Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuständigkeitsabgrenzung zw. Arbeits- und Sozialgerichten

 

Leitsatz (amtlich)

Verfolgt der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Zahlung eines höheren Teils der vereinbarten Vergütung, weil der Arbeitgeber wegen des Nachholverbots nicht befugt gewesen sei, Sozialversicherungsbeiträge in dem geschehenen Umfang einzubehalten, so ist für eine solche Klage der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gegeben.

 

Normenkette

ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3a; BGB § 611; RVO §§ 394-395

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 22.04.1982; Aktenzeichen 8 Sa 368/82)

ArbG Düsseldorf (Urteil vom 09.12.1981; Aktenzeichen 10 Ca 4878/81)

 

Tenor

  • Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 22. April 1982 – 8 Sa 368/82 – wird zurückgewiesen.
  • Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin, die die Lehrbefähigung für das Lehramt am Gymnasium besitzt, wurde zum 1. August 1980 als angestellte Lehrkraft mit einem Auftrag von 16 Unterrichtsstunden eingestellt. Ihre Vergütung richtete sich nach der VergGr. IIa BAT. Mit Wirkung vom 10. Juli 1981 wurde sie in das Beamtenverhältnis übernommen.

Auf Ersuchen des Schulkollegiums des beklagten Landes als Einstellungsbehörde wurden der Klägerin im Jahr 1980 als “Vorauszahlungen auf die zu erwartenden monatlichen Bezüge”

am 5. September 1980

3.000,-- DM

am 19. September 1980

2.600,-- DM und

am 17. Oktober 1980

1.500,-- DM

ausgezahlt. Erst am 22. Dezember 1980 gelangten die Personalunterlagen der Klägerin zum Landesamt für Besoldung und Versorgung des beklagten Landes.

Am 15. Januar 1981 wurde der Klägerin die erste Gehaltsabrechnung erteilt und unter Anrechnung der bis dahin geleisteten Vorauszahlungen und nach Abzug unter anderem der Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozialversicherung für die Monate August 1980 bis Januar 1981 ein Nettobetrag von 1.872,36 DM errechnet. Die Nettovergütung für den Monat Januar 1981 belief sich auf 1.463,24 DM.

Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin geltend, das beklagte Land habe ihre Bezüge bei der Gehaltszahlung im Januar 1981 nicht um die Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozialversicherung für die Monate August bis November 1980 in der – unstreitigen – Höhe von 1.392,69 DM kürzen dürfen. Sie hat dazu vorgetragen, sie habe ihre gesamten Personalunterlagen rechtzeitig bei der Einstellungsbehörde eingereicht und damit das beklagte Land in die Lage versetzt, die ihr zustehende Vergütung und die Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozialversicherung alsbald ordnungsgemäß zu errechnen. Da das beklagte Land bei der verspäteten Zahlung die Sozialversicherungsbeiträge auch nicht schuldlos nachentrichtet habe, sei gemäß § 119 Abs. 3 AVG, § 395 Abs. 2 RVO der Abzug der Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozialversicherung nur für die Monate Dezember 1980 und Januar 1981 zulässig gewesen. Dies gelte auch dann, wenn die Zahlungen des beklagten Landes im September und Oktober 1980 lediglich als Vorschußzahlungen anzusehen seien. Aus einem Umkehrschluß zu § 395 Abs. 3 RVO und – nachdem die Regelung, wonach Abschlagszahlungen nicht als Gehaltszahlungen zu gelten haben (§ 119 Abs. 4 a.F. AVG), ersatzlos gestrichen wurde – aus der jetzigen Fassung des § 119 AVG folge, daß Abschlagszahlungen als Gehaltszahlungen im Sinne dieser sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen anzusehen seien. Im übrigen aber handele es sich bei den von dem beklagten Land geleisteten Zahlungen nicht um Abschlagszahlungen, da hierunter nur freiwillige, ohne rechtliche Verpflichtung vor Fälligkeit erbrachte Leistungen zu verstehen seien. Schließlich sei der Anspruch aus dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung als Schadenersatzanspruch begründet. Die Klägerin hat sich hierzu auf eine in der verspäteten Zahlung liegende Fürsorgepflichtverletzung des beklagten Landes berufen.

