die streitgegenständliche Zahlung des Weihnachtsgelds für das Jahr 2012 begrenzt hat. Eine nur eingeschränkte Ausübung des der Beklagten nach Nr. 3 Abs. 4 Satz 2 des Arbeitsvertrags zustehenden Widerrufsrechts hätte auf die Wirksamkeit des Widerrufs für das Jahr 2012 keinen Einfluss.

c) Der Widerruf wahrt auch die Grenzen billigen Ermessens iSd. § 315 Abs. 1 BGB.

aa) Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Maßgebend ist der Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hat. Ob die Entscheidung der Billigkeit entspricht, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle, § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB (BAG 25. Februar 2015 – 1 AZR 642/13 – Rn. 36, BAGE 151, 35).

bb) Danach lassen die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts keine Rechtsfehler erkennen. Entgegen der Auffassung der Revision ist es weder ermessensfehlerhaft noch verstößt es gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, dass die Beklagte den Arbeitnehmern, deren Vertrag keinen Widerruf vorsieht, das Weihnachtsgeld ausgezahlt hat. Bei Letzteren handelt es sich nicht um eine vergleichbare Gruppe von Arbeitnehmern. Der Ausspruch von Änderungskündigungen hätte angesichts der einzuhaltenden Kündigungsfristen ebenso wenig zu der erforderlichen schnellen wirtschaftlichen Entlastung der Beklagten für das Jahr 2012 geführt wie Verhandlungen über eine Änderung arbeitsvertraglicher Bedingungen.

cc) Die Beklagte handelte – anders als der Kläger meint – auch nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil „andere Gläubiger” keinen Beitrag zur Überwindung ihrer wirtschaftlichen Notlage geleistet hätten. Es ist bereits unklar, wie hierdurch zum Ende des Jahres 2012 eine Insolvenz hätte abgewendet werden können. Die Beklagte hat zudem in diesem Zusammenhang unwidersprochen vorgetragen, bereits zu Beginn und Mitte des Jahres 2012 hätten die Vergütungen nur aufgrund zweier privater Darlehen und eines Überbrückungsdarlehens erfolgen können, da von anderer Seite keine Liquidität zu erhalten gewesen sei. Von Juni bis September 2012 hat die Beklagte dann zur Sicherung ihrer Liquidität noch drei weitere Überbrückungsdarlehen benötigt. Angesichts dieser Situation war sie nicht verpflichtet, zunächst – mit ungewissem Ausgang – zu versuchen, andere Gläubiger zu einem Forderungsverzicht zu bewegen, bevor sie von ihrem vertraglichen Widerrufsrecht Gebrauch machte.

dd) Der mit Schreiben vom 12. November 2012 ausgesprochene Widerruf erfolgte schließlich vor dem vereinbarten Fälligkeitszeitpunkt. Eine Auslauffrist kam angesichts der nur einmal jährlich fälligen Zahlung und der unmittelbar drohenden Insolvenz der Beklagten nicht in Betracht.

II. Der Kläger kann sein Begehren nicht mit Erfolg darauf stützen, die Beklagte habe beim Widerruf ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG verletzt. Diese ist auch nach den sich aus der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung ergebenden Grundsätzen nicht verpflichtet, ein Weihnachtsgeld für das Jahr 2012 zu zahlen.

1. Nach der Rechtsprechung des Senats kann ein Arbeitnehmer in Fortführung der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung bei einer unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vorgenommenen Änderung der im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze fordern. Die im Arbeitsvertrag getroffene Vereinbarung über die Vergütung wird von Gesetzes wegen ergänzt durch die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer nach den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätzen zu vergüten (BAG 5. Mai 2015 – 1 AZR 435/13 – Rn. 13; 22. Juni 2010 – 1 AZR 853/08 – Rn. 43 mwN, BAGE 135, 13).

2. Danach kann der Kläger kein Weihnachtsgeld für das Jahr 2012 verlangen.

a) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts und der Beklagten folgt dies allerdings nicht bereits daraus, dass infolge des Widerrufs des Weihnachtsgelds kein Regelungsspielraum für eine Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bestand.

