Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung eines Betriebsratsmitglieds. Betriebsstillegung

 

Orientierungssatz

Nach § 15 Abs 4 KSchG ist die Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes frühestens zum Zeitpunkt der Betriebsstillegung zulässig, es sei denn, die Kündigung ist zu einem früheren Zeitpunkt durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt (Vergleiche BAG Urteile vom 26.10.1967, 2 AZR 422/66 = AP Nr 17 zu § 13 KSchG und vom 14.10.1982, 2 AZR 568/80 = BAGE 41, 72).

 

Normenkette

BGB §§ 110, 389, 387, 625; BetrVG §§ 102-103; BGB § 123 Abs. 1; KSchG § 3 Fassung 1969-08-25, § 15 Abs. 4 Fassung 1969-08-25

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 22.10.1984; Aktenzeichen 7 Sa 164/83)

ArbG Emden (Entscheidung vom 29.09.1983; Aktenzeichen 1 Ca 843/82)

 

Tatbestand

Der seit dem 15. November 1978 als Kraftfahrer bei der N GmbH in E beschäftigte Kläger war seit dem Frühjahr 1981 Mitglied des Betriebsrats. Mit Schreiben vom 13. August 1982 kündigte die Gesellschaft das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30. September 1982 mit der Begründung, daß "der Betrieb zu diesem Zeitpunkt aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr fortzuführen" sei. Zuvor hatte der Betriebsrat auf die Mitteilung der Gesellschaft, allen Mitarbeitern zum 30. September 1982 kündigen zu wollen, erklärt, er nehme "unter der Voraussetzung, daß eine Fortsetzung des Betriebs über den 30. September 1982 hinaus unmöglich sei", zur Kenntnis, daß "im Zuge der Betriebsstillegung die Entlassung der gesamten Belegschaft erfolgen" werde.

Am 22. September 1982 wurde über das Vermögen der N GmbH der Konkurs eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter bestellt. Der Kläger, der über den 30. September 1982 hinaus weiterbeschäftigt und mit Schreiben vom 21. Oktober 1982 von der Arbeit freigestellt wurde, erhielt nach dem Sozialplan vom 12. August 1982 eine Abfindung in Höhe von 23.117,-- DM.

Vor Konkurseröffnung waren bei der Gemeinschuldnerin etwa 190 Arbeitnehmer beschäftigt, nach dem 30. September 1982 zunächst mindestens 50 Arbeitnehmer. Im "Zuge der Konkursabwicklung" wurde bereits am 21. September 1982 erwogen, ab 1. Januar 1983 eine sogenannte "Werterhaltung" zu betreiben. Der Werterhaltungsplan sah die Bewachung der Anlagen, Marktbeobachtung, Marktanalysen, Administration, Einkauf, Personalverwaltung usw. vor.

Mit Schreiben vom 1. November 1982 teilte der Beklagte dem Betriebsrat mit, daß die fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger zum 31. Dezember 1982 in Erwägung gezogen werde. Der Beklagte begründete diese Maßnahme damit, daß er sich vorbehalte, das bestehende Arbeitsverhältnis wegen Irrtums und Täuschung anzufechten, falls der Kläger nicht von einem befristeten Vertrag zwischen den Parteien für die Zeit vom 1. Oktober 1982 bis zum 31. Dezember 1982 ausgehe. Gleichzeitig werde er das Arbeitsverhältnis vorsorglich fristgerecht zum 31. Dezember 1982 kündigen. Der Betriebsrat hat die Ansicht des Beklagten, mit dem Kläger bestünde ein befristeter Arbeitsvertrag, nicht geteilt und der beabsichtigten Kündigung nicht zugestimmt.

Daraufhin teilte der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 8. November 1982 mit, das Arbeitsverhältnis sei durch ordentliche Kündigung zum 30. September 1982 aufgelöst worden. Der Bereitschaft der Beklagten, alle Betriebsratsmitglieder bis zum Jahresende 1982 weiterzubeschäftigen, hätte der Kläger nicht widersprochen und seine Arbeit wieder aufgenommen; angesichts der vom Kläger nunmehr vertretenen Ansicht über das Bestehen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses werde das "befristete Arbeitsverhältnis aus allen Rechtsgründen" angefochten, da der Kläger versucht habe, sein Arbeitsverhältnis durch Ausnutzung eines von ihm erregten Irrtums zu verlängern. Vorsorglich werde auch eine fristgemäße Kündigung zum 31. Dezember 1982 ausgesprochen.

