Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Berufungsbegründung

 

Normenkette

ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 2, § 543 Abs. 2 S. 1, § 313 Abs. 1 Nr. 5

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 30.09.1999; Aktenzeichen 4 Sa 10/99)

ArbG Pforzheim (Urteil vom 27.11.1998; Aktenzeichen 2 Ca 244/98)

 

Tenor

  • Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 30. September 1999 – 4 Sa 10/99 – insoweit aufgehoben, als es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 27. November 1998 – 2 Ca 244/98 – wegen der Zahlungsansprüche verworfen hat.
  • Die Sache wird insoweit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Ansprüche auf Feiertagsvergütung und in diesem Zusammenhang darüber, ob der Kläger Arbeitnehmer der Beklagten war.

Der Kläger war vom 15. April 1990 bis zum 30. September 1997 auf der Grundlage eines “Handelsvertretervertrags” bei der Beklagten beschäftigt. Als Vergütung war eine monatliche “Provisionsgarantie” von insgesamt 8.000,00 DM vereinbart. Sie setzte sich je zur Hälfte aus einer “Pauschalprovision” und einer “Garantieprovision” zusammen.

Der Kläger hat mit der vorliegenden Klage Entgeltfortzahlung für die gesetzlichen Feiertage 1. Januar, 5. April, 8. April, 11. Mai, 16. Mai, 27. Mai, 6. Juni, 3. Oktober, 1. November, 25. Dezember und 26. Dezember 1996 sowie 1. Januar, 6. Januar, 28. März, 31. März, 1. Mai, 8. Mai, 19. und 25. Mai 1997 in Höhe von je 406,23 DM geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, er sei nicht als Handelsvertreter sondern als Arbeitnehmer tätig gewesen.

Der Kläger hat – soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse – beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.468,53 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Januar 1997 sowie 3.249,84 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Juni 1997 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, der Kläger sei kein Arbeitnehmer gewesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht als unzulässig verworfen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zu Unrecht für unzulässig gehalten. Sie genügt den gesetzlichen Anforderungen.

  • Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Berufung habe sich nicht ausreichend mit den Gründen des angefochtenen Urteils auseinandergesetzt. Das Arbeitsgericht habe den Zahlungsanspruch aus zwei Gründen abgewiesen. Jeder von ihnen trage für sich allein die Klageabweisung. Der Kläger habe sich zwar ausführlich mit der Auffassung des Arbeitsgerichts befaßt, er sei nicht Arbeitnehmer gewesen. Auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Unschlüssigkeit der Höhe der Klageforderung gehe die Berufungsbegründung aber nicht ein. Das Arbeitsgericht habe die Berechnung des Feiertagsentgelts deshalb für unrichtig gehalten, weil der Kläger als Referenzzeitraum die Jahre 1994 bis 1996 und nicht einen sehr viel kürzeren Zeitraum gewählt habe. Darüber hinaus habe er bei seiner Berechnung diejenigen Zeiten nicht berücksichtigt, in denen er noch eine Gesamtprovision erhalten habe. Statt den Bedenken des Arbeitsgerichts Rechnung zu tragen, habe der Kläger in der Berufungsbegründung den Referenzzeitraum um die Einkünfte aus dem Jahr 1997 sogar noch erweitert. Mit dem Hinweis des Arbeitsgerichts auf die Zeiten eines Bezugs von “Gesamtprovision” habe er sich gar nicht auseinandergesetzt. Aus diesen Gründen sei die Berufung unzulässig.
  • Der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann nicht gefolgt werden.