aa) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung, mitzubestimmen. Die betriebliche Lohngestaltung betrifft die Festlegung abstrakter Kriterien zur Bemessung der Leistung des Arbeitgebers, die dieser zur Abgeltung der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers oder sonst mit Rücksicht auf das Arbeitsverhältnis insgesamt erbringt. Mitbestimmungspflichtig sind die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen. Entlohnungsgrundsätze iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG sind die abstrakt-generellen Grundsätze zur Lohnfindung. Sie bestimmen das System, nach welchem das Arbeitsentgelt für die Belegschaft oder Teile der Belegschaft ermittelt oder bemessen werden soll. Sie sind die allgemeinen Vorgaben, aus denen sich die Vergütung der Arbeitnehmer des Betriebs in abstrakter Weise ergibt. Zu diesen zählt neben der Grundentscheidung für eine Vergütung nach Zeit oder nach Leistung die daraus folgende Ausgestaltung des Systems. Für das Beteiligungsrecht des Betriebsrats kommt es nicht darauf an, auf welcher rechtlichen Grundlage die Anwendung der bisherigen Entlohnungsgrundsätze erfolgt ist, etwa auf der Basis bindender Tarifverträge, einer Betriebsvereinbarung, einzelvertraglicher Absprachen oder einer vom Arbeitgeber einseitig praktizierten Vergütungsordnung. Nach der Konzeption des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hängt das Mitbestimmungsrecht nicht vom Geltungsgrund der Entgeltleistung, sondern nur vom Vorliegen eines kollektiven Tatbestands ab. Die konkrete Höhe des Arbeitsentgelts wird allerdings nicht vom Beteiligungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG erfasst (BAG 5. Mai 2015 – 1 AZR 435/13 – Rn. 15 mwN; 17. Mai 2011 – 1 AZR 797/09 – Rn. 15 ff. mwN).

bb) Ist der Arbeitgeber tarifgebunden, beschränkt sich die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG wegen § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG auf den nicht tariflich geregelten, „freiwillig” geleisteten übertariflichen Teil der Vergütung. Demgegenüber kann der nicht tarifgebundene Arbeitgeber – kollektivrechtlich – das gesamte Volumen der von ihm für die Vergütung der Arbeitnehmer bereitgestellten Mittel mitbestimmungsfrei festlegen und für die Zukunft ändern. Mangels Tarifgebundenheit leistet er sämtliche Vergütungsbestandteile „freiwillig”, weil er hierzu normativ, also gesetzlich oder tariflich, nicht verpflichtet ist. Solange er die Arbeitsleistung überhaupt vergütet, hat er die „freiwilligen” Leistungen nicht gänzlich eingestellt. Bei einer Absenkung der Vergütung hat er daher – weil keine tarifliche Vergütungsordnung das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG ausschließt – die bisher geltenden Entlohnungsgrundsätze auch bezüglich des verbleibenden Vergütungsvolumens zu beachten und im Falle ihrer Änderung die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen. Das gilt auch, wenn der Arbeitgeber Teile der Vergütung den Arbeitnehmern individualvertraglich schuldet. Solche Ansprüche sind zwar nach dem Günstigkeitsprinzip im Verhältnis der Arbeitsvertragsparteien zu beachten. Anders als gesetzliche oder tarifliche Regelungen stehen sie aber der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht entgegen. Zudem lässt sich die Gesamtvergütung regelmäßig nicht in mehrere voneinander unabhängige Bestandteile – wie etwa Grundvergütung, Zulagen, Jahresleistungen sowie weitere Vergütungsbestandteile – aufspalten. Vielmehr bildet ihre Gesamtheit die Vergütungsordnung, bei deren Aufstellung und Veränderung der Betriebsrat mitzubestimmen hat. Die Vergütungsstruktur wird daher in der Regel geändert, wenn nur einer der mehreren Bestandteile, aus denen sich die Gesamtvergütung zusammensetzt, gestrichen, erhöht oder vermindert wird (BAG 26. August 2008 – 1 AZR 354/07 – Rn. 21 mwN, BAGE 127, 297; 28. Februar 2006 – 1 ABR 4/05 – Rn. 22, BAGE 117, 130). Dabei ist es für die betriebliche Vergütungsstruktur ohne Bedeutung, ob bestimmte Vergütungsbestandteile individualrechtlich widerruflich ausgestaltet sind oder nicht. Eine Änderung der Entlohnungsgrundsätze liegt solange nicht vor, wie diese tatsächlich erbracht werden. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist daher erst gegeben, wenn sich in Ausübung bestehender Widerrufsrechte Entlohnungsgrundsätze ändern. Die bloße Vereinbarung eines Widerrufsrechts für den Arbeitgeber unterfällt nicht dem Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG (BAG 28. Februar 2006 – 1 ABR 4/05 – Rn. 25, aaO).

cc) Danach erweist sich die Begründung des Landesarbeitsgerichts, infolge der vollständigen Einstellung der „widerruflichen Zulage” habe kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bestanden, da es an einem Spielraum für die Verteilung eines Zulagenvolumens gefehlt habe, als rechtsfehlerhaft. Das Landesarbeitsgericht hat lediglich auf den Entgeltbestandteil „Weihnachtsgeld” abgestellt und nicht geprüft, ob sich die bestehende Vergütungsstruktur bei der Beklagten – bestehend aus der Gesamtheit aller Vergütungsbestandteile, zu denen ua. das monatliche Bruttoentgelt und die erfolgsabhängige Sonderleistung gehören – durch den nicht gegenüber allen Beschäftigten erfolgten Widerruf des Weihnachtsgelds geändert hat. Nur dann wäre die Maßnahme nicht mitbestimmungspflichtig gewesen.

b) Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Der Kläger kann sich für seinen Anspruch nicht auf einen Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG stützen.