Der Kläger, der sich mit der am 23. November 1982 erhobenen Klage gegen die Kündigung bzw. Anfechtung vom 8. November 1982 wendet und seine Weiterbeschäftigung verlangt, bestreitet, mit dem Beklagten einen befristeten Vertrag abgeschlossen zu haben. Auf einen entsprechenden Wunsch des Beklagten sei er nicht eingegangen. Ein schriftliches Angebot habe er nicht erhalten; eine mündliche Befristung wäre gem. § 2 Ziff. 6.4 des zwischen den Parteien geltenden Manteltarifvertrages der Metallindustrie im Nordverband vom 31. März 1979 auch unwirksam. Bis zu seiner Freistellung von der Arbeit sei er noch mindestens eine Woche lang vorbehaltlos als Fahrer beschäftigt worden. Sowohl die Kündigung vom 13. August 1982 als auch die vom 8. November 1982 seien unwirksam, da beide Kündigungen nicht wegen Betriebsstillegung erfolgt seien. Für die Kündigung vom 13. August 1982 fehle es auch an der erforderlichen Zustimmung des Betriebsrats. Ab 1. Januar 1983 seien noch 27 Arbeitnehmer entsprechend dem Werterhaltungsplan vom 21. September 1982 beschäftigt worden. Aufgabe dieser Arbeitnehmer sei es gewesen, die Anlagen zu bewachen, zu beleuchten, trocken und rostfrei zu halten, Schäden frühzeitig zu erkennen, Marktbeobachtung zu betreiben und Analysen vorzunehmen. Zudem seien auch 1983 noch erhebliche Verkäufe unter anderem von Eisenschwamm erfolgt, so daß auch Handelsgeschäfte betrieben worden seien. Der Betrieb sei mit stark reduzierter Belegschaft, wenn auch unter Verzicht auf Produktion, weitergeführt worden.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der

Parteien durch die von dem Beklagten erklärte

Anfechtung des Arbeitsvertrags nicht aufge-

löst worden ist,

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der

Parteien auch durch die mit Schreiben vom

8. November 1982 ausgesprochene Kündigung

nicht aufgelöst worden ist,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger

DM 19.710 brutto abzüglich DM 9.129,60 Arbeits-

losengeld zu zahlen und zwar nebst 4 % Zinsen

auf den Nettodifferenzbetrag seit dem 1. Juli 1983.

Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt und geltend gemacht, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger zum 30. September 1982 sei wirksam. Jedenfalls könne sich der Kläger nach Annahme der Abfindung gemäß dem Sozialplan nicht mehr auf eine evtl. Unwirksamkeit der Kündigung berufen. Im September 1982 sei auch ein befristeter Arbeitsvertrag geschlossen worden, denn der Kläger habe den entsprechenden Vorschlag mit den Worten "in Ordnung" quittiert. Das Angebot an den Kläger, über den 30. September 1982 hinaus noch bis zum Abschluß weiterer Aufräumungsarbeiten im Betrieb zu verbleiben, sei zunächst nicht auf ein neues befristetes Arbeitsverhältnis gerichtet gewesen, sondern habe dem Ziel gedient, die bereits ausgesprochene Kündigung zum nächstzulässigen Termin wirksam werden zu lassen. Das sei dem Kläger gegenüber deutlich zum Ausdruck gebracht worden. Den Parteien sei völlig klar gewesen, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers längstens bis zum 15. Oktober 1982 bzw. 31. Dezember 1982 dauern sollte, jedenfalls nicht über den Zeitpunkt der letzten Stillegungsarbeiten hinaus. Die vorsorglich zum 31. Dezember 1982 ausgesprochene Kündigung sei jedenfalls wegen Betriebsstillegung wirksam. Die letzte Tonne Eisenschwamm sei am 10. September 1982 "gefahren worden". Die "Fortführung des Betriebes" nach dem Werterhaltungsplan stehe der Feststellung einer Betriebsstillegung nicht entgegen. Wegen des hohen Wertes der Betriebsanlagen der Gemeinschuldnerin habe nach der Konkurseröffnung eine Konservierung der Anlagen erfolgen müssen, damit diese mindestens eine "einjährige Pause des Stillstandes" überdauern könnten. Eine Verwertung der Anlagen durch einen Übernehmer sei allerdings im September 1982 und später nicht "konkret" in Sicht gewesen. Die vorgesehenen Wartungsarbeiten sowie das Vorhalten eines stark reduzierten Schlüsselpersonals hätten keinen anderen Zweck gehabt als die Verbesserung der Verkäuflichkeit der Werksanlagen; dem diene auch die Beobachtung der Marktlage. Schließlich sei für den Kläger als Betriebsrat kein Rechtsschutzinteresse an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erkennbar. Seit Anfang des Jahres 1983 bestehe bei der Gemeinschuldnerin ein neu gewählter Betriebsrat und zwar ausschließlich aus Mitarbeitern, die im Rahmen des Werterhaltungsplanes neue und unbefristete Arbeitsverträge für die Zeit ab 1. Januar 1983 erhalten hätten. Da der Kläger zu Unrecht die Abfindung aus dem Sozialplan in Anspruch genommen habe, rechne er hilfsweise mit dem Rückforderungsanspruch gegenüber den vermeintlichen Vergütungsansprüchen des Klägers auf.

Der Kläger hat hierauf erwidert, alle noch im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer hätten zu Ende September bzw. Ende Dezember 1982 eine Kündigung sowie die Abfindungen nach dem Sozialplan erhalten; es würde gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, wenn er im Falle des Obsiegens die Abfindungssumme zurückzahlen bzw. sich eine Aufrechnung gegen seine Vergütungsforderung gefallen lassen müßte.

Das Arbeitsgericht hat unter Abweisung des Weiterbeschäftigungsanspruchs sowie eines Teils der geltend gemachten Zinsansprüche im übrigen der Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Über die Anschlußberufung des Klägers auf Abänderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung sowie der Streitwertfestsetzung hat das Landesarbeitsgericht nicht entschieden.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klagabweisung in vollem Umfang weiter. Der Kläger hat - nachdem er die von ihm eingelegte Revision zurückgenommen hat - beantragt, die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das durch die von der Gemeinschuldnerin zum 30. September 1982 erklärte Kündigung nicht aufgelöste Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist auch nicht durch die nachfolgende Anfechtung vom 8. November 1982 bzw. der vorsorglichen fristgemäßen Kündigung des Beklagten zum 31. Dezember 1982 beendet worden. Aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges (§ 615 BGB) hat der Kläger Anspruch auf die eingeklagten Bezüge bis zum 30. Juni 1983, da jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis fortbestand.

I. Durch die der Anfechtung vom 8. November 1982 bzw. der vorsorglichen Kündigung des Beklagten zum 31. Dezember 1982 vorangegangene fristgemäße Kündigung der Gemeinschuldnerin vom 13. August 1982 ist das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht zum 30. September 1982 beendet worden.

