Entscheidungsstichwort (Thema)

Belehrung über Altersversorgung bei Kündigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes braucht bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Wunsch des Arbeitnehmers vor Eintritt eines Versicherungsfalles (zB Altersruhegeld für Frauen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben) nicht von sich aus darauf hinzuweisen, daß der Arbeitnehmer keine Versorgungsrente, sondern nur eine Versicherungsrente gegen die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) erwirbt.

2. Eine Belehrungspflicht entsteht bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Veranlassung des Arbeitnehmers nur dann, wenn der Arbeitnehmer wegen besonderer Umstände darauf vertrauen durfte, der Arbeitgeber werde sich um die Altersversorgung kümmern.

 

Normenkette

BAT § 53; BGB § 611; BetrAVG § 1

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 09.02.1988; Aktenzeichen 2 Sa 593/87)

ArbG Kiel (Entscheidung vom 13.08.1987; Aktenzeichen 2a Ca 720/87)

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt Schadenersatz wegen unterlassener Aufklärung über ihre Zusatzversorgungsansprüche bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt eines Versorgungsfalles.

Die im Februar 1926 geborene, verheiratete Klägerin trat am 1. August 1968 in den Schuldienst des beklagten Landes. Aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 1. August 1974 arbeitete sie als Fachlehrerin in der Staatlichen Internatsschule in S. Das Arbeitsverhältnis richtete sich nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) in seiner jeweiligen Fassung. Seit dem 1. August 1974 versicherte das beklagte Land die Klägerin bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL).

Am 31. Juli 1984 trat der Ehemann der Klägerin, der als beamteter Oberstudienrat in den Diensten des beklagten Landes stand, in den Ruhestand. Die Klägerin wollte darauf gleichfalls pensioniert werden. Sie schrieb am 15. Januar 1985 an das beklagte Land:

"Betr.: Kündigung des Arbeitsvertrages

Hiermit bitte ich mit Ablauf des Schuljahres 1984/85

- ein halbes Jahr vor Erreichung des 60. Lebensjahres -

um Beendigung meines Angestelltenverhältnisses als

Fachlehrerin an der Staatlichen Internatsschule

."

Das Arbeits- und Sozialministerium bestätigte im Februar 1985 den Eingang des Schreibens und erklärte sich mit ihrem Ausscheiden zum 31. Juli 1985 einverstanden. Im Juli 1985 teilte der Direktor der Staatlichen Internatsschule der VBL mit, daß die Klägerin vor Erreichen des 60. Lebensjahres ausscheide und bat um Übersendung des Vordrucks "Rentenauskunft". Die VBL setzte im Oktober 1986 die monatliche Versicherungsrente auf 240,38 DM fest. Die Versorgungsrente, die gezahlt wird, wenn bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch eine Pflichtversicherung besteht, wäre um rd. 1.000,-- DM höher gewesen.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, das beklagte Land habe sie bei der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses über den drohenden Rentenverlust belehren müssen. Der Personalsachbearbeiter des beklagten Landes habe ohne weiteres den drohenden Rentenverlust erkennen können und habe das in der Kündigung enthaltene Angebot zur einverständlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ablehnen und sie auf die Rentennachteile aufmerksam machen müssen. Dazu hat sie behauptet, sie habe im Januar 1985 mit dem Direktor ihrer Schule über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gesprochen. Sie habe mit dem 60. Lebensjahr im Februar 1986 in den Ruhestand treten wollen. Der Direktor habe jedoch Einwendungen dagegen erhoben, daß das Arbeitsverhältnis im Laufe eines Schuljahres beendet werde. Darauf habe sie zum Ende des Schuljahres 1985 gekündigt.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, daß das beklagte Land

verpflichtet ist, den Schaden zu

ersetzen, der ihr dadurch entstan-

den ist bzw. künftig noch entsteht,

daß sie nicht bei Auflösung ihres

Arbeitsvertrages über die Notwendigkeit

belehrt worden ist, bis zur Vollendung

ihres 60. Lebensjahres bei der Ver-

sorgungsanstalt des Bundes und der

Länder in Karlsruhe pflichtversichert

bleiben zu müssen, um Anspruch auf

Versorgungsrente für Versicherte zu

haben.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat behauptet, der Direktor der Schule sei von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Ende des Schuljahres 1985/86 ausgegangen. Er habe die Klägerin möglichst lange behalten wollen, weil sie eine qualifizierte Fachkraft gewesen sei und er zudem die Streichung ihrer Stelle befürchtet habe. Da die Klägerin aber ihrem Ehemann in den Ruhestand habe nachfolgen wollen, habe er sie gehen lassen. Es hat in Abrede gestellt, daß es zur Belehrung verpflichtet gewesen sei. Es habe der Klägerin die Satzung der VBL ausgehändigt; aus ihr ergebe sich deutlich der Unterschied der Versicherungs- und Versorgungsrente.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich dessen Revision, mit der es den Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des beklagten Landes ist begründet. Die Klägerin kann vom beklagten Land - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - keinen Schadenersatz wegen unterlassener Belehrung über die Zusatzversorgungsansprüche verlangen.

1. Das beklagte Land hat die Klägerin nicht über die unterschiedlichen Voraussetzungen und Berechnungen der Versorgungsrente einerseits und der Versicherungsrente andererseits unterrichtet. Nach § 37 Abs. 1 lit. a VBL-Satzung erhält ein Versicherter, der die Wartezeit erfüllt hat und bei dem ein Versicherungsfall eingetreten ist, Versorgungsrente, wenn er in diesem Zeitpunkt pflichtversichert ist. Pflichtversichert ist er nur, wenn er in einem Arbeitsverhältnis steht (§ 26 VBL-Satzung). Als Versorgungsrente wird der Betrag gewährt, um den die Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung hinter der Gesamtversorgung zurückbleiben, die von dem versorgungsfähigen Entgelt und der versorgungsfähigen Zeit abhängen (vgl. dazu §§ 39 bis 43 VBL-Satzung). Nach § 37 Abs. 1 lit. b VBL-Satzung erhält der freiwillig Weiterversicherte oder beitragsfrei Versicherte Versicherungsrente. Diese wird berechnet nach einem Prozentsatz der für den Versicherten erbrachten Beiträge und Umlagen (§ 44 VBL-Satzung).

2. Für das beklagte Land bestand keine Rechtspflicht, die Klägerin unaufgefordert über die Versorgungs- bzw. Versicherungsrente zu unterrichten.

a) Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Übergang in den Ruhestand führen im Leben des Arbeitnehmers zu einem schwerwiegenden Einschnitt. Im allgemeinen ist davon auszugehen, daß ein Arbeitnehmer, der freiwillig in den Ruhestand tritt, dies nur nach hinreichender Überlegung und sorgfältiger Prüfung der zu erwartenden Versorgung tut. Sofern er nicht selbst in der Lage ist, seine Versorgungsansprüche zu überprüfen, kann er hierzu Erkundigungen einholen. Über gesetzliche Rentenversicherungsansprüche haben die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung aufzuklären (§§ 13 ff. SGB I). Nach § 70 a VBL-Satzung erteilt die VBL dem Versicherten Auskunft über die erworbenen Rentenanwartschaften. Der Arbeitnehmer kann auch seinen Arbeitgeber um Rat fragen. Wenn die Klägerin hiervon keinen Gebrauch gemacht hat, muß sie dieses Risiko tragen und kann es nicht auf ihren Arbeitgeber abwälzen. Hiervon ist der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 18. September 1984 ausgegangen. Der Senat hat eine allgemeine Belehrungspflicht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses verneint, wenn eine Angestellte das Arbeitsverhältnis auflöst, um zu heiraten und ihren Wohnsitz zu verlegen (BAG Urteil vom 18. September 1984 - 3 AZR 118/82 - AP Nr. 6 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen, zu I 2 der Gründe).

b) Die Lage eines Arbeitnehmers, der sein Arbeitsverhältnis von sich aus beenden will, unterscheidet sich deutlich von der Lage eines Arbeitnehmers, der erstmals ein Arbeitsverhältnis zu einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes begründet und auf Informationen über die Möglichkeiten und Voraussetzungen einer Anwartschaft angewiesen ist. Bei Begründung des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitgeber deshalb unaufgefordert zu weiteren Hinweisen verpflichtet. Das Bundesarbeitsgericht hat in ständiger Rechtsprechung angenommen, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über die verschiedenen Versorgungsmöglichkeiten, die hierzu etwa erforderlichen Anträge und sonstigen Mitwirkungshandlungen unterrichten muß. Sofern der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über die Zweckmäßigkeit der Versorgungswege belehrt, muß die Information richtig, eindeutig und vollständig sein (BAGE 14, 193, 195 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst, zu I der Gründe; Urteil vom 22. November 1963 - 1 AZR 17/63 - AP Nr. 6 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst, zu 4 der Gründe; Urteil vom 17. April 1984 - 3 AZR 383/81 - AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen, zu II 1 der Gründe; Urteil vom 18. Dezember 1984 - 3 AZR 168/82 - AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen, zu 1 a der Gründe; BAGE 47, 169, 172 f. = AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen, zu 1 der Gründe; Urteil vom 15. Oktober 1985 - 3 AZR 612/83 - AP Nr. 12 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen, zu I der Gründe; Urteil vom 13. Dezember 1988 - 3 AZR 252/87 -, zu 1 a bb der Gründe, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen; Urteil vom 13. Dezember 1988 - 3 AZR 322/87 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

