Entscheidungsstichwort (Thema)

Mittelbare Diskriminierung durch Versorgungsordnung. Bindung des Revisionsgerichts an die Rechtsansichten, die sein früheres, zurückverweisendes Urteil tragen

 

Leitsatz (amtlich)

  • Das Lohngleichheitsgebot des Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag ist unmittelbar geltendes Recht in den Mitgliedstaaten der EG (ständige Rechtsprechung seit EuGH Urteil vom 8. April 1976 – Rs 43/75 – Defrenne II – EuGHE 1976, 455 ff.). Es verbietet nicht nur die unmittelbare, sondern auch eine mittelbare Diskriminierung der Arbeitnehmer wegen ihres Geschlechts.
  • Schließt eine Versorgungsordnung Teilzeitbeschäftigte von der Versorgung aus, so liegt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der objektive Tatbestand einer mittelbaren Diskriminierung vor, wenn mehr Frauen als Männer betroffen sind und die nachteiligen Folgen auf dem Geschlecht oder der Geschlechtsrolle beruhen.
  • Ist der objektive Tatbestand einer mittelbaren Diskriminierung gegeben, muß der Arbeitgeber zur Rechtfertigung seiner Regelung darlegen und beweisen, daß die Differenzierung einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dient und für die Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich ist. Nicht jeder noch so geringfügige finanzielle Vor- oder Nachteil stellt ein wirkliches Bedürfnis dar. Vielmehr müssen erhebliche Kostenvor- oder -nachteile die differenzierende Regelung erfordern (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt Urteil vom 23. Januar 1990 – 3 AZR 58/88 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
  • Werden Teilzeitbeschäftigte unter Verstoß gegen das Lohngleichheitsgebot von der betrieblichen Altersversorgung ausgeschlossen, so ist nicht die gesamte Versorgungsordnung nichtig. Nur der Ausschlußtatbestand fällt weg.
  • Die Arbeitnehmer brauchen den Verstoß gegen das Lohngleichheitsgebot auch nicht zeitweilig hinzunehmen. Weder nach dem Recht der Europäischen Gemeinschaften noch aufgrund des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) oder nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage kann der Arbeitgeber eine Anpassungsfrist zur Beseitigung der mittelbaren Diskriminierung beanspruchen.

    • Mit der Erkenntnis, daß auch die mittelbare Diskriminierung verboten ist, wird kein Rechterrecht geschaffen. Ebensowenig wird eine Normlücke durch Rechtsfortbildung geschlossen. Es wird lediglich dem durch Art. 119 EWG-Vertrag und Art. 3 Abs. 2 GG gewährleisteten Lohngleichheitsgebot Geltung verschafft. Darin liegt kein Verstoß gegen das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Rückwirkungsverbot.
    • Die Rechtslage in der Bundesrepublik und die bisherige Rechtsprechung ließ kein schutzwürdiges Vertrauen darauf entstehen, daß mittelbar diskriminierende Regelungen in betrieblichen Versorgungsordnungen wenigstens zeitweilig wirksam sind.
    • Mit den Grunsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage können Zweck und Geltungsbereich gesetzlicher Verbote nicht unterlaufen werden. Vielmehr sind die Grenzen der Privatautonomie zu beachten.
 

Normenkette

EWGVtr Art. 119, 189 Abs. 3; GG Art. 3 Abs. 2-3, Art. 20 Abs. 3; BetrAVG § 1; BGB §§ 139, 242; EWGRL 117/75; EWGRL 207/76; EWGRL 7/79; EWGRL 378/86; ZPO § 565 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 21.08.1989; Aktenzeichen 6 Sa 606/83)

ArbG Köln (Urteil vom 14.03.1983; Aktenzeichen 15 Ca 9786/82)

 

Tenor

  • Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 21. August 1989 – 6 Sa 606/83 – wird zurückgewiesen.
  • Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte ihre Teilzeitbeschäftigten wirksam von der betrieblichen Altersversorgung ausschließen konnte. Der Rechtsstreit war bereits Gegenstand des Urteils des Senats vom 14. Oktober 1986 (– 3 AZR 37/84 – n.v.).

Die Beklagte ist ein Kaufhausunternehmen mit zahlreichen Filialen im Bundesgebiet. Sie beschäftigte im Jahre 1981 13.712 Arbeitnehmer, davon 3.949 mit verkürzter Arbeitszeit. Die im Jahre 1922 geborene Klägerin, die verheiratet ist und zwei Kinder hat, war vom 18. September 1967 bis 28. Februar 1982 mit einer vertraglichen Arbeitszeit von monatlich 118,22 Stunden bei der Beklagten beschäftigt. Seit dem 1. März 1982 bezieht die Klägerin vorgezogenes Altersruhegeld. Bis zu ihrem Ausscheiden war sie als Kassiererin in einem Kaufhaus in K… (Filiale 21 der Beklagten) tätig. Von den 61 dort beschäftigten Arbeitnehmern arbeiteten 18 Frauen mit verkürzter Arbeitszeit. Alle acht männlichen Bediensteten und die übrigen Arbeitnehmerinnen waren vollzeitbeschäftigt.

