Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung - Maßregelungsverbot, Anhörung des Betriebsrats

 

Orientierungssatz

1. Eine Kündigung wegen einer zulässigen Rechtsausübung liegt dann vor, wenn die Rechtsausübung für die Kündigung nicht nur in irgendeiner Weise auch ursächlich und nicht nur deren äußerer Anlaß, sondern für die Kündigung der tragende Beweggrund, dh das wesentliche Motiv gewesen ist. Ist der Kündigungsentschluß des Arbeitgebers nicht nur wesentlich, sondern ausschließlich durch die zulässige Rechtsverfolgung des Arbeitnehmers bestimmt gewesen, so deckt sich das Motiv des Arbeitgebers mit dem objektiven Anlaß zur Kündigung. Es ist dann unerheblich, ob die Kündigung auf einen anderen Kündigungssachverhalt hätte gestützt werden können, weil sich ein möglicherweise vorliegender anderer Grund auf den Kündigungsentschluß nicht kausal ausgewirkt hat und deshalb als bestimmendes Motiv für die Kündigung ausscheidet.

2. Inhalt und Umfang der dem Arbeitgeber nach § 102 BetrVG obliegenden Pflicht, dem Betriebsrat die "Gründe der Kündigung" mitzuteilen, ist nicht abhängig davon, ob der Arbeitnehmer den allgemeinen Kündigungsschutz genießt oder nicht.

3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats muß die Mitteilung des Arbeitgebers ausführlich genug sein, um dem Betriebsrat eine sachgerechte Stellungnahme zu der Kündigungsabsicht zu ermöglichen.

 

Normenkette

BGB § 612a; BetrVG § 102

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 30.08.1988; Aktenzeichen 7 Sa 31/88)

ArbG Ulm (Entscheidung vom 10.02.1988; Aktenzeichen 1 Ca 536/87)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten.

Der Kläger war seit 1. Juli 1987 als Arbeiter in dem U Betrieb der Beklagten, in dem ca. 400 Arbeitnehmer beschäftigt werden, auf verschiedenen Arbeitsplätzen (Schweißerei, Bundeswehr-Brückenmontage, Kofferbau-Montage) tätig. Sein Bruttomonatsverdienst betrug 3.000,-- DM.

Anfangs war der Kläger auf dem Arbeitsplatz eines durch Eigenkündigung ausgeschiedenen Arbeitnehmers in der Schweißerei an der UP-Anlage eingesetzt worden. Nachdem dieser auf seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt war, wurde der Kläger in der Schweißerei im Bereich Rahmenbau beschäftigt. Dort führte er in einem Fall eine Schweißnaht nicht an der dafür vorgesehenen Stelle aus. Später wurden dem Kläger Aufräumarbeiten sowie in der Abteilung Bundeswehr-Brückenmontage Hilfsschlosserarbeiten übertragen. Durch die Lieferung vorkomplettierter Werkzeugkästen entfiel die Einsatzmöglichkeit im Bereich Bundeswehr-Brückenmontage.

Ende Oktober 1987 regte sich Herr K sen., der sog. "Seniorchef", bei einer Betriebsbegehung darüber auf, daß der Kläger an seinem Arbeitsplatz mit einer Schutzbrille sowie mit Gehörschutz arbeite.

Mit Schreiben vom 29. Oktober 1987 informierte die Beklagte den Betriebsrat von der beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers. Als Kündigungsgrund teilte sie mit, der Kläger sei "für die vorgesehene Tätigkeit nicht geeignet".

Um den 3. November 1987 befragte der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende den Produktionsleiter der Beklagten nach dessen Meinung zur beabsichtigten Kündigung. Dieser antwortete sinngemäß, er wisse, daß der "Chef" wegen der vom Kläger getragenen Arbeitsschutzmittel verärgert gewesen sei; mit der Leistung des Klägers habe dies nichts zu tun gehabt.