Selbst wenn man zu seinen Gunsten von einem solchen ausgeht, ist die Klage unbegründet.

aa) Es erscheint aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts naheliegend, dass die nicht tarifgebundene Beklagte durch den Widerruf des Weihnachtsgelds die Vergütungsstruktur im Betrieb geändert hat und dieser Vorgang deshalb nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig war.

(1) Die Beklagte hat durch den Widerruf nicht alle Vergütungsbestandteile in Wegfall gebracht. Sie hat nur die Zahlung des Weihnachtsgelds für das Jahr 2012 gegenüber denjenigen Arbeitnehmern eingestellt, mit denen ein vertraglicher Widerrufsvorbehalt vereinbart war.

(2) Der nicht gegenüber sämtlichen Arbeitnehmern erfolgte Widerruf spricht dafür, dass keine gleichmäßige Absenkung des Vergütungsniveaus aller Arbeitnehmer eintrat, sondern sich die Verteilungsrelationen im Verhältnis zu den Arbeitnehmern, denen schon bisher kein Weihnachtsgeld gezahlt wurde, und jenen, bei denen einen Widerruf nicht erfolgte, änderte. Wird ein Vergütungsbestandteil bei einer Gruppe von Arbeitnehmern bei im Übrigen unveränderter Entgeltstruktur nicht mehr erbracht, verändert sich der relative Abstand der jeweiligen Gesamtvergütungen zueinander (vgl. BAG 28. April 2009 – 1 ABR 97/07 – Rn. 32, BAGE 131, 1). Hierbei hat der Betriebsrat mitzubestimmen.

bb) Die Klage ist allerdings auch dann unbegründet, wenn die Beklagte ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht beachtet hätte. Der Kläger stützt sein Begehren allein auf diejenigen Vergütungsgrundsätze, die sich aus den im Jahr 2008 mit dem Insolvenzverwalter der Rechtsvorgängerin vereinbarten Arbeitsverträgen ergeben sollen. Er hat nicht dargelegt, dass diese mitbestimmungsgemäß eingeführt wurden.

(1) Eine mitbestimmungsgemäße Einführung der Entlohnungsgrundsätze, die den Vergütungsabreden in den im Jahr 2008 geschlossenen Arbeitsverträgen entsprechen, läge vor, wenn diesen ein bei der Rechtsvorgängerin gebildeter Betriebsrat zugestimmt hätte. Der im Jahre 2008 geschlossene Arbeitsvertrag des Klägers, der unter Nr. 2 und Nr. 7 auf nicht näher bestimmte Betriebsvereinbarungen Bezug nimmt, legt die Existenz eines Betriebsrats nahe. Ob ein bestehender Betriebsrat der Einführung solcher Entlohnungsgrundsätze zugestimmt hat, hat der Kläger nicht dargelegt. Er hat auch nicht vorgetragen, bei der Einführung habe kein Betriebsrat bestanden und die Rechtsvorgängerin der Beklagten habe diese daher mitbestimmungsfrei einführen können. Weiterhin ist nicht ersichtlich, ob der bei der Beklagten bestehende Betriebsrat diesen Entlohnungsgrundsätzen zu einem späteren Zeitpunkt zugestimmt hat.

(2) Die Entlohnungsgrundsätze sind auch dann nicht als mitbestimmungsgemäß eingeführt anzusehen, wenn ein bei der Rechtsvorgängerin bestehender oder der bei der Beklagten bestehende Betriebsrat diese ggf. geduldet hat. Die bloße Hinnahme eines mitbestimmungswidrigen Verhaltens eines Arbeitgebers durch den Betriebsrat reicht für eine Mitbestimmung nicht aus. Diese setzt eine auf die Zustimmung zu der Maßnahme gerichtete Beschlussfassung des Betriebsrats und deren Verlautbarung gegenüber dem Arbeitgeber voraus (BAG 5. Mai 2015 – 1 AZR 435/13 – Rn. 31; 18. März 2014 – 1 ABR 75/12 – Rn. 33, BAGE 147, 313). Hierfür fehlt es an Anhaltspunkten.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Treber, Ahrendt, Weber, D. Wege, Benrath

 

Fundstellen

Haufe-Index 10869039

BB 2017, 1395

DB 2017, 7

NJW 2017, 10

EWiR 2017, 607

FA 2017, 212

FA 2017, 250

NZA 2017, 931

ZIP 2017, 1488

ZTR 2017, 495

AP 2017

EzA-SD 2017, 12

EzA-SD 2017, 14

EzA 2017

MDR 2017, 887

AUR 2017, 315

ArbRB 2017, 200

ArbR 2017, 337

RdW 2017, 628

AP-Newsletter 2017, 125

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