1. Das Arbeitsverhältnis des Klägers, das von den Parteien über den 30. September 1982 hinaus fortgesetzt worden ist (wobei zunächst dahingestellt bleiben kann, ob insoweit § 625 BGB eingreift oder ob zwischen den Parteien eine befristete oder unbefristete Weiterbeschäftigung des Klägers ausdrücklich vereinbart worden ist) konnte von der Gemeinschuldnerin nicht wirksam zu diesem Zeitpunkt gekündigt werden. Die Unwirksamkeit der Kündigung zum 30. September 1982 ergibt sich zwar nicht aus der fehlenden Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 103 BetrVG, weil bei einer aus Anlaß der Betriebsstillegung erfolgten ordentlichen Kündigung nur eine Anhörung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG erforderlich ist und diese auch erfolgt ist (BAG 29, 114, 118; 33, 94, 99; 41, 72, 80). Die Wirksamkeit der Kündigung scheitert auch nicht an der fehlenden Zustimmung des Betriebsrats gemäß Ziff. 2 des Interessenausgleichs vom 12. August 1982, weil insoweit dem Betriebsrat nur ein Mitbestimmungsrecht bei der Auswahl von Arbeitnehmern im Falle der Weiterbeschäftigung nach Ablauf der Kündigungsfrist eingeräumt worden ist. Unwirksam ist sie aber deswegen, weil dem Kläger als Betriebsratsmitglied gemäß § 15 Abs. 4 KSchG nur frühestens zum Zeitpunkt der Betriebsstillegung gekündigt werden konnte (vgl. dazu BAG Urteil vom 26. Oktober 1967 - 2 AZR 422/66 - AP Nr. 17 zu § 13 KSchG; BAG 41, 72, 78; KR-Etzel, 2. Aufl., § 15 KSchG Rz 102; Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 15 Rz 51; Hueck, KSchG, 10. Aufl., § 15 Rz 73; Dietz/Richardi, BetrVG, Bd. 2, 6. Aufl., Anhang zu § 103 Rz 24; Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 103 Rz 15; Galperin/Löwisch, BetrVG, Bd. II, 6. Aufl., § 103 Rz 51). Die Kündigung ist zwar mit der zu erwartenden Betriebsstillegung begründet worden, eine solche ist jedoch zum 30. September 1982 unstreitig nicht erfolgt. Zwingende betriebliche Erfordernisse, die eine Kündigung zu diesem früheren Zeitpunkt bedingen (§ 15 Abs. 4 letzter Halbsatz KSchG) liegen - wie sich auch aus dem tatsächlichen Geschehensablauf ergibt - unstreitig ebenfalls nicht vor. Durch die Kündigung vom 13. August 1982 konnte das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien vielmehr zulässigerweise erst zum nächstzulässigen Termin nach der Betriebsstillegung beendet werden (BAG 33, 94, 97; KR-Etzel, aa0, § 15 KSchG Rz 109; Herschel/Löwisch, aa0, § 15 Rz 55). Innerhalb des geltend gemachten Anspruchszeitraumes, nämlich bis zum 30. Juni 1983, ist aber eine Betriebsstillegung, wie noch auszuführen sein wird, nicht erfolgt.

2. Auf die Unwirksamkeit der Kündigung zum 30. September 1982, die nicht gemäß § 4 KSchG innerhalb einer Frist von drei Wochen mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen zu werden brauchte (§ 13 Abs. 3 KSchG), kann sich der Kläger auch berufen. Der Kläger hat das Recht, sich insoweit auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu berufen, nicht verwirkt (§ 242 BGB). Ein Verwirkungstatbestand ist nicht ersichtlich; ein solcher ergibt sich weder aufgrund Zeitablaufs noch aufgrund des Verhaltens des Klägers. Der Kläger hat durch sein Verhalten zu keinem Zeitpunkt den Eindruck erweckt, sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung zum 30. September 1982 nicht mehr berufen zu wollen (vgl. dazu KR-Rost, 2. Aufl., § 7 KSchG Rz 36; KR-Friedrich, 2. Aufl., § 13 KSchG Rz 305, 308; Herschel/Löwisch, aa0, § 7 Rz 3, § 13 Rz 53).

