Entscheidungsstichwort (Thema)

Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte

 

Orientierungssatz

Parallelsache zu BAG Urteil vom 27.11.1985, 5 AZR 101/84.

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Entscheidung vom 12.04.1985; Aktenzeichen 2 Sa 1/85)

ArbG Berlin (Entscheidung vom 25.10.1984; Aktenzeichen 19 Ca 69/84)

 

Tatbestand

Der Kläger ist seit dem 13. Januar 1969 bei der Beklagten angestellt. Seit dem 16. April 1982 ist er als Hilfssachbearbeiter in der zentralen Bearbeitungsstelle für Fragen der Beschäftigungspflicht und Feststellung der Ausgleichsabgabe nach dem Schwerbehindertengesetz tätig.

Der Vorgesetzte des Klägers, Verwaltungsrat B, hat unter dem 16. März 1984 folgenden Vermerk zu den Personalakten des Klägers gegeben und ihm zugeleitet:

"Betr.:

Dienstliches Verhalten des Personals;

Angestellter N

Vor Monaten mußte ich feststellen, daß Herr

N während der Dienstzeit - außerhalb

der Mittagspause - ein Buch las. Am 16. März

1984 - ca. 8.15 Uhr - traf ich Herrn N

beim Sortieren von Briefmarken im Dienstraum

011 an.

In einer von mir anberaumten Unterredung wurde

Herr N am 16. März 1984 auf sein Fehl-

verhalten und mögliche arbeitsrechtliche Kon-

sequenzen im Wiederholungsfalle hingewiesen

(Abmahnung, Zeugen: K , Be , M ,

R , L )......"

Der Kläger wendet sich in diesem Rechtsstreit gegen diesen Vermerk, den er für unrichtig und unzulässig hält: Er habe nämlich außerhalb der Mittagspause nicht in einem Buch gelesen. Außerdem habe er nur kurz in einem Briefmarkenalbum geblättert, um nachzuschauen, ob er bestimmte Marken eingesteckt hatte, die er nach Feierabend tauschen wollte. Selbst wenn man hierin einen Pflichtverstoß des Klägers sehen sollte, so sei er doch so gering, daß die Androhung von Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis überzogen sei.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom

16. März 1984 gemäß dem Vermerk des VR B

zurückzunehmen und den Vermerk selbst aus der

Personalakte des Klägers zu entfernen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält die Abmahnung nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt für gerechtfertigt und lehnt eine Entfernung des Vermerks aus der Personalakte ab. Der im Vermerk dargestellte Sachverhalt sei richtig. Der Kläger habe nicht lediglich in einem Briefmarkenalbum geblättert, als der Verwaltungsrat B hinzugekommen sei, sondern er sei dabei überrascht worden, als er vor zwei bis drei Briefmarkenalben und einem Stapel von etwa 50 Briefmarken gesessen habe. Hierfür habe er sich extra außerhalb seines Dienstzimmers in einen Raum zurückgezogen, wo er sich vor Nachforschungen sicher gefühlt habe.

Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung des Zeugen B die Beklagte verurteilt, den Vermerk über die Abmahnung vom 16. März 1984 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen und hierzu ausgeführt, der Kläger sei zwar zur Ausführung privater Tätigkeiten während der Dienstzeit nicht berechtigt gewesen, jedoch habe die Beklagte mit diesem Vermerk den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt.

Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und sich gegen diese rechtliche Würdigung des Arbeitsgerichts gewandt.

Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Der Kläger verfolgt mit seiner Revision sein Klageziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat abweichend von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einen Anspruch eines Arbeitnehmers auf Entfernung einer mißbilligenden Äußerung des Arbeitgebers aus den Personalakten verneint, auch wenn diese unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält. Dem kann nicht gefolgt werden.

I. Der Kläger hat mit seiner Klage beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung zurückzunehmen und den Vermerk selbst aus der Personalakte zu entfernen. Es ist in den Vorinstanzen nicht ausdrücklich geprüft worden, ob der Kläger mit seinem Antrag auf Rücknahme der Abmahnung einen formellen Widerruf und daneben auch noch die Entfernung des Vermerks aus der Personalakte verlangt oder ob er sich auf die Entfernung des Vermerks beschränken will (vgl. zu dieser Unterscheidung: Kammerer, AR--Blattei, Stichwort: Abmahnung I, unter C I 1 mit Hinweis auf weitere Rechtsprechung hierzu). Das Arbeitsgericht hat, ohne sich hiermit auseinanderzusetzen, die Beklagte nur zur Entfernung des vom Kläger beanstandeten Vermerks aus der Personalakte verurteilt. Das ist im Ergebnis auch zutreffend, weil der Kläger sich hierauf auch in der Begründung seiner Klage beschränkt hat.

II. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht die Klage abgewiesen hat, hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Das Berufungsgericht hat angenommen, für einen Anspruch des Klägers auf Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte sei keine Anspruchsgrundlage ersichtlich. Hierfür ergebe sich weder aus einer gesetzlichen Vorschrift noch einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung oder Dienstordnung ein Anspruch; dieser lasse sich auch nicht aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ableiten. Der Kläger könne nicht die gerichtliche Nachprüfung verlangen, ob ganz bestimmte Tatsachen bestehen oder nicht bestehen und die hieraus abgeleiteten Wertungen des Arbeitgebers im Rahmen einer schriftlichen Abmahnung gerechtfertigt seien oder nicht. Das werde durch die gesetzliche und tarifliche Regelung bestätigt, wonach ein Arbeitnehmer eine Gegendarstellung zur Personalakte geben könne (vgl. § 83 BetrVG, § 73 PersVG des Landes Berlin sowie § 13 BAT). Eine solche Gegendarstellung sei notwendig und ausreichend, denn wenn der Arbeitgeber später aus einer in der Personalakte befindlichen Abmahnung Konsequenzen ziehen wolle, müsse er ohnehin den Sachverhalt unter Berücksichtigung der Gegendarstellung des Arbeitnehmers überprüfen. Das Recht des Arbeitgebers zur Abmahnung und die Verfügung über die ihm gehörenden Durchschriften von Abmahnungsschreiben seien durch die Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt. Diese Grundrechte seien nicht durch die allgemeine Fürsorgepflicht eingeschränkt.

III.Mit diesen Rechtsausführungen begibt sich das Berufungsgericht in Widerspruch zu der gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Hierzu wird auf folgende Entscheidungen hingewiesen: BAG 7, 267, 273 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; BAG 19, 181, 187 = AP Nr. 27 zu § 59 BetrVG; BAG 24, 247, 257 = AP Nr. 9 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst, zu II 2 b der Gründe; BAG Urteil vom 22. Februar 1978 - 5 AZR 801/76 - AP Nr. 84 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu II 1 der Gründe; BAG Urteil vom 30. Januar 1979 - 1 AZR 342/76 - AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße, zu II der Gründe; BAG Urteil vom 7. November 1979 - 5 AZR 962/77 - AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße, zu I der Gründe; BAG Urteil vom 6. August 1981 - 6 AZR 505/78 - AP Nr. 39 zu § 37 BetrVG 1972, zu 1 der Gründe; BAG 38, 159, 163 = AP Nr. 3 zu § 108 BetrVG 1972, zu I der Gründe; BAG Urteil vom 19. Juli 1983 - 1 AZR 307/81 - AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße, zu II 3 der Gründe; BAG Urteil vom 27. November 1985 - 5 AZR 101/84 - zu I 3 a der Gründe, auszugsweise veröffentlicht in DB 1986, 489 ff. sowie auch BAG Urteil vom 27. November 1985 - 5 AZR 624/84 - zu B I 3 a der Gründe). Die Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte ist dem Bundesarbeitsgericht hierin weitgehend gefolgt: LAG Hamm, Urteil vom 7. Mai 1980 - 3 Sa 69/80 - DB 1980, 2398; LAG Rheinland--Pfalz, Urteil vom 20. März 1981 - 6 Sa 815/80 - EzA Nr. 28 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; LAG Hamm, Urteil vom 1. Februar 1983 - 13 Sa 1313/82 - EzA Nr. 33 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; vgl. darüber hinaus die zahlreichen unveröffentlichten Urteile weiterer Landesarbeitsgerichte hierzu in der Aufstellung von Sbresny- Uebach in AR-Blattei unter dem Stichwort "Personalakten I" Abschnitt (F) II.

