Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragspflicht für geringfügig Beschäftigte. Baugewerbe

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Arbeitgeber des Baugewerbes sind nach dem Tarifvertrag über das Verfahren für den Urlaub, den Lohnausgleich und die Zusatzversorgung im Baugewerbe vom 12. November 1960 auch für nicht versicherungspflichtige geringfügig beschäftigte Arbeiter beitragspflichtig (Bestätigung des Urteils des Senats vom 28. September 1988 - 4 AZR 350/88 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).

2. Gegen diese Tarifregelung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Vielmehr eröffnet Art 9 Abs 3 GG den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit, im Rahmen der Tarifautonomie auf tariflicher Grundlage Sozialkassen einzurichten und den Geltungsbereich der entsprechenden Tarifverträge, auch hinsichtlich der von der Beitragspflicht erfaßten Arbeitnehmer, frei zu bestimmen.

 

Normenkette

GG Art. 9; TVG §§ 1, 5; RVO §§ 1227-1229; BauRTV § 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 16.05.1988; Aktenzeichen 14 Sa 1541/87)

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 13.10.1987; Aktenzeichen 1 Ca 2917/86)

 

Tatbestand

Die Klägerin ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Als solche nimmt sie die Beklagten auf Zahlung von Beiträgen für die Zeiträume Dezember 1981 sowie Januar 1983 bis Juni 1986 in rechnerisch unstreitiger Höhe von 3.795,32 DM in Anspruch. Die Beklagte zu 1) nahm im vorgenannten Zeitraum am Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft teil. In den Meldungen an die Klägerin waren die Lohnsummen für zwei nicht rentenversicherungspflichtige geringfügig beschäftigte Reinemachefrauen nicht enthalten. Der Beklagte zu 2) ist der persönlich haftende Gesellschafter der Beklagten zu 1).

Die Klägerin hat sich darauf berufen, auch für die versicherungsfreien geringfügig beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer seien Beiträge abzuführen. Denn auch diese könnten Leistungen nach den Sozialkassentarifverträgen erhalten.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu ver-

urteilen, an die Klägerin 3.795,32 DM zu

zahlen.

Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt und dazu vorgetragen, nach dem Tarifwortlaut würden die geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer nicht von den Tarifverträgen für das Baugewerbe erfaßt, da nur für Arbeitnehmer Beiträge abzuführen seien, die eine nach den Vorschriften der RVO über die Rentenversicherung der Arbeiter versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten. Für die beiden als Teilzeitkräfte geringfügig beschäftigten Reinemachefrauen, die zudem der Pauschalversteuerung unterlägen, bestehe aber eine Versicherungspflicht nicht. Dieser Personenkreis könne auch keine Ansprüche aus den verschiedenen Sozialkassentarifverträgen erwerben. Daher habe kein Anlaß bestanden, sie in die Beitragsregelung der Verfahrenstarifverträge aufzunehmen. Bei der Auslegung der tariflichen Regelung über den persönlichen Geltungsbereich müsse zudem berücksichtigt werden, daß der Gesetzgeber in den Fällen sogenannter Geringverdiener einen Sozialversicherungsschutz nicht für notwendig halte und daß dies den Tarifvertragsparteien bekannt gewesen sei, sie aber dennoch durch das Abstellen auf eine versicherungspflichtige Tätigkeit pauschal auf die Regelungen der RVO verwiesen hätten. Hätten die Tarifvertragsparteien etwas anderes gewollt, hätten sie dies ausdrücklich zum Ausdruck bringen müssen. Außerdem sei es mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren, daß der Arbeitgeber bei geringfügig Beschäftigten keine Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung zu entrichten, für die Zusatzversorgungskasse der Bauwirtschaft aber für diesen Personenkreis die vollen Beiträge zu zahlen habe, obwohl diese Arbeitnehmer keine Ansprüche aus den Sozialkassentarifverträgen erwerben könnten. Es stelle ferner eine sachlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der ohne Allgemeinverbindlichkeit nicht tarifgebundenen Betriebe des Baugewerbes dar, wenn diese im Vergleich zu anderen Branchen keine gering verdienenden Aushilfskräfte beschäftigen könnten, ohne dafür sozialversicherungsrechtliche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit der Maßgabe stattgegeben, daß es die Beklagten wie Gesamtschuldner verurteilt hat. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage mit Recht stattgegeben. Die Klägerin kann von den Beklagten die Zahlung von 3.795,32 DM verlangen. Diesen in seiner rechnerischen Höhe unstreitigen Betrag schulden die Beklagten wie Gesamtschuldner der Klägerin als Beitrag für die bei der Beklagten zu 1) geringfügig beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer nach den Verfahrenstarifverträgen für das Baugewerbe für die Zeiträume Dezember 1981 sowie Januar 1983 bis Juni 1986. Denn die Beklagten sind entgegen ihrer Auffassung verpflichtet, auch für die geringfügig beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer Beiträge an die Klägerin abzuführen.

