Entscheidungsstichwort (Thema)

Unberechtigte Kündigung. Schadenersatz

 

Normenkette

BGB §§ 626, 615, 628, 276

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 28.12.1988; Aktenzeichen 19 (17) Sa 2010/88)

ArbG Bielefeld (Urteil vom 13.10.1988; Aktenzeichen 3 Ca 1503/88)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 18. Dezember 1989 – 19 (17) Sa 2010/88 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten nach Abschluß eines in der Berufungsinstanz abgeschlossenen Teilvergleichs noch darüber, ob die Beklagte dem Kläger die Differenz zwischen Brutto- und Nettogehalt ausgleichen muß, weil die nach dem Doppelbesteuerungsabkommen mit der UdSSR bestehende Steuerfreiheit der Bezüge durch vorzeitige Beendigung der Auslandstätigkeit entfallen ist.

Der Kläger, 45 Jahre, verheiratet, ist von Beruf Monteur in der Sparte Elektrik und Elektronik. Er schloß mit der Beklagten am 13. August 1987 einen befristeten Arbeitsvertrag ab, wonach er – nach einer viermonatigen Einarbeitungszeit in der Bundesrepublik Deutschland – vom 1. Januar 1988 bis 31. Dezember 1988 in Pensa/UdSSR im Rahmen eines Maschinenbauprojektes tätig werden sollte. Das monatliche Gehalt betrug 5.545,– DM brutto. Hinsichtlich der Versteuerung des Gehalts enthält der Arbeitsvertrag folgende Regelung.

„4. Vergütung und Gehaltszahlung

Die vorgenannte Vergütung wird nach Berücksichtigung der darauf entfallenden gesetzlichen Abzüge auf das Konto des Mitarbeiters in Deutschland überwiesen.

P. beantragt für den Mitarbeiter beim zuständigen Finanzamt vom Beginn seiner Tätigkeit in Pensa an die Befreiung von der Lohnsteuerpflicht gemäß den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Die Einbehaltung von Lohn und Kirchensteuer wird von P. nach Maßgabe der Entscheidung des Finanzamtes durchgeführt. Die Zahlung von Steuern und/oder sonstigen Abgaben für die in Deutschland gezahlte Vergütung ist die Angelegenheit des Mitarbeiters und von ihm zu erledigen.”

Desweiteren enthält der Arbeitsvertrag folgende Bestimmung:

„14. Verhalten im Ausland

P. hält es für selbstverständlich, daß der Mitarbeiter während seines Auslandsaufenthaltes alles vermeidet, was seiner Arbeit und dem Ansehen der beteiligten Firmen abträglich sein könnte, daß er die Landessitten und Landesgesetze beachtet und sich nicht in politische Angelegenheiten einmischt. Schwere oder wiederholte Verstöße gegen diese Regelung sind ein Grund für eine vorzeitige Abberufung vor Ablauf dieser Vereinbarung.”

Am 9. Februar 1988 stellte das Finanzamt B. eine Bescheinigung über die Freistellung des Arbeitslohns vom Steuerabzug aufgrund des Doppelbesteuerungsabkommens mit der UdSSR aus. Danach unterlag der Arbeitslohn des Klägers im Inland nicht dem Steuerabzug. Die Bescheinigung galt widerruflich vom 1. Februar 1988 bis 31. Dezember 1988, längstens bis zur Beendigung der Tätigkeit in der UdSSR und unter der Bedingung, daß der Kläger sich länger als 183 Tage im Kalenderjahr in der UdSSR aufhält oder der Arbeitslohn des Klägers zu Lasten einer dortigen Betriebsstätte oder festen Einrichtung gezahlt wird.

Der Kläger reiste am 1. Februar 1988 in die UdSSR ein.

Am 15. Juli 1988 kündigte die Beklagte durch den Baustellenleiter in Pensa das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos. Als Grund für die Kündigung wurde geschäftsschädigendes Verhalten des Klägers genannt, verursacht durch Trunkenheit, mehrfaches Übernachten außerhalb des Hotels, Bekanntschaft zu einer Russin, Frau T., und Beleidigung eines leitenden Angestellten des russischen Kunden, Herrn A.

Der Kläger kehrte am 16. Juli 1988 in die Bundesrepublik Deutschland zurück. Am 3. August 1988 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrats erneut vorsorglich fristgerecht zum 30. September 1988.