3. Eine Betriebsstillegung setzt die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft voraus, die ihre Veranlassung und zugleich ihren sichtbaren Ausdruck darin findet, daß der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Weiterverfolgung des bisherigen Betriebszweckes dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne aufzugeben (BAG 41, 72, 78 f.; BAG Urteil vom 27. September 1984 - 2 AZR 309/83 - EzA § 613 a BGB Nr. 40; BAG Urteil vom 22. Mai 1985 - 5 AZR 173/84 - NzA 1985, 773; Herschel/Löwisch, aa0, § 15 Rz 44; KR-Etzel, aa0, § 15 KSchG Rz 79). Diese Voraussetzungen lagen jedoch zum damaligen Zeitpunkt nicht vor. Zwar kann von einer Betriebsstillegung auch dann noch ausgegangen werden, wenn weniger Arbeitnehmer für kurze Zeit mit Abwicklungs- und Aufräumungsarbeiten weiterbeschäftigt werden (BAG 33, 94, 102; 41, 72, 79; BAG Urteil vom 17. September 1957 - 1 AZR 352/56 - AP Nr. 8 zu § 13 KSchG; BAG Urteil vom 16. September 1982 - 2 AZR 271/80 - AP Nr. 4 zu § 22 KO). Diese Annahme scheidet in der Regel jedoch dann aus, wenn die Aufräumungsarbeiten nicht mehr kurzfristig abgewickelt werden können und es sich bei den mit Abwicklungsarbeiten beschäftigten Arbeitnehmern nicht nur um eine geringe Anzahl handelt. Obschon es an sich auf den Einzelfall ankommt, kann in einem solchen Falle von einem ernstlichen Willen, den Betrieb einzustellen, im allgemeinen nicht ausgegangen werden (vgl. dazu KR-Etzel, aa0, § 15 KSchG Rz 102 a).

4. Im Betrieb der Gemeinschuldnerin ist allerdings seit dem 10. September 1982 bzw. dem 13. Oktober 1982 kein Eisenschwamm mehr produziert worden. Zwar bedeutet die bloße Einstellung der Produktion noch keine Betriebseinstellung; vielmehr muß die Auflösung der dem Betriebszweck dienenden Organisation hinzukommen (Dietz/Richardi, BetrVG, Bd. 2, 6. Aufl., § 111 Rz 31). Letztere Voraussetzung ist nicht gegeben. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts waren nach dem 30. September 1982 nämlich zunächst mindestens 50 Arbeitnehmer und im Jahre 1983 wenigstens 27 Arbeitnehmer ununterbrochen im Betrieb beschäftigt. Mit diesem Restpersonal sollten nach dem Vortrag des Beklagten die Werksanlagen zunächst konserviert werden, damit diese mindestens eine einjährige Pause des Stillstandes überdauern konnten. Die vorgesehenen Wartungsarbeiten und das Vorhalten eines stark reduzierten Schlüsselpersonals hatte demnach lediglich den Zweck, die Verkäuflichkeit der Werksanlagen zu verbessern. Die Werksanlagen sollten in einem Zustand gehalten werden, der es erlaubt, die Produktion innerhalb kürzester Zeit wieder "anzufahren".

a) Auch unter dem Gesichtspunkt einer Änderung des Betriebszwecks stellen diese Maßnahmen keine Betriebsstillegung dar, da die Änderung des Betriebszwecks mit einer Auflösung der alten und dem Aufbau einer neuen Betriebsorganisation verbunden sein muß, wofür namentlich die Identität der Belegschaft ein maßgebliches Kriterium darstellt (Dietz/Richardi, aa0, § 111 Rz 28 und 49). Die unstreitig seit dem 1. Januar 1983 im Betrieb eingesetzten Mitarbeiter waren nach ihrer KÜndigung zum 30. September 1982 bzw. 31. Dezember 1982 ununterbrochen im Betrieb tätig. Der Personalbestand ist zwar stark reduziert, die bestehende Betriebsgemeinschaft zwischen den weiterhin beschäftigten Arbeitnehmern und dem Arbeitgeber, also dem Beklagten, aber nicht aufgelöst worden. Diese nach dem 31. Dezember 1982 weiter beschäftigten Arbeitnehmer haben Anfang des Jahres 1983 sogar einen neuen Betriebsrat gewählt, was eindeutig gegen eine Betriebsstillegung spricht, da ein Betriebsrat begrifflich eine bestehende Betriebsgemeinschaft voraussetzt. Nur bei einer Betriebsstillegung entfällt der Tätigkeitsbereich des Betriebsrats (BAG 37, 128, 132).

b) Nach alledem ist weder zum 30. September 1982 noch zum 31. Dezember 1982 eine Betriebsstillegung erfolgt; eine Betriebsstillegung ist, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erkennbar geworden ist, vielmehr erst zum 31. Dezember 1984 erfolgt, also lange nach dem 30. Juni 1983, dem im Streit befindlichen Zeitraum. Auch die weitere zwischenzeitlich vom Beklagten zum 30. September 1984 ausgesprochene Kündigung interessiert insoweit im vorliegenden Zusammenhang nicht. Durch die am 13. August 1982 ausgesprochene Kündigung ist das Arbeitsverhältnis jedenfalls nicht vor dem 30. Juni 1983, bis zu dem der Kläger Lohnansprüche geltend macht, beendet worden.