Bis zur Schließung ihres Versorgungswerks am 30. September 1982 hatte die Beklagte seit rd. 30 Jahren Leistungen der betrieblichen Altersversorgung gewährt. Bis zum Jahre 1978 waren alle Arbeitnehmer, die eine 20 jährige Wartezeit zurückgelegt hatten, versorgungsberechtigt. Seit dem Jahre 1978 setzte die Versorgungsberechtigung die Vollendung des 35. Lebensjahres und eine zehnjährige Wartezeit voraus. Teilzeitbeschäftigte waren von der Altersversorgung ausgeschlossen.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, es sei mit den Grundsätzen der Gleichbehandlung und Gleichberechtigung nicht zu vereinbaren, daß sie keine Versorgungsleistungen erhalte. Sie habe während ihres Arbeitsverhältnisses eine insgesamt längere Betriebstreue erbracht als vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer nach Ablauf der zehnjährigen Wartezeit. Der Ausschluß von Teilzeitbeschäftigten aus der betrieblichen Altersversorgung stelle eine nicht gerechtfertigte mittelbare Frauendiskriminierung dar. Die Beschränkung der Altersversorgung auf Vollzeitkräfte habe nicht einem wirklichen Bedürfnis der Beklagten gedient und sei nicht erforderlich gewesen. Auf wirtschaftliche Gründe könne sich die Beklagte nicht berufen. Vielmehr habe sich die im Einzelhandel übliche Teilzeitbeschäftigung bewährt. Da sie einen rationelleren Arbeitseinsatz ermögliche, sei sie betriebswirtschaftlich sinnvoll und auch kostengünstig. Die tarifliche regelmäßige Arbeitszeit habe 40 Stunden, die Ladenöffnungszeit dagegen 57 Stunden betragen. Der Spitzenbedarf lasse sich leichter mit Teilzeit- als mit Vollzeitbeschäftigten decken. Die Teilzeitbeschäftigten seien weder weniger motiviert noch weniger qualifiziert als Vollzeitbeschäftigte. Die Personalkosten erhöhten sich durch den Einsatz von Teilzeitkräften nicht wesentlich, zumal ein Teil der Sozialleistungen entfalle. Die zusätzlichen Verwaltungskosten fielen beim Einsatz elektronischer Datenverarbeitung nicht mehr ins Gewicht.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin ab 1. März 1982 eine anteilige Betriebsrente nach Maßgabe der für die Vollzeitbeschäftigten erteilten Versorgungszusagen zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, ihr Versorgungswerk könne nicht auf Teilzeitbeschäftigte ausgedehnt werden. Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag sei auf betriebliche Altersversorgungssysteme der Arbeitgeber nicht anwendbar. Zudem sei die Vorschrift im vorliegenden Falle nicht verletzt. Nur eine Vollzeitbeschäftigung habe dem wirtschaftlichen Bedürfnis der Beklagten entsprochen. Dies beruhe auf dem Verkaufssystem der Beklagten, der Struktur ihrer Läden und ihrer früheren Arbeitsorganisation. Sie sei ein Kleinpreisunternehmen und deshalb auf Selbstbedienung der Kunden zugeschnitten. Erhöhten Verkaufsanfall könne sie ohne weiteres durch Umsetzungen innerhalb des Personals ausgleichen. Die Beschäftigung von Teilzeitkräften führe bei ihr nicht zu den üblichen organisatorischen Vorteilen, sondern zu Nachteilen. Ihre Filialleiter könnten den vielfältigen Aufgaben in Ein- und Verkauf, Verwaltung, Organisation und Personalverwaltung nur gerecht werden, wenn die Arbeitnehmer während des ganzen Tages zur Verfügung stünden und das Marktgeschehen nicht nur während einer kurzen Zeit beobachteten. Deshalb habe die Beklagte 80 % des Personals in Vollzeittätigkeit eingestellt. Nach etwa zehnjähriger Beschäftigung erstrebe jedoch mehr als die Hälfte dieser Arbeitskräfte ein Arbeitsverhältnis mit verkürzter Arbeitszeit.

Eine Teilzeitbeschäftigung führe auch zu höheren Kosten. Essenszuschüsse, Personalrabatte und sonstige Personalvergünstigungen würden den Teilzeitbeschäftigten in gleichem Umfang wie den Vollzeitbeschäftigten gewährt. Wegen der höheren Belegschaftszahl stiegen die Aufwendungen für Sanitär- und Sozialräume, die Ausgleichsabgaben für Schwerbehinderte sowie die Aufwendungen für die betriebliche und Unternehmensmitbestimmung. Außerdem seien Teilzeitkräfte in der Regel schlechter ausgebildet und motiviert; sie identifizierten sich weniger mit dem Unternehmen.

Der Ausschluß der Teilzeitkräfte aus der betrieblichen Altersversorgung sei daher geeignet und erforderlich gewesen, um zur Vollzeitbeschäftigung anzureizen.

Selbst wenn ihr Versorgungswerk den Anforderungen des Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag nicht genügt hätte, bestehe keine Verpflichtung, der Klägerin eine Betriebsrente zu gewähren. Nach der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 24. Juli 1986 – 86/378 EWG – müsse die Beklagte ihr Versorgungswerk nicht rückwirkend, sondern bis zum 1. Januar 1993 anpassen. Falls Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag ohne Anpassungsfrist anzuwenden sei und der Ausschluß der Teilzeitkräfte gegen diese Vorschrift verstoße, sei die ganze Gesamtbetriebsvereinbarung 1987 gemäß § 139 BGB nichtig, so daß die frühere Versorgungsregelung der Beklagten mit einer von der Klägerin nicht erfüllten 20 jährigen Wartezeit gelte. Um eine Verkürzung der Wartezeit auf 10 Jahre zu erreichen, habe sich der Gesamtbetriebsrat in seiner schriftlichen Erklärung vom 22. September 1987 ausdrücklich damit einverstanden erklärt, daß eine Teilzeitbeschäftigung auch künftig weder zu einer betrieblichen Altersversorgung führe noch als anrechenbare Beschäftigungszeit berücksichtigt werde. Die Verkürzung der Wartezeit sei demnach untrennbar mit dem Ausschluß der Teilzeitkräfte verbunden gewesen. Zum damaligen Zeitpunkt habe die Beklagte darauf vertrauen dürfen, daß sie nur den Vollzeitbeschäftigten eine betriebliche Altersversorgung gewähren müsse. Zumindest sei der Beklagten nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage eine Frist einzuräumen, ihr betriebliches Altersversorgungssystem den veränderten Umständen anzupassen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 8. November 1983 zurückgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der Senat durch das Urteil vom 14. Oktober 1986 (– 3 AZR 37/84 –) das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. In seiner erneuten Entscheidung hat das Berufungsgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf anteilige Betriebsrente zu.

I. Soweit sich die Beklagte gegen die Rechtsauffassungen des Senats wendet, die das zurückverweisende Urteil vom 14. Oktober 1986 – 3 AZR 37/84 – tragen, können die Angriffe schon nach § 565 Abs. 2 ZPO keinen Erfolg haben. Nach dieser Vorschrift hat das Berufungsgericht die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Das Revisionsgericht ist im neuen Revisionsverfahren in demselben Umfang gebunden wie das Berufungsgericht (BAGE 7, 237, 238 = AP Nr. 1 zu § 318 ZPO, zu 1 der Gründe; BAGE 10, 355, 359 = AP Nr. 1 zu § 565 ZPO, zu 1 der Gründe; BAG Urteil vom 25. März 1976 – 2 AZR 127/75 – AP Nr. 10 zu § 626 BGB Ausschlußfrist, zu III 2 der Gründe; BGHZ 3, 321, 325; 25, 200, 203 f.).