Der Kläger hat sich mit seiner Klage gegen beide Kündigungen gewandt und außerdem Ansprüche aus Annahmeverzug für die Monate August und September in Höhe von 11.050,– DM brutto geltend gemacht. Das Arbeitsgericht hat die Unwirksamkeit der Kündigungen festgestellt und die Beklagte zur Lohnzahlung verurteilt. Die Beklagte erstellte daraufhin eine Gehaltsabrechnung für die Monate August und September, zahlte einen Nettobetrag von 7.556,91 DM an den Kläger aus und führte 2.314,– DM an das Finanzamt ab.

In der Berufungsinstanz haben die Parteien folgenden Teilvergleich geschlossen:

  1. „Das Arbeitsverhältnis wird auf Veranlassung des Arbeitgebers mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zum 30. September 1988 aufgelöst.

    Die Beklagte verpflichtet sich, an den Kläger eine Abfindung im Sinne des § 9 KSchG in Verbindung mit § 3 Nr. 9 EStG in Höhe von 5.900,– DM (i.W.: fünftausendneunhundert Deutsche Mark) zu zahlen.

  2. Die Parteien sind einig, daß die Beklagte verpflichtet ist, über den 16.07.1988 hinaus bis zum 30.09.1988 den Lohn fortzuzahlen sowie Urlaubsabgeltung (einschließlich tarifliches Urlaubsgeld) und anteiligtes 13. Monatseinkommen zu gewähren.
  3. Die Parteien stimmen darin überein, daß die Beklagte für den Monat August und den Monat September 1988 bereits an den Kläger einschließlich des Beitrages zu Renten- und Arbeitslosenversicherung 8.822,67 DM gezahlt sowie 2.314,– DM an das Finanzamt B. abgeführt hat.

    Für die Zeit 16.07 bis 31.07.1988 sowie als anteilige Urlaubsabgeltung (einschließlich tarifliches Urlaubsgeld) und anteiliges 13. Monatseinkommen verpflichtet sich die Beklagte, an den Kläger 7.031,98 DM (i.W.: siebentausendeinunddreißig 98/100 Deutsche Mark) brutto zu zahlen.

    Die unterschiedliche Auffassung der Parteien über die Berechtigung der Beklagten, an das Finanzamt B. den darauf entfallenden Lohnsteuerbetrag (sowie die bereits abgeführten 2.314,– DM) abzuführen, bleibt unberührt. Die Parteien bitten das Gericht insoweit um eine Sachentscheidung.

  4. Hinsichtlich der durch den Teilvergleich erledigten Streitgegenstände gilt folgende Kostenregelung:

    Hinsichtlich der Kosten erster Instanz verbleibt es bei dem arbeitsgerichtlichen Urteil. Hinsichtlich der Kosten zweiter Instanz werden die Kosten gegeneinander aufgehoben.”

Die Beklagte hat daraufhin ihre Berufung dahin beschränkt, die Klage hinsichtlich des durch den Teilvergleich nicht erledigten Betrages von 2.314,– DM abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Kläger habe keinen Anspruch darauf, von Forderungen der Finanzverwaltung auf Versteuerung seines Arbeitsverdienstes freigestellt zu werden. Ausweislich der Anrufungsauskunft des Finanzamts B. vom 14. November 1989 unterliege der gesamte Arbeitslohn des Klägers dem Lohnsteuerabzug in der Bundesrepublik, weil sich der Kläger im Jahr 1988 weniger als 183 Tage in der UdSSR aufgehalten habe. Sie sei deshalb verpflichtet gewesen, Steuern einzubehalten und abzuführen. Der Kläger könne die Freistellung auch nicht als Schadenersatz verlangen.

Sie habe den Kläger von der Baustelle abziehen müssen, weil dieser ein Verhältnis zu Frau T. gehabt, diese ausgehalten und in seinem Hotelzimmer aufgenommen habe. Nachdem die sowjetischen Behörden deswegen mit Konsequenzen gedroht hätten, sei er mehrfach aufgefordert worden, den Kontakt zu Frau T. abzubrechen. Der Kläger sei dem aber nicht nachgekommen. Frau T. habe ihn auf einer Bahnfahrt nach Moskau begleitet, wobei es zu einem Auftreten der Miliz gekommen sei. Am 13. Juli 1988 habe der Kläger Herrn A. mit den Worten beleidigt, er würde sich vergessen, wenn er A. noch einmal sähe. Daraufhin habe Herr A. und dessen Vorgesetzter L. die Abberufung des Klägers verlangt. Am 15. Juli 1988 hätten schließlich Vertreter der sowjetischen Behörden Herrn N. darüber unterrichtet, daß gegen Frau T. wegen deren Beziehung zum Kläger Ermittlungen eingeleitet worden seien.