Mit Schreiben vom 4. November 1987 widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung, da eine unzutreffende und die wirklichen Kündigungsgründe verdeckende Begründung von der Beklagten abgegeben worden sei. Auch seien die Unterhaltspflichten des Klägers nicht beachtet worden. Desweiteren seien seine Vorgesetzten bislang mit seinen Arbeitsleistungen zufrieden gewesen. Mit Sicherheit könne in einer anderen Abteilung ein Arbeitsplatz für den Kläger gefunden werden. Auch Umschulungsmaßnahmen kämen in Betracht.

Daraufhin teilte die Beklagte unter dem 9. November 1987 dem Betriebsrat mit, der Kläger sei als Ersatz für einen durch Eigenkündigung ausgeschiedenen Arbeitnehmer in der Abteilung Schweißerei - UP-Anlage eingestellt worden. Da dieser Arbeitnehmer kurze Zeit nach der Einstellung des Klägers zur Beklagten zurückgekehrt sei, könne der Kläger auf diesem Arbeitsplatz nicht mehr beschäftigt werden. In der Abteilung Rahmenbau sei man mit der Arbeitsleistung des Klägers nicht zufrieden gewesen, da er die Schweißnähte nicht an den vorgesehenen Stellen gelegt hätte. Der Einsatz des Klägers in der Abteilung Bundeswehr-Brückenmontage habe gezeigt, daß der Kläger für die dort auszuführenden Hilfsschlosserarbeiten nicht geeignet sei, denn er habe den vorgesehenen Leistungsgrad nicht erreicht. Inzwischen sei auch ein Einsatz in dieser Abteilung nicht mehr möglich, da aufgrund der Lieferung vorkomplettierter Werkzeugkästen die Arbeit des Klägers entfallen sei.

Zu diesem Schreiben nahm der Betriebsrat unter dem 16. November 1987 nochmals detailliert Stellung und widersprach erneut der geplanten Kündigung. Er berief sich darauf, die wirklichen Gründe der Kündigung seien ihm nicht mitgeteilt worden. Der Umstand, daß in der Abteilung Bundeswehr-Brückenmontage vormals acht Arbeitnehmer sechs bis sieben Fahrzeuge gefertigt hätten und nunmehr vier Arbeitnehmer, unter ihnen der Kläger, vier bis fünf Fahrzeuge täglich fertigten, spreche gegen das von der Beklagten behauptete Nichterreichen des Leistungsniveaus. Der dortige Meister hätte anhand der Arbeitskarten das behauptete schwächere Leistungsvermögen nachweisen können.

Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 19. November 1987 das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 4. Dezember 1987, wobei sie sich auf die dem Betriebsrat mitgeteilten Gründe stützte.

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Unter Bezugnahme auf die Schreiben des Betriebsrats macht er geltend, für die Tätigkeiten in den Abteilungen Schweißerei-Rahmenbau und Bundeswehr-Brückenmontage geeignet zu sein. Die Kündigung sei daher sozial ungerechtfertigt. Ferner sei sie wegen nicht ordnungsgemäßer Betriebsratsanhörung und wegen Verstoßes gegen die guten Sitten unwirksam, denn sie sei wegen des Tragens von Arbeitsschutzmitteln, was zumindest sinnvoll gewesen sei, ausgesprochen worden.

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis

mit der Beklagten nicht durch die Kündigung vom

19. November 1987 zum 4. Dezember 1987 aufgelöst

worden sei, sondern über den 4. Dezember 1987

hinaus unverändert fortbestehe.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie hat vorgetragen, die Kündigung beruhe darauf, daß der Kläger auf dem vorgesehenen Arbeitsplatz nicht mehr habe eingesetzt werden können, daß er für die Tätigkeit in der Abteilung Bundeswehr-Brückenmontage nicht geeignet sei und daß darüber hinaus die Hilfsschlosserarbeiten entfallen seien. Hierüber habe sie auch den Betriebsrat mit Schreiben vom 9. November 1987 unterrichtet.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Aufhebung des Berufungsurteils und die Abweisung der Klage. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die bisher vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen rechtfertigen nicht den Schluß, die Kündigung sei ausgesprochen worden, um den Kläger zu maßregeln; dies habe die Beklagte dem Betriebsrat auch nicht mitgeteilt.