5. Das Arbeitsverhältnis hat auch nicht durch Parteivereinbarung oder durch die Anfechtung vom 8. November 1982 zu einem früheren Zeitpunkt sein Ende gefunden.

a) Der Beklagte hat geltend gemacht, mit dem Kläger sei im September 1982 ein (neuer) befristeter Arbeitsvertrag bis zum 31. Dezember 1982 bzw. eine Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses bis zum 31. Dezember 1982 vereinbart worden. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, an die der Senat mangels durchgreifender Verfahrensrügen gebunden ist (§ 561 Abs. 2 ZPO), ist nicht nachgewiesen, daß die Parteien eine Vereinbarung dieses oder ähnlichen Inhalts abgeschlossen haben. Aufgrund der Beweisaufnahme könne, so führt das Landesarbeitsgericht aus, nicht festgestellt werden, daß mit dem Kläger ein neuer unbefristeter Arbeitsvertrag, ein neuer befristeter Arbeitsvertrag oder nur ein Hinausschieben des im Kündigungsschreiben vom 13. August 1982 genannten Beendigungszeitpunktes auf den 31. Dezember 1982 vereinbart worden sei. Die vom Senat nur in beschränktem Umfange nachprüfbare Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts läßt insoweit revisionsrechtlich keine relevanten Fehler erkennen. Soweit der Beklagte in der Revision vorgetragen hat und der Auffassung ist, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme müsse davon ausgegangen werden, daß sich der Kläger mit einer Weiterbeschäftigung bis zum 31. Dezember 1982 einverstanden erklärt habe, ersetzt er lediglich die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts durch seine eigene, ohne aber durchgreifende Verfahrensrügen zu erheben.

b) Dem Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis darin beizupflichten, daß das zwischen den Parteien fortbestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die Anfechtungserklärung mit Schreiben vom 8. November 1982 beendet worden ist. Denn wenn nicht festgestellt werden kann, ob und mit welchem Inhalt die Parteien eine Verlängerungsvereinbarung abgeschlossen haben und mithin auch nicht feststeht, welchen Inhalt die Erklärungen des Beklagten gegenüber dem Kläger gehabt haben, dann ist auch nicht erkennbar, aus welchem rechtlich erheblichen Grund der Beklagte die Anfechtung gemäß § 123 Abs. 1 BGB erklärt hat. Abgesehen davon, daß eine Anfechtung der Verlängerungsvereinbarung nur dann von Bedeutung wäre, wenn eine unbefristete Verlängerung des Arbeitsverhältnisses zustande gekommen wäre, liegt eine Täuschungshandlung des Klägers, die - wenn sie für die Anfechtung ursächlich sein soll - zeitlich vor Abgabe der anzufechtenden Willenserklärung begangen sein müßte, ersichtlich nicht vor; insbesondere ist in dem vom Beklagten gerügten Verhalten des Klägers keine Täuschungshandlung zu erkennen. Die dem Kläger vom Beklagten im Schreiben vom 8. November 1982 vorgeworfenen Handlungen, nämlich die Aufnahme der Arbeit, ohne dem Angebot auf Weiterbeschäftigung bis zum Ende des Jahres 1982 zu widersprechen, das Unterlassen einer schriftlichen Bestätigung des behaupteten mündlich abgeschlossenen befristeten Arbeitsvertrages sowie die vom Kläger geäußerte Rechtsansicht, zwischen den Parteien bestünde ein unbefristeter Arbeitsvertrag, können den Beklagten nicht zur Abgabe der behaupteten Willenserklärung bestimmt haben; denn die behauptete und nun angefochtene Willenserklärung, nämlich das Angebot auf befristete Weiterbeschäftigung bis zum Ende des Jahres 1982, lag zeitlich vor dem gerügten Verhalten des Klägers. Soweit nunmehr der Beklagte erstmals in der Revision behauptet, dem Kläger nach dem 30. September 1982 das weitere Betreten des Werksgeländes erst gestattet zu haben, nachdem mit dem Kläger über eine längstens bis zum 31. Dezember 1982 befristete Weiterbeschäftigung Einverständnis erzielt worden sei, handelt es sich um ein neues und in der Revisionsinstanz gemäß § 561 Abs. 1 ZPO nicht mehr zu berücksichtigendes Vorbringen.