Die Beklagte hat beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts B. vom 13. Oktober 1988 abzuändern und die Klage hinsichtlich des noch nicht durch den Teilvergleich erledigten Betrages von 2.314,– DM (abgeführte Lohnsteuer für die Monate August und September 1988) abzuweisen.

Der Kläger hat beantragt,

  1. die Berufung insoweit zurückzuweisen;
  2. ihn von Ansprüchen der Finanzverwaltung auf Nachversteuerung seines Arbeitsverdienstes bei der Beklagten in der Zeit vom 1. Februar bis 30. September 1988 freizustellen.

Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe ihm alle steuerlichen Nachteile auszugleichen, die durch seine vorzeitige Rückkehr aus der UdSSR entstanden seien. Bei ordnungsgemäßer Abwicklung des Arbeitsvertrages wären seine Bezüge nicht versteuert worden.

Zu den Kündigungsgründen hat er vorgetragen, es treffe zu, daß er am 1. Mai 1988 zusammen mit Herrn N. und Herrn A. in erheblichem Maße Alkohol getrunken habe; an diesem Tag hätten jedoch alle russischen und deutschen Mitarbeiter gefeiert. Er sei zwar daraufhin von einer russischen Behördenvertreterin aufgesucht worden; diese habe ihm Jedoch später mitgeteilt, es sei alles in Ordnung. Die Beziehung zu Frau T. habe er am 8. Februar 1988 aufgenommen. Sie habe ihn mehrfach im Hotel besucht, er habe vor Erlaß eines entsprechenden Verbots in der Baustellenordnung auch auswärts übernachtet. Frau T. habe ihn bei einer Bahnfahrt am 27. und 28. Mai 1988 nach Moskau begleitet, wobei es zu einer Diskussion mit dem Zugpersonal über den Fahrpreis gekommen sei. Herr A. habe ihn zwar wegen der Beziehung zu Frau T. angesprochen; dieser habe ihn jedoch lediglich gebeten, weitere Treffen im Hotel zu vermeiden. Was die Beleidigung des Herrn A. betreffe, so habe er sich anläßlich der Rückgabe eines Geschenkes nur dahin geäußert, er wolle mit diesem nur noch dienstlich verkehren.

Die Beklagte beantragt,

die erweiterte Klage abzuweisen.

Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und sowohl die Klage hinsichtlich des Teilbetrags von 2.314,– DM als auch die Klage auf Freistellung von der Lohnsteuerpflicht abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

A. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, ein Anspruch des Klägers ergebe sich nicht aus § 611 BGB. Die Beklagte habe nämlich als Arbeitgeberin zum Zwecke der Erfüllung einer lohnsteuerrechtlichen Verpflichtung des Klägers an das zuständige Finanzamt geleistet und somit zugleich den Lohnanspruch des Klägers erfüllt. Die vom Kläger reklamierte Befreiung von der Einkommenssteuer nach dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR bestehe nicht, weil der Kläger die tatbestandsmäßige Voraussetzung für die Steuerbefreiung nicht erfülle. Er habe sich nämlich im Jahr 1988 unstreitig weniger als 183 Tage in der UdSSR aufgehalten.

Der Kläger könne auch nicht unter Anwendung von § 615 BGB so gestellt werden, als wenn er in der Sowjetunion gearbeitet hätte. § 615 BGB regele den Anspruch auf Erfüllung, nicht einen solchen auf Schadenersatz. Ein Ersatzanspruch nach § 286 BGB scheitere schon daran, daß nach dieser Vorschrift nur der Verzögerungsschäden zu ersetzen sei. Auch bei rechtzeitiger Zahlung des Lohnes wäre aber der Lohn in der Bundesrepublik Deutschland zu versteuern gewesen.