Die Klägerin hat beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an sie 1.392,69 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Februar 1981 zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat zum einen die Auffassung vertreten, daß die Gerichte für Arbeitssachen zur Entscheidung des Rechtsstreits sachlich nicht zuständig seien, da es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung handele. Zum anderen sei die Klage nicht begründet, da die Voraussetzungen des § 119 Abs. 3 AVG bzw. des § 395 Abs. 2 RVO nicht vorlägen. Die der Klägerin erbrachten Vorauszahlungen auf ihre zu erwartenden monatlichen Gehaltszahlungen seien mit den in diesen Bestimmungen genannten Gehaltszahlungen nicht identisch. Da erstmals im Januar 1981 eine Gehaltsabrechnung erfolgte, sei die Zeit vom 1. August 1980 bis 31. Januar 1981 als Lohnzahlungszeitraum im Sinne dieser Vorschriften zu verstehen.

Das Arbeitsgericht hat seine Zuständigkeit bejaht und die Klage als unbegründet abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter. Das beklagte Land beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist zulässig. Die Gerichte für Arbeitssachen sind für den von der Klägerin verfolgten Anspruch gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG zuständig. Diese Frage war von Amts wegen auch noch in der Revisionsinstanz zu prüfen, weil in Betracht kam, daß der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben war (BAG Urteil vom 8. Dezember 1981 – 3 AZR 71/79 – AP Nr. 5 zu §§ 394, 395 RVO).

1. Die Klägerin hat von dem beklagten Land über das ihr am 15. Januar 1981 ausgezahlte Gehalt hinaus einen weiteren Betrag von 1.392,69 DM als ihr zustehende Vergütung verlangt. Rechtsgrundlage für diesen Anspruch ist § 611 Abs. 1 BGB. Dieser Anspruch ist nach Voraussetzung und Rechtsfolge dem Zivilrecht zuzuordnen und fällt nach der ausdrücklichen Rechtswegzuweisung durch § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG als bürgerliche Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis in die ausschließliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte.

2.a) Diese Zuständigkeit der Arbeitsgerichte wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Höhe der an die Klägerin auszuzahlenden Vergütungen davon abhängt, ob das beklagte Land zu Recht Arbeitnehmeranteile von der Bruttovergütung abgezogen hat. Für diese Entscheidung ist im vorliegenden Fall auf die Vorschriften der §§ 394, 395 RVO zurückzugreifen. Auch wenn es sich dabei um Vorschriften handelt, die einen Teil des öffentlich-sozialversicherungsrechtlichen Versicherungsverhältnisses regeln, stellen sich die damit zusammenhängenden Überlegungen im Rahmen des vorliegenden Verfahrens, das einen Vergütungsanspruch zum Gegenstand hatte, nur als öffentlich-rechtliche Vorfragen. Über diese können die Gerichte für Arbeitssachen mitbefinden. Die Rechtsnatur des Klageanspruchs als eines zivilrechtlichen Anspruchs wird dadurch nicht verändert. Das wird weiter z. B. deutlich, wenn der Arbeitnehmer etwa eine tarifliche Ausschlußfrist versäumt hat und allein schon deshalb sein Anspruch scheitern muß. Insoweit folgt der Senat der Entscheidung des Dritten Senats vom 8. Dezember 1981 – 3 AZR 71/79 – AP Nr. 5 zu §§ 394, 395 RVO.

b) Mit dieser Auffassung weicht der Senat nicht von der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 7. Juni 1979 – 12 RK 13/78 – AP Nr. 4 zu §§ 394, 395 RVO ab. In dieser Entscheidung war in der Revisionsinstanz nur noch über ein Feststellungsbegehren des Arbeitnehmers zu befinden, daß der vom Arbeitgeber vorgenommene Abzug rechtswidrig gewesen war. Nur um diese Feststellung wurde der Rechtsstreit geführt, nicht um eine Lohnforderung, die der Arbeitnehmer mit einer Leistungsklage hätte geltend machen müssen. Das Bundessozialgericht hat seine Zuständigkeit deshalb nur für Feststellungsklagen der geschilderten Art bejaht, nicht aber für Lohn(Leistungs-)klagen. Das läßt sich damit begründen, daß der Kern des Anliegens, das der Kläger seinerzeit im sozialgerichtlichen Verfahren verfolgte, zu einem vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit verfolgbaren Recht ausgestaltet ist.

3.a) Die vorgenannten, mit der Entscheidung des Dritten Senats übereinstimmenden Erwägungen finden eine weitere Stütze in folgenden Überlegungen:

Obgleich die Bestimmungen der §§ 394, 395 RVO und die entsprechenden Vorschriften für die anderen Zweige der Sozialversicherung den sozialversicherungsrechtlichen Erstattungsanspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer regeln, stellen sie zugleich arbeitsrechtliche Schutzvorschriften zugunsten des Arbeitnehmers dar. Wie das Bundesarbeitsgericht unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der §§ 394, 395 RVO dargelegt hat, liegen der Regelung zwei Prinzipien zugrunde, die man zusammengefaßt als ein Schutzprinzip und als ein Ordnungsprinzip bewerten kann. Das Schutzprinzip soll den Arbeitnehmer vor drückenden Beitragslasten bewahren, indem es den Arbeitgeber darauf verweist, die Beitragsanteile des Arbeitnehmers nur im Wege des Lohnabzugs einzuziehen und außerdem ein Verteilungsgebot und ein Nachholverbot vorsieht. Damit haben die Vorschriften wie zahlreiche andere öffentlich-rechtliche Schutzbestimmungen unmittelbare Auswirkungen auf die arbeitsvertraglichen Beziehungen. Auch deshalb ist davon auszugehen, daß die Rechtsnatur des verfolgten Lohnanspruchs sich nicht deshalb ändert, weil zu beurteilen ist, wie sich eine zugunsten des Arbeitnehmers vorgesehene Schutzvorschrift auswirkt.

b) Aufgrund der vorstehenden Erwägungen könnte zweifelhaft sein, braucht für den vorliegenden Fall jedoch nicht entschieden zu werden, ob eine andere Beurteilung dann geboten ist, wenn der Streit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer der Sache nach darum geht, ob Beiträge überhaupt oder in der entrichteten Höhe abzuführen waren. In derartigen Fällen wird das zu den Sozialversicherungsträgern bestehende Rechtsverhältnis betroffen, während der hier vorliegende Ausgleichsstreit allein das Verhältnis der Arbeitsvertragsparteien berührt (vgl. dazu das Urteil des Senats vom 11. Juli 1975 – 5 AZR 546/74 – AP Nr. 1 zu § 55 SGG; ferner die nicht veröffentlichte Entscheidung vom 27. Januar 1982 – 5 AZR 777/79 – sowie die zur Aufnahme in die Amtliche Sammlung bestimmte Entscheidung des Vierten Senats vom 10. November 1982 – 4 AZR 231/82 – AP Nr. 44 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau, die die Frage, ob ein Entgelt steuer- und sozialversicherungsfrei ist, der Entscheidung durch die Finanzbehörden und die Sozialversicherungsträger zuweist).

II. In der Sache kann die Revision keinen Erfolg haben.

Das beklagte Land hat am 15. Januar 1981 nicht einen nachträglichen Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen vorgenommen, der den Beschränkungen nach den §§ 394, 395 RVO unterlegen hätte. Vielmehr hat das beklagte Land am 15. Januar 1981 durch seine Abrechnung nur aufgezeigt, wie sich die zuvor bereits vorgenommenen Abzüge und die an die Klägerin erfolgten Zahlungen auf die Lohnperioden verteilen. Mit der Abrechnung für die Monate August 1980 bis Januar 1981 am 15. Januar 1981 ist der Klägerin das Gehalt für den Monat Januar 1981 ausgezahlt worden. Nach der Abrechnung hätte ihr ein Betrag von 1.463,24 DM netto zugestanden. Tatsächlich erhalten hat sie 1.872,36 DM. Das beruht darauf, daß die Abschlagszahlungen, die die Klägerin in den Monaten September und Oktober erhalten hatte, gegenüber dem, was ihr nach Einbehalt von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen für die Zeit von August bis Dezember 1980 zugestanden hätte, zu niedrig ausgefallen waren. Aus diesem Geschehen folgt, daß das beklagte Land insgesamt nur Lohnbeträge in einer Höhe erbracht hat, wie sie der Klägerin nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen zustanden. Damit hat sich, als die Bezüge am 15. Januar 1981 aufgeschlüsselt wurden, nicht das verwirklicht, was die §§ 394, 395 RVO verhindern sollen, nämlich den Arbeitnehmer mit übermäßigen Beitragsrückständen zu belasten. Es fehlt daher an einem nachträglichen Einbehalt der Arbeitnehmeranteile. Versäumt hatte das beklagte Land lediglich, dies zeitgerecht nachzuweisen. Das Nachholverbot des § 395 Abs. 2 RVO (§ 119 Abs. 3 AVG) soll den Arbeitnehmer aber nur vor einer Beitragsanhäufung schützen. Die Vorschriften sollen nicht einer verspäteten Gehaltsabrechnung und eines entsprechend verspäteten Ausweises der Beitragsanteile des Arbeitnehmers entgegenwirken.

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Heither, Michels-Holl, Flachsenberg, Nitsche

 

Fundstellen

BAGE, 228

JR 1985, 528

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