I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Kündigung sei gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, weil die Beklagte dem Betriebsrat nicht die für ihren Kündigungsentschluß maßgebenden Gründe mitgeteilt habe. Eine ordnungsgemäße Betriebsanhörung liege nicht vor, wenn der Arbeitgeber Gründe mitteile, die ihn nicht zur Kündigung veranlaßt hätten, dagegen Umstände verschweige, auf denen sein Kündigungsentschluß beruhe.

Aufgrund des Vortrages der Parteien und des Inhalts der von ihnen vorgelegten Urkunden sei davon auszugehen, die Kündigung sei ausgesprochen worden, weil der Kläger bei der Arbeit Schutzmittel (Gehörschutz und Schutzbrille) benutzt habe. Die Beklagte habe den Vortrag des Klägers, der "Seniorchef" habe sich über dieses Verhalten des Klägers "sehr aufgeregt", nicht bestritten. Der zeitliche Ablauf spreche dafür, daß dieser Vorfall für den Kündigungsentschluß maßgeblich gewesen sei. Die Beklagte habe auch auf Nachfragen des Betriebsrats diesem gegenüber nicht offengelegt, wann und wie oft der Kläger Schweißnähte fehlerhaft gelegt haben soll und wann und in welchem Maße er den vorgesehenen Leistungsgrad nicht erreicht haben soll. Die somit nicht ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats sei nicht dadurch geheilt worden, daß der Betriebsrat den Verdacht gehegt habe, für den Kündigungsentschluß der Beklagten sei das Benutzen der Arbeitsschutzmittel maßgeblich gewesen. Die Kündigung sei bereits dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber seinen Mitteilungspflichten nicht oder nicht richtig nachgekommen sei, unabhängig davon, ob und wie der Betriebsrat zu der mangelhaften Anhörung Stellung genommen habe.

Darüber hinaus sei die Kündigung gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB nichtig.

Eine Benachteiligung sei dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber einer zulässigen Rechtsausübung mit einer Maßnahme begegne, die er gegenüber dem betroffenen Arbeitnehmer oder einem in seiner Rechtsstellung und Funktion vergleichbaren Arbeitnehmer, der die ihm zustehenden Rechte nicht ausgeübt habe, nicht vorgenommen hätte.

Da die Kündigung wegen des Benutzens von Arbeitsschutzmitteln durch den Kläger erklärt worden sei, liege eine nach § 612 a BGB unzulässige Maßregelung vor.

II. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie sind nicht, was die Revision zu Recht gerügt hat, unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung erfolgt, § 286 ZPO.

1. Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings von einer Prüfung der Sozialwidrigkeit der Kündigung abgesehen. Da das Arbeitsverhältnis des Klägers im Zeitpunkt der Kündigung noch keine sechs Monate bestand, entfällt der allgemeine Kündigungsschutz nach §§ 1 ff. KSchG.

2. Die Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigen nicht seine Annahme, die Beklagte habe den Kläger durch die ausgesprochene Kündigung gemaßregelt, weil der Kläger in zulässiger Weise Rechte ausgeübt habe, und sie habe dem Betriebsrat diesen Kündigungsgrund vorenthalten.

a) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die Frage einer unzulässigen Maßregelung geprüft.