Die Bindung beschränkt sich nicht auf die unmittelbar zur Aufhebung des Berufungsurteils führenden Entscheidungsgründe, sondern erstreckt sich auf die davon nicht zu trennenden Rechtsansichten zu Vorfragen (vgl. BAGE 10, 355, 359 = AP Nr. 1 zu § 565 ZPO, zu I 1 der Gründe; BGHZ 6, 76, 79; 22, 370, 374). Die Rechtslage hat sich zwischenzeitlich nicht geändert. Neue Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs oder des Bundesverfassungsgerichts, die zu einer anderen Beurteilung führen könnten, liegen nicht vor. Ebensowenig hat der Senat in einer anderen Sache seine Rechtsauffassung geändert und die Änderung bekannt gemacht (vgl. hierzu GmS-OGB, BGHZ 60, 392, 397 = AP Nr. 1 zu § 4 RsprEinhG, zu 3 der Gründe). Zudem sieht der Senat keinen Anlaß, seine Rechtsprechung aufzugeben. Ausgehend von den im ersten Urteil aufgestellten Anforderungen und Maßstäben hat das Landesarbeitsgericht zu Recht der Klägerin die geltend gemachten Versorgungsansprüche zugesprochen.

II. Die Beklagte gewährt nach ihrer Versorgungsordnung Ruhegeld, wenn ein Versorgungsfall eintritt und der Mitarbeiter das 35. Lebensjahr vollendet sowie eine 10 jährige Wartezeit zurückgelegt hat. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin. Sie ist nach einer Dienstzeit von mehr als 14 Jahren mit Erreichen der vorgezogenen Altersgrenze für Frauen in der gesetzlichen Rentenversicherung mit sechzig Jahren ausgeschieden, um in den Ruhestand zu treten.

Die weitere Bestimmung der Versorgungsordnung, die Teilzeitbeschäftigte vom Ruhegeldbezug ausschließt, ist nichtig. Sie verstößt gegen Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag, der eine mittelbare Diskriminierung der Frauen verbietet.

1. Nach Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag muß jeder Mitgliedsstaat den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit anwenden und beibehalten. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist diese Bestimmung, die zu den Grundlagen der Gemeinschaft gehört, unmittelbar geltendes Recht in den Mitgliedstaaten (EuGH Urteil vom 8. April 1976 – Rs 43/75 – Defrenne II – EuGHE 1976, 1. Teil, 455 f. und 472 ff.; seitdem ständige Rechtsprechung; vgl. auch Urteil des Senats vom 23. Januar 1990 – 3 AZR 58/88 –, zur Veröffentlichung vorgesehen, mit weiteren Nachweisen). Die Arbeitnehmer haben einen Rechtsanspruch darauf, daß ihre Arbeitgeber das Lohngleichheitsgebot des Art. 119 EWG-Vertrag beachten.

2. Der Anwendungsbereich des Art. 119 EWG-Vertrag erstreckt sich auf betriebliche Versorgungsleistungen. Nach Art. 119 Abs. 2 EWG-Vertrag sind unter Entgelt im Sinne dieses Artikels nicht nur die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter, sondern alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, “die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar oder unmittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt”. Der Entgeltbegriff ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs weit auszulegen (EuGH Urteil vom 25. Mai 1971 – Rs 80/70 – Defrenne I – EuGHE 1971, 445). Betriebsrenten werden im Laufe eines Arbeitslebens erdient. Sie stellen eine auf dem Arbeitsverhältnis beruhende Vergütung im weiteren Sinne und damit auch im Sinne Art. 119 Abs. 2 EWG-Vertrag dar (EuGH Urteil vom 13. Mai 1986 – Rs 170/84 – Bilka – EuGHE 1986, 1607 = AP Nr. 10 zu Art. 119 EWG-Vertrag).

3. Art. 119 EWG-Vertrag verbietet nicht nur die unmittelbare, sondern auch die mittelbare Diskriminierung. Dabei kommt es nicht auf die Motive, sondern auf die objektiven Auswirkungen einer Entgeltregelung an. Der Arbeitgeber muß sich der geschlechtsspezifischen Benachteiligung nicht bewußt sein.

Auf Anfrage des Senats vom 5. Juni 1984 (BAGE 46, 70 = AP Nr. 3 zu Art. 119 EWG-Vertrag) hat der Europäische Gerichtshof das Verbot mittelbarer Diskriminierung wie folgt konkretisiert:

Ein Kaufhausunternehmen, das Teilzeitbeschäftigte von der betrieblichen Altersversorgung ausschließt, verletzt Art. 119 EWG-Vertrag, wenn diese Maßnahme wesentlich mehr Frauen als Männer trifft und die nachteiligen Folgen auf dem Geschlecht oder der Geschlechtsrolle beruhen, es sei denn, das Unternehmen legt dar, daß diese Maßnahme auf Faktoren beruht, die objektiv gerechtfertigt sind und nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (EuGH Urteil vom 13. Mai 1986 – Rs 170/84 – Bilka – EuGHE 1986, 1607 = AP, aaO). Diese Entscheidung bindet die Gerichte der Mitgliedstaaten (ständige Rechtsprechung, zuletzt BAG Urteil vom 23. Januar 1990, aaO, mit weiteren Nachweisen).