Dem Kläger stehe der Restlohnanspruch auch nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines Schadenersatzes für eine schuldhafte positive Vertragsverletzung der Beklagten zu. Es fehle Jedenfalls sowohl an einer schuldhaften Vertragspflichtverletzung als auch an einem hinreichenden Zurechnungszusammenhang. Dem klägerischen Vortrag sei nicht zu entnehmen, daß die Beklagte schuldhaft arbeitsvertragliche Nebenpflichten verletzt habe, als sie das Arbeitsverhältnis kündigte. Soweit der Kläger die formelle Ordnungsmäßigkeit beider Kündigungen beanstande, betreffe dies nicht von der Beklagten geschuldete Verhaltenspflichten. Soweit er die materielle Begründetheit der Kündigungen rüge, so ergebe sich, auch wenn der Vortrag des Klägers zugrunde gelegt werde, keine Pflichtwidrigkeit der Beklagten. Denn die Beklagte habe über den Ausspruch einer Kündigung im Ausland notwendigerweise aufgrund von Fremdinformationen entscheiden müssen, so daß sie auch bei objektiv fehlerhaften Informationsquellen subjektiv schuldlos sein könne.

Es fehle schließlich auch an einem hinreichenden haftungsausfüllenden Kausalzusammenhang. Hätte der Kläger nämlich seinen Aufenthalt für einige Tage verlängert, so hätte er den im Doppelbesteuerungsabkommen vorausgesetzten Aufenthalt von 184 Tagen erreicht. Darüber hinaus falle die Vermeidung steuerlicher Machteile nicht unter den Schutzzweck der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht. Es sei nicht Aufgabe des Arbeitgebers, für ein möglichst hohes Nettoeinkommen des Arbeitnehmers dadurch Sorge zu tragen, daß er die örtlichen Steuerpräferenzen für seine Arbeitnehmer berücksichtige.

Die Feststellungsklage sei ebenfalls unbegründet. Der vom Kläger geltend gemachte Befreiungsanspruch setze eine Schadenersatzpflicht der Beklagten voraus, die nach den vorstehenden Ausführungen nicht bestehe.

B. Dieser rechtlichen Würdigung des Landesarbeitsgerichts kann im Ergebnis und in den tragenden Teilen der Begründung gefolgt werden.

I. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von 2.314,– DM nicht zu.

1. Der Anspruch ergibt sich nicht aus § 611 BGB. Der Kläger beansprucht nämlich die Zahlung der abgeführten Lohnsteuer für einen Zeitraum – August und September 1988 –, in dem er unstreitig keine Arbeitsleistung mehr erbracht hat. Er kann daher insoweit auch nicht Erfüllung verlangen.

2. Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, der Anspruch des Klägers folge auch nicht aus § 615 BGB, ist zutreffend.

Nach § 615 BGB kann der Verpflichtete im Falle des Annahmeverzugs für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Die sich aus dieser Vorschrift ergebende Verpflichtung hat die Beklagte erfüllt.

a) Die Parteien haben sich vorliegend im Vergleich vor dem Landesarbeitsgericht über die dem Kläger an sich brutto zustehenden Ansprüche verglichen. Eine Netto Vereinbarung des Inhalts, daß die Beklagte die von ihr abgeführte Steuer zu übernehmen habe, haben die Parteien entgegen der erstmals in der Revision vorgetragenen Rechtsauffassung nicht getroffen.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer können vereinbaren, daß die geschuldete Vergütung netto gezahlt wird, also der Arbeitgeber die auf die Bezüge entfallende Lohnsteuer zu tragen hat. Eine solche Vereinbarung muß jedoch als Ausnahme von der regelmäßigen Steuerlast des Arbeitnehmers klar erkennbar sein (BAGE 15, 168, 172 = AP Nr. 15 zu § 670 BGB, zu 4 der Gründe; BAG Urteil vom 18. Januar 1974 – 3 AZR 183/73 – AP Nr. 19 zu § 670 BGB). Hieran fehlt es.

