Entscheidungsstichwort (Thema)

Ortszuschlag Höhe der Unterhaltsverpflichtung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der geschiedene Angestellte hat Anspruch auf Ortszuschlag der Stufe 2 nach § 29B Abs 2 Nr 3 BAT, wenn er einen nicht unwesentlichen Teil zum Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten beiträgt.

2. Das ist dann der Fall, wenn die Unterhaltsleistung einen Anteil ausmacht, der für die gesamt wirtschaftliche Lebensführung des Unterhaltsberechtigten mitbestimmend ist und nicht nur einen geringen Teil seines Lebensunterhalts ausmacht.

3. Das können im Einzelfall auch Beträge sein, die unterhalb des Bruttodifferenzbetrages zwischen den Ortszuschlagsbeträgen der Stufe 1 und 2 liegen.

 

Normenkette

BAT §§ 70, 36 Abs. 1, § 29 Abschn. B Abs. 2 Nr. 3

 

Verfahrensgang

LAG München (Entscheidung vom 11.06.1987; Aktenzeichen 6 (7) Sa 936/86)

ArbG München (Entscheidung vom 10.11.1986; Aktenzeichen 9 Ca 16215/85)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe des Ortszuschlags.

Der 1935 geborene Kläger ist seit dem 3. November 1952 bei der Beklagten als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Der Kläger erhält Vergütung aus der Vergütungsgruppe III der Anl. 1 a zum BAT. Der Kläger ist seit April 1984 rechtskräftig geschieden. Er gewährt seither seiner ehemaligen Ehefrau einen im familiengerichtlichen Vergleich festgelegten Unterhalt von 110,-- DM monatlich.

Die Beklagte zahlt dem Kläger ab Juli 1984 nur noch Ortszuschlag der Stufe 1 anstelle des bis dahin gewährten Ortszuschlags der Stufe 2. Der Kläger beanspruchte mit Schreiben vom 20. Februar 1985 vergeblich die Weiterzahlung des Ortszuschlags der Stufe 2.

Er hat gemeint, er gehöre zur Stufe 2, weil er seiner Ehefrau Unterhalt leiste. Im übrigen sei § 29 B BAT wegen Verletzung des Gleichheitssatzes verfassungswidrig.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß dem Kläger von der Beklagten

Ortszuschlag gemäß der Stufe 2 ab

Juli 1984 zu gewähren ist.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der Begriff der Unterhaltsverpflichtung in der tariflichen Regelung setze ebenso wie in § 40 BBesG eine wesentliche finanzielle Zuwendung in Höhe des Doppelten des Unterschiedsbetrages der Ortsklassenstufen voraus. Der vom Kläger geleistete Betrag von 110,-- DM genüge nicht, weil er unter dem Differenzbetrag von 136,66 DM brutto zwischen den Ortszuschlagsstufen 1 und 2 bleibe. Die Bestimmungen über den Ortszuschlag seien verfassungsgemäß.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil abgeändert und festgestellt, daß dem Kläger von der Beklagten ab Juli 1984 Ortszuschlag der Stufe 2 zu gewähren ist. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verlangt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger erfülle nach dem Tarifwortlaut die Voraussetzungen des § 29 B Abs. 2 Nr. 3 BAT. Denn er gewähre seiner geschiedenen Ehefrau Unterhalt. Für die Auslegung der Ortszuschlagsregelung sei jedoch auch auf ihren Sinn und Zweck abzustellen, wie er sich aus dem Gesamtzusammenhang erschließe. Der Ortszuschlag solle den unterschiedlichen Belastungen Rechnung tragen, die sich aus dem Familienstand und der Zahl der unterhaltsberechtigten Kinder ergeben. Dazu werde im Schrifttum und in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zur entsprechenden Regelung des § 40 BBesG die Auffassung vertreten, von einer Unterhaltsleistung an den geschiedenen Ehegatten könne nur gesprochen werden, wenn die aufgewandten Mittel ihrer Höhe nach geeignet seien, zur Deckung der Unterhaltskosten im wesentlichen Umfang beizutragen. Als solcher Unterhaltsbetrag werde eine Summe von mindestens 250,-- DM, jedenfalls aber ein Betrag von mehr als der Differenz zwischen den Ortszuschlagsstufen 1 und 2 angesehen. Dem könne nicht gefolgt werden. Der Tarifvertrag enthalte keine quantifizierenden Begriffe über das Maß der Unterhaltsleistung wie "überwiegend", "mindestens zur Hälfte", "im wesentlichen Umfang" oder dergleichen. Angesichts der Vielzahl denkbarer Regelungsmöglichkeiten sei es den Arbeitsgerichten versagt, ihrerseits quantitative Sätze für den Unterhalt aufzustellen. Es genüge daher auch eine Unterhaltsleistung, die der Höhe nach unter dem Differenzbetrag zwischen den Ortszuschlagsstufen 1 und 2 liege. Nur wenn sie minimal sei, könne die Forderung nach Ortszuschlag der Stufe 2 rechtsmißbräuchlich sein. So verhalte es sich im Streitfall nicht. Die Regelungen über den Ortszuschlag seien verfassungsgemäß.