Eine wirksame Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung oder eine Anfechtung wegen Irrtums gemäß § 119 BGB, zu der der Beklagte überhaupt keine Tatsachen vorgetragen hat, und die das Arbeitsverhältnis vorzeitig zur Auflösung gebracht haben könnte, liegt mithin nicht vor.

c) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann andererseits - obwohl es im Streitfall auf diese Frage nicht entscheidend ankommt - allerdings auch nicht von einer unbefristeten Verlängerung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 625 BGB ausgegangen werden. Das Arbeitsverhältnis ist zwar nach dem 30. September 1982 mit Wissen des Beklagten fortgesetzt worden, jedoch ist offen geblieben, ob nicht der Beklagte durch ein Angebot auf befristete Fortsetzung einer unbefristeten Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unverzüglich widersprochen hat (BAG Urteil vom 15. März 1960 - 1 AZR 464/57 - AP Nr. 9 zu § 15 AZO; BAG 12, 328, 335; 33, 94, 100; KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 625 BGB Rz 34). Da - wie bereits ausgeführt - darüber konkrete Feststellungen fehlen, kann infolge dessen vom Eintritt der Fiktionswirkung des § 625 BGB nicht ausgegangen werden, zumal insoweit die Beweislast beim Kläger liegt (KR-Hillebrecht, aa0, § 625 BGB Rz 42).

6. Dem Landesarbeitsgericht ist dagegen wiederum darin beizupflichten, daß die mit Schreiben vom 8. November 1982 vorsorglich zum 31. Dezember 1982 ausgesprochene Kündigung schon wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats unwirksam ist.

Nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören, anderenfalls ist die Kündigung unwirksam. Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat die Gründe, vor allem die seiner Ansicht nach maßgeblichen Gründe für die beabsichtigte Kündigung, mitzuteilen (BAG 30, 176; 31, 1, 7; 34, 309, 315). Dies ist jedoch nicht geschehen. Der Beklagte, der die Kündigung vom 8. November 1982 im vorliegenden Prozeß mit der Betriebsstillegung begründet (§ 15 Abs. 4 KSchG), hat dem Betriebsrat ausweislich des Mitteilungsschreibens vom 1. November 1982 seine Kündigungsabsicht jedoch lediglich damit begründet, daß der mündlich vereinbarte befristete Vertrag durch die Arbeitsaufnahme des Klägers wirksam geworden sei und er sich für den Fall einer anderen Beurteilung durch den Kläger die Anfechtung des bestehenden Arbeitsverhältnisses und vorsorglich die fristgerechte Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 1982 vorbehalte. In dem Anschreiben an den Betriebsrat vom 1. November 1982 ist die Betriebsstillegung als Kündigungsgrund nicht, auch nicht andeutungsweise, erwähnt. Den Kündigungsgrund "Betriebsstillegung" konnte der Beklagte im Prozeß auch nicht nachschieben. Denn bei Kündigungsgründen, die dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Unterrichtung des Betriebsrats bekannt sind, die er aber, aus welchen Gründen auch immer, dem Betriebsrat nicht nennen will, ist ein Nachschieben von Kündigungsgründen nicht möglich (BAG 34, 309, 318; 35, 190, 198; Senatsurteil vom 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse und in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Die Absicht der Betriebsstillegung war dem Beklagten, der als Konkursverwalter diese Entscheidung schließlich selbst trifft, im Zeitpunkt der Anhörung des Betriebsrats auch bekannt. Er hätte dem Betriebsrat die Betriebsstillegung als Kündigungsgrund daher auch nennen können und müssen. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang rügt und ausführt, das Landesarbeitsgericht sei zu Unrecht von einer nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats ausgegangen, da dem Betriebsrat in "etlichen" Gesprächen mitgeteilt worden sei, die Kündigung des Klägers erfolge wegen Betriebsstillegung, kann der Beklagte damit nicht mehr gehört werden, da es sich insoweit um einen neuen Vortrag gemäß § 561 Abs. 1 ZPO handelt.