aa) Unabhängig davon, ob das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist oder nicht, kann die Wirksamkeit einer Kündigung unter Anwendung derjenigen allgemeinen Rechtsvorschriften überprüft werden, deren Regelungsgehalt nicht in den Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes erfaßt und abschließend geregelt ist. Zu diesen Normen gehört auch § 612 a BGB (BAGE 55, 190, 195 f. = AP Nr. 1 zu § 612 a BGB, zu II 1 a der Gründe; Pröbsting, Anm. zu AP Nr. 1 zu § 612 a BGB). Die Vorschrift des § 612 a BGB erfaßt einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit, nämlich die Kündigung als Maßregelung (BAGE 55, 190, 196 = AP, aaO, zu II 1 d der Gründe; BAG Urteil vom 21. Juli 1988 - 2 AZR 527/87 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt, zu II 2 c der Gründe; Pröbsting, aa0).

bb) Die Benachteiligung bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme erfordert nicht notwendig einen konkreten Bezug zu anderen Arbeitnehmern. Sie ist vielmehr auch dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber einer zulässigen Rechtsausübung eines Arbeitnehmers mit einer Vereinbarung oder Maßnahme begegnet, die der Arbeitgeber gegenüber dem Betroffenen oder gegenüber einem anderen, in seiner Rechtsstellung und Funktion vergleichbarem Arbeitnehmer, der die ihm zustehenden Rechte nicht ausgeübt hat, nicht vorgenommen hätte (BAGE 55, 190, 197 = AP, aa0, zu II 1 d, bb der Grün de; BAG Urteil vom 21. Juli 1988 - 2 AZR 527/87 -, aaO; Pröbsting, aaO).

cc) Ob eine Maßregelung wegen einer zulässigen Wahrnehmung von Arbeitnehmerrechten vorliegt, richtet sich bei einer Kündigung nach den gleichen Rechtsgrundsätzen, die der erkennende Senat für das Verbot der Kündigung wegen Betriebsübergangs nach § 613 a Abs. 4 BGB aufgestellt hat (BAGE 55, 190, 197 = AP, aaO, mit Hinweis auf BAGE 43, 13, 21 = AP Nr. 34 zu § 613 a BGB, zu B III 1 der Gründe und Urteil vom 31. Januar 1985 - 2 AZR 530/82 - AP Nr. 40 zu § 613 a BGB; BAG Urteil vom 21. Juli 1988 - 2 AZR 527/87 -, aaO).

Demgemäß liegt eine Kündigung wegen einer zulässigen Rechtsausübung dann vor, wenn die Rechtsausübung für die Kündigung nicht nur in irgendeiner Weise auch ursächlich und nicht nur deren äußerer Anlaß, sondern für die Kündigung der tragende Beweggrund, d.h. das wesentliche Motiv gewesen ist. Ist der Kündigungsentschluß des Arbeitgebers nicht nur wesentlich, sondern ausschließlich durch die zulässige Rechtsverfolgung des Arbeitnehmers bestimmt gewesen, so deckt sich das Motiv des Arbeitgebers mit dem objektiven Anlaß zur Kündigung. Es ist dann unerheblich, ob die Kündigung auf einen anderen Kündigungssachverhalt hätte gestützt werden können, weil sich ein möglicherweise vorliegender anderer Grund auf den Kündigungsentschluß nicht kausal ausgewirkt hat und deshalb als bestimmendes Motiv für die Kündigung ausscheidet. Eine dem Maßregelungsverbot widersprechende Kündigung kann auch dann vorliegen, wenn an sich ein Sachverhalt gegeben ist, der eine Kündigung des Arbeitgebers gerechtfertigt hätte. Während das Kündigungsschutzgesetz auf die objektive Sachlage zum Zeitpunkt der Kündigung und nicht auf den Beweggrund der Kündigung durch den Arbeitgeber abstellt und deswegen das Nachschieben materieller Kündigungsgründe - unbeschadet betriebsverfassungsrechtlicher Vorschriften - insoweit zulässig ist, schneidet § 612 a BGB - ebenso wie § 613 a Abs. 4 BGB - die Kausalkette für andere Gründe ab, die den Kündigungsentschluß des Arbeitgebers nicht bestimmt haben. Kausal für die Kündigung ist dann vielmehr allein der ausschließliche Beweggrund der unzulässigen Benachteiligung gewesen. Nur dann, wenn das Motiv des Arbeitgebers nicht ausschließlich durch einen vom Gesetz ausgeschlossenen Kündigungsgrund bestimmt worden ist, stellt sich die vom erkennenden Senat in den Urteilen vom 31. Januar 1985 (aaO) und 2. April 1987 (BAGE 55, 190 = AP, aa0) nicht abschließend beantwortete Frage, ob das Benachteiligungsverbot dann eingreift, wenn bei mehreren Kündigungsgründen die Maßregelung (bzw. bei § 613 a Abs. 4 BGB die Kündigung wegen des Betriebsübergangs) für den Arbeitgeber zwar nicht das alleinige, aber das wesentliche Motiv gewesen ist (BAGE 55, 190, 197 f. = AP, aa0).