Die im Klagezeitraum geltenden Verfahrenstarifverträge für das Baugewerbe finden kraft Allgemeinverbindlichkeit auf die Parteien mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 5 Abs. 4, § 4 Abs. 2 TVG). Die von der Klägerin nach den Verfahrenstarifverträgen geforderten Beiträge sind für diejenigen Arbeitnehmer abzuführen, auf die sich der persönliche Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer erstreckt. Hierzu bestimmt § 1 Abs. 3 der Verfahrenstarifverträge:

"Persönlicher Geltungsbereich:

-----------------------------

Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften

der Reichsversicherungsordnung über die Ren-

tenversicherung der Arbeiter (RV0) versiche-

rungspflichtige Tätigkeit ausüben."

Nach dem für die Tarifauslegung maßgebenden Wortlaut und dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung (BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung) werden damit vom persönlichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge diejenigen Arbeitnehmer erfaßt, die eine von der Reichsversicherungsordnung über die Rentenversicherung der Arbeiter erfaßte Tätigkeit ausüben. Ob im Einzelfall für die Arbeitnehmer Versicherungspflicht besteht und Beiträge an die Rentenversicherung abzuführen sind, ist für den persönlichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge dagegen unerheblich. Mit Recht weist das Landesarbeitsgericht darauf hin, daß die Tarifvertragsparteien auf die Tätigkeit abstellen und nicht auf die persönliche Versicherungspflicht. Der Hinweis auf die Versicherungspflicht nach der RVO bedeutet nur, daß es sich um eine von der RVO erfaßte Tätigkeit handeln muß. Der persönliche Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer gilt ersichtlich zur Abgrenzung vom Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge für technische und kaufmännische Angestellte sowie Poliere und Schachtmeister. Dort heißt es in § 1 Abs. 3:

"Technische und kaufmännische Angestellte so-

wie Poliere und Schachtmeister, die unter den

persönlichen Geltungsbereich des Tarifver-

trags über eine gesetzliche Alters- und Inva-

lidenbeihilfe im Baugewerbe vom 28. Dezember

1979 fallen."

In dem in Bezug genommenen Tarifvertrag über eine zusätzliche Alters- und Invalidenbeihilfe heißt es in § 1 Abs. 3:

"Personen, die als Arbeitnehmer eine nach den

Vorschriften der Reichsversicherungsordnung

über die Rentenversicherung der Arbeiter oder

des Angestelltenversicherungsgesetzes in sei-

ner jeweils geltenden Fassung versicherungs-

pflichtige Tätigkeit ausüben."

Der persönliche Geltungsbereich in dem Verfahrenstarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer einerseits und die Angestellten andererseits dient damit zur Abgrenzung der Arbeiter und Angestellten. Die Arbeiter- oder Angestellteneigenschaft hängt aber nicht von der individuellen Versicherungspflicht ab, sondern von der ausgeübten Tätigkeit. Wenn die Tarifvertragsparteien an die persönliche Rentenversicherungspflicht des einzelnen Arbeitnehmers hätten anknüpfen wollen, hätten sie eine andere Formulierung gewählt und etwa formuliert:

"Arbeitnehmer, die nach den Vorschriften der

Reichsversicherungsordnung über die Renten-

versicherung der Arbeiter (RVO) versiche-

rungspflichtig sind."

Aber selbst diese Formulierung könnte noch so verstanden werden, daß sie nur der Abgrenzung zu den Angestellten dient. So heißt es etwa in § 1 des Gesetzes über die Fristen für die Kündigung von Angestellten vom 9. Juli 1926:

"Die Vorschriften dieses Gesetzes finden An-

wendung auf Angestellte, die nach § 1 des

Versicherungsgesetzes für Angestellte (jetzt:

§§ 2, 3 AVG) versicherungspflichtig sind oder

sein würden, wenn ihr Jahresverdienst die Ge-

haltsgrenze nach § 3 des Versicherungsgesetzes

für Angestellte nicht überstiege."

