Entscheidungsstichwort (Thema)

Höherstufung nach Erziehungsurlaub

 

Leitsatz (amtlich)

  • Auf die für eine Höherstufung innerhalb der Gruppe 3 des Gehaltstarifvertrages für die kaufmännischen und technischen Angestellten und Auszubildenden in der Milch-, Käse- und Schmelzkäseindustrie zurückzulegende Zeit von zwei Jahren ist ein Erziehungsurlaub von 10 Monaten anzurechnen.
  • Es bleibt unentschieden, ob dies auch für einen Erziehungsurlaub von wesentlich längerer Dauer gilt oder ob insoweit bei Nichtanrechnung eine mittelbare Frauendiskriminierung vorliegt.
 

Normenkette

TVG § 1 Tarifverträge: Milch-, Käse- und Schmelzkäseindustrie; Gehaltstarifvertrag für die kaufmännischen und technischen Angestellten und Auszubildenden in der Milch-, Käse- und Schmelzkäseindustrie i.d.F. vom 16. März 1989 III A Gruppe 3, IV

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 11.12.1991; Aktenzeichen 5 Sa 1036/91)

ArbG Verden (Aller) (Urteil vom 18.07.1991; Aktenzeichen 2 Ca 236/91)

 

Tenor

  • Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 11. Dezember 1991 – 5 Sa 1036/91 – wird zurückgewiesen.
  • Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen !

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob Zeiten des Erziehungsurlaubs mitzuzählen sind, wenn der auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Tarifvertrag eine bestimmte Dauer der Zugehörigkeit zu einer Vergütungsgruppe zur Voraussetzung für das Aufrücken in eine höhere Gehaltsstufe innerhalb dieser Vergütungsgruppe macht.

Die Klägerin ist seit dem 1. September 1983 bei der Beklagten beschäftigt. Auf ihr Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge der Milch-, Käse- und Schmelzkäseindustrie Anwendung, darunter der Gehaltstarifvertrag für die kaufmännischen und technischen Angestellten und Auszubildenden (im folgenden: Tarifvertrag), dessen Fassung vom 16. März 1989 während des hier maßgeblichen Zeitraums galt.

Die Klägerin war zunächst als Schreib- und Bürokraft bei einer Vergütung nach Gruppe 2 beschäftigt. Seit dem 1. Januar 1988 wurde sie nach Gruppe 3, zweite Stufe bezahlt. Vom 18. August bis zum 23. November 1988 befand sich die Klägerin im Mutterschutz. Vom 24. November 1988 bis zum 27. September 1989 nahm sie Erziehungsurlaub.

Seit dem 28. September 1989 ist die Klägerin halbtags als Kontoristin (Schreibkraft) im Vertriebsinnendienst der Beklagten beschäftigt. Obwohl diese Tätigkeit der Vergütungsgruppe 2 zuzuordnen ist, hat die Beklagte der Klägerin weiterhin Vergütung nach Gruppe 3 gezahlt, und zwar zunächst nach der zweiten Stufe.

Die Klägerin hat ab 1. Januar 1990 Vergütung nach der dritten Stufe der Vergütungsgruppe 3 gefordert. Die Beklagte hat ihr diese erst ab 1. November 1990 gewährt.

Die Klägerin meint, nach dem Tarifvertrag habe sie nach Ablauf von zwei Jahren seit ihrer Eingruppierung in Gruppe 3 Anspruch auf Höherstufung. Für den Anspruch sei es unschädlich, daß in diesen Zeitraum ihr Erziehungsurlaub gefallen sei. Wolle man Zeiten des Erziehungsurlaubs – im Gegensatz zu Zeiten des Erholungsurlaubs, der Krankheit oder des Mutterschutzes – nicht anrechnen, so liege hierin eine mittelbare Diskriminierung von Frauen wegen des Geschlechts, da Erziehungsurlaub weit überwiegend von Frauen in Anspruch genommen werde. Sie habe daher für die Monate Januar bis Oktober 1990 Anspruch auf den Unterschiedsbetrag zwischen der zweiten und der dritten Stufe der Vergütungsgruppe 3. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß dieser sich auf insgesamt 894,00 DM beläuft.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 894,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, Zeiten des Erziehungsurlaubs seien für die Höherstufung nicht zu berücksichtigen. Die Höherstufung solle nämlich die Weiterqualifikation honorieren, die üblicherweise mit der fortschreitenden Arbeitserfahrung verbunden sei. Dieser sachliche Grund schließe eine Diskriminierung wegen des Geschlechts aus. Eine Gleichbehandlung von Zeiten des Erziehungsurlaubs mit Zeiten des Erholungsurlaubs, der Krankheit oder des Mutterschutzes komme insoweit nicht in Betracht, weil die Arbeitnehmerin selbst über die Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs entscheide.

Zum Beweis dafür, daß der Tarifvertrag als Voraussetzung für die Höherstufung auf tatsächlich geleistete Arbeit abstelle, hat die Beklagte die Einholung von Auskünften der Tarifvertragsparteien beantragt. Eine solche Auskunft ist jedoch nicht eingeholt worden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die mit der Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts erhobenen Rügen greifen nicht durch. Die Klägerin hatte einen Anspruch auf Gehalt nach der dritten Stufe der Vergütungsgruppe 3 des Tarifvertrags bereits seit dem 1. Januar 1990.

I. Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin findet nach dem Tatbestand des angefochtenen Urteils der Gehaltstarifvertrag für die kaufmännischen und technischen Angestellten und Auszubildenden in der Milch-, Käse- und Schmelzkäseindustrie Anwendung. Das Landesarbeitsgericht hat zwar keine Feststellungen dazu getroffen, ob beiderseitige Organisationszugehörigkeit vorliegt oder ob die Parteien die Anwendbarkeit des Tarifvertrags vereinbart haben. Letztlich kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits hierauf jedoch nicht an. Bei Anwendbarkeit des Tarifvertrags aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme hat der Arbeitnehmer nämlich Anspruch darauf, in derselben Weise wie ein aufgrund Organisationszugehörigkeit tarifgebundener Arbeitnehmer nach den Bestimmungen des Tarifvertrags behandelt zu werden. Die Vereinbarung der Anwendbarkeit eines Tarifvertrags soll stets die tarifliche Lage widerspiegeln (Senatsurteil vom 23. April 1986 – 4 AZR 90/85 – AP Nr. 118 zu §§ 22, 23 BAT 1975).

Der Tarifvertrag unterscheidet unter II – Gruppenplan – B unterhalb der Ebene der Meister fünf Gruppen, deren erste wie folgt bezeichnet sind:

  • Kaufmännische und technische Angestellte ohne Berufsausbildung:

    Gruppe 1: Angestellte, die einfache mechanische oder schematische Tätigkeiten ausüben.

  • Kaufmännische und technische Angestellte mit Berufsausbildung

    Gruppe 2: Angestellte, die nach genauen Anweisungen Tätigkeiten einfacher Art ausüben.

    Gruppe 3: Angestellte, die nach allgemeinen Anweisungen teilweise selbständig arbeiten und deren Tätigkeit einschlägige Berufserfahrung erfordert.

Es folgen jeweils Tätigkeitsbeispiele.

Unter III A enthält der Gehaltstarifvertrag jeweils vier Gehaltsstufen für jede der fünf Gruppen. Die ersten beiden Gruppen sind nach dem Lebensalter der kaufmännischen und technischen Angestellten gestaffelt. Für die Gruppe 3 (und entsprechend für die Gruppen 4 und 5) ist folgende Staffelung vorgesehen:

Gruppe 3

 1989/1990/1991

bei Aufnahme in die Gruppe

 2432 2486 2556

nach Ablauf von zwei Jahren

 2587 2644 2718

nach Ablauf von vier Jahren

 2755 2816 2895

nach Ablauf von sechs Jahren

 2929 2993 3077

Es folgen unter IV allgemeine Bestimmungen. Es heißt dort u.a.:

  • Übertarifliche Bezahlungen bewirken nicht die Zugehörigkeit zu einer höheren Gehaltsgruppe. Maßgebend für die Eingruppierung ist die tatsächlich verrichtete kaufmännische oder technische Tätigkeit.
  • Bei einer Höhergruppierung von der Endstufe der Gruppe 2 in die Gruppe 3 hat der Angestellte das Recht auf das nächsthöhere Tarifgehalt; entsprechende Gruppenjahre gelten als zurückgelegt.

II. Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, daß die Klägerin nach dem unbestrittenen Tatsachenvortrag der Beklagten die Voraussetzungen für eine Eingruppierung in die Vergütungsgruppe 3 mit ihrer seit der Rückkehr aus dem Erziehungsurlaub ausgeübten Tätigkeit nicht mehr erfüllt, weil diese nur noch als Tätigkeit einfacher Art nach genauen Anweisungen i.S. der Vergütungsgruppe 2 anzusehen sei. Diese auf der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe beruhende Feststellung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dem Landesarbeitsgericht steht insoweit ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Rechtsanwendung ist daher durch das Bundesarbeitsgericht nach dessen ständiger Rechtsprechung nur daraufhin zu überprüfen, ob es die unbestimmten Rechtsbegriffe verkannt, bei der Subsumtion Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder bei der gebotenen Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat oder zu einem in sich widersprüchlichen Ergebnis gelangt ist (z.B. BAG Urteil vom 30. Mai 1985 – 2 AZR 321/84 – AP Nr. 24 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung). Für solche Fehler liegen keine Anzeichen vor, sie sind auch nicht gerügt.

III.1. Die Klägerin hat aber nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts aufgrund einer mit der Beklagten getroffenen Vereinbarung Anspruch auf Gehalt nach Gruppe 3 des Tarifvertrags.

Nach der Auslegung dieser Vereinbarung durch das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte der Klägerin nicht nur Gehalt nach Gruppe 3, zweite Stufe, zugesagt, sondern schlechthin Gehalt nach Gruppe 3 einschließlich der im Tarifvertrag hierzu vorgesehenen Höherstufungen. Die Revision wendet sich nicht gegen diese Auslegung. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, daß sie gegen die in den §§ 133 und 157 BGB enthaltenen Regeln, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen oder auf unvollständiger Verwertung des Tatsachenstoffs beruhen würde (BAG Urteil vom 8. November 1972 – 4 AZR 15/72 – AP Nr. 3 zu § 157 BGB). Im Gegenteil wird diese Auslegung durch das Verhalten der Beklagten bestätigt, die die Höherstufung vorgenommen hat, wenn auch zu einem späteren als dem von der Klägerin begehrten Zeitpunkt.

2. Am 1. Januar 1990 waren zwei Jahre vergangen, seitdem die Klägerin in die Vergütungsgruppe 3, zweite Stufe, aufgenommen worden war. Nach dem Wortlaut des Tarifvertrags erfolgt die Höherstufung jeweils “nach Ablauf von (zwei, vier, sechs) Jahren” seit Aufnahme in die Gruppe. Diese Voraussetzung hatte die Klägerin am 1. Januar 1990 erfüllt, denn die zweijährige Wartezeit war nicht um die Zeit des von der Klägerin genommenen Erziehungsurlaubs von etwas über zehn Monaten zu verlängern. Nach dem Tarifvertrag sind nämlich nicht nur Zeiten tatsächlicher Beschäftigung für die Höherstufung zu berücksichtigen, sondern es genügt der bloße Zeitablauf. Dies ergibt sich aus Wortlaut und Gesamtzusammenhang des Tarifvertrags.

b) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, daß nach Wortlaut und Aufbau des Tarifvertrags die Höherstufung automatisch nach Ablauf von zwei Jahren seit der letzten Einstufung eingetreten sei. Die von der Beklagten geltend gemachte zusätzliche Voraussetzung, daß Zeiten des Erziehungsurlaubs bei der Errechnung der zwei Jahre nicht zu berücksichtigen seien, sei im Tarifvertrag nicht enthalten.

c) Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine Nichtanrechenbarkeit von Zeiten des Erziehungsurlaubs würde nämlich voraussetzen, daß nach dem insbesondere unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs des Tarifvertrags zu ermittelnden Zweck der Regelung mit der Höherstufung ausschließlich der Qualifikationszuwachs honoriert werden soll, der mit der tatsächlichen Ausübung einer Tätigkeit im Lauf der Zeit üblicherweise verbunden ist. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr soll mit der im Tarifvertrag vorgesehenen Höherstufung in pauschaler Weise sowohl dem zu erwartenden Gewinn an Qualifikation als auch der Erhöhung der Dauer der Betriebszugehörigkeit und des Lebensalters Rechnung getragen werden.

aa) Zwar ist davon auszugehen, daß mit der Höherstufung nach zwei Jahren nach dem Tarifvertrag auch ein in dieser Zeit erreichter Zuwachs an Qualifikation honoriert werden soll. Erfahrungsgemäß wachsen nämlich mit der längeren Dauer einer bestimmten Tätigkeit in einem bestimmten Betrieb die Sicherheit des Arbeitnehmers bei der Ausübung dieser Tätigkeit und das Verständnis für die speziellen Belange des Betriebes (Senatsurteil vom 10. September 1980 – 4 AZR 719/78 – AP Nr. 125 zu § 1 TVG Auslegung). Wenn wie im vorliegenden Fall Höherstufungen nicht vom Lebensalter des Arbeitnehmers oder von der Zahl der Beschäftigungsjahre des Arbeitnehmers bei seinem Arbeitgeber abhängig gemacht werden, sondern von der in einer bestimmten Vergütungsgruppe verbrachten Zeit, so spricht dies daher für einen Zusammenhang zwischen dem Qualifiktionszuwachs und der Höhergruppierung. Als weiteres Indiz für einen solchen Zusammenhang ist die Bestimmung des Tarifvertrags zu werten, daß innerhalb der Vergütungsgruppen 3 bis 5 jeweils nur eine dreimalige Höherstufung vorgesehen ist, nach dem Aufstieg aus der Gruppe 2 in die Gruppe 3 sogar nur eine zweimalige Höherstufung innerhalb der Gruppe 3. Damit werden die Entgeltsteigerungen durch Höherstufung innerhalb einer Vergütungsgruppe auf einen Zeitraum von insgesamt sechs bzw. vier Jahren begrenzt. Dies sind die Zeiträume, innerhalb deren bei den hier in Frage stehenden Tätigkeiten allenfalls noch eine Erweiterung der Qualifikation aufgrund der Beschäftigungsdauer erwartet werden kann.

bb) Aus dem Tarifvertrag kann aber nicht gefolgert werden, daß mit der Höherstufung ausschließlich ein üblicherweise mit längerer Tätigkeit verbundener Qualifikationszuwachs honoriert werden soll. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, daß der Tarifvertrag für die Höherstufung im Unterschied beispielsweise zu § 23a BAT nicht verlangt, daß sich der Arbeitnehmer bei seiner Tätigkeit tatsächlich bewährt hat. Die Höherstufungen finden vielmehr auch dann statt, wenn sich die Leistungen des Arbeitnehmers während seiner Tätigkeit weder qualitativ noch quantitativ gesteigert haben. Auch sieht der Tarifvertrag – wieder im Gegensatz zu § 23a BAT – nicht vor, daß z.B. bei anderen Arbeitgebern desselben Tarifbereichs in Vergütungsgruppe 3 abgeleistete Tätigkeiten, von denen üblicherweise eine Erweiterung der Fachkenntnisse erwartet werden kann, zum Zweck der Höhergruppierung zu berücksichtigen wären.

cc) Wenn aber der tatsächliche Qualifikationsgewinn für die Höherstufung weder erforderlich noch ausreichend ist, so wird durch die Höherstufungsregelung des Tarifvertrags tatsächlich auch die Betriebstreue des Arbeitnehmers belohnt. Unterstrichen wird dies durch die Bestimmung, wonach bei einem aus der Vergütungsgruppe 2 aufsteigenden Arbeitnehmer sofort eine Einstufung in die zweite Stufe der Vergütungsgruppe 3 erfolgt. Da die “einschlägige Berufserfahrung” als Voraussetzung für jede Eingruppierung in Vergütungsgruppe 3 im Tarifvertrag ausdrücklich genannt ist, kann die im Rahmen der Tätigkeit nach Gruppe 2 gewonnene und in der Tätigkeit nach Gruppe 3 möglicherweise verwertbare Berufserfahrung für diese Höherstufung innerhalb der Gruppe 3 nicht entscheidend sein. Dagegen erscheint es plausibel, wenn auf diese Weise die Betriebstreue honoriert werden soll.

dd) Dem Tarifvertrag lassen sich Hinweise darauf entnehmen, daß die Tarifvertragsparteien mit den Höherstufungen auch den – gerade in jüngeren Berufsjahren – erfahrungsgemäß mit dem Lebensalter steigenden Lebensbedürfnissen der Arbeitnehmer Rechnung tragen wollten. So wird für die Höherstufung im Rahmen der Vergütungsgruppen 1 und 2 in vier Stufen ausschließlich auf das Lebensalter der Arbeitnehmer abgestellt. Wenn das Lebensalter dann in den Vergütungsgruppen 3 bis 5 nicht als Kriterium für die Höherstufung genannt ist, so besagt das nicht, daß die Tarifvertragsparteien ihm insoweit – im Unterschied zu den Gruppen 1 und 2 – keine Bedeutung zugemessen hätten. Das Lebensalter konnte nur in Vergütungsgruppen, in die höherqualifizierte Tätigkeiten eingereiht sind, nicht für die Höherstufung allein ausschlaggebend sein, wenn mit dieser auch Qualifikationszuwachs und Betriebstreue honoriert werden sollen.

d) Aufgrund der gemischten Zweckbestimmung der Höherstufung ist davon auszugehen, daß nach dem Tarifvertrag jedenfalls solche Unterbrechungen der tatsächlichen Tätigkeit, mit denen üblicherweise zu rechnen ist, bei der Ermittlung des Zwei-Jahres-Zeitraums nicht unberücksichtigt bleiben sollen. Es kann nämlich nicht angenommen werden, daß bei der Höherstufung Zeiten außer Betracht bleiben sollen, in denen sich zwar die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter des Arbeitnehmers erhöht haben, eine Weiterqualifikation aber mangels Ausübung seiner Tätigkeit nicht möglich war. Dies ist daraus zu folgern, daß der Tarifvertrag keine Anhaltspunkte für die Annahme enthält, daß einem der mit der Höherstufung verfolgten Zwecke im Vergleich zu den anderen überragende Bedeutung zukommen sollte.

e) Entgegen der Auffassung der Beklagten läßt sich auch nichts Gegenteiliges aus den allgemeinen Bestimmungen unter IV des Tarifvertrags herleiten, wonach für die Eingruppierung die tatsächlich verrichtete Tätigkeit maßgeblich sein soll. Diese Bestimmung regelt nämlich nur die Zugehörigkeit zu einer Vergütungsgruppe, die im vorliegenden Fall außer Streit ist. Die Vorschrift sagt aber nichts zur zeitabhängigen Höherstufung innerhalb einer Gehaltsgruppe, um die es hier allein geht.

f) Irrig ist auch die Meinung der Beklagten, bei der Anrechnung von Zeiten, in denen der Arbeitnehmer tatsächlich nicht gearbeitet hat, auf den vor einer Höherstufung zurückzulegenden Zeitraum von zwei Jahren sei zwischen Zeiten des Erholungsurlaubs, der Krankheit und des Mutterschutzes einerseits und solchen des Erziehungsurlaubs andererseits zu unterscheiden, weil letzterer auf der freien Entscheidung des Arbeitnehmers beruhe, während die Erstgenannten zwangsläufig einträten. Im Tarifvertrag finden sich für eine solche Differenzierung keine Anhaltspunkte. Weder aus dem Wortlaut des Tarifvertrags noch aus den mit der Höherstufung verfolgten Zielen läßt sich eine solche Auslegung herleiten. Dies gilt gerade auch für die von der Beklagten in den Vordergrund gestellte Honorierung des mit längerer Tätigkeit verbundenen Qualifikationsgewinns; insoweit macht es keinen Unterschied, aus welchem Grund ein Arbeitnehmer keine Arbeit leistet.

Auch aus dem BErzGG ergibt sich nichts anderes. Auf das Ruhen des Arbeitsverhältnisses während des Erziehungsurlaubs (BAG Urteil vom 10. Mai 1989 – 6 AZR 660/87 – AP Nr. 2 zu § 15 BErzGG) kommt es hier nicht an, da der Tarifvertrag – anders als in dem mit dem angeführten Urteil entschiedenen Fall – insoweit keine Sonderregelung enthält. Unerheblich ist auch das Fehlen einer dem § 6 ArbPlSchG vergleichbaren Vorschrift im BErzGG, da es hier nicht um Ansprüche aus diesem Gesetz, sondern um solche aus dem Tarifvertrag geht. Dieser enthält aber für die Höherstufung eine eigenständige Regelung. Ihm sind keine Gesichtspunkte zu entnehmen, daß Arbeitnehmern, die Erziehungsurlaub nehmen, solche Ansprüche nicht zugute kommen sollen, die vom BErzGG nicht zwingend geboten sind.

g) Die Revision kann auch insoweit keinen Erfolg haben, als die Beklagte rügt, daß das Landesarbeitsgericht keine Auskunft der Tarifvertragsparteien eingeholt hat, aus der sich ergeben hätte, daß nach dem Willen der Tarifvertragsparteien die Höherstufung allein tatsächlich abgeleistete Tätigkeit voraussetze, weil damit die gewachsene Berufserfahrung honoriert werden solle. Für das Landesarbeitsgericht bestand nämlich keine Veranlassung zur Einholung solcher Auskünfte, da nach Wortlaut und Gesamtzusammenhang der tarifvertraglichen Regelung, wie ausgeführt, eine eindeutige Tarifauslegung möglich ist (Senatsurteil vom 25. August 1982, BAGE 39, 321 = AP Nr. 55 zu § 616 BGB).

h) Da im vorliegenden Fall der Erziehungsurlaub nur wenig mehr als zehn Monate betragen hat, kann dahinstehen, ob angesichts der verschiedenen, mit der Höherstufung verfolgten Zwecke Zeiten des Erziehungsurlaubs nach dem Tarifvertrag auch dann noch anrechenbar sein sollen, wenn sie entsprechend der ab 1993 bestehenden Möglichkeit (§ 15 Abs. 1 Satz 1 BErzGG) den vor einer Höherstufung zurückzulegenden Zeitraum von zwei Jahren ausschöpfen oder gar überschreiten. Im Rahmen einer solchen Prüfung wären auch die Hindernisse zu berücksichtigen, die sich für eine Nichtanrechnung von Zeiten des Erziehungsurlaubs möglicherweise aus dem in Art. 119 EWG-Vertrag enthaltenen Verbot der geschlechtsbedingten mittelbaren Diskriminierung beim Arbeitsentgelt ergeben.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Schaub, Schneider, Dr. Wißmann, Koerner, Dr. Konow

 

Fundstellen

Haufe-Index 846753

NZA 1993, 323

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