Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordentliche Kündigung nach Einigungsvertrag

 

Normenkette

Einigungsvertrag Art. 20 Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 16.03.1993; Aktenzeichen 1 Sa 67/92)

ArbG Chemnitz (Urteil vom 13.10.1992; Aktenzeichen 7 Ca 3763/92)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 16. März 1993 – 1 Sa 67/92 – aufgehoben.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 13. Oktober 1992 – 7 Ca 3763/92 – wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 des Einigungsvertrages (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.

Der 1956 geborene Kläger war seit August 1982 als Diplomlehrer für Geographie und Geschichte im Schuldienst in Chemnitz beschäftigt. Von Dezember 1983 bis August 1984 war er stellvertretender Direktor an der C. schule. Am 1. September 1984 wurde er im Alter von 27 Jahren zum Direktor dieser Oberschule ernannt. 1985/86 besuchte er die Kreisparteischule und 1987 das Institut für Leitung und Organisation in Potsdam. Danach war er ab August 1987 als Direktor der W. schule eingesetzt. Ab September 1989 besuchte der Kläger die Bezirksparteischule, brach die Teilnahme aber nach wenigen Wochen im Oktober 1989 ab. Ende 1989 trat der Kläger aus der SED aus. Im Mai 1990 wurde der Kläger nach Abstimmung der Schulkonferenz als Direktor der R. Schule eingesetzt. Diese Schule leitete der Kläger bis zum 31. Juli 1992.

Mit Schreiben des Oberschulamtes Chemnitz vom 26. Mai 1992 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 31. Juli 1992 wegen fehlender persönlicher Eignung unter Hinweis auf die Direktorentätigkeit des Klägers in den Jahren 1984 bis 1989.

Mit seiner am 2. Juni 1992 bei Gericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, er sei nicht persönlich ungeeignet für den Lehrerberuf. Seine langjährige Direktorentätigkeit könne die Kündigung nicht rechtfertigen. Er sei zunächst stellvertretender Direktor und für die Verwaltung zuständig gewesen. Mit der Beförderung zum Direktor sei diese Tätigkeit anerkannt worden. Er habe seine Amtsführung nicht nach den Belangen der SED ausgerichtet. Dies habe ihm sogar den Vorwurf eingebracht, er beachte nicht die führende Rolle der Partei.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 26. Mai 1992 nicht aufgelöst worden sei, sondern auf unbestimmte Zeit fortbestehe,

ferner – für den Fall, daß er mit dem Feststellungsantrag obsiege –, den Beklagten zu verurteilen, ihn zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, der Kläger sei lange Zeit Schuldirektor gewesen und habe als solcher das SED-System leitend mitgetragen. Die Funktion als Direktor habe die Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit erfordert. Die Kündigung sei deshalb gerechtfertigt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung des Beklagten vom 26. Mai 1992 nicht zum 31. Juli 1992 aufgelöst worden.

A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Die Stellung des Direktors an einer Schule der ehemaligen DDR sei allein noch kein Grund, schon daraus eine mangelnde persönliche Eignung anzunehmen. Die Aufgaben eines Direktors hätten nicht von vornherein eine besondere Identifizierung mit dem SED-Staat erfordert. Dies gelte jedenfalls für Lehrer, die einen typischen Werdegang als Lehrer aufwiesen, also nach längerer Lehrtätigkeit aufgestiegen und letztlich auch Direktor geworden seien. Etwas anderes gelte für Karrieren, aus denen die besondere Nähe zum SED-Staat zu schließen sei. Wer wie der Kläger in jungen Jahren höhere Stellungen bevorzugt erhalten habe, zeige damit, daß er mit den Zielen des totalitären Staates besonders verbunden gewesen sei. Der Kläger sei schon kurz nach seiner Einstellung als Lehrer steilvertretender Direktor und im Jahre danach bereits Direktor gewesen. Er habe Direktorenposten an verschiedenen Schulen bekleidet. Schließlich sei er noch 1989 zur Bezirksparteischule gegangen, die er nur deshalb nicht beendet habe, weil Ende Oktober 1989 schon die Wende eingetreten sei. Es müsse davon ausgegangen werden, daß der Kläger nur deshalb so schnell und so weit befördert worden sei, weil er sich bis zuletzt mit dem SED-Staat identifiziert habe.

B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Kündigung ist unwirksam. Der Beklagte hat nicht dargetan, daß eine mangelnde persönliche Eignung des Klägers gemäß Abs. 4 Ziff. 1 EV vorliegt.

1. Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht.

a) Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volks Souveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfGE 2, 1 – Leitsatz 2 –).

b) Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht (BVerfG Beschluß vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG; BAG Urteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 356/92 – AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, zu B III 1, 2 der Gründe).

c) Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV liegt zugrunde, daß Arbeitnehmer von einem früheren Arbeitgeber eingestellt worden sind, mit denen der jetzige Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel gehabt hätte. Abs. 4 Ziff. 1 EV erlaubt daher – auch – eine Prüfung, ob der früher eingestellte Arbeitnehmer für die jetzige Tätigkeit persönlich geeignet ist, ohne daß bereits Vertragsverletzungen und damit konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sein müßten. Die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber im übergeordneten staatlichen Interesse nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers in jedem Falle zunächst zu erproben (BAG Urteil vom 18. März 1993, a.a.O.). Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen (vgl. zum Beurteilungsspielraum BAG Urteil vom 6. Juni 1984 – 7 AZR 456/82-AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 2 a aa der Gründe; BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – AP Nr. 3 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, zu III der Gründe; BVerwG Urteil vom 27. November 1980 – 2 C 38.79 – AP Nr. 10 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Volksschulen; BVerwG Urteil vom 28. November 1980 – 2 C 24.78 – AP Nr. 12 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Entlassung eines Beamten auf Probe), denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen.

d) Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften.

2. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht eine besondere Identifizierung des Klägers mit dem SED-Staat angenommen, weil der Kläger in jungen Jahren zum stellvertretenden Direktor und Direktor befördert wurde.

a) Zuzustimmen ist dem Landesarbeitsgericht darin, daß allein die langjährige Tätigkeit als Direktor und stellvertretender Direktor nicht für die persönliche Ungeeignetheit spricht, weiterhin als Lehrer tätig zu sein. Wie der Senat im Urteil vom 20. Januar 1994 (– 8 AZR 24/93 – n.v., zu B III 2 c bb der Gründe) ausgeführt hat, war das staatliche Amt des Schuldirektors in der ehemaligen DDR parteinah ausgerichtet. So bestand gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 der „Verordnung über die Sicherung einer festen Ordnung an den allgemeinbildenden polytechnischen Oberschulen” – Schulordnung – vom 29. November 1979 (GBl. I S. 433) die Verpflichtung des Direktors, bei seiner Leitungstätigkeit unter anderem die Beschlüsse der SED zugrundezulegen. Der Senat hat deshalb dann, wenn die leitenden Funktionen im Schulwesen als Direktor oder stellvertretender Direktor gleichzeitig oder in unmittelbarem Zusammenhang mit Parteiämtern ausgeübt worden sind, die Indizierung einer besonderen Identifikation mit den Zielen des SED-Staates angenommen (Urteil vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 613/92 – zu B II 3 b cc der Gründe). Im Streitfall ist ein solches Parteiamt des Klägers aber weder festgestellt noch behauptet. Allein die langjährige Ausübung des Direktorenamtes spricht noch nicht für eine überwiegende Wahrnehmung dieses Amtes im Sinne der Ziele der SED (vgl. Urteil des Senats vom 28. April 1994 – 8 AZR 710/92 – n.v., zu B II 2 b der Gründe).

Die Annahme, ein Schuldirektor habe sich in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert, bedarf zusätzlicher Umstände. Es ist Sache des öffentlichen Arbeitgebers, solche Umstände, etwa zum Werdegang oder zur Tätigkeit des Schulleiters, im Einzelfall vorzutragen.

b) Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist die rasche Beförderung des Klägers zum Schuldirektor in jungen Jahren kein Indiz für seine besondere Identifikation mit dem SED-Staat. Das Landesarbeitsgericht übersieht, daß die berufliche Karriere des Klägers auch auf anderen Gründen, insbesondere auf besonderer fachlicher Qualifikation und Eignung zum Schulleiter beruhen kann. Macht der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes geltend, daß eine rasche Beförderung zum Schuldirektor in der ehemaligen DDR auf die persönliche Ungeeignetheit als Lehrer schließen lasse, so hat er darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, daß die berufliche Karriere allein oder ganz überwiegend durch ein besonderes Parteiengagement bedingt war. Der Beklagte hat hierzu ausreichendes nicht vorgetragen.

c) Der frühere Besuch der Kreis- und Bezirksparteischule in Verbindung mit der Direktorentätigkeit genügt nicht, um auf eine inangelnde persönliche Eignung des Klägers zu schließen. Der Besuch solcher Schulen war eine aus der SED-Mitgliedschaft erwachsene allgemein übliche Betätigung für die Partei, aus der ein besonderes Engagement für den SED-Staat nicht hergeleitet werden kann, zumal es sich nur um kurzfristige Betätigungen handelte.

Der Besuch des Instituts für Leitung und Organisation in P. stand im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Klägers als Schulleiter. Denn nach § 28 Abs. 7 des Gesetzes über das einheitliche sozialistische Bildungssystem vom 25. Februar 1965 (GBl. I S. 83) haben sich Schuldirektoren in einem Zusatzstudium für ihre verantwortungsvolle Tätigkeit zu qualifizieren. Aus dieser vorgeschriebenen Qualifikation lassen sich keine Schlüsse auf ein besonderes Engagement des Klägers für den SED-Staat ziehen.

d) Eine besondere Identifikation des Klägers mit dem SED-Staat wäre damit nur dann anzunehmen, wenn der Kläger die Ämter des Schuldirektors und stellvertretenden Direktors nicht sachbezogen ausgeübt hätte. Der Beklagte hat aber keine konkreten Betätigungen des Klägers bei der Ausübung der Schulleitung oder sonstige Gründe dargelegt, die ihn persönlich als Lehrer ungeeignet erscheinen ließen. Nach dem Zeugnis des Schulamtes vom 1. Juli 1992 erfüllte der Kläger „die Aufgaben als Schulleiter korrekt, zuverlässig und stets zur vollsten Zufriedenheit”. Für die persönliche Eignung des Klägers spricht auch, daß er noch im Mai 1990, ein halbes Jahr nach seinem Austritt aus der SED, aufgrund einer Abstimmung der Schulkonferenz als Schuldirektor eingesetzt wurde und die Schulleitung mit Billigung des Beklagten bis zum 31. Juli 1992 ausübte. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, daß der Kläger nach einer Stellungnahme des Personalrats vom 7. April 1992 den „Demokratisierungsvorgang an der Schule aktiv mitgestaltete”.

 

Unterschriften

Dr. Ascheid, Dr. Wittek, Dr. Mikosch, Plenge, Hickler

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1076771

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