II. Die Vorinstanzen haben dem Kläger auch zu Recht für die Zeit vom 1. Januar 1983 bis zum 30. Juni 1983 den eingeklagten Betrag von 19.710,-- DM abzüglich des erhaltenen Arbeitslosengeldes von 9.129,60 DM zugesprochen.

1. Das Landesarbeitsgericht hat hierzu ausgeführt, der Zahlungsanspruch des Klägers sei aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs begründet und nicht durch Aufrechnung des Beklagten mit einer Gegenforderung erloschen. Zwar habe aus dem Sozialplan nur derjenige Arbeitnehmer Anspruch auf Leistungen, dessen Arbeitsverhältnis nach dem 19. Juli 1982 wegen Insolvenz aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung beendet worden sei. Die Rückforderung der gezahlten Abfindung vom Kläger erfolge aber ohne sachlichen Grund und würde eine Ungleichbehandlung des Klägers darstellen, da nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers an alle im Jahre 1983 beim Beklagten beschäftigten, zuvor jedoch zum 30. September oder 31. Dezember 1982 gekündigten 27 Arbeitnehmern, die Abfindung ausgezahlt worden sei.

2. Diese Auffassung des Landesarbeitsgerichts hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Der Kläger hat gemäß § 615 BGB Anspruch auf Zahlung der monatlichen Bezüge in Höhe von jeweils 3.285,-- DM brutto für die Zeit vom 1. Januar 1983 bis zum 30. Juni 1983, denn der Beklagte befand sich insoweit in Annahmeverzug. Der Beklagte hat als Gläubiger die kalendermäßig bestimmte Mitwirkungshandlung (§ 296 BGB) seit dem 1. Januar 1983, nämlich die Einräumung eines Arbeitsplatzes und die Zuweisung von Arbeit an den Kläger, nicht vorgenommen. Der Kläger konnte deshalb die von ihm geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringen (vgl. BAG Urteil vom 21. März 1985 - 2 AZR 201/84 - EzA § 615 BGB Nr. 44). Auf den Bruttobetrag in unstreitiger Höhe von 19.710,-- DM muß sich der Kläger allerdings, wie von ihm auch berücksichtigt, die empfangenen Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 9.219,60 DM netto anrechnen lassen (§ 11 Ziff. 3 KSchG). Die vom Kläger begehrten Zinsen sind als Verzugszinsen nach den §§ 284, 288 ZPO begründet.

3. Dieser Anspruch ist auch nicht teilweise durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung erloschen.

Ein Sozialplan darf die Zahlung von Abfindungen an die entlassenen Arbeitnehmer nicht von der Unterlassung gerichtlicher Schritte gegen die Kündigung abhängig machen (BAG 44, 364). Die hilfsweise erklärte Aufrechnung greift schon deshalb nicht durch. Zudem würde die Rückforderung der gezahlten Abfindung auch gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, wonach ohne sachlichen Grund keine unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern eines Betriebes bei der Gewährung von Leistungen erfolgen darf, die sich in vergleichbarer Lage befinden (vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 5. Aufl., § 112 II Seite 676 f.). Durch die Rückforderung der dem Kläger gezahlten Abfindung würde dieser gegenüber den anderen 27 Arbeitnehmern, denen zuvor ebenfalls gekündigt und eine Abfindung gezahlt worden ist und die anschließend weiterbeschäftigt worden sind, ungleich behandelt werden. Auch aus diesem Grunde ist daher die gemäß §§ 387, 389 BGB hilfsweise erklärte Aufrechnung nicht begründet.

III. Aus allen diesen Gründen war daher die Revision des Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

Hillebrecht Dr. Röhsler Dr. Weller

Brocksiepe Schulze

 

Fundstellen

Haufe-Index 437789

RzK, II 1g 4 (ST1-2)

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