dd) Den klagenden Arbeitnehmer trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß er wegen seiner Rechtsausübung von dem verklagten Arbeitgeber durch den Ausspruch der Kündigung benachteiligt worden ist (BAGE 55, 190, 198 = AP, aaO, zu II 1 d, cc der Gründe; BAG Urteil vom 21. Juli 1988 - 2 AZR 527/87 -, aaO, zu II 2 c, bb der Gründe; LAG Hamm Urteile vom 18. Dezember 1987 - 17 Sa 1225/87 - LAGE Nr. 1 zu § 612 a BGB und vom 15. Januar 1985 - 7 (5) Sa 1430/84 - LAGE Nr. 5 zu § 20 BetrVG 1972; Lorenz, DB 1980, 1745, 1747; Knigge, BB 1980, 1272, 1276; Schleicher, ARBlattei, (D) Gleichbehandlung im Arbeitsverhältnis, II D VIII 3; MünchKomm-Schaub, BGB, 2. Aufl., § 612 a Rz 11; Soergel/Kraft, BGB, 11. Aufl., Nachträge, § 612 a Rz 6; Erman/Küchenhoff, BGB, 7. Aufl., § 612 a Rz 2); er hat den Kausalzusammenhang zwischen Rechtsausübung und Kündigung darzulegen. Die Regelung des § 612 a BGB enthält im Gegensatz zu § 611 a Abs. 1 Satz 3 BGB und § 612 Abs. 3 Satz 3 BGB keine besondere Beweislastregelung zugunsten der Arbeitnehmer. Die Beweiserleichterung des § 611 a Abs. 1 Satz 3 BGB kann auf § 612 a BGB nicht übertragen werden (BAGE 55, 190, 198 = AP, aaO, zu II 1 d, cc der Gründe; Pfarr/Bertelsmann, Gleichbehandlungsgesetz 1985, Rz 188; Soergel/Kraft, aa0). Es wird allerdings erwogen, ob insoweit zugunsten des Arbeitnehmers der Beweis des ersten Anscheins eingreifen kann (BAGE 55, 190, 198 = AP, aaO; Urteil vom 21. Juli 1988 - 2 AZR 527/87 -, aaO).

3. Unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze steht noch nicht abschließend fest, ob die Kündigung gegen § 612 a BGB verstößt, sofern mit dem Landesarbeitsgericht davon ausgegangen wird, der Kläger habe die Schutzkleidung in Ausübung vermeintlicher Rechte getragen - es fehlt insoweit schon an tatsächlichen Feststellungen, ob der Kläger überhaupt in Ausübung irgendwelcher Schutzvorschriften handeln wollte - oder ob sie bei fehlender Rechtsausübung des Klägers gemäß § 138 BGB sittenwidrig ist, und ob demgemäß dem Betriebsrat der wahre Kündigungsgrund vorenthalten worden ist.