Soweit sich der Kläger darauf beruft, es sei bei Vertragsschluß klar gewesen, daß seine Bezuge „steuerfrei” sein sollten, handelt es sich um ein neues Parteivorbringen in tatsächlicher Hinsicht, das nach § 561 Abs. 1 ZPO in der Revisionsinstanz nicht mehr berücksichtigt werden kann. Soweit der Kläger meint, aus Ziff. 4 letzter Satz des Arbeitsvertrages lasse sich die Übernahme der Steuerlast durch den Arbeitgeber herleiten, kann ihm ebenfalls nicht gefolgt werden. Das Landesarbeitsgericht hat eine Würdigung des Arbeitsvertrages unter diesem Gesichtspunkt nicht vorgenommen. Das Revisionsgericht darf aber die vom Berufungsgericht unterlassene Auslegung auch bei untypischen Willenserklärungen jedenfalls dann selbst vornehmen, wenn es sich um die Auslegung einer Vertragsurkunde handelt und besondere Umstände des Einzelfalles, die der Auslegung eine bestimmte, der Beurteilung des Revisionsgerichts entzogene Richtung geben könnten, ausscheiden (ständige Rechtsprechung, vgl. BAGE 51, 319, 327 = AP Nr. 103 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu III 3 b der Gründe).

Bei der Auslegung ist nicht allein der Wortlaut der Ziff. 4 letzter Satz des Arbeitsvertrages, sondern auch der Gesamtzusammenhang der Bestimmung zu berücksichtigen. Danach gibt es für eine Nettolohnabrede keine hinreichend klaren Anhaltspunkte. In Ziff. 4 heißt es nämlich, daß die „vorgenannte Vergütung nach Berücksichtigung der darauf entfallenden gesetzlichen Abzüge auf das Konto des Mitarbeiters in Deutschland überwiesen wird” und daß „die Einbehaltung von Lohn- und Kirchensteuer von P. nach Maßgabe der Entscheidung des Finanzamts durchgeführt wird”, was für eine Bruttolohnvereinbarung spricht. Die Bedeutung der weiteren Regelung „die Zahlung von Steuer und/oder sonstigen Abgaben für die in Deutschland gezahlte Vergütung ist die Angelegenheit des Mitarbeiters und von ihm zu erledigen” ist unklar. Jedenfalls läßt sich aus ihrem Umkehrschluß nicht folgern, die Zahlung von Steuern auf die in der UdSSR gezahlte Vergütung sei Angelegenheit der Beklagten.

b) Die Beklagte hat unter Anwendung geltenden Rechts die hierauf entfallende Steuer an das Finanzamt abgeführt und somit ihrer Verpflichtung aus § 615 BGB genügt.

aa) Nach § 38 Abs. 1 EStG in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Februar 1987 (BGBl I S. 657, 710) wird die Einkommenssteuer bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben. Der Arbeitgeber hat nach § 38 Abs. 3 EStG für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung die Lohnsteuern einzubehalten, um hierdurch die Erfüllung des staatlichen Steueranspruchs zu gewährleisten. Zur weiteren Sicherstellung des staatlichen Steueranspruchs haftet der Arbeitgeber selbst nach § 42 d EStG für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Soweit die Haftung des Arbeitgebers reicht, sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer nach § 42 d Abs. 3 EStG Gesamtschuldner des Staates. Im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zueinander ist jedoch allein der Arbeitnehmer Schuldner der Steuerforderung (vgl. BAGE 45, 222, 226 f. s AP Nr. 22 zu § 670 BGB, zu II 2 a der Gründe; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Aufl., § 71 IV 13, S. 388). Die Pflicht des Arbeitgebers zur Berechnung und Abführung der Lohnsteuer ergibt sich zugleich aus dem Arbeitsverhältnis, das insofern durch die Vorschriften des Auftragsrechts konkretisiert wird (BAGE 26, 187 = AP Nr. 20 zu § 670 BGB). Der Arbeitgeber erfüllt den auf die Bruttovergütung gerichteten Lohnanspruch des Arbeitnehmers, indem er die Nettovergütung auszahlt und die Lohnabzüge abführt (Staudinger/Richardi, BGB, 12. Aufl., § 611 Rz 743; vgl. auch BGH Beschluß vom 21. April 1966 – VII ZB 3/66 – AP Nr. 13 zu § 611 BGB Lohnanspruch; BAGE 48, 229, 231 = AP Nr. 15 zu § 611 BGB Lohnanspruch, zu I 1 der Gründe).

bb) Die Beklagte war verpflichtet, für die dem Kläger für die Monate August und September 1988 geschuldeten Bruttobezüge Lohnsteuer abzuführen. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, haben die Arbeitsgerichte diese steuerrechtliche Vortrage selbständig zu prüfen.