IV. 1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Arbeitgeber im Rahmen seiner allgemeinen Fürsorgepflicht, auch soweit er Rechte ausübt, auf das Wohl und die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers Bedacht zu nehmen. Er muß daher unter Umständen auch besondere Maßnahmen treffen, die die Entstehung eines Schadens und damit eine Beeinträchtigung des Fortkommens seines Arbeitnehmers verhindern können (vgl. BAG Urteil vom 9. Februar 1977 - 5 AZR 2/76 - AP Nr. 83 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu II 1 der Gründe, mit weiteren Nachweisen). Der Umfang dieser Fürsorgepflicht ist im Einzelfall aufgrund einer eingehenden Abwägung der beiderseitigen Interessen zu bestimmen (BAG 7, 267, 271, 272 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; BAG Urteil vom 17. März 1970 - 5 AZR 263/69 - AP Nr. 78 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, zu 2 der Gründe). Der Arbeitgeber muß im Rahmen seiner Fürsorgepflicht dafür Sorge tragen, daß die Personalakten ein richtiges Bild des Arbeitnehmers in dienstlichen und persönlichen Beziehungen vermitteln (BAG 7, 267, 273 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; seither ständige Rechtsprechung). Die Fürsorgepflicht ist Ausfluß des in § 242 BGB niedergelegten Gedankens von Treu und Glauben, der den Inhalt der Schuldverhältnisse bestimmt. Aus dieser Vorschrift sind für das Arbeitsverhältnis verschiedene Nebenrechte und -pflichten abzuleiten. So hat etwa der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Beschluß vom 27. Februar 1985 (GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht = ZIP 1985, 1214 ff., auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen) den allgemeinen Beschäftigungsanspruch als vertragliche Nebenpflicht aus § 242 BGB hergeleitet. Dabei hat der Große Senat angenommen, daß bei der Frage, was Treu und Glauben jeweils gebieten, auch auf die in den Grundrechten des Grundgesetzes zum Ausdruck gekommene Wertentscheidung der Verfassung Bedacht zu nehmen ist. Die in den Grundrechtsnormen enthaltene objektive Wertordnung gilt als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts und wirkt deshalb auch auf das Privatrecht ein (BVerfGE 34, 269, 280). Damit gewinnt der verfassungsrechtliche Persönlichkeitsschutz für das Arbeitsverhältnis und die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten Bedeutung.

2. Deshalb ist schon bisher erkannt worden, daß der Arbeitgeber das allgemeine Persönlichkeitsrecht in bezug auf Ansehen, soziale Geltung und berufliches Fortkommen zu beachten hat (Urteil des erkennenden Senats vom 8. Februar 1984, BAG 45, 111, 114 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht, zu I 1 der Gründe, mit zust. Anm. von Echterhölter; Wiese, ZfA 1971, 273, 297 mit weiteren Nachweisen). Das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers wird durch unrichtige, sein berufliches Fortkommen berührende Tatsachenbehauptungen beeinträchtigt. Der Arbeitnehmer kann daher in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB bei einem objektiv rechtswidrigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers in Form von unzutreffenden oder abwertenden Äußerungen deren Widerruf und Beseitigung verlangen (BAG Urteil vom 21. Februar 1979 - 5 AZR 568/77 - AP Nr. 13 zu § 847 BGB, zu B I 1 der Gründe; BAG 45, 111, 117 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht, zu I 5 der Gründe; Wiese, ZfA 1971, 273, 311; vgl. auch BGHZ 14, 163, 173). Das verfassungsrechtlich abgesicherte Recht des Arbeitgebers zur freien Meinungsäußerung über den Arbeitnehmer (Art. 5 Abs. 1 GG) findet seine Schranken an dieser geschützten Rechtssphäre des Arbeitnehmers.

V. Hieraus folgt, daß der Arbeitnehmer die Rücknahme einer mißbilligenden Äußerung des Arbeitgebers verlangen kann, wenn diese nach Form oder Inhalt geeignet ist, ihn in seiner Rechtsstellung zu beeinträchtigen. Hierzu gehören schriftliche Rügen und Verwarnungen, die zu den Personalakten genommen werden. Denn solche formellen Rügen können, wenn sie unberechtigt sind, Grundlage für eine falsche Beurteilung des Arbeitnehmers sein und dadurch sein berufliches Fortkommen behindern oder andere arbeitsrechtliche Nachteile mit sich bringen. Vornehmlich in Großbetrieben und größeren Verwaltungen kann die zu den Personalakten genommene Abmahnung zu einer dauerhaften und nachhaltigen Gefährdung der Rechtsstellung des Arbeitnehmers beitragen, denn dort werden Entscheidungen über das berufliche Fortkommen in der Regel nicht aufgrund persönlicher Kenntnisse getroffen, sondern die Fakten werden aus den Personalakten entnommen. Gerade bei einseitigen Bestimmungsrechten, bei denen dem Arbeitgeber ein nur begrenzt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zusteht, kann eine zu den Personalakten genommene schriftliche Äußerung einen fortdauernden Rechtsnachteil darstellen.