a) Soweit das Landesarbeitsgericht seine Feststellung, die Kündigung sei ausgesprochen worden, weil der Kläger bei der Arbeit Schutzmittel benutzt habe, auf die Tatsache des Unmuts des "Seniorchefs" der Beklagten, die Äußerung des Produktionsleiters und auf den zeitlichen Ablauf der Geschehnisse gestützt hat, rügt die Revision gemäß § 554 Abs. 3 Nr. 3 b, § 286 ZPO zu Recht, die von ihr vorgetragenen Kündigungsgründe seien vom Landesarbeitsgericht überhaupt nicht gewürdigt worden.

b) Die Beweiswürdigung kann in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden, ob sie rechtlich möglich ist und ob sich der Tatsachenrichter mit dem Beweisergebnis umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verletzung von Denkgesetzen und Verfahrensregeln auseinandergesetzt hat (Senatsurteil vom 20. März 1958 - 2 AZR 60/55 - AP Nr. 3 zu § 580 ZPO, zu 3 b der Gründe; BAG Urteil vom 30. Mai 1984 - 4 AZR 146/82 - AP Nr. 2 zu § 21 MTL II, zu III 3 der Gründe; Senatsurteil vom 10. Juni 1988 - 2 AZR 801/87 -, n.v., zu II 3 d, bb der Gründe).

Das Landesarbeitsgericht hat bei seiner Entscheidung nicht alle von der Beklagten vorgetragenen Tatsachen berücksichtigt.

aa) Gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat der Tatsachenrichter sich seine Überzeugung darüber, ob eine streitige Behauptung wahr ist oder nicht, unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme zu bilden. Grundlage der Beweiswürdigung ist der gesamte Inhalt der Verhandlungen. § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO gibt dem Richter auf, sich in den Entscheidungsgründen mit maßgebenden Tatsachen in Form einer umfassenden und widerspruchsfreien Würdigung auseinanderzusetzen. Aus ihr müssen die Gründe erkennbar sein, die für die richterliche Überzeugung maßgebend waren (BAGE 7, 51, 62 = AP Nr. 18 zu § 3 KSchG, zu B 3 b der Gründe; BAGE 14, 132, 135 = AP Nr. 1 zu § 2 HAG; BAG Urteil vom 6. Dezember 1963 - 5 AZR 234/63 - AP Nr. 1 zu § 286 ZPO; Urteil vom 27. Januar 1970 - 1 AZR 211/69 - AP Nr. 2 zu § 286 ZPO, zu 1 b der Gründe; Thomas/Putzo, ZPO, 15. Aufl., § 286 Anm. 2 b; Stein/Jonas, ZPO, 20. Aufl., § 286 Rz 12). Dabei ist es allerdings nicht erforderlich, auf jedes einzelne Vorbringen der Parteien, jede einzelne Zeugenaussage oder jedes einzelne Beweismittel einzugehen und sich damit auseinanderzusetzen, wenn sich nur insgesamt ergibt, daß überhaupt eine sachentsprechende Beurteilung erfolgt ist (BGHZ 3, 162, 175; BGH LM § 383 ZPO Nr. 2, zu II 2 der Gründe; BGH Urteil vom 27. September 1951 - IV ZR 155/50 - MdR 1952, Beilage 1, S. B 7, 64/52; so auch: Stein/Jonas, aa0, § 286 Rz 12; Rohlfing/Rewolle/Bader, ArbGG, Stand Juni 1987, § 58 Anm. 3; Thomas/Putzo, aa0, § 286 Anm. 2 b; Schaub, Formularsammlung, 4. Aufl., § 96 II 2, S. 560).

bb) Diesen Anforderungen genügt die vom Berufungsgericht vorgenommene Tatsachenwürdigung nicht.

Entscheidungserheblich und zwischen den Parteien streitig ist die Tatsache des für den Kündigungsentschluß maßgebenden Grundes.