Nach dem Abkommen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Einkommen und Vermögen vom 24. November 1981 (BStBl. 1983, I, S. 90) war die Vergütung des Klägers für die Monate August und September 1988 in der Bundesrepublik Deutschland zu besteuern. Art. 12 Abs. 2 des Abkommens, der Art. 15 Abs. 2 des OECD-Musterabkommen (vgl. hierzu: von Bornhaupt, BB 1985, Beilage 16, S. 10 ff.) weitgehend entspricht, trifft folgende Regelung:

„(2) Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person für eine im anderen Vertragsstaat ausgeübte Arbeit bezieht, können dort nicht besteuert werden, wenn

a) der Empfänger sich im anderen Staat insgesamt nicht länger als 183 Tage während des betreffenden Steuerjahres aufhält und

b) die Vergütungen von einem Arbeitgeber oder für einen Arbeitgeber gezahlt werden, der nicht im anderen Staat ansässig ist, und

c) die Vergütungen nicht von einer Betriebsstätte getragen werden, die der Arbeitgeber im anderen Staat hat.”

Der Kläger hat hinsichtlich der Bezüge für August und September 1988 diese Voraussetzungen schon deshalb nicht erfüllt, weil diese für einen Zeitraum gezahlt wurden, in dem er „eine Arbeit im anderen Vertragsstaat” nicht mehr ausübte. Wie auch die Bescheinigung des Finanzamts vom 9. Februar 1988 ausweist, galt die Freistellung des Arbeitslohns vom Steuerabzug längstens bis zur Beendigung der Tätigkeit in der UdSSR. Da der Kläger am 16. Juni 1988 aus der UdSSR ausgereist ist, unterlag ab diesem Zeitpunkt bezogenes Einkommen der Steuerpflicht in der Bundesrepublik Deutschland. Zusätzlich trifft die Erwägung des Landesarbeitsgerichts zu, die Steuerbefreiung in der Bundesrepublik Deutschland sei deshalb nicht eingetreten, weil der Kläger sich unstreitig weniger als 183 Tage in der UdSSR aufgehalten habe.

c) Hatte die Beklagte demnach zu Recht einen Betrag von 2.314,– DM von den August- und Septemberbezügen des Klägers an das Finanzamt abgeführt und insoweit den Bruttolohnanspruch des Klägers erfüllt, so kann der Kläger seinen Anspruch nicht auf § 615 BGB stützen. Diese Vorschrift gewährt keinen eigenständigen Anspruch, sondern erhält den Vergütungsanspruch aus § 611 BGB. Der Anspruch ist nach allgemeiner Meinung ein Erfüllungs- und kein Schadenersatzanspruch (BGH Urteil vom 14. November 1966 – VII ZR 112/64 – NJW 1967, 248, 250; MünchKomm-Schaub, BGB, 2. Aufl., § 615 Rz 38; Staudinger/Richardi, a.a.O., § 615 Rz 7; Erman/Hanau, BGB, 8. Aufl., § 615 Rz 31 und 34; Palandt/Putzo, BGB, 49. Aufl., § 615 Anm. 1 c). Ist die Zahlung eines Bruttolohns vereinbart, ist der Anspruch folglich auf die Bruttovergütung gerichtet, die den üblichen Abzügen unterliegt (Kammergericht Urteil vom 30. Oktober 1978 – 12 U 1807/78 – DB 1979, 170; LAG Frankfurt am Main, Urteil vom 17. April 1985 – 10 Sa 419/84 – DB 1986, 52; LAG Hamm, Urteil vom 16. Juni 1988 – 17 Sa 2204/87 – DB 1988, 2316; MünchKomm-Schaub, a.a.O., § 615 Rz 39 und 41).

Wenn der Kläger demgegenüber geltend macht, er müsse über § 615 BGB so gestellt werden, als wenn er in der UdSSR gearbeitet hätte, kann ihm nicht gefolgt werden. Zwar wird der Anspruchsinhalt aus § 615 BGB im Schrifttum zum Teil so definiert, der Arbeitnehmer müsse so gestellt werden, als wenn der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug geraten wäre. Dadurch soll aber nur der Inhalt des Anspruchs als Erfüllungsanspruch charakterisiert werden. Über § 615 BGB läßt sich nicht fingieren, der Kläger erfülle die tatbestandlichen Voraussetzungen des Doppelbesteuerungsabkommens. Anderenfalls müßte der Arbeitgeber etwas leisten, wozu er im Rahmen von § 611 BGB nicht verpflichtet wäre.