Hierzu wird die Auffassung vertreten, daß das Gesetz auch für solche Angestellte gilt, die nicht versicherungspflichtig sind (z. B. weil sie Altersruhegeld aus der Rentenversicherung beziehen), sofern sie nur eine der in §§ 2, 3 AVG angeführten Beschäftigungen gegen Entgelt ausüben (BAG Urteil vom 26. September 1968 - 2 AZR 409/67 - AP Nr. 1 zu § 1 AngKSchG). Der Gesetzgeber will damit auch in § 1 AngKSchG nur die Angestellten von den Arbeitern abgrenzen, wie es auch die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes tun.

Die Auslegung der tariflichen Vorschrift über den persönlichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge durch den Senat ergibt auch einen vernünftigen Sinn. Im Hinblick auf die von den Tarifvertragsparteien stets erstrebte Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge für das Baugewerbe und insbesondere der Verfahrenstarifverträge ergibt sich, daß sie möglichst alle Arbeitnehmer des Baugewerbes erfassen wollen. Es ist auch kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, weshalb geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer verhältnismäßig schlechtergestellt werden sollten als vollbeschäftigte Arbeitnehmer. Wenn die geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer in den persönlichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge einbezogen werden, stehen ihnen auch - wegen des insoweit gleichen persönlichen Geltungsbereichs - entgegen der Auffassung der Beklagten die tariflichen Leistungen aus den Sozialkassentarifverträgen und sonstigen Tarifverträgen des Baugewerbes zu (Alters- und Invalidenbeihilfe, Urlaub).

Diese Auslegung der Verfahrenstarifverträge wird durch weitere tarifliche Bestimmungen gestützt. So sind bei Arbeitnehmern, die unter den Geltungsbereich der Tarifverträge für das Baugewerbe fallen, bei der Bemessung des Urlaubs (Betriebszugehörigkeit - § 8 Ziff. 4 und 6 BRTV-Bau -) auch Zeiten einer geringfügigen Beschäftigung zu berücksichtigen. Auch diese Regelung spricht dafür, daß die geringfügig Beschäftigten von den Tarifverträgen des Baugewerbes erfaßt werden, wenn sie eine von der RV0 erfaßte versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben. Damit trägt der Senat zugleich dem Grundsatz Rechnung, daß im Zweifel derjenigen Tarifauslegung der Vorzug zu geben ist, die zu einer vernünftigen, gerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAGE 46, 308, 316 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung, mit weiteren Nachweisen).

Im übrigen haben die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes dann, wenn sie bestimmte Arbeitnehmer nicht in den Geltungsbereich eines Tarifvertrags einbeziehen wollen, dies ausdrücklich geregelt. So heißt es im Tarifvertrag über eine zusätzliche Alters- und Invalidenbeihilfe im Baugewerbe (TVA) in § 1 Abs. 3:

"Persönlicher Geltungsbereich:

-----------------------------

Personen, die als Arbeitnehmer eine nach den

Vorschriften der Reichsversicherungsordnung

über die Rentenversicherung der Arbeiter oder

des Angestelltenversicherungsgesetzes in sei-

ner jeweils geltenden Fassung versicherungs-

pflichtige Tätigkeit ausüben.

Ausgenommen sind die unter § 5 Abs. 2 Nrn. 1

bis 4 und Abs. 3 des Betriebsverfassungsge-

setzes fallenden Personen. Nicht erfaßt wer-

den ferner Angestellte, deren regelmäßige

wöchentliche Arbeitszeit weniger als 20 Stun-

den beträgt."

Hätten die Tarifvertragsparteien auch die geringfügig beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer vom Geltungsbereich des TVA ausschließen wollen, hätten sie dies in § 1 Abs. 3 Unterabs. 2 ebenso wie für die Angestellten geregelt. Auch daraus folgt, daß die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes mit dem Begriff der "nach der RVO versicherungspflichtigen Tätigkeit" allein auf die Tätigkeit abstellen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten verstoßen die Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes - soweit sich ihr Geltungsbereich auch auf geringfügig beschäftigte gewerbliche Arbeitnehmer erstreckt - nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, an den die Tarifvertragsparteien grundsätzlich gebunden sind (BAG Urteil vom 6. Februar 1985 - 4 AZR 370/83 -, AP Nr. 16 zu § 4 TVG Übertariflicher Lohn und Tariflohnerhöhung mit weiteren Nachweisen). Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache folgender oder sonstwie einleuchtender Grund für die tarifvertragliche Differenzierung nicht finden läßt, die getroffene Regelung also willkürlich ist (BAG Urteil vom 6. Februar 1985, aaO, mit weiteren Nachweisen). Tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse müssen unberücksichtigt geblieben sein, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am allgemeinen Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise hätten beachtet werden müssen (BAG Urteil vom 6. Februar 1985, aaO; BAGE 38, 118, 129 = AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung).

Eine solche willkürliche Regelung liegt hier nicht vor. Die Einbeziehung der geringfügig beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer führt dazu, daß für alle gewerblichen Arbeitnehmer des Baugewerbes ohne Rücksicht auf die Dauer ihrer Arbeitszeit und die Höhe ihrer Vergütung Sozialkassenbeiträge abzuführen sind und den Arbeitnehmern die entsprechenden Leistungen aus den Sozialkassentarifverträgen und sonstigen Tarifverträgen des Baugewerbes zustehen. Damit wird diese Regelung dem Gleichheitssatz insoweit in besonderem Maße gerecht.

Soweit demgegenüber Angestellte, deren regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit weniger als 20 Stunden beträgt, nicht von den Verfahrenstarifverträgen des Baugewerbes erfaßt werden (§ 1 Abs. 3 der Verfahrenstarifverträge für technische und kaufmännische Angestellte sowie Poliere und Schachtmeister in Verb. mit § 1 Abs. 3 Unterabs. 2 TVA), liegt auch darin keine sachlich ungerechtfertigte Benachteiligung der Arbeitgeber wegen der Abführung der Beiträge für geringfügig beschäftigte gewerbliche Arbeitnehmer. Da die geringfügig beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer die tariflichen Leistungen der Alters- und Invalidenbeihilfe in Anspruch nehmen können, ist es sachlich gerechtfertigt, daß für sie Sozialkassenbeiträge abzuführen sind. Angestellten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von weniger als 20 Stunden stehen hingegen keine Leistungen aus dem TVA zu, so daß insoweit auch keine sachliche Berechtigung zur Abführung von Sozialkassenbeiträgen besteht. Ob hierin eine ungerechtfertigte Benachteiligung der Angestellten liegt, ist für die Beitragspflicht der Arbeitgeber hinsichtlich der geringfügig beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer unerheblich. Eine ungerechtfertigte Benachteiligung der Angestellten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von weniger als 20 Stunden könnte allenfalls dazu führen, daß auch diesen Leistungen nach dem TVA zu gewähren sind.

Die Verfahrenstarifverträge des Baugewerbes verstoßen auch nicht insoweit gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, als sie dazu führen, daß tarifgebundene Betriebe im Gegensatz zu Betrieben aus anderen Branchen Sozialkassenbeiträge für ihre Arbeitnehmer abführen müssen. Es liegt im Rahmen der durch das Grundgesetz geschützten Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG), daß die Tarifvertragsparteien auch frei darüber bestimmen können, ob sie für ihre Arbeitnehmer Sozialkassen einführen, die besondere soziale Leistungen erbringen, und zur Finanzierung dieser Leistungen Beiträge bei den Arbeitgebern erheben. Wenn dies zu einer Ungleichbehandlung der tarifgebundenen Arbeitgeber gegenüber Arbeitgebern anderer Branchen führt, die dem Gesetzgeber möglicherweise verwehrt wäre, wird diese Ungleichbehandlung jedoch durch die Tarifautonomie gedeckt. Die Tarifautonomie hat gerade den Sinn, daß die Tarifvertragsparteien innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs die Arbeitsbedingungen autonom, d. h. auch ohne Rücksicht auf die Arbeitsbedingungen in anderen Branchen, regeln können. Die Tarifautonomie würde ausgehöhlt und entwertet, wenn sich die Tarifvertragsparteien an Regelungen in anderen Branchen orientieren müßten.

Aufgrund der Tarifautonomie entscheiden die Tarifvertragsparteien auch in freier Selbstbestimmung darüber, ob und für welche Berufsgruppen sie die tarifliche Regelung treffen wollen. Sie sind in der Bestimmung des Geltungsbereichs der Tarifverträge im Rahmen ihrer Tarifzuständigkeit frei (vgl. BAGE 48, 307, 310 = AP Nr. 4 zu § 3 BAT sowie BAG Urteil vom 11. November 1987 - 4 AZR 339/87 -, AP Nr. 5 zu § 3 BAT, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen). Die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes entscheiden daher auch in freier Selbstbestimmung darüber, ob sie die Beitragspflicht für die Sozialkassen auf geringfügig beschäftigte gewerbliche Arbeitnehmer ausdehnen oder nicht.

Auch durch die Allgemeinverbindlicherklärung der Verfahrenstarifverträge und der damit verbundenen Erstreckung der Tarifverträge auf nicht organisierte Arbeitgeber wird der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt. Die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen ist im Verhältnis zu den ohne sie nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ein Rechtssetzungsakt eigener Art zwischen autonomer Regelung und staatlicher Rechtssetzung, der seine eigenständige Grundlage in Art. 9 Abs. 3 GG findet. Die allgemeinverbindliche Tarifnorm ist nicht Ergebnis einer zwar abgeleiteten, aber dennoch vom Staat selbst bestimmten Rechtssetzung der Exekutive innerhalb eines von der Legislative in einem Gesetz vorgezeichneten Rahmens. Vielmehr liegt hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Normen das Schwergewicht eindeutig bei den Tarifparteien. Der Staat kann bei der Allgemeinverbindlicherklärung keinen Einfluß auf den Inhalt der Normen nehmen. Entschließt er sich zur Allgemeinverbindlicherklärung, geht der Geltungsbefehl der tariflichen Normen dann auch von ihm aus (BVerfG Beschluß vom 24. Mai 1977 - 2 BvL 11/74 -, AP Nr. 15 zu § 5 TVG). Damit handelt es sich aber bei der Allgemeinverbindlicherklärung nicht um staatliche Rechtssetzung gegenüber den Außenseitern, die wie ein Gesetz an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen wäre, sondern um die Erstreckung der Tarifbindung auf Außenseiter. Daher ist der Inhalt der Tarifnormen gegenüber den Außenseitern ebenso zu würdigen wie gegenüber den Tarifgebundenen. Verstoßen die Tarifnormen - wie vorliegend - hinsichtlich der organisierten Arbeitgeber nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, gilt das auch für die nicht organisierten Arbeitgeber, für die der Tarifvertrag kraft Allgemeinverbindlicherklärung gilt.

Wenn die Revision weiter geltend macht, es stelle eine sachlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der ohne Allgemeinverbindlichkeit nicht tarifgebundenen Betriebe des Bauhauptgewerbes dar, wenn diese im Vergleich zu anderen Branchen keine gering verdienenden Aushilfskräfte beschäftigen könnten, ohne dafür sozialversicherungsrechtliche Nachteile in Kauf nehmen zu müssen, übersieht sie, daß auch für die nicht geringfügig beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer im Bauhauptgewerbe im Gegensatz zu anderen Branchen Sozialkassenbeiträge abzuführen sind, so daß insoweit hinsichtlich aller gewerblichen Arbeitnehmer in Baubetrieben "sozialversicherungsrechtliche Nachteile" der Arbeitgeber im Gegensatz zu anderen Branchen in Kauf genommen werden müssen. Dies liegt aber im Rahmen der dargelegten Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Diese können für alle gewerblichen Arbeitnehmer eine zusätzliche Versorgung mit entsprechender Beitragspflicht der Arbeitgeber vorsehen, auch wenn und soweit der staatliche Gesetzgeber im Rahmen der Sozialversicherungsgesetze eine Alters- und Invalidenversorgung nicht für erforderlich hält.

Der Senat sieht daher keinen Anlaß, seine im Urteil vom 28. September 1988 - 4 AZR 350/88 - (zur Veröffentlichung vorgesehen) vertretene Auffassung aufzugeben, daß die Sozialkassentarifverträge auch die geringfügig beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer erfassen. Damit bestätigt der Senat auch seine noch frühere entsprechende Rechtsprechung (BAGE 29, 138, 146 = AP Nr. 30 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

Die Beklagten haben gemäß § 97 Abs. 1, § 100 Abs. 4 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

Dr. Feller Dr. Freitag Dr. Etzel

Dr. Koffka Pallas

 

Fundstellen

BAGE 60, 183-191 (LT1-2)

BAGE, 183

BB 1989, 563-564 (LT1-2)

BR/Meuer RVO § 1227, 23-11-88, 4 AZR 419/88 (LT1-2)

NZA 1989, 307-309 (LT1-2)

RdA 1989, 133

SAE 1989, 270-272 (LT1-2)

AP § 1 TVG Tarifverträge-Bau (LT1-2), Nr 100

EzA § 4 TVG Bauindustrie, Nr 48 (LT1-2)

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