VI. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wird ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Entfernung einer unbegründeten Rüge aus seinen Personalakten auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß er berechtigt ist, eine Gegendarstellung zu den Personalakten zu reichen. Hierzu verweist das Berufungsgericht auf § 83 Abs. 2 BetrVG und § 73 PersVG Berlin, wonach Erklärungen des Arbeitnehmers zum Inhalt der Personalakte dieser auf sein Verlangen beizufügen sind. Hiernach hat der Arbeitnehmer das Recht, über die Möglichkeit einer allgemeinen Stellungnahme aufgrund des § 82 Abs. 1 Satz 2 BetrVG hinaus schriftliche Erklärungen, insbesondere auch zu Beurteilungen abzugeben. Diese Vorschrift gewährt dem Arbeitnehmer lediglich ein Gegenerklärungsrecht. Enthält die Personalakte aber unrichtige oder abwertende Angaben über die Person des Arbeitnehmers, so werden diese durch dessen Gegenerklärung nicht neutralisiert oder berichtigt. Die Gegenerklärung besagt insoweit nicht mehr, als daß die Angaben vom Arbeitnehmer bestritten und durch seine abweichende Stellungnahme ergänzt werden. Dieses Recht auf Gegendarstellung schließt aber nicht das weitergehende Recht des Arbeitnehmers aus, auch die Entfernung unrichtiger Angaben aus den Personalakten zu verlangen (so bereits BAG 7, 267 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht; ferner BAG 24, 247 = AP Nr. 9 zu § 611 BGB Öffentlicher Dienst; diese Auffassung wird auch in der Kommentarliteratur einhellig vertreten: vgl. Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 83 Rz 5 a; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 83 Rz 33; Fabricius/Kraft/Thiele/Wiese, Gemeinschaftskommentar zum BetrVG, § 83 Rz 17 a; Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, § 83 Rz 8; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 83 Rz 12). Wenn man demgegenüber den Arbeitnehmer auf sein Recht zur Gegendarstellung beschränkt und ihm einen im Prozeß durchsetzbaren Anspruch auf Beseitigung ungerechtfertigter Abmahnungen aus der Personalakte versagt, so könnte das dazu führen, daß der Arbeitnehmer dann auf dem Umweg über sein Beschwerderecht nach den §§ 84, 85 Abs. 2 BetrVG mit Unterstützung des Betriebsrats eine Einigungsstelle anruft (vgl. hierzu Schmid, NZA 1985, 409, 413, unter II 2 und auch LAG Hamm DB 1979, 1468), weil es insoweit an einem Rechtsanspruch fehle. Aber auch hierdurch werden weitere prozessuale Auseinandersetzungen im Anschluß an die Entscheidung der Einigungsstelle nicht ausgeschlossen, und außerdem hätte der Arbeitgeber immer die Kosten für das Einigungsstellenverfahren zu tragen (§ 40 Abs. 1 BetrVG).

Deshalb hält der Senat an der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts fest, wonach der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entfernung einer auf unrichtigen Tatsachen beruhenden Abmahnung hat. Dies folgt aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gemäß § 242 BGB in entsprechender Anwendung von § 1004 BGB.