4. Nach den vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Maßstäben verstößt im vorliegenden Fall die Beschränkung der Betriebsrente auf Vollzeitbeschäftigte gegen Art. 119 EWG-Vertrag.

a) Der objektive Tatbestand einer mittelbaren Diskriminierung ist erfüllt. Die Versorgungsordnung der Beklagten unterscheidet zwischen den Gruppen der teilzeitbeschäftigten und vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer. Diese Differenzierung ist nur vordergründig geschlechtsneutral. Sie benachteiligt erheblich mehr Frauen als Männer. Die ungleiche Wirkung beruht auf den Geschlechtsrollen.

aa) Wie der Senat in seinen Urteilen vom 14. Oktober 1986 – 3 AZR 37/84 – n. v. und – 3 AZR 66/83 – (AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag, zu II 3a (2) der Gründe) ausgeführt hat, kommt es nicht auf die absoluten Zahlen der betroffenen Arbeitnehmer, sondern auf die Prozentsätze an, zu denen einerseits Männer und andererseits Frauen die geforderten Voraussetzungen erfüllen. Die Versorgungsordnung der Beklagten gilt für die gesamte Belegschaft mit Ausnahme der Filialleiter. Die Beklagte beschäftigte 1982 ohne die Filialleiter insgesamt 13.076 Personen. Davon waren 11.377 Frauen (87 %) und 1.699 Männer (13 %). Die insgesamt 9.143 Vollzeitbeschäftigten (69,9 % der Belegschaft) setzten sich aus 7.528 Frauen (82,3 %) und 1.615 Männern (17,7 %) zusammen. Von den insgesamt 3.933 Teilzeitbeschäftigten (30,1 % der Belegschaft) waren 3.849 Frauen (97,9 %) und 84 Männer (2,1 %). Der Anteil der Frauen an den Teilzeitbeschäftigten war demnach wesentlich höher als der Anteil an den Vollzeitbeschäftigten. Die Teilzeitarbeit entfiel im Gegensatz zur Vollzeitarbeit nahezu ausschließlich auf Frauen. Durch den Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten von der betrieblichen Altersversorgung werden mithin unverhältnismäßig mehr Frauen als Männer benachteiligt. Während 95 % der Männer vollzeit- und 5 % teilzeitbeschäftigt waren, standen 66,2 % der Frauen in einer Vollzeit- und 33,8 % in einer Teilzeitbeschäftigung. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, daß die Frauen in den übrigen Jahren im Vergleich zu den Männern deutlich weniger benachteiligt wurden.

Die Beklagte will die Zahl der Teilzeitbeschäftigten auf der Grundlage einer durchschnittlichen verkürzten Arbeitszeit von 60 % der tariflichen Arbeitszeit auf Vollzeitbeschäftigte umrechnen. Auf diese Weise würden aus fünf teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern (mit einer fiktiven Arbeitszeit von 60 %) rechnerisch drei vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer (mit einer Arbeitszeit von 100 %). Diese Berechnung ist fehlerhaft. Da festzustellen ist, wie viele Personen von einer nachteiligen Regelung erfaßt sind, muß nach Kopfzahlen gerechnet werden. Im übrigen würde auch die von der Beklagten vertretene Berechnungsweise an der deutlich ungleichen Betroffenheit der Männer und Frauen nichts ändern. Die Beklagte räumt ein, daß die Teilzeitarbeit bei Männern nahezu überhaupt nicht, bei Frauen dagegen in beträchtlichem Umfang anfällt.

Statistische Zahlen dürfen zwar nie schematisch verwertet werden. Führen Besonderheiten des Unternehmens dazu, daß eine Gegenüberstellung aller weiblichen und männlichen Arbeitnehmer eines Betriebs kein aussagekräftiges Bild ergibt, so müssen die verfälschenden Faktoren ausgeschieden werden (Urteile des Senats vom 14. Oktober 1986 – 3 AZR 37/84 – n.v. und – 3 AZR 66/83 – AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag zu II 3a (2) der Gründe). Im vorliegenden Fall ist jedoch eine Korrektur des Zahlenmaterials nicht erforderlich. Für die Filialleiter als hochqualifizierte Angestellte gilt die Versorgungsordnung ohnehin nicht. Soweit die Männer im Gegensatz zu Frauen schwere körperliche Arbeit verrichten, ist die Vollzeitbeschäftigung nicht tätigkeitsbedingt. Im Gegenteil: Ermüdungs- und Verschleißerscheinungen können durch Teilzeitbeschäftigungen verringert werden. Der Sachvortrag der Parteien enthält keine Anhaltspunkte für das Bestehen und die Größe auszuklammernder und nicht vergleichbarer Arbeitnehmergruppen.

bb) Wie der Senat bereits in seinen Urteilen vom 14. Oktober 1986, aaO, festgestellt hat, führt der an sich geschlechtsneutral formulierte Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten von der betrieblichen Altersversorgung zu ungleichen Wirkungen bei Männern und Frauen, die sich nicht anders als mit dem Geschlecht oder den Geschlechterrollen erklären lassen.

Teilzeitarbeit ist Frauenarbeit. Der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Teilzeitbeschäftigten lag nach den Erhebungen des statistischen Bundesamtes bei steigender Tendenz stets über 92 %, im Einzelhandel über 95 % (Urteile des Senats vom 14. Oktober 1986, aaO). Bei der Beklagten lag er im Jahre 1982 sogar bei 97,9 %. Dieser hohe Frauenanteil beruht auf den gesellschaftlichen Verhältnissen, vor allem der Verteilung der Geschlechterrollen. Sie machen es verheirateten Frauen schwer, eine vollberufliche Erwerbstätigkeit mit ihren familiären Belastungen zu verbinden. Als Ausweg bietet sich die Teilzeitbeschäftigung an, die männliche Arbeitnehmer nur ausnahmsweise wählen (BAG Urteile vom 14. Oktober 1986, aaO, mit weiteren Nachweisen). Auch die Klägerin ist verheiratet und hat für zwei Kinder zu sorgen.

Die Beklagte räumt ein, daß vor allem “private Gründe” Frauen zu Teilzeitbeschäftigungen veranlassen. Die traditionellen Geschlechtsrollen führen dazu, daß diese “privaten Gründe” für eine Teilzeitbeschäftigung bei Frauen häufiger als bei Männern vorkommen. Daran ändert der Hinweis der Beklagten nichts, bei Frauen stelle Teilzeitarbeit eher eine gesellschaftlich akzeptierte Arbeitsform dar. Gerade hieran zeigt sich, daß geschlechtsbezogene gesellschaftliche Wertungen und Zwänge die Entscheidung für oder gegen eine Teilzeitarbeit stark beeinflussen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten scheidet eine Diskriminierung nicht schon deshalb aus, weil bei einem nicht näher genannten Anteil der Teilzeitbeschäftigten aus einer früheren Vollzeitbeschäftigung bereits eine Rentenanwartschaft vorliege. Teilzeitkräfte werden nicht nur dann benachteiligt, wenn sie überhaupt keine Betriebsrente erhalten sollen. Auch eine Versorgungsregelung, die eine Teilzeitarbeit für die Rentenhöhe unberücksichtigt läßt, kann diskriminierend wirken (vgl. BAGE 53, 161, 168 = AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag, zu II 3a (1) der Gründe; Urteil vom 23. Januar 1990 – 3 AZR 58/88 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

b) Die Verletzung des Lohngleichheitsgebotes ist objektiv nicht gerechtfertigt.