Das Berufungsgericht hat umfassend den vom Kläger vorgetragenen Kündigungssachverhalt des Tragens von Schutzmitteln am Arbeitsplatz gewürdigt. Es hat sich jedoch mit dem von der Beklagten vorgetragenen Sachverhalt nicht in der Weise auseinandergesetzt, daß erkennbar geworden ist, warum es den von ihm festgestellten Grund als den tragenden angesehen hat. Teile des Vortrags der Beklagten, wie der Wegfall des Arbeitsplatzes in der Abteilung Bundeswehr-Brückenmontage durch die Lieferung vorkomplettierter Werkzeugkästen, - dies ist unstreitig zwischen den Parteien - hat es gar nicht in seine Würdigung miteinbezogen. Das ist vorliegend deshalb erheblich, weil sich aus den Äußerungen des Seniorchefs und des Produktionsleiters sowie aus dem zeitlichen Ablauf der Geschehnisse allein nichts für den maßgebenden Kündigungsentschluß der Beklagten herleiten läßt. Da weder der nicht mehr mit Kompetenzen ausgestattete Seniorchef noch der Produktionsleiter die Kündigung ausgesprochen und zuvor die Anhörung des Betriebsrats veranlaßt haben, kommt es entscheidend darauf an, von welchen Beweggründen der die Kündigung Aussprechende ausgegangen ist. Es fehlt jegliche Feststellung, ob diesem überhaupt der Unmut des Seniorchefs bekannt war.

Auch soweit das Berufungsgericht seine Überzeugung darauf gestützt hat, die Beklagte habe auch im Prozeß Zeitpunkt, Art und Umfang der Leistungsmängel des Klägers nicht offengelegt, hat es nicht gewürdigt, daß der Kläger in seiner Berufungsbegründung selbst eingeräumt hat, in einem Fall die Schweißnaht nicht ordnungsgemäß gelegt zu haben. Die Tatsache, daß die Beklagte weder gegenüber dem Betriebsrat noch im Prozeß weitere Einzelheiten bezüglich der Leistungsmängel vorgetragen hat, ist aufgrund dieser unstreitigen - wenn auch einmaligen - Schlechtleistung nicht mehr geeignet, Beweisanzeichen dagegen zu sein, die Beklagte habe wegen der Schlechtleistung gekündigt.

4. Die Frage, ob die Kündigung wegen nicht ordnungsgemäßer Betriebsratsanhörung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam ist, kann abschließend erst beurteilt werden, wenn der Kündigungsgrund festgestellt ist.

Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung anzuhören, anderenfalls ist die Kündigung unwirksam.

Das Anhörungserfordernis gilt ausnahmslos und unabhängig von der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes (BAGE 30, 386, 390 = AP Nr. 17 zu § 102 BetrVG 1972, zu III 2 der Gründe; BAGE 31, 1, 4 = AP Nr. 18 zu § 102 BetrVG 1972, zu II 2 der Gründe; BAGE 31, 83, 89 = AP Nr. 19 zu § 102 BetrVG 1972, zu II 2 der Gründe; Urteil vom 27. Oktober 1988 - 2 AZR 186/88 -, n.v.; BAGE 44, 201, 205 = AP Nr. 29 zu § 102 BetrVG 1972, zu A I 2 a der Gründe; Urteil vom 8. September 1988 - 2 AZR 103/88 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II 1, 2 der Gründe, m.w.N.; KR-Etzel, 3. Aufl., § 102 BetrVG Rz 10; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 102 Rz 33; GK-Kraft, BetrVG, 3. Bearb., § 102 Rz 8; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 102 Rz 4; Stahlhacke, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 4. Aufl., Rz 180, 203; G. Hueck, Anm. zu AP Nr. 17, 18 zu § 102 BetrVG 1972).