II. Der Senat kann dem Landesarbeitsgericht im Ergebnis überwiegend, nicht aber in der Begründung folgen.

1. Der Kläger hat gegen die Beklagte auch nach seiner Scheidung Anspruch auf Ortszuschlag der Stufe 2, nunmehr nach § 29 B Abs. 2 Nr. 3 BAT i.d.F. des 49. Änderungstarifvertrages vom 17. Mai 1982, wonach zur Stufe 2 geschiedene Angestellte und Angestellte gehören, deren Ehe aufgehoben oder für nichtig erklärt ist, wenn sie aus der Ehe zum Unterhalt verpflichtet sind.

a) Der Kläger ist geschieden.

b) Die Bestimmungen des Bundesangestelltentarifvertrages und des Bundesbesoldungsgesetzes über den Ortszuschlag schaffen keinen eigenständigen Unterhaltsbegriff, sondern setzen einen Tatbestand voraus, der im Zivilrecht geregelt ist (BAGE 45, 36 = AP Nr. 3 zu § 29 BAT, zum Unterhaltsbegriff in § 29 B Abs. 2 Nr. 4 BAT; Senatsurteil vom 25. Juni 1987 - 6 AZR 332/85 - ZTR 1987, 308). Der Kläger ist seiner geschiedenen Ehefrau aufgrund familiengerichtlichen Vergleichs zum Unterhalt verpflichtet. Diese Pflicht erfüllt er in der Form des Aufstockungsunterhalts gem. § 1573 Abs. 2 BGB durch Entrichtung einer monatlichen Geldrente in Höhe von 110,-- DM. Damit erfüllt er die Voraussetzungen der Tarifnorm dem Wortlaut nach, die keine quantitative Einschränkung enthält.

c) Bei der Tarifauslegung ist entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung jedoch der Wortlaut nicht allein maßgebend. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen mitzuberücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Dabei ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteile vom 25. Juni 1987 - 6 AZR 278/85 - und 14. Mai 1987 - 6 AZR 555/85 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Wie der Senat bereits ausgeführt hat, soll der Ortszuschlag, der früher die Funktion hatte, die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten am jeweiligen Dienstort und die Einteilung der Dienstorte in Ortsklassen auszugleichen, heute den unterschiedlichen Belastungen aufgrund des Familienstandes Rechnung tragen (BVerfGE 49, 260, 272; BAGE 45, 36, 44 = AP, aaO; Senatsurteil vom 25. Juni 1987 - 6 AZR 332/85 - aaO). Der Ortszuschlag ist Teil der Besoldung des Beamten bzw. der Vergütung des Angestellten und dient mit seiner sozialen Ausgleichsfunktion der angemessenen Alimentation, d.h. der Pflicht des Staates zur amtsangemessenen Unterhaltung der Beamtenfamilien und der in dieser Hinsicht den Beamten gleichgestellten Angestellten des öffentlichen Arbeitgebers. Daraus folgt, daß der erhöhte Ortszuschlag dem Angestellten keine zusätzlichen Vorteile bringen darf, sondern nur die Nachteile ausgleichen soll, die ihren Grund in familienbezogener Belastung haben. Deshalb rechtfertigt nicht jede Unterhaltsverpflichtung den Anspruch auf Ortszuschlag der Stufe 2. Die Regelung des § 29 B Abs. 2 Nr. 3 BAT enthält vielmehr ein nicht näher quantifiziertes, einschränkendes Element, das durch die Rechtsprechung zu bestimmen ist.

d) Entgegen der Auffassung des Bundesministers des Inneren in seinem Rundschreiben vom 6. Juli 1982 (D II 4 - 221 400/5 - GMBl S. 403) kann jedoch die Grenze zwischen unbeachtlichen Beiträgen zu den Lebenshaltungskosten des früheren Ehegatten und einer anspruchsbegründenden Unterhaltsleistung aufgrund rechtlicher Verpflichtung nicht betragsmäßig festgelegt werden. Ebensowenig rechtfertigt es sich, wenigstens eine Unterhaltsverpflichtung in Höhe des Unterschiedsbetrages der Ortszuschlagsstufen 1 und 2 in der den Angestellten betreffenden Tarifklasse zu verlangen (a.A. OVG Rheinland-Pfalz Urteil vom 24. September 1980 - 2 A 127/79 - DÖD 1981, 113 zu § 40 Abs. 2 Nr. 3 BBesG; ebenso der Hilfsvorschlag des BMI, aaO). Der unbestimmte tarifliche Rechtsbegriff der Unterhaltsverpflichtung nach § 29 B Abs. 2 Nr. 3 BAT verbietet auch angesichts der typisierenden, am Zweck des Besoldungsrechts und am Alimentationsprinzip orientierten Funktion der Ortszuschlagsregeln eine generalisierende Auslegung, weil damit die Vielfalt der Lebensverhältnisse und die unterschiedlichen Einkünfte der Angestellten unberücksichtigt blieben. Vielmehr ist eine der dem familienrechtlichen Unterhalt angepaßte, flexible Betrachtungsweise geboten, die es ermöglicht, den verschiedensten Formen des Unterhalts und der Lebensverhältnisse gerecht werden zu können. Es bleibt jedoch zu fordern, daß der Angestellte nicht nur einen Zuschuß, sondern einen nicht unwesentlichen Teil zum Lebensbedarf des Berechtigten beitragen muß (vgl. Senatsurteil vom 21. Januar 1988 - 6 AZR 567/86 - zur Veröffentlichung bestimmt - zum Tarifbegriff "Unterhalt gewähren" nach § 29 B Abs. 2 Nr. 4 BAT; BVerwG Urteil vom 3. Juli 1986 - 6 C 100/84 - NJW 1987, 391 - zu § 40 Abs. 2 Nr. 3 BBesG). Das ist dann der Fall, wenn die Unterhaltsleistung einen Anteil ausmacht, der für die gesamte wirtschaftliche Lebensführung des Unterhaltsberechtigten mitbestimmend ist und nicht nur einen geringen Teil seines Lebensunterhalts ausmacht (BVerwG, aaO). Das können im Einzelfall auch Beträge sein, die unterhalb des Bruttodifferenzbetrages zwischen den Ortszuschlagsbeträgen der Stufe 1 und 2 liegen. Von einer den Anspruch auslösenden Unterhaltsleistung kann dann nicht ausgegangen werden, wenn die für die Berechnung des gesetzlich geschuldeten Unterhalts maßgebenden ehelichen Lebensverhältnisse im Zeitpunkt der Scheidung (BGH Urteil vom 9. Juni 1982 - IV b ZR 698/80 - NJW 1982, 2439; BGH Urteil vom 21. März 1982 - IV b ZR 661/80 - MDR 1982, 738) so bemessen sind, daß der Berechtigte einen hohen Lebensbedarf hat und der Verpflichtete dementsprechend einen hohen monatlichen Betrag schuldet, aber angesichts der zu berücksichtigenden Einkünfte oder des Vermögens des Berechtigten (§ 1577 Abs. 1 BGB) lediglich einen geringen Betrag an Aufstockungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2 BGB) zu erbringen hat. In diesem Fall bestimmt der Unterhaltsbeitrag die gesamte wirtschaftliche Lebensführung des Berechtigten nicht. Sind die Lebensverhältnisse der ehemaligen Eheleute zum Zeitpunkt der Scheidung jedoch so bemessen, daß der Eigenverdienst des unterhaltsberechtigten Ehegatten und der nach der Differenzmethode berechnete Aufstockungsunterhalt in einem Verhältnis von 10 : 1 stehen, so kann nicht mehr von einem unwesentlichen Beitrag für die gesamte Lebensführung des Unterhaltsberechtigten gesprochen werden.

e) So verhält es sich im Streitfall. Nach den durch Bezugnahme auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze getroffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts beträgt nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag des Klägers das bereinigte Nettoeinkommen seiner ehemaligen Ehefrau 973,-- DM. Wenn der Kläger 110,-- DM zum Lebensunterhalt beiträgt, so ist das Familiengericht von einem Gesamtlebensbedarf der geschiedenen Ehefrau von 1.083,-- DM ausgegangen. Der Unterhaltsbeitrag des Klägers übersteigt damit einen Anteil von 10 %. Er kann nach Auffassung des Senats nicht mehr als unwesentlich bezeichnet werden. Erhielte die geschiedene Ehefrau des Klägers die monatliche Leistung nicht, müßte sie ihren Lebensstandard angesichts des knappen Gesamtbetrages nicht unerheblich einschränken. Der Betrag von 110,-- DM stellt daher im Streitfall einen bestimmenden Anteil zum Lebensunterhalt dar.

2. Dem Klageantrag kann jedoch nicht für die Monate Juli und August 1984 entsprochen werden. Denn die Ansprüche des Klägers für diese Vergütungszeiträume sind verfallen. Der Kläger hat seine Ansprüche erstmals mit Schreiben vom 20. Februar 1985 geltend gemacht. Zu diesem Zeitpunkt waren die jeweils am 15. eines jeden Monats fälligen Vergütungsansprüche (§ 36 Abs. 1 Satz 1 BAT) für die genannten zwei Monate gem. § 70 Abs. 1 BAT verfallen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Dr. Jobs Schneider Dörner

Scheerer Dr. Kukies

 

Fundstellen

FamRZ 1989, 49 (L)

ARST 1988, 165-166 (LT1-3)

DOK 1989, 153 (K)

RdA 1988, 254

USK, 8839 (ST)

ZTR 1988, 385-386 (LT1-3)

AP § 29 BAT (LT1-3), Nr 7

EzBAT § 29 BAT, Nr 8 (LT1-3)

SVFAng Nr 53, 19 (1989) (K)

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