c) Besondere Umstände, aus denen sich gesteigerte Belehrungspflichten des beklagten Landes ergeben könnten, sind nicht ersichtlich. Zwar kann ein Arbeitgeber auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses verpflichtet sein, über Voraussetzungen und Umfang von Versorgungsansprüchen zu belehren. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer aufgrund besonderer Umstände darauf vertrauen durfte, der Arbeitgeber werde bei der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch den Interessen des Arbeitnehmers an einer optimalen Versorgung Rechnung tragen. Ein solcher Vertrauenstatbestand kann sich aus vorangegangenem Tun des Arbeitgebers ergeben, einer möglichen Belehrung über die Zusatzversorgung oder aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus alleinigem betrieblichen Interesse des Arbeitgebers (BAGE 47, 169, 174 f. = AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen, zu I 3 b der Gründe; Urteil vom 10. März 1988 - 8 AZR 420/85 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

Solche Umstände liegen hier nicht vor. Die Klägerin durfte nicht ohne weitere Anhaltspunkte darauf vertrauen, das beklagte Land werde sie bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Versorgungsschäden bewahren. Die Klägerin hat von sich aus das Arbeitsverhältnis gekündigt. Ihre Kündigung vom 15. Januar 1985 konnte erst zum 30. September 1985 wirksam werden (§ 53 Abs. 1 BAT). Wenn das beklagte Land in die Abkürzung der Kündigungsfrist zum Ende des Schuljahres 1984/85 einwilligte, so erwuchs hieraus keine besondere Informationspflicht. Bei Einhaltung der Kündigungsfrist hätte die Klägerin das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt. Auch wenn das Schreiben der Klägerin vom 15. Januar 1985 keine Kündigung, sondern den Antrag auf Abschluß eines Aufhebungsvertrages enthielte, wäre die Rechtslage nicht anders. Der Wunsch, das Arbeitsverhältnis vorzeitig zu beenden, ging von der Klägerin aus. Die Gründe waren dem Arbeitgeber nicht bekannt. Er konnte, wenn dies mit seinen Interessen vereinbar war, auf diesen Wunsch eingehen. Er durfte sogar annehmen, die Klägerin habe sich hinreichend über die Folgen des vorzeitigen Ausscheidens informiert, da die Klägerin auf diesen Umstand in ihrem Schreiben selbst hingewiesen hatte.

Schließlich konnte die Klägerin aus dem der Kündigung vorausgegangenen Gespräch mit ihrem Schulleiter nicht ableiten, daß sich das beklagte Land um ihre Altersversorgung kümmern werde. Der Schulleiter legte Wert auf die weitere Mitarbeit der Klägerin; er wollte zumindest sicherstellen, daß sie bis zum Ende eines Schuljahres arbeitete. Er hatte kein Interesse daran, daß die Klägerin noch vor Erreichen der Altersgrenze ausschied.

Auch der Wunsch der Klägerin, ihren Arbeitsplatz einem jüngeren Kollegen zu überlassen, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Motive der Klägerin können nicht zu Handlungspflichten für das beklagte Land führen.

Dr. Heither Schaub Griebeling

Weinmann H. Hauk

 

Fundstellen

BB 1990, 211

BB 1990, 211-212 (LT1-2)

NVwZ 1990, 407-408 (LT1-2)

BetrAV 1990, 55-56 (LT1-2)

DOK 1990, 280 (L)

RdA 1990, 59

USK, 8925 (ST)

WzS 1990, 125 (L1-2)

ZAP, EN-Nr 439/89 (S)

ZTR 1989, 402-403 (ST1)

AP § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen (LT1-2), Nr 28

EzBAT § 8 BAT Fürsorgepflicht, Nr 22 (LT1-2)

GdS-Zeitung 1990, Nr 6-7, 24 (KT)

PersR 1990, 87 (L)

PersV 1991, 190 (K)

VR 1990, 217 (K)

VR 1990, 359 (K)

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