Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensfehler. Unzulässige Zurückverweisung an das Arbeitsgericht

 

Orientierungssatz

1. Das Verbot des § 68 ArbGG, den Rechtsstreit wegen eines Verfahrensfehlers an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen, gilt auch bei schwerwiegenden Fehlern. Eine Zurückverweisung kommt ausnahmsweise in Betracht, wenn der Verfahrensfehler des Arbeitsgerichts vom Landesarbeitsgericht nicht korrigiert werden kann.

2. Hat das Arbeitsgericht – so im Streitfall – zu Unrecht angenommen, zwischen den Parteien beständen statt eines einheitlichen zwei Arbeitsverhältnisse – ein deutschem und ein kuwaitischem Recht unterfallendes –, und hat es einen Kündigungsschutzantrag dahin ausgelegt, dass er sich nur gegen die Kündigung des dem deutschen Recht unterfallenden Arbeitsverhältnisses richte, verstößt es gegen § 308 Abs. 1 ZPO.

3. Legt der Arbeitnehmer gegen die Abweisung seiner so verstandenen Klage Berufung ein, gelangt gleichwohl der gesamte Streitgegenstand in die Berufungsinstanz. Das Landesarbeitsgericht kann den Verfahrensfehler selbst beheben. Für eine Zurückverweisung der Sache an das Arbeitsgericht besteht kein Raum.

 

Normenkette

ArbGG § 68; ZPO § 261 Abs. 3, §§ 301, 308 Abs. 1, §§ 321, 538 Abs. 2; EuGVVO Art. 19 Nr. 1; EGBGB a.F. Art. 27 Abs. 1, Art. 30

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 16.08.2012; Aktenzeichen 13 Sa 1408/11)

ArbG Oberhausen (Urteil vom 19.08.2011; Aktenzeichen 3 Ca 922/10)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 16. August 2012 – 13 Sa 1408/11 – aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen und Gehaltsansprüche des Klägers.

Der Kläger war bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen seit etwa 30 Jahren beschäftigt. Ab 1983 erbrachte er seine Tätigkeit in Kuwait, zuletzt als „General Manager”. Dem Arbeitsverhältnis lag ein Arbeitsvertrag von September 2004 zugrunde. Dort war ua. bestimmt, dass der Vertrag „ausschließlich dem Arbeitsgesetz und den anderen relevanten Gesetzen in Kuwait in der jeweils gültigen Fassung” unterliege.

Mit Schreiben vom 26. Oktober 2007 kündigte die Rechtsvorgängerin der Beklagten das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit der Begründung, der Kläger habe gezielt Auftragsvergaben zu ihren Lasten beeinflusst. Mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht.

Am 2. April 2008 kündigte die Rechtsvorgängerin der Beklagten vorsorglich erneut außerordentlich. Mit Schriftsatz vom 9. September 2008 hat sich der Kläger auch gegen diese Kündigung gewandt und darüber hinaus Ansprüche aus Annahmeverzug geltend gemacht.

Er hat zuletzt beantragt

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 26. Oktober 2007 nicht beendet worden ist, sondern ungekündigt fortbesteht;
  2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 2. April 2008 beendet worden ist;
  3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 120.039,30 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 13.337,70 Euro seit dem jeweils Ersten der Monate Januar 2008 bis einschließlich September 2008 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Kündigungen für wirksam gehalten. Ansprüche aus Annahmeverzug beständen nicht.

Am 7. Oktober 2008 hat der Kläger in der arbeitsrechtlichen Streitigkeit der Parteien auch vor einem kuwaitischen Gericht Klage erhoben. Mit Urteil vom 9. Januar 2012 hat die dortige erste Instanz zu seinen Gunsten entschieden. Die Beklagte hat Rechtsmittel eingelegt.

Im vorliegenden Verfahren hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, Gegenstand des Rechtsstreits sei ein – deutschem Recht unterliegendes – Arbeitsverhältnis gewesen, das neben demjenigen bestanden habe, welches durch Vertrag vom September 2004 begründet worden sei und kuwaitischem Recht unterliege. Es sei durch die außerordentliche Kündigung vom 26. Oktober 2007 wirksam beendet worden. Den Fortbestand des dem kuwaitischen Recht unterliegenden Arbeitsverhältnisses habe der Kläger – ausschließlich – bei den kuwaitischen Gerichten geltend gemacht. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Arbeitsgericht zurückverwiesen. Mit der Revision begehrt die Beklagte, das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das angegriffene Urteil war aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dieses musste in der Sache entscheiden und durfte den Rechtsstreit nicht seinerseits an das Arbeitsgericht zurückverweisen. Der Senat selbst kann über die Klageanträge nicht abschließend befinden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).

I. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsstreit zu Unrecht an das Arbeitsgericht zurückverwiesen.