d) Entgegen der Auffassung des Klägers besteht auch kein Anspruch unter Zugrundelegung der Entscheidung des Großen Senats zum Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers während des Kündigungsschutzprozesses (BAGE 48, 122 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). Der Kläger hat einen solchen Anspruch nicht eingeklagt. Die Voraussetzungen hierfür liegen auch offensichtlich nicht vor, denn das erst instanzliche Urteil, das die Unwirksamkeit der Kündigungen der Beklagten festgestellt hat, ist erst am 13. Oktober 1988 ergangen und konnte somit für den streitbefangenen Zeitraum keine Rechtsfolgen hinsichtlich einer möglichen Weiterbeschäftigungspflicht einschließlich damit verbundener Verzugsfolgen auslösen.

3. Das Landesarbeitsgericht hat schließlich auch einen Schadenersatzanspruch des Klägers zu Recht verneint. Der Senat kann hierbei dahingestellt sein lassen, ob sich ein solcher Anspruch materiell-rechtlich aus § 286 BGB oder aus positiver Forderungsverletzung ergeben könnte und in welchem Konkurrenzverhältnis diese Normen einzuordnen und zu § 628 Abs. 2 BGB zu stellen sind (vgl. dazu BAG Urteil vom 24. Oktober 1974 – 3 AZR 488/73 – AP Nr. 2 zu § 276 BGB Vertragsverletzung; Urteil vom 22. April 1971 – 2 AZR 205/70 – AP Nr. 24 zu § 7 KSchG; BAGE 25, 43 = AP Nr. 2 zu § 9 KSchG 1969; Urteil vom 11. Februar 1981 – 7 AZR 12/79 – AP Nr. 8 zu § 4 KSchG 1969; KR-Weigand, 3. Aufl., § 628 BGB Rz 21 und 26; Ermann/Hanau, a.a.O., § 628 Rz 18; MünchKomm-Schwerdtner, BGB, 2. Aufl., § 626 Rz 233; § 628 Rz 27 f. m.w.N.; KR-Wolf, 3. Aufl., Grunds. Rz 491; Gessert, Schadensersatz nach Kündigung, 1987, S. 333 ff.; Bernert, Anm. zu BAG AP Nr. 2 zu § 276 BGB Vertragsverletzung).

Es fehlt nämlich hinsichtlich aller möglichen Anspruchsgrundlagen an einer schuldhaften Vertragsverletzung der Beklagten als auch an einem hinreichenden Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden. Bei dem vom Kläger geltend gemachten Schaden handelt es sich um einen sogenannten Beendigungsschaden. Der Kläger macht insofern den Verlust seiner Erfüllungsansprüche geltend, als er die Zahlung der Differenz zwischen Brutto- und Nettogehalt für die Monate August und September 1988 begehrt. Der Kläger übersieht hierbei, daß es der Beklagten unter Zugrundelegung des unstreitigen Sachverhaltes zumindest nicht zumutbar war, die vom Kläger zu erbringende Arbeitsleistung weiter in der UdSSR anzunehmen. Ihr Interesse am Fortbestand der geschäftlichen Beziehungen war höher zu bewerten als das Begehren des Klägers, seinen Arbeitsplatz weiter in der UdSSR einzunehmen. Das Vorgehen der Beklagten, den Kläger nicht weiter in der UdSSR arbeiten zu lassen, war daher nicht schuldhaft, wobei es dahingestellt bleiben kann, ob die fristlose Kündigung das allein geeignete Mittel zur Bereinigung dieses Konfliktes war.

a) Mit dem Landesarbeitsgericht ist allerdings davon auszugehen, daß in dem Ausspruch einer möglicherweise unwirksamen Kündigung allein noch keine schuldhafte Vertragspflichtverletzung zu sehen ist. Eine solche ist erst dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber die Unwirksamkeit der Kündigung kannte oder bei gehöriger Sorgfalt hätte erkennen können (BAG Urteil vom 24. Oktober 1974 – 3 AZR 488/73 – AP, a.a.O.). Beruht die Kündigung auf einem vertretbaren Rechtsstandpunkt, ist ihr Ausspruch nicht schuldhaft (Erman/Hanau, a.a.O., § 628 Rz 16). Der Arbeitgeber darf seine Interessen mit den gesetzlich vorgesehenen Mitteln verfolgen, sofern er nach verständiger Würdigung des Sachverhalts zur Ansicht kommen durfte, es liege eine Vertragspflichtverletzung des Arbeitnehmers vor.