VII.1.Andere Gründe, aus denen sich das Urteil des Berufungsgerichts als richtig darstellen könnte, sind nicht ersichtlich; es ist deshalb aufzuheben (§ 563, § 564 Abs. 1 ZPO). Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - nicht geprüft, ob der von der Beklagten behauptete Sachverhalt, auf den sie ihre Abmahnung stützt, richtig ist oder nicht. Zwar hat das Arbeitsgericht hierzu Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen B, aber aus den Erklärungen des Klägers hierzu im Anschluß an die Beweisaufnahme ist davon auszugehen, daß die von der Beklagten erhobenen Vorwürfe und die Umstände im einzelnen streitig geblieben sind. Hiernach ist unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

2. a) Eine abschließende Entscheidung zugunsten des Klägers ohne weitere tatsächliche Feststellungen entsprechend den Erwägungen des Arbeitsgerichts scheidet aus. Die Beklagte hat - wenn der im Vermerk vom 16. März 1984 wiedergegebene Sachverhalt richtig sein sollte - mit ihrer Abmahnung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt. Zwar ist auch bei Abmahnungen im Arbeitsverhältnis der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen (vgl. BAG Urteil vom 7. November 1979 - 5 AZR 962/77 - AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Betriebsbuße, II 2 c der Gründe; vgl. ferner Becker-Schaffner, DB 1985, 650 ff., 653; Kammerer, AR-Blattei, Stichwort Abmahnung I unter C III 1; Sbresny-Uebach, AR-Blattei, Stichwort Personalakten, unter F II und Schmid, NZA 1985, 409 ff., 411, unter 3 c). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird nämlich aus dem ebenfalls für das Arbeitsrecht maßgebenden Prinzip von Treu und Glauben hergeleitet (§ 242 BGB: vgl. BGH vom 19. Dezember 1979 - VIII ZR 46/79 - WM 1980, 216, unter II 2; Palandt/Heinrichs, BGB, 45. Aufl., § 242 Anm. 4 C b - d - bb; Soergel/Siebert/Knopp, BGB, 10. Aufl., § 242 Rz 258; Staudinger/Schmidt, BGB, 12. Aufl., § 242 Rz 683 ff.; MünchKomm- Roth, § 242 BGB Rz 409). Danach ist die Ausübung eines Rechts unzulässig, wenn sie der Gegenseite unverhältnismäßig große Nachteile zufügt und andere, weniger schwerwiegende Maßnahmen möglich gewesen wären, die den Interessen des Berechtigten ebensogut Rechnung getragen hätten oder ihm zumindest zumutbar gewesen wären. Dieser Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird als Übermaßverbot zur Vermeidung von schwerwiegenden Rechtsfolgen bei nur geringfügigen Rechtsverstößen verstanden (BGH vom 19. Dezember 1979, aaO). Hiernach hat der Arbeitgeber im Rahmen der ihm zustehenden Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) zunächst selbst zu entscheiden, ob er ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers mißbilligen will und ob er deswegen eine mündliche oder schriftliche Abmahnung erteilen will (vgl. hierzu auch Herschel in Anm. zum Urteil des BAG vom 22. Februar 1978 - 5 AZR 801/76 - in AR-Blattei, Stichwort: "Betriebsbußen" Entscheidungen Nr. 9).

b) Die schriftliche Abmahnung der Beklagten ist aber - die Richtigkeit der Vorwürfe unterstellt - nicht unverhältnismäßig im Vergleich zu dem beanstandeten Verhalten. Daß die Beklagte die Abmahnung in die Personalakte des Klägers aufgenommen hat, ist sachgerecht. Es muß ihr überlassen bleiben, ob sie dies aus Beweisgründen für erforderlich hält oder nicht. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit setzt voraus, daß der Gläubiger - hier also die Beklagte - zwischen verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten wählen kann (Ausweichprinzip). Es ginge zu weit, der Beklagten die Abmahnung und die Aufnahme eines Vermerks hierüber in die Personalakte zu untersagen, weil man über den erhobenen Vorwurf auch hinwegsehen könnte. Damit würde die Beklagte zwangsläufig zu erkennen geben, sie nehme an der Verletzung der Arbeitsleistungspflicht keinen Anstoß. Es ist sogar ihre Obliegenheit, hierauf hinzuweisen, wenn sie später aus einer gleichartigen Verletzung weitere Konsequenzen herleiten will. Der Beklagten ist ferner zuzubilligen, gegenüber anderen Mitarbeitern durch diese Abmahnung deutlich zu machen, daß sie es nicht hinnimmt, wenn ihre Angestellten während der Arbeitszeit beschäftigungsfremden Tätigkeiten nachgehen. Das Schreiben selbst verletzt durch seine Form nicht die Ehre des Klägers und verstößt insoweit nicht gegen das Übermaßverbot.

Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog

Scherer Dr. Koffka

 

Fundstellen

Dokument-Index HI440036

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