Auch der Inhalt und Umfang der dem Arbeitgeber nach § 102 BetrVG obliegenden Pflicht, dem Betriebsrat die "Gründe der Kündigung" mitzuteilen, ist nicht abhängig davon, ob der Arbeitnehmer den allgemeinen Kündigungsschutz genießt oder nicht (BAGE 30, 386, 390; 31, 1, 4; 31, 83, 89; 44, 201, 205 = jeweils AP, aaO; Urteil vom 27. Oktober 1988 - 2 AZR 186/88 -, n.v., zu II 1 der Gründe; Urteil vom 8. September 1988 - 2 AZR 103/88 -, aaO, zu II 2 a der Gründe, m.w.N.; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, Rz 19; Stahlhacke, aaO, Rz 180, 203, 209; v. Hoyningen-Huene, SAE 1979, 214 f.; GK-Kraft, aaO, Rz 33; einschränkend Dietz/Richardi, aaO, Rz 55).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats muß die Mitteilung des Arbeitgebers ausführlich genug sein, um dem Betriebsrat eine sachgerechte Stellungnahme zu der Kündigungsabsicht zu ermöglichen (BAGE 27, 209, 213 = AP Nr. 4 zu § 102 BetrVG 1972, zu II 3 a der Gründe; BAGE 31, 1, 4, 5 = AP, aaO, zu II 2 a der Gründe). Der Arbeitgeber darf wesentliche Umstände des Sachverhalts, aus dem er kündigen will, dem Betriebsrat nicht verschweigen, wobei der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Gründe angeben muß, die aus seiner subjektiven Sicht für seinen Kündigungsentschluß maßgebend sind. Daher sind vom Arbeitgeber nicht alle Gründe zu nennen, die objektiv möglicherweise für die Kündigung von Bedeutung sein könnten. Glaubt der Arbeitgeber, mehrere Gründe für die Kündigung anführen zu können, so darf er sich bei der Mitteilung an den Betriebsrat auf einen oder einzelne der nach seiner Ansicht bestehenden und für seinen Entschluß maßgebenden Gründe beschränken (BAGE 31, 1, 7 = AP, aaO, zu II 3 b der Gründe; LAG Düsseldorf Urteil vom 5. Februar 1980 - 8 Sa 597/79 - EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 41). Wird der für den Arbeitgeber maßgebende Kündigungssachverhalt jedoch bewußt unvollständig dem Betriebsrat mitgeteilt, so liegt eine irreführende und daher nicht ordnungsgemäße Mitteilung vor, die zur Nichtigkeit der Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG führt (BAGE 44, 201, 206 = AP, aa0, zu A I 2 b der Gründe). Auch die Mitteilung von Scheingründen unter bewußtem Verschweigen der wahren Kündigungsgründe genügt nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung. Denn bei der Mitteilung von vorgeschobenen Gründen/Scheingründen hat der Arbeitgeber den Betriebsrat über die Gründe, die ihn zur Kündigung veranlassen, gerade nicht unterrichtet (vgl. BAGE 31, 1, 8 = AP, aaO; Urteil vom 12. April 1984 - 2 AZR 76/83 -, n.v., zu II der Gründe; KR-Etzel, aa0, § 102 BetrVG Rz 62 a; Stahlhacke, aa0, Rz 209; von Hoyningen- Huene, aa0; G. Hueck, aa0).

Da die Revision die Feststellung des Berufungsgerichts, das Tragen von Arbeitsschutzmitteln am Arbeitsplatz sei für den Kündigungsentschluß ursächlich gewesen mit Erfolg mit Verfahrensrügen angegriffen hat, ist es für die Frage der Wirksamkeit der Anhörung des Betriebsrates entscheidungserheblich, welcher Kündigungssachverhalt für den Kündigungsentschluß der Beklagten maßgeblich gewesen ist.

Vorsitzender Richter Hillebrecht Triebfürst Ascheid

ist wegen Urlaubs an der Unter-

schrift verhindert

Triebfürst

Thieß Mauer

 

Fundstellen

Gewerkschafter 1989, Nr 10, 38-38 (ST1)

RzK, I 8l Nr 15 (ST1-3)

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