Alle zur Rechtfertigung der Kündigung herangezogenen Gründe betreffen zwar das außerdienstliche Verhalten des Klägers. Dieses kann eine fristlose Kündigung dann tragen, wenn es sich konkret nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirkt (Senatsurteile vom 20. September 1984 – 2 AZR 233/83 – und vom 24. September 1987 – 2 AZR 26/87 – AP Nr. 13 und 19 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 1 bzw. II 2 der Gründe). Der Kläger mußte sich hier aber aufgrund der Regelung in Ziff. 14 des Arbeitsvertrages bewußt sein, er müsse bei seinem außerdienstlichen Verhalten angesichts der Verhältnisse in der UdSSR besondere Rücksichten nehmen. Er war insbesondere gehalten, alles zu vermeiden, was dem Ansehen der Beklagten abträglich sein konnte. Daß die sowjetischen Stellen an die Lebensführung der ausländischen Arbeitnehmer strenge Maßstäbe anlegen, war dem Kläger seit der vorzeitigen Abberufung des Arbeitnehmers Sc. bekannt.

b) Dennoch kann es letztlich dahingestellt bleiben, ob das außerdienstliche Verhalten des Klägers als einzige Maßnahme eine fristlose Kündigung gerechtfertigt hätte. Selbst wenn die Beklagte sich insoweit normwidrig verhalten hätte, wäre der Wegfall der Besteuerungsvorteile auch dann eingetreten, wenn sich die Beklagte normgerecht verhalten hätte. Sie wäre nämlich angesichts des vertragswidrigen Verhaltens des Klägers in jedem Fall berechtigt gewesen, ihn zumindest aus der UdSSR abzuberufen und von seinen Vertragspflichten zu suspendieren. Auch diese mildere Maßnahme hätte zum Wegfall der mit der Auslandsbesteuerung verbundenen Vorteile geführt.

4. Soweit der Kläger erstmals in der Revisionsinstanz vorträgt, der Anspruch auf Ausgleich der steuerlichen Nachteile ergebe sich aus § 8 der Baustellenordnung, kann dem nicht gefolgt werden. Der Kläger handelte vorwiegend vertragswidrig und verstieß nicht nur gegen die Baustellenordnung. Zudem sind die nach dieser Vorschrift vom Arbeitgeber zu tragenden Kosten allein Aufwendungen, die unmittelbar bei der Rückreise anfallen.

II. Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht erkannt, daß die in der Berufungsinstanz erhobene Feststellungsklage, die Beklagte habe den Kläger von Ansprüchen der Finanzverwaltung auf Nachversteuerung seines Arbeitsverdienstes in der Zeit vom 1. Februar 1988 bis 30. September 1988 freizustellen, unbegründet ist.

Die Steuerfreiheit des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland für den Zeitraum ab dem 1. Februar 1988 ist entfallen, weil er sich während des Steuerjahres 1988 weniger als 183 Tage in der UdSSR aufgehalten hat. Soweit die Revision vorträgt, die Beklagte habe die Steuerbefreiung auch durch Zahlung der Vergütung zu Lasten einer Betriebsstätte in der UdSSR herbeiführen können, handelt es sich um neues, in der Revisionsinstanz nach § 561 Abs. 2 ZPO unzulässiges Tatsachenvorbringen. Denn das Landesarbeitsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Beklagte eine Betriebsstätte im Sinne des Art. 4 des Doppelbesteuerungsabkommens in der UdSSR unterhält.

Ein Freistellungsanspruch würde die Pflicht der Beklagten voraussetzen, dem Kläger die steuerlichen Machtelle auszugleichen, die aufgrund seiner vorzeitigen Rückkehr aus der UdSSR entstanden sind. Wie bereits ausgeführt, ist die Beklagte aber hierzu nicht verpflichtet.

Vorsitzender Richter Hillebrecht ist wegen Urlaubs an der Unterschrift verhindert

 

Unterschriften

Triebfürst, Triebfürst, Dr. Ascheid, Timpe, Binzek

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1073615

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