1. Gemäß § 68 ArbGG ist die Zurückverweisung des Rechtsstreits wegen eines Mangels im Verfahren des Arbeitsgerichts unzulässig.

a) Die Vorschrift schränkt die in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO für den Fall eines Verfahrensmangels vorgesehene Möglichkeit der Zurückverweisung an die erste Instanz ein (vgl. GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 68 Rn. 1). Im arbeitsgerichtlichen Verfahren hat das Berufungsgericht grundsätzlich selbst in der Sache zu entscheiden. Die Vorschrift dient der Prozessbeschleunigung (BAG 4. Dezember 1958 – 2 AZR 282/57 – zu 3 der Gründe, BAGE 7, 99). Sie gilt auch bei schwerwiegenden Verfahrensfehlern (GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 68 Rn. 2; ErfK/Koch 14. Aufl. § 68 ArbGG Rn. 1).

b) Eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht kommt – neben den in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 7 ArbGG genannten Fällen – ausnahmsweise in Betracht, wenn ein Verfahrensfehler vorliegt, der in der Berufungsinstanz nicht korrigiert werden kann (BAG 20. Februar 2014 – 2 AZR 248/13 –; GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 68 Rn. 4; GK-ArbGG/Vossen § 68 Rn. 12; Düwell/Lipke/Maul-Sartori ArbGG 3. Aufl. § 68 Rn. 10; Hauck/Helml/Biebl ArbGG 4. Aufl. § 68 Rn. 4; ErfK/Koch 14. Aufl. § 68 ArbGG Rn. 2). Das ist etwa der Fall, wenn das Gericht erster Instanz eine Entscheidung getroffen hat, ohne dass – wirksam – Sachanträge gestellt worden wären (BAG 26. Juni 2008 – 6 AZR 478/07 – Rn. 20) oder wenn ein Urteil gegen eine in Wahrheit nicht beklagte Partei ergangen ist (BAG 20. Februar 2014 – 2 AZR 248/13 –).

2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts leidet das Urteil des Arbeitsgerichts im Streitfall nicht an einem solchen nicht korrigierbaren Verfahrensmangel.

a) Allerdings hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, das Arbeitsgericht habe gegen § 308 Abs. 1 ZPO verstoßen, weil es dem Kläger etwas abgesprochen habe, was nicht beantragt worden sei.

aa) Gemäß § 308 Abs. 1 ZPO ist das Gericht nicht befugt, einer Partei etwas zu- oder abzusprechen, was nicht beantragt ist. Die Regelung ist Ausdruck der im Zivilprozess geltenden Dispositionsmaxime. Das Gericht darf nur über den geltend gemachten Anspruch und Streitgegenstand entscheiden. Die Antragsbindung besteht sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Das Gericht darf weder über ein „plus” noch ein „aliud” befinden (Zöller/Vollkommer ZPO 30. Aufl. § 308 Rn. 2; Musielak/Musielak ZPO 10. Aufl. § 308 Rn. 7).

bb) Nach dem für das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren geltenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den gestellten Antrag (Klageantrag) und den ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt. Der Streitgegenstand ändert sich, wenn der entweder gestellte Antrag oder der ihm zugrunde liegende Lebenssachverhalt ein anderer geworden ist (BAG 26. Juni 2013 – 5 AZR 428/12 – Rn. 16; 13. Dezember 2011 – 1 AZR 508/10 – Rn. 21 mwN).

cc) Danach hat das Arbeitsgericht über einen Anspruch entschieden, den der Kläger nicht geltend gemacht hatte, und gegen § 308 Abs. 1 ZPO verstoßen. Es hat zwar, indem es die Wirksamkeit der Kündigung vom 26. Oktober 2007 angenommen und die Klage abgewiesen hat, über den gestellten Klageantrag entschieden. Es hat seiner Entscheidung jedoch einen anderen als den vom Kläger geltend gemachten Klagegrund und Lebenssachverhalt zugrunde gelegt.

(1) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, zwischen den Parteien habe nur ein Arbeitsverhältnis bestanden. Dieses sei Anfang der achtziger Jahre begründet und durch den Vertrag vom September 2004 lediglich auf eine neue Grundlage gestellt worden. Für die Auffassung des Arbeitsgerichts, neben das seinerzeit begründete habe im September 2004 ein weiteres – nunmehr kuwaitischem Recht unterliegendes – Arbeitsverhältnis treten sollen, gibt es nach dem Vortrag der Parteien keine tatsächlichen Anhaltspunkte.

(2) Auf der Grundlage seiner Annahme, es bestünden zwei – das eine deutschem, das andere kuwaitischem Recht unterstehende – Arbeitsverhältnisse, hat das Arbeitsgericht über einen vom Kläger nicht vorgebrachten und auch tatsächlich nicht existenten Lebenssachverhalt entschieden. Zugleich hat es eine Entscheidung über den maßgeblichen Streitgegenstand unterlassen.

b) Der Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO erlaubt gleichwohl nicht die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht. Es handelt sich nicht um einen Verfahrensfehler, der nicht vom Landesarbeitsgericht korrigiert werden könnte.

aa) Gemäß § 528 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG unterliegen der Entscheidung des Berufungsgerichts nur die Berufungsanträge. Das Berufungsgericht ist danach nur insoweit zur Entscheidung befugt, wie ihm der Rechtsstreit zur Entscheidung angefallen ist. Dies setzt voraus, dass das Eingangsgericht über den erstinstanzlich rechtshängig gemachten Streitgegenstand entschieden hat und die Entscheidung angefochten worden ist. Ob und inwieweit über einen Anspruch erstinstanzlich entschieden wurde, ist im Einzelfall durch Auslegung des angefochtenen Urteils zu ermitteln (vgl. MünchKommZPO/Rimmelspacher 4. Aufl. § 528 Rn. 7).

(1) Hat das Gericht erster Instanz ein Endurteil erlassen, dabei aber über einen Streitgegenstand oder einen abtrennbaren Teil desselben bewusst nicht entschieden, liegt ein Teilurteil iSv. § 301 ZPO vor. Der von ihm nicht erfasste Streitgegenstand bleibt beim Eingangsgericht anhängig. Etwas anderes gilt nur, wenn ein Teilurteil unzulässig ist. In diesem Fall kann das Rechtsmittelgericht den nicht von der Entscheidung erfassten Teil des Streitgegenstands an sich ziehen und so den unzulässig geteilten Streitgegenstand wieder zusammenführen (BAG 24. November 2004 – 10 AZR 169/04 – zu B I 4 c der Gründe, BAGE 113, 21; BGH 13. Oktober 2000 – V ZR 356/99 – zu III der Gründe).

(2) Hat das Gericht erster Instanz über einen von mehreren Streitgegenständen versehentlich nicht entschieden, bleibt dieser Teil ebenfalls zunächst bei ihm anhängig. Der Kläger kann die Ergänzung des Urteils nach § 321 ZPO beantragen. Versäumt er die Frist des § 321 Abs. 2 ZPO, erlischt die Rechtshängigkeit des betreffenden Streitgegenstands.

(3) Etwas anderes gilt, wenn das Gericht erster Instanz über einen Streitgegenstand deshalb nicht entschieden hat, weil es das Klagebegehren unzutreffend ausgelegt hat (vgl. Zöller/Heßler ZPO 30. Aufl. § 528 Rn. 12). In einem solchen Fall hat es aus seiner Sicht – wenngleich objektiv rechtsfehlerhaft – über das ganze Klagebegehren und damit über den gesamten Streitstoff entschieden. Zum Inhalt seiner Entscheidung gehört auch die Frage, welcher Anspruch erhoben und beschieden worden ist (vgl. BGH 28. Mai 1998 – I ZR 275/95 – zu II 2 a der Gründe). Legt die beschwerte Partei gegen die Entscheidung Berufung ein, gelangt der Streitgegenstand folglich insgesamt in die zweite Instanz (vgl. MünchKommZPO/Rimmelspacher 4. Aufl. § 528 Rn. 8; Prütting/Gehrlein/Oberheim ZPO 5. Aufl. § 528 Rn. 6). Der Rechtsfehler des erstinstanzlichen Gerichts kann damit durch das Berufungsgericht korrigiert werden. Für einen Antrag auf Erlass eines Ergänzungsurteils nach § 321 ZPO ist dementsprechend kein Raum (BGH 27. November 1979 – VI ZR 40/78 – zu II 2 b der Gründe).

bb) Hier ist dem Landesarbeitsgericht der Gegenstand des arbeitsgerichtlichen Verfahrens vollständig zur Entscheidung angefallen. Die „Auswechslung” des dem Kündigungsschutzantrag zugrunde liegenden Lebenssachverhalts durch das Arbeitsgericht hat nicht bewirkt, dass ein Teil des Streitgegenstands noch in erster Instanz anhängig geblieben wäre.

(1) Das Arbeitsgericht hat angenommen, die Parteien stritten lediglich über den Fortbestand eines dem deutschen Recht unterliegenden Arbeitsverhältnisses. Ein Streit über das mit Vertrag von September 2004 begründete weitere Arbeitsverhältnis sei bei ihm nicht anhängig. Damit hat es sowohl nach dem formellen Antrag als auch inhaltlich über den gesamten ihm aus seiner Sicht unterbreiteten Lebenssachverhalt entschieden. Sein Rechtsfehler besteht nicht darin, dass es über einen Teil des geltend gemachten Begehrens nicht entschieden hätte, sondern darin, dass es das Begehren des Klägers unzutreffend ausgelegt hat. Diesen Rechtsfehler hat der Kläger mit seiner Berufung gerügt. Auf diese Weise ist der gesamte Streitstoff in die Rechtsmittelinstanz gelangt. Über ihn konnte und musste das Berufungsgericht mit Blick auf § 68 ArbGG selbst entscheiden.

(2) Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Parteien „verlören” in diesem Fall eine Instanz. Den Verlust einer (Tatsachen-)Instanz hat der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen (Bader/Creutzfeldt/Friedrich ArbGG 5. Aufl. § 68 Rn. 1; Däuber/Hjort/Schubert/Wolmerath ArbGG 3. Aufl. § 68 Rn. 1). Er wird durch die Beschleunigung des Verfahrens aufgewogen (BAG 4. Dezember 1958 – 2 AZR 282/57 – BAGE 7, 99). Das Rechