Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechnung einer Invaliditätsrente für einen mit unverfallbarer Anwartschaft vorzeitig Ausgeschiedenen. Invaliditätsrentenberechnung für einen mit unverfallbarer Anwartschaft vorzeitig Ausgeschiedenen, wenn die Versorgungszusage insoweit pauschal auf das Betriebsrentengesetz verweist

 

Leitsatz (amtlich)

Die Invalidenrente des vorzeitig ausgeschiedenen Arbeitnehmers ist nach § 2 Abs. 1 BetrAVG zu berechnen. Die Anwendung dieser gesetzlichen Berechnungsregel kann dazu führen, daß die zwischen Versorgungsfall und fester Altersgrenze fehlende Betriebstreue zweifach anspruchsmindernd berücksichtigt wird.

 

Leitsatz (redaktionell)

Hinweise des Senats:

Zur vorgezogenen Inanspruchnahme der Altersrente bei vorzeitigem Ausscheiden vgl. BAG 23. Januar 2001 – 3 AZR 164/00 – ZIP 2001, 1971 und 24. Juli 2001 – 3 AZR 567/00 – zVv.

 

Orientierungssatz

1. Die Invalidenrente des vorzeitig ausgeschiedenen Arbeitnehmers ist nach § 2 Abs. 1 BetrAVG zu berechnen. Die Anwendung dieser gesetzlichen Berechnungsregel kann dazu führen, daß die zwischen Versorgungsfall und fester Altersgrenze fehlende Betriebstreue zweifach anspruchsmindernd berücksichtigt wird.

2. Die Rechtsprechung des Senats zur Berechnung der vorgezogenen Betriebsrente des vorzeitig ausgeschiedenen Arbeitnehmers(BAG 23. Januar 2001 – 3 AZR 164/00 – ZIP 2001, 1971 und 24. Juli 2001 – 3 AZR 567/00 – zVv.) hat daran nichts geändert.

3. Verweist eine Versorgungszusage für die Betriebsrentenberechnung der vor Eintritt des Versorgungsfalles mit unverfallbarer Anwartschaft ausgeschiedenen Arbeitnehmer pauschal auf das Betriebsrentengesetz, so sind dessen Berechnungsregeln auch im Versorgungsfall der Invalidität anzuwenden.

4. Ein Verzicht auf eine gesetzlich ausdrücklich vorgesehene, zeitanteilige Kürzung kann regelmäßig nur dann angenommen werden, wenn dies deutlich zum Ausdruck gebracht wurde, wofür der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig ist. Nur im Fall sehr weit formulierter Versorgungszusagen bedarf es für die Anwendung gesetzlicher Kürzungsmöglichkeiten unmißverständlicher Kürzungsvorbehalte in der Versorgungszusage selbst.

 

Normenkette

BetrAVG § 2 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 09.08.2000; Aktenzeichen 2 (7) Sa 454/00)

ArbG Köln (Urteil vom 21.09.1999; Aktenzeichen 13 Ca 3594/99)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 9. August 2000 – 2 (7) Sa 454/00 – wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Revision hat der Kläger zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Höhe der Invalidenrente des Klägers.

Der Kläger ist am 23. Februar 1940 geboren. Nach dem Arbeitsvertrag „gilt” als Beginn seines Arbeitsverhältnisses zur Beklagten der 27. Januar 1964, am 31. Juli 1996 ist er bei der Beklagten ausgeschieden. Im Dezember 1975 erteilte ihm die Rechtsvorgängerin der Beklagten eine schriftliche Einzelversorgungszusage, in der es ua. heißt:

„Milchhof N verpflichtet sich zur Zahlung einer Alters- oder Invaliditätsrente nach Maßgabe folgender Bestimmungen:

1. Voraussetzung für den Anspruch auf eine Rente ist eine mindestens zehnjährige Betriebszugehörigkeit.

2. Die Betriebsrente wird fällig mit Ablauf des Monats, in dem der begünstigte Mitarbeiter das 65. Lebensjahr erreicht hat. Sofern der Arbeitnehmer Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch nimmt, hat er nach Erfüllung der Wartezeit und sonstigen Leistungsvoraussetzungen bei Vorlage des Rentenbescheides Anspruch auf die betriebliche Altersversorgung.

3. Beim Ausscheiden vor Vollendung des 65. Lebensjahres infolge Erwerbsunfähigkeit erhält der Arbeitnehmer nach Erfüllung der Wartezeit und sonstigen Leistungsvoraussetzungen bei Vorlage des Rentenbescheides der gesetzlichen Rentenversicherung die Betriebsrente auf die Dauer der Erwerbsunfähigkeit.

4. Die Berechnungsgrundlage für die jährliche Betriebsrente ist der durchschnittliche jährliche Bruttobarverdienst der letzten drei Jahre vor Eintritt des Versorgungsfalles. Nach Ablauf der zehnjährigen Karenzzeit beträgt die Betriebsrente 5 % der zuvor bezeichneten Berechnungsgrundlage. Für jedes weitere vollendete Dienstjahr erhöht sich die Rente um 0,5 % bis zur Höchstrente von 20 %, die nach 40-jähriger ununterbrochener Betriebszugehörigkeit erreicht wird.

5. Beim Ableben männlicher Betriebsangehöriger, die zu diesem Zeitpunkt die Wartezeit und sonstigen Leistungsvoraussetzungen für eine Betriebsrente erfüllt haben, wird deren Witwen eine Witwenrente gewährt. Die Witwenrente beträgt 50 % der Betriebsrente, die der verstorbene Ehemann bezog oder bezogen haben würde, wenn er zum Zeitpunkt seines Ablebens Anspruch auf Betriebsrente gehabt hätte. …

8. Für alle übrigen, in den vorstehenden Ziffern nicht besonders erfaßten Bestimmungen gelten die im Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19. Dezember 1974 niedergelegten Regelungen. …”

Der Bruttobarverdienst als Berechnungsgrundlage im Sinne der Nr. 4 Versorgungszusage (VZ) beträgt im Falle des Klägers 4.791,56 DM. Unter dem 31. Oktober 1996 erhielt der Kläger von der Beklagten die Auskunft, in Folge seines vorzeitigen Ausscheidens könne er bei Vollendung seines 65. Lebensjahres mit einer von 958,31 DM zeitanteilig auf 759,63 DM gekürzten Betriebsrente rechnen.

Laut Rentenbescheid vom 25. Januar 1999 erhält der Kläger seit dem 1. November 1998 eine gesetzliche Erwerbsunfähigkeitsrente. Die Beklagte zahlt ihm seither eine Betriebsrente in Höhe von 645,70 DM. Dieser Invaliditätsrente liegt folgende Berechnung zugrunde: Bis zum Eintritt des Versorgungsfalles „Beginn der gesetzlichen EU-Rente” hätte der Kläger eine Betriebszugehörigkeit von 34 Jahren erreichen können, was einen Betriebsrentenanspruch von 17 % des Basisverdienstes oder 814,57 DM ergeben hätte. Diesen Betrag kürzte die Beklagte im Verhältnis der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit zur möglichen Betriebszugehörigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (32,5/41).

Diese zweite Kürzung hält der Kläger für unberechtigt. In allen Versorgungsfällen der Nrn. 2 und 3 VZ müsse die Berechnung allein nach Nr. 4 VZ erfolgen, es also mit der aufsteigenden Berechnung bis zum Versorgungsfall sein Bewenden haben. Eine weitere ratierliche Kürzung sei in der Versorgungszusage nicht vorgesehen. Hilfsweise hat der Kläger die Auffassung vertreten, im Fall einer zulässigen ratierlichen Kürzung müsse der Nenner des Kürzungsfaktors (n) auf den Zeitpunkt des Eintrittes des Versorgungsfalles, nicht auf die Vollendung des 65. Lebensjahres bezogen werden. Die bis dahin aufsteigend berechnete Rente von 814,57 DM sei dann (in Monaten berechnet) um 390/408 zu kürzen, was zu einem Anspruch in Höhe von 778,63 DM führe. Weiter hat der Kläger hilfsweise erwogen, bei einer ratierlichen Kürzung auf der Basis Lebensalter 65 müsse zuvor schon aufsteigend bis zu diesem Zeitpunkt berechnet werden, also in seinem Fall die betriebliche Höchstrente von 20 % in Ansatz gebracht werden, was zu einer Mindestrente im Invaliditätsfall von 759,63 DM führe.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Betriebsrente in Höhe von monatlich 814,57 DM rückwirkend ab November 1998 zu zahlen, abzüglich des bereits anerkannten Betrages in Höhe von 645,70 DM pro Monat, mithin weitere 168,87 DM je Monat.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Denn für den Fall des früher ausgeschiedenen Klägers, der infolge Erwerbsunfähigkeit die Betriebsrente vorzeitig beanspruche, enthalte die Versorgungszusage nur lückenhafte Berechnungsregeln. Deshalb sei gemäß Nr. 8 VZ auf die Vorschriften des BetrAVG zurückzugreifen, was zu einer auf das Lebensalter 65 bezogenen m/n-ratierlichen Kürzung der bis zum Versorgungsfall aufsteigend berechneten Betriebsrente führe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers bleibt erfolglos, weil die Klage unbegründet ist. Die Beklagte hat bei der Berechnung der Invaliditätsrente des Klägers die Versorgungszusage 1975 in Verbindung mit dem BetrAVG richtig angewendet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Da der Kläger die Betriebsrente bereits im Alter von 58 Jahren und nicht erst mit 65, der in der Versorgungszusage normierten festen Altersgrenze, beanspruche, sei sie gemäß Nr. 4 VZ aufsteigend bis zum Zeitpunkt des Versorgungsfalles zu berechnen. Der sich so ergebende Rentenanspruch von 17 % des berücksichtigungsfähigen Bruttogehaltes müsse für den vor Eintritt des Versorgungsfalles aus den Diensten der Beklagten ausgeschiedenen Kläger gemäß Nr. 8 VZ iVm. § 2 Abs. 1 BetrAVG zeitanteilig im Verhältnis der erreichten zur bis Lebensalter 65 erreichbaren Dauer der Betriebszugehörigkeit gekürzt werden. Die Versorgungszusage gewähre ungekürzte Ansprüche nur für Arbeitnehmer, die bis zum Eintritt des Versorgungsfalles in den Diensten der Beklagten geblieben seien.

II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Prüfung stand.

1. Für die Berechnung der erreichbaren Invalidenrente kommt es in erster Linie auf die getroffenen Vereinbarungen an. Im Fall der Erwerbsunfähigkeit sieht Nr. 3 VZ für den Arbeitnehmer, der die Wartezeit und die sonstigen Leistungsvoraussetzungen erfüllt hat und einen Rentenbescheid der gesetzlichen Rentenversicherung vorlegen kann, einen Bezug „der Betriebsrente” auf die Dauer der Erwerbsunfähigkeit vor. Diese Betriebsrente ist nach Nr. 4 Satz 2 VZ aufsteigend bis zu dem Zeitpunkt zu berechnen, in dem der Versorgungsfall eingetreten ist. Die Beklagte hat die Versorgungszusage zutreffend angewendet, wenn sie im Falle des Klägers den Eintritt des Versorgungsfalles auf den Beginn der gesetzlichen EU-Rente datiert und bei in diesem Zeitpunkt 34 „Dienstjahren” einen Grundbetrag für seine Invaliditätsrente in Höhe von 17 % des berücksichtigungsfähigen Bruttogehaltes errechnet hat (Nr. 4 Satz 1 VZ).

2. a) Der Kläger ist über zwei Jahre vor Eintritt seiner Erwerbsunfähigkeit bei der Beklagten ausgeschieden. Die Versorgungszusage selbst regelt den Fall nicht, daß der Rentenberechtigte vor Eintritt des Versorgungsfalles ausgeschieden ist. Nach dem Wortlaut der Nr. 3 VZ muß der Arbeitnehmer „infolge” seiner Erwerbsunfähigkeit bei der Beklagten ausscheiden. Gleiches gilt für die übrigen von der Zusage erfaßten Versorgungsfälle. Um gleichwohl der Unverfallbarkeitsregelung des kurz zuvor in Kraft getretenen Betriebsrentengesetzes (§ 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG) zu genügen, verweist die Versorgungszusage 1975 für den Fall eines mit unverfallbarer Anwartschaft vor Eintritt des Versorgungsfalles ausgeschiedenen Arbeitnehmers in Nr. 8 VZ pauschal auf die Regelungen des Betriebsrentengesetzes. Damit kann sich über den Wortlaut der übrigen Bestimmungen der Versorgungszusage hinaus der bei seinem Ausscheiden 56-jährige Kläger, dessen Versorgungszusage über zehn Jahre bestand, auf die Unverfallbarkeit seiner Invaliditätsversorgung berufen. Ebenso ist er für die Berechnung seiner unverfallbaren Anwartschaft auf das Betriebsrentengesetz verwiesen. Insoweit schreibt § 2 Abs. 1 BetrAVG für die Berechnung der Invaliditätsrente eines bereits zuvor ausgeschiedenen Arbeitnehmers eine ratierliche Kürzung vor. Die bei Betriebstreue bis zum Versorgungsfall erreichbare Betriebsrente wird im Verhältnis der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit zu der bis Lebensalter 65 erreichbaren Betriebszugehörigkeit gekürzt. Dies ergibt im Falle des Klägers den von der Beklagten ermittelten Kürzungsfaktor.

b) Auf die Anwendung dieser ausdrücklichen gesetzlichen Berechnungsvorschrift für den Fall der Invaliditätsrente hat die Beklagte mit der Versorgungszusage 1975 auch nicht verzichtet. Der Verzicht auf eine gesetzlich ausdrücklich vorgesehene, zeitanteilige Kürzung kann regelmäßig nur dann angenommen werden, wenn dies deutlich zum Ausdruck gebracht wurde, wofür der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig ist(BAG 12. März 1985 – 3 AZR 450/82 – AP BetrAVG § 2 Nr. 9 = EzA BetrAVG § 2 Nr. 6; 4. Oktober 1994 – 3 AZR 215/94 – AP BetrAVG § 2 Nr. 22 = EzA BetrAVG § 2 Nr. 14). Nur im Fall sehr weit formulierter Versorgungszusagen bedarf es für die Anwendung gesetzlicher Kürzungsmöglichkeiten unmißverständlicher Kürzungsvorbehalte in der Versorgungszusage selbst(Senat 21. August 1990 – 3 AZR 422/89 – AP BetrAVG § 6 Nr. 19 = EzA BetrAVG § 6 Nr. 16). Die von der Beklagten 1975 gemachte Versorgungszusage enthält jedoch gegenüber dem Betriebsrentengesetz keine außergewöhnlich weitreichenden Bestimmungen; sie verweist in Nr. 8 VZ pauschal auf das Betriebsrentengesetz, also nicht nur auf seine begünstigenden Bestimmungen (Unverfallbarkeit), sondern auch auf seine Kürzungsregelungen.

3. Damit wird die zwischen Versorgungsfall und 65. Lebensjahr fehlende Betriebstreue des erwerbsunfähigen Klägers mehrfach anspruchsmindernd berücksichtigt: Zum einen, weil nur bis zum Eintritt des Versorgungsfalles aufsteigend berechnet, zum anderen weil bezogen auf das Lebensalter 65 ratierlich gekürzt wird. Im Fall der Invaliditätsrente ist dies jedoch anders als bei der vorgezogenen betrieblichen Altersrente(BAG 23. Januar 2001 – 3 AZR 164/00 – ZIP 2001, 1971, zu II 3 der Gründe) gesetzlich vorgeschrieben. Bei der vorgezogenen betrieblichen Altersrente kann für die Berechnung der Rente des vorzeitig Ausgeschiedenen nicht auf eine gesetzliche Berechnungsvorschrift, sondern muß auf die allgemeinen Grundsätze des Betriebsrentengesetzes zurückgegriffen werden(BAG 23. Januar 2001 – 3 AZR 164/00 – aaO).

III. Aus den erörterten Gründen können auch die Hilfserwägungen des Klägers keinen Erfolg haben. Soweit eine Kürzung allein auf der Grundlage der bis zum Eintritt des Versorgungsfalles erreichbaren Betriebszugehörigkeit begehrt wird, verstößt dies gegen die in Nr. 8 VZ in Bezug genommene Berechnungsregel des § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG. Soweit er schließlich für die aufsteigende Berechnung seines Rentenanspruches die bis Lebensalter 65 erreichbare Betriebszugehörigkeit zugrunde gelegt wissen will, verstößt dies gegen Nr. 4 VZ.

 

Unterschriften

Reinecke, Kremhelmer, Breinlinger, D. Offergeld, Lohre

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 21.08.2001 durch Schiege, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

BAGE, 344

BB 2002, 518

DB 2002, 644

ARST 2002, 140

EWiR 2002, 321

NZA 2002, 1395

SAE 2002, 160

ZIP 2002, 450

AP, 0

EzA-SD 2002, 22

EzA

PERSONAL 2002, 43

PERSONAL 2002, 60

AUR 2002, 117

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