    • Nach § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO muß die Berufungsbegründung die bestimmte Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) sowie der neuen Tatsachen, Beweismittel und Beweiseinreden enthalten, die die Partei zur Rechtfertigung ihrer Berufung vorzubringen hat. Zweck der gesetzlichen Regelung ist es, formale und nicht auf den konkreten Streitfall bezogene Berufungsbegründungen auszuschließen, um dadurch eine Konzentration und Beschleunigung des Verfahrens im zweiten Rechtszug zu bewirken. Aus der Berufungsbegründung müssen Gericht und Gegner erkennen können, welche Gesichtspunkte der Berufungskläger seiner Rechtsverfolgung oder -verteidigung zugrunde legen, insbesondere welche tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des erstinstanzlichen Urteils er bekämpfen und auf welche Gründe er sich hierfür stützen will. Dabei muß die Rechtsmittelbegründung geeignet sein, das gesamte Urteil in Frage zu stellen. Wenn das Gericht seine Entscheidung auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt hat, muß die Berufungsbegründung für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie unzutreffend sein soll; andernfalls ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig (BAG 11. März 1998 – 2 AZR 497/97 – BAGE 88, 171, 175 mwN; BGH 25. November 1999 – III ZB 50/99 – nv.). Eine schlüssige, rechtlich haltbare Berufungsbegründung setzt § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO dabei nicht voraus (BAG 9. Oktober 1997 – 2 AZR 32/97 – nv.; 7. Februar 1983 – 3 AZB 26/82 – nv.; BGH 6. Mai 1999 – III ZR 265/98 – nv. mwN). Es kommt nicht darauf an, ob die rechtliche Beurteilung des Berufungsführers richtig ist oder nicht (BAG 13. Mai 1987 – 5 AZR 370/86 – nv.).
    • Der Kläger hat sich mit den Gründen, die das Arbeitsgericht für die Abweisung der Zahlungsklage angeführt hat, hinreichend auseinandergesetzt.

      Wie auch das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, hat sich der Kläger mit der Auffassung des Arbeitsgerichts zu seinem Arbeitnehmerstatus hinreichend befaßt. Anders als das Landesarbeitsgericht gemeint hat, gilt dies auch hinsichtlich der Auffassung, er habe seine Ansprüche der Höhe nach nicht schlüssig dargelegt.

      • Das Arbeitsgericht hat ausgeführt, die Höhe des Anspruchs richte sich grundsätzlich nach dem sog. Entgeltausfallprinzip. Auch Provisionen, die der Betroffene während des gesetzlichen Feiertages hätte verdienen können, seien Bestandteil des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts iSv. § 2 Abs. 1 EFZG. Dabei sei grundsätzlich vom mutmaßlichen Provisionsausfall auszugehen. Da dessen Ermittlung schwierig sei, werde der Provisionsanspruch regelmäßig in der Weise errechnet, daß der Durchschnittsverdienst der letzten vier Wochen bzw. des letzten Monats oder des letzten Jahres zugrunde gelegt werde. Die vom Kläger berücksichtigte Zeitspanne der Jahre 1994, 1995 und 1996 sei dagegen zu groß und ermögliche dem Gericht keine Überprüfung der Höhe des Anspruchs aus § 2 Abs. 1 EFZG. Außerdem habe der Kläger außer acht gelassen, daß er im Referenzzeitraum teilweise noch eine Gesamtprovision erhalten habe.
      • Der Kläger hat in der Berufungsbegründung die gesamten Provisionszahlungen aus den Jahren 1994 bis 1997 aufgeführt und darauf verwiesen, daß er von der Beklagten mit Schreiben vom 20. Juni 1997 von der Arbeitsleistung freigestellt worden sei. Dadurch sei ihm die Möglichkeit genommen worden, umsatzabhängige Provisionen zu erzielen. Die Auffassung des Arbeitsgerichts, es sei zur Entgeltberechnung auf die vier Wochen vor Vertragsbeendigung abzustellen, werde den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht. Es müsse ein längerer Zeitraum angesetzt werden, da andernfalls das vertragswidrige Verhalten der Beklagten im Nachhinein prämiiert werde. Maßgeblich seien die das Vertragsverhältnis prägenden Verhältnisse der Jahre 1994 bis 1996.

        Der Kläger hat auf diese Weise seine eigene Rechtsauffassung in konkreter Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts dargestellt. Soweit er das Arbeitsgericht fälschlicherweise dahin verstanden hat, es habe auf die vier Wochen vor Vertragsbeendigung abstellen wollen, ist dies unschädlich. Sein Verständnis beruhte auf der unklaren Ausdrucksweise des Arbeitsgerichts. Dieses hat nicht deutlich genug erklärt, es sei auf den Durchschnittsverdienst der letzten vier Wochen vor dem jeweiligen Feiertag abzustellen. Mag auch die Vorstellung des Klägers, das Arbeitsgericht habe die letzten vier Wochen vor der Vertragsbeendigung für maßgeblich gehalten, schwer nachvollziehbar sein, so kann seine Auseinandersetzung mit den Gründen des arbeitsgerichtlichen Urteils gleichwohl nicht mit der Erwägung des Landesarbeitsgerichts abgetan werden, er habe sich nur mit fiktiven Darlegungen des Arbeitsgerichts befaßt. Es war auch nicht erforderlich, daß der Kläger sich die Meinung des Arbeitsgerichts zu eigen gemacht und dieser seine Zahlenangaben angepaßt hätte. Das Erfordernis einer Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil bedeutet nicht, den eigenen Vortrag oder die eigene Auffassung den Gründen des Urteils anpassen zu müssen. Der Berufungskläger kann – ohne mit der Berufung an § 519 ZPO zu scheitern – durchaus an seiner Meinung festhalten, sofern er Gründe nennt, warum diese im Gegensatz zu der im angefochtenen Urteil vertretenen die zutreffende sein soll.

        Die Berufung ist auch nicht deshalb unzulässig, weil der Kläger nicht auf den Hinweis des Arbeitsgerichts eingegangen ist, er habe bei der Anspruchsberechnung diejenigen Zeiten nicht berücksichtigt, in denen er noch eine Gesamtprovision erhalten habe. Dieser Hinweis hat keine selbständige tragende Bedeutung. Das Arbeitsgericht hat nicht ausreichend klargestellt, was es damit hat sagen wollen. Es kann zwar angenommen werden, daß es mit dem Ausdruck “Gesamtprovision”, der im schriftlichen Vertrag der Parteien nicht verwendet wird, die in § 6 aufgeführte “Provisionsgarantie” gemeint hat. Diese wurde bis zu ihrer Ersetzung durch die am 1. Juni 1996 mündlich getroffene Provisionsabrede gezahlt. Die Zeiten ihrer Zahlung hat der Kläger aber gerade “berücksichtigt”. Er hat unter Einbeziehung des gesamten Jahres 1996 den nach seiner Auffassung für jeden Feiertag zu zahlenden Verdienst ermittelt. Angesichts dessen liegt die Annahme nahe, das Arbeitsgericht habe eher das Gegenteil von dem gemeint, was es dem Kläger vorgehalten hat. In jedem Falle war es nicht Sache des Klägers, dem möglichen Sinn der erstinstanzlichen Ausführungen nachzugehen und vorsorglich allen denkbaren Interpretationen Argumente entgegenzusetzen.

  • Ob das Urteil des Berufungsgerichts auch deshalb rechtsfehlerhaft ist, weil es entgegen § 313 Abs. 1 Nr. 5 und § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO keinen Tatbestand enthält, oder ob es eines solchen wegen Verwerfung der Berufung als unzulässig ausnahmsweise nicht bedurfte, braucht nicht entschieden zu werden.
  • Gemäß § 564 Abs. 1 ZPO war das Urteil des Landesarbeitsgerichts, soweit es durch die Revision angegriffen wurde, aufzuheben und der Rechtsstreit gemäß § 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das LAG zurückzuverweisen. Eine Entscheidung des Senats in der Sache selbst scheidet mangels Tatsachenfeststellungen durch das Berufungsgericht aus.
 

Unterschriften

Müller-Glöge, Reinecke, Kreft, Glaubnitz, W. Hinrichs

 

Fundstellen

Haufe-Index 892454

FA 2001, 245

FA 2001, 279

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