aa) Nicht jeder sachliche Grund, der zum Ausschluß des Willkürverbotes bei dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz oder nach § 2 Abs. 1 BeschFG ausreicht, rechtfertigt eine mittelbare Diskriminierung der weiblichen Beschäftigten. Das aus Art. 3 Abs. 2 GG und Art. 119 EWG-Vertrag folgende Gleichberechtigungsgebot stellt strengere Anforderungen an die Zulässigkeit einer Differenzierung. Art. 3 Abs. 2 GG, der ein über den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) hinausgehendes Differenzierungsverbot enthält, ist nur dann nicht verletzt, wenn die biologische oder funktionale Verschiedenheit das zu ordnende Lebensverhältnis so entscheidend prägt, daß etwa vergleichbare Elemente daneben vollkommen zurücktreten (BVerfG seit BVerfGE 6, 389, 422 f.). Art. 119 EWG-Vertrag stellt zwar keine so hohen Anforderungen. Aber auch nach dieser Vorschrift genügt nicht jede Zweckmäßigkeitserwägung. Die unterschiedliche Behandlung der Geschlechter muß einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dienen, für die Erreichung dieses Ziel geeignet und nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit erforderlich sein (Urteil vom 23. Januar 1990, aaO, mit weiteren Nachweisen).

bb) Die Beklagte hat keine erheblichen, die Benachteiligung rechtfertigenden Tatsachen vorgetragen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Angriffe der Revision gegen die Einholung des Sachverständigengutachtens und die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts begründet sind. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist jedenfalls im Ergebnis richtig. Eines Gutachtens hätte es nicht bedurft.

Das Landesarbeitsgericht geht ebenso wie die Beklagte zutreffend davon aus, daß sich die betrieblichen Bedürfnisse nicht abstrakt feststellen lassen, sondern von den Verhältnissen des einzelnen Unternehmens abhängen. Die Organisations- und Entscheidungsstruktur der Beklagten, die auf die Besonderheiten ihres Kleinpreisunternehmens abgestimmt ist, prägt die Aufgabenverteilung, die Arbeitsinhalte und damit auch die an die Arbeitnehmer zu stellenden Anforderungen. Die Sortimentssteuerung in den Verkaufsstellen mag schwierig sein und genaue Marktkenntnisse des Personals erfordern. Es gibt aber keine genügenden Anhaltspunkte dafür, daß Teilzeitbeschäftigte diese Kenntnisse nur in einem deutlich geringerem Maße als Vollzeitbeschäftigte erwerben. Auch das von der Beklagten vorgelegte Privatgutachten räumt ein, daß sich der Erfahrungsschatz der Teilzeitbeschäftigten nach einiger Zeit dem der Vollzeitbeschäftigten annäheren kann. Außerdem vereinbarte die Beklagte mit einem Großteil der Arbeitnehmerinnen erst nach mehrjähriger Vollzeitbeschäftigung eine verkürzte Arbeitszeit. Bei diesen Arbeitnehmerinnen läßt sich die Qualifikation noch weniger bezweifeln.

Obwohl Teilzeitbeschäftigte das Kundenverhalten über einen kürzeren Zeitraum als die Vollzeitbeschäftigten beobachten, muß dies nicht zu einer unzureichenden Information der Beklagten führen. Die kürzere Arbeitszeit kann unter Umständen sogar eine genauere und differenziertere Analyse des Marktes ermöglichen.

Mit der höheren Zahl der Arbeitskräfte wächst allerdings sowohl der Koordinationsbedarf als auch die Zahl der in Betracht kommenden Verantwortlichen. Die Beklagte hat aber nicht anhand konkreter, nachprüfbarer Tatsachen dargelegt, daß die Beschäftigung von Teilzeitkräften wirklich zu nennenswerten Schwierigkeiten führt.

Ebensowenig tragfähig ist die subjektive Befürchtung der Beklagten, Teilzeitkräfte seien weniger motiviert und würden sich weniger mit dem Unternehmen identifizieren. Die Beklagte hat keine ausreichenden Grundlagen für diese These aufgezeigt.

Der Senat kann auch nicht der Auffassung der Beklagten folgen, aus der Gegenüberstellung der Beschäftigungsstrukturen und der erzielten Betriebsergebnisse lasse sich ableiten, daß die Beschäftigung von Teilzeitbeschäftigten bei der Beklagten zu geringeren Gewinnen führe. Auch der von der Beklagten beauftragte Gutachter hat darauf hingewiesen, daß die Gewinnentwicklung von einer Vielzahl weiterer Größen abhängt wie z.B. der örtlichen Konkurrenzlage oder der Größe der Verkaufsstelle. Trotz dieser Hinweise hat sich die Beklagte auf nicht aussagekräftige Zahlenangaben beschränkt. Die für eine Bewertung erforderlichen Angaben fehlen.

Ebensowenig läßt sich die Beschränkung der betrieblichen Altersversorgung auf Vollzeitkräfte mit erhöhten Personalkosten der Teilzeitbeschäftigung rechtfertigen. Nicht jeder, auch noch so geringfügige finanzielle Vor- oder Nachteil stellt ein wirkliches Bedürfnis für eine diskriminierende Regelung dar. Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kommt das Lohngleichheitsgebot nicht erst bei Kostenneutralität zum Zuge. Vielmehr müssen erhebliche Kostenvorteile oder -nachteile die differenzierende Regelung erfordern. Abgesehen davon, daß sich dem Sachvortrag der Beklagten das Ausmaß der bei Teilzeitbeschäftigungen zu erwartenden zusätzlichen Kosten nicht entnehmen läßt, können die Kostenfaktoren nicht isoliert betrachtet werden (BAG Urteil vom 23. Januar 1990 – 3 AZR 58/88 –, aaO, zu B II 3b der Gründe). Die Beklagte hat die Vorteile einer Teilzeitbeschäftigung nicht berücksichtigt und gegengerechnet. Selbst wenn die branchentypischen Arbeitsspitzen bei der Beklagten keine Rolle spielen, stimmen bei ihr die Ladenöffnungszeiten nicht mit der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit überein. Zumindest dies legt den Einsatz von Teilzeitbeschäftigten nahe. Die Beklagte räumt ein, daß “Stellen, die vom Arbeitsanfall her nicht für eine Vollzeitkraft ausreichten, mit Teilzeitkräften besetzt wurden”. Danach war die Beschäftigung von Teilzeitkräften selbst nach dem Konzept der Beklagten teilweise sogar geboten.

Im besonderen Fall der Klägerin ist ein betriebliches Bedürfnis nach Vollzeitbeschäftigung ohnehin nicht zu erkennen. Die Klägerin war von Anfang an mit verkürzter Arbeitszeit als Kassiererin tätig. Da sie mit der Sortimentsüberwachung und -pflege nicht befaßt war, benötigte sie keine besonderen Marktkenntnisse.

III. Die Nichtigkeit der Bestimmungen der Versorgungsordnung, durch die Teilzeitbeschäftigte von der betrieblichen Altersversorgung ausgeschlossen werden, führt nicht zur Nichtigkeit der gesamten Versorgungsordnung. Nur der Ausnahmetatbestand fällt weg. Die betriebliche Altersversorgung ist damit nicht mehr auf Vollzeitkräfte beschränkt. Der damit verbundenen Erweiterung des Anwendungsbereichs der Versorgungsordnung steht § 139 BGB nicht entgegen. § 139 BGB ist nicht anwendbar, wenn ein Teil eines Rechtsgeschäftes wegen Verstoßes gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften nichtig ist (vgl. BAGE 31, 67, 75 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung, zu III 3a der Gründe; BAG Urteil vom 4. Oktober 1978 – 5 AZR 886/77 – AP Nr. 11 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie, zu 4 der Gründe; BAGE 53, 161, 174 = AP, aaO, zu B III 1a der Gründe; Urteil vom 23. Januar 1990 – 3 AZR 58/88 –, aaO, zu B III 1 der Gründe; EuGH Urteil vom 27. Juni 1990 – Rs C 33/89 – DB 1991, 100; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 202). Auch das Lohngleichheitsgebot ist eine derartige Arbeitnehmerschutzvorschrift.

IV. Die Beklagte kann sich auf keinen Tatbestand berufen, der ein Vertrauen auf die Rechtswirksamkeit der Regelung, sei es auch nur für eine Übergangszeit, rechtfertigen könnte. Eine Entscheidung, die den Lohngleichheitsgrundsatz auch bei mittelbarer Diskriminierung verwirklicht, verstößt nicht gegen das rechtstaatliche Rückwirkungsverbot (Art. 20 Abs. 3 GG).

1. Die Beklagte konnte nicht davon ausgehen, daß eine mittelbare Diskriminierung wenigstens zeitweilig hingenommen wird.

a) Der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegen Rechtsnormen zugrunde, die seit Jahrzehnten bestehen. Das Grundrecht der Gleichberechtigung der Geschlechter (Art. 3 Abs. 2 GG) gilt seit dem 23. Mai 1949. Im Jahre 1957 ist der Grundsatz der Lohngleichheit in den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit einer für die Bürger bindenden Wirkung aufgenommen worden (Art. 119 EWG-Vertrag). Mit der Erkenntnis, daß auch die mittelbare Diskriminierung verboten ist, wird weder Richterrecht geschaffen noch eine Normlücke durch Rechtsfortbildung geschlossen, sondern lediglich der durch Art. 119 EWG-Vertrag und Art. 3 Abs. 2 GG gewährleisteten Lohngleichheit Geltung verschafft.

b) Die Problematik der mittelbaren Diskriminierung wurde zwar lange Zeit in Rechtsprechung und Literatur nicht erkannt und deshalb nicht aufgegriffen. Dennoch ist die Auslegung nur das Ergebnis einer zunehmenden Klärung der bestehenden Rechtslage.

Bereits am 15. Januar 1955, also lange vor der hier umstrittenen Versorgungsregelung der Beklagten, hat das Bundesarbeitsgericht aus dem Gleichberechtigungsgrundsatz und dem Benachteiligungsverbot den Grundsatz der Lohngleichheit von Mann und Frau bei gleicher Arbeit abgeleitet (BAGE 1, 258 = AP Nr. 4 zu Art. 3 GG, mit zustimmender Anmerkung von Beitzke). Bei dieser Rechtsprechung ist es in der Folgezeit verblieben (BAG Urteil vom 2. März 1955 – 1 AZR 246/54 – AP Nr. 6 zu Art. 3 GG; BAGE 1, 348; 4, 240; 4, 125; 4, 133 = AP Nr. 7, 16, 17, 18 zu Art. 3 GG). Der betrieblichen Altersversorgung ist auch von Anfang an Entgeltcharakter beigemessen worden. In der älteren Rechtsprechung ist von Soziallohn gesprochen worden (RAG ARS 40, 151; Hueck, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Bd. I S. 280, zu § 40 III 5c). Später wurde der Versorgungs- und Entgeltcharakter betont (vgl. vor allem BAG Urteil vom 3. April 1970 – 3 AZR 230/69 – AP Nr. 141 zu § 242 BGB Ruhegehalt; Urteil vom 12. Februar 1971 – 3 AZR 83/70 – AP Nr. 3 zu § 242 BGB Ruhegehalt – Unterstützungskassen, zu 2b der Gründe; BAGE 24, 177, 183 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu A II 2a der Gründe).

Zahlreiche Einzelfragen zum Umfang und zur Reichweite des Lohngleichheitsgebotes blieben allerdings zunächst unbeantwortet. Die bei der Benachteilung von Teilzeitbeschäftigten maßgeblichen Entscheidungsmerkmale hat der Europäische Gerichtshof entwickelt (Urteil vom 31. März 1981 – Rs 96/80 – Jenkins – EuGHE 1981, 1. Teil, S. 911 und Urteil vom 13. Mai 1986 – Rs 170/84 – Bilka – EuGHE 1986, 1607 = AP, aaO). Solange aber die Auslegung von Rechtsvorschriften im Fluß ist und Zweifelsfragen offen bleiben, können die Bürger nicht darauf vertrauen, daß die Rechtsfragen in ihrem Sinne beantwortet werden.

c) Die Beklagte beruft sich zu Unrecht auf ein Urteil des Senats vom 1. Juni 1978 (– 3 AZR 79/77 – BB 1979, 1403 = BetrAVG 1979, 200, 222). In jenem Rechtsstreit hatten die Parteien ausschließlich um die Unverfallbarkeit gestritten. Feststellungen über die Zusammensetzung der Belegschaft und die Auswirkung der Ruhegeldberechnung auf die Angehörigen der verschiedenen Geschlechter waren nicht getroffen. Es bestand daher kein Anlaß, die unmittelbare oder mittelbare diskriminierende Wirkung der Regelung zu untersuchen.

2. Ein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand wäre selbst dann nicht entstanden, wenn der Senat seine Rechtsprechung geändert oder weiterentwickelt hätte.

a) Die Gerichte sind nicht an eine einmal feststehende Rechtsprechung gebunden, wenn sich diese im Lichte neuerer Erkenntnisse oder veränderter Verhältnisse als nicht mehr haltbar erweisen sollte (BVerfGE 18, 224, 240; 59, 128, 165). Rechtssetzung und Rechtsfindung sind zu unterscheiden. Bei einer Gesetzesänderung können das Rückwirkungsverbot und der Vertrauensschutz eher eingreifen als bei einem Wandel der Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 18, 224, 240). Das Rechtsstaatsprinzip, das der richterlichen Rechtsfortbildung Grenzen setzt, enthält keine eindeutig bestimmten Gebote oder Verbote von Verfassungsrang, sondern ist nach den jeweiligen sachlichen Gegebenheiten zu konkretisieren.

Dabei ist zu beachten, daß nicht nur die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit, sondern auch die Idee der materiellen Gerechtigkeit wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips sind (vgl. BVerfGE 74, 129, 152 = AP Nr. 11 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen, zu B II 1 der Gründe).

Die betroffenen Rechtsgüter sind nach den Kriterien der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit abzuwägen (BVerfGE 59, 128, 166). Das Interesse der Beklagten an der Erhaltung ihres ursprünglich kalkulierten und 1978 erweiterten Gesamtaufwands für die Versorgung ihrer Mitarbeiter verdient keinen Vorrang gegenüber dem Interesse der Arbeitnehmer an der Befolgung des Diskriminierungsverbotes und dem Erwerb eines Versorgungsanspruchs, zumal die Beklagte entscheidenden Einfluß auf die Ausgestaltung der Versorgungsordnung hatte und die Unklarheiten der Rechtslage besser abschätzen konnte als ihre Arbeitnehmer. Wie der Senat bereits in seinen Urteilen vom 14. Oktober 1986 – 3 AZR 37/88 – n. v. und – 3 AZR 68/83 – (AP, aaO, zu III 2b der Gründe) ausgeführt hat, hat die Beklagte das Risiko der Rechtsunsicherheit in der zurückliegenden Zeit zu übernehmen.

Eine Gefahr für den Bestand des Unternehmens wird durch die für diesen Fall im Betriebsrentengesetz vorgesehene Widerrufsmöglichkeit ausgeschlossen.

Die Klägerin muß eine auch nur zeitweilige Verletzung des in Art. 119 EWG-Vertrag und Art. 3 Abs. 2 GG verankerten Lohngleichheitsgebotes nicht hinnehmen. Vorrangige Interessen der Beklagten, die dies rechtfertigen könnten, bestehen nicht.

b) Die Beklagte kann auch nicht geltend machen, sie habe bei Erlaß der Versorgungsordnung ebensowenig wie der Gesetzgeber bei der Hinterbliebenenversorgung die rechtswidrige Benachteiligung der Frauen erkannt. Es ist zwar richtig, daß der Gesetzgeber erst durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 1975 (BGBl I, 748 = BVerfGE 39, 169) zur Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung gezwungen wurde. Auf die Sachverhaltsunterschiede hat jedoch der Senat bereits in seinen Urteilen vom 14. Oktober 1986 (aaO, zu III 2b der Gründe) hingewiesen. Während Frauen in der gesetzlichen Rentenversicherung bei dem eigenen Erwerb eines Versicherungsanspruchs nicht benachteiligt waren und nur im Rahmen der Hinterbliebenenversorgung benachteiligt wurden, geht es in den Versorgungsordnungen der Beklagten ausschließlich um die Benachteiligung der Frauen bei Erwerb eines eigenen Anspruchs auf Altersversorgung.

V. Der Beklagten ist weder nach Gemeinschaftsrecht noch nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage eine Übergangsfrist zur Anpassung ihrer Versorgungsordnung einzuräumen.

1. Art. 119 EWG-Vertrag ist im vorliegenden Fall ohne zeitliche Einschränkung anzuwenden.

a) Nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie des Rates vom 24. Juli 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der betrieblichen Altersversorgung – 86/378 EWG – (ABl. der EG vom 12. August 1986, L 225, S. 40 ff.) – treffen zwar die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, daß Bestimmungen der betrieblichen Systeme, die dem Grundsatz der Gleichbehandlung entgegenstehen, spätestens bis zum 1. Januar 1993 geändert werden. Eine rückwirkende Änderung schreibt Art. 8 Abs. 2 dieser Richtlinien nicht vor. Daraus kann die Beklagte aber nicht das Recht herleiten, ihre gegen Art. 119 EWG-Vertrag verstoßende Versorgungsregelung noch zeitweilig aufrecht zu erhalten. Im Gegensatz zu den Verordnungen sind die Richtlinien nach Art. 189 Abs. 3 EWG-Vertrag nur an die Mitgliedstaaten gerichtet. Lediglich der Inhalt des zu schaffenden Rechts wird vorgeschrieben, während die Ausformung den zuständigen innerstaatlichen Stellen überlassen bleibt. Inhalt und Zweck der Richtlinien ist es nicht, die unmittelbar anwendbaren Grundsätze des EWG-Vertrages zu modifizieren oder gar zeitlich begrenzt auszusetzen (Urteile vom 14. Oktober 1986, aaO, zu III 3 der Gründe).

b) Die Richtlinien können allerdings bei den Betroffenen einen falschen Eindruck erwecken und dazu führen, daß aus Gründen der Rechtssicherheit trotz der unmittelbaren Wirkung des Art. 119 EWG-Vertrag eine rückwirkende Anwendung teilweise ausgeschlossen ist. Im Urteil vom 17. Mai 1990 (– Rs C 262/88 – Barber – DB 1990, 1824 f. = BetrAVG 1990, 203 f.) hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, daß angesichts der Richtlinien 79/7 EWG und 86/378 EWG die Mitgliedstaaten und die Betroffenen vernünftigerweise annehmen konnten, daß Art. 119 EWG-Vertrag auf private Betriebsrenten nicht anwendbar sei und daß Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in diesem Bereich noch zugelassen seien.

Die Richtlinien 79/7 EWG und 86/378 EWG lösen aber dann keinen Rechtsirrtum mehr aus, wenn der Mitgliedstaat die Richtlinie 86/378 EWG durchgeführt hat und das innerstaatliche Recht von Art. 119 EWG-Vertrag nicht abweicht. Sowohl Art. 3 Abs. 2 GG als auch der von Rechtsprechung und Wissenschaft entwickelte arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbieten Diskriminierung wegen des Geschlechts. Bereits die jahrzehntelang bestehenden innerstaatlichen Rechtsnormen ermöglichten es, die in den Richtlinien 76/207 EWG, 79/7 EWG und 86/378 EWG ausdrücklich erwähnte mittelbare Diskriminierung zu erfassen. Die Beklagte mußte schon vor Änderung ihrer Versorgungsregelungen im Jahre 1978 mit einer richtlinienkonformen Auslegung des innerstaatlichen Rechts rechnen. Daran ändert nichts, daß die im Europarecht bereits angestellten Überlegungen erst wesentlich später in Rechtsprechung und Literatur der Bundesrepublik aufgegriffen wurden.

Mit der Einfügung der §§ 611a und 612 Abs. 3 BGB durch das arbeitsrechtliche EG-Anpassungsgesetz vom 13. August 1980 (BGBl I, 1308) sollten die bestehenden Lücken im Diskriminierungsschutz, vor allem bei der Begründung und Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg geschlossen und die Verpflichtungen aus der Lohngleichheitsrichtlinie vom 10. Februar 1975 – 75/117 EWG – und aus der Gleichbehandlungsrichtlinie vom 14. Februar 1976 – 76/207 EWG – erfüllt werden (BT-Drucks. 8/3317 S. 1, 6 und 7 sowie 8/4259 S. 1 und 8). Der nationale Gesetzgeber hat von der Möglichkeit des Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie – 86/378 EWG – keinen Gebrauch gemacht. Eine zeitweilige Aufrechterhaltung diskriminierender Regelungen wäre auch mit Art. 3 Abs. 2 GG nicht vereinbar gewesen.

Im übrigen ist nach der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 17. Mai 1990 (aaO) Art. 119 EWG-Vertrag ohne Einschränkung anzuwenden, wenn der Arbeitnehmer vor Erlaß dieses Urteils Klage erhoben hat. Die Klägerin hat ihre Klage bereits am 12. November 1982 eingereicht.

c) Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 8. April 1976 (– Rs 43/75 – Defrenne II – EuGHE 1976, 1. Teil, S. 455, 480) führt im vorliegenden Fall nicht zu einer zeitlichen Einschränkung des Diskriminierungsverbotes. Der Europäische Gerichtshof hat in diesem Urteil betont, daß bei allen gerichtlichen Entscheidungen zwar ihre praktischen Auswirkungen sorgfältig erwogen werden müssen; dies dürfe aber nicht so weit gehen, daß die Objektivität des Rechts gebeugt und seine zukünftige Anwendung unterbunden werde, nur weil eine Gerichtsentscheidung für die Vergangenheit gewisse Auswirkungen haben könne. Lediglich wegen des Verhaltens mehrerer Mitgliedstaaten, die durch ihr nationales Recht die Betroffenen zur Beibehaltung der Diskriminierungen veranlaßten, hat der Europäische Gerichtshof den zeitlichen Geltungsbereich des Urteils vom 8. April 1976 begrenzt. In der Bundesrepublik bestand bereits in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG ein Diskriminierungsverbot. Die Betroffenen konnten in diesem Mitgliedstaat nicht davon ausgehen, daß trotz des Gleichberechtigungsgebots (Art. 3 Abs. 2 GG) und trotz des Benachteiligungsverbots (Art. 3 Abs. 3 GG), aus dem das Bundesarbeitsgericht den Lohngleichheitsgrundsatz für Männer und Frauen abgeleitet hatte, eine nach Art. 119 EWG-Vertrag verbotene Diskriminierung nach innerstaatlichem Recht erlaubt sei.

d) Der Europäische Gerichtshof hat sich in seinem Urteil vom 13. Mai 1986 (– Rs 170/84 – Bilka – EuGHE 1986, 1607 = AP, aaO) auf Anfrage des Senats (Beschluß vom 5. Juni 1984 – BAGE 46, 70 = AP, aaO) damit befaßt, ob die vorliegende Fallkonstellation eine mittelbare Diskriminierung darstellt und gegen Art. 119 EWG-Vertrag verstößt. Ohne die zeitliche Geltung seines Urteils zu begrenzen, hat der Europäische Gerichtshof Art. 119 EWG-Vertrag für unmittelbar anwendbar erklärt.

2. Die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage eröffnen der Beklagten keine Anpassungsfrist. Bei einem Wegfall der Geschäftsgrundlage treten die Rechtsfolgen ein, die redlich denkende Parteien verständigerweise vereinbart hätten, wenn sie die Vertragsstörung bedacht hätten. Damit wird dem Vertragszweck und dem Parteiwillen Geltung verschafft. Die Grenzen der Privatautonomie dürfen jedoch nicht überschritten werden. Der Zweck gesetzlicher Gebote und Verbote ist zu beachten. Sie können nicht über die Grundsätze der Geschäftsgrundlage unterlaufen werden.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Griebeling, Kremhelmer, Gnade, Dr. Kiefer

 

Fundstellen

Haufe-Index 839188

BAGE, 264

BB 1991, 1570

NJW 1991, 2927

NVwZ 1991, 816

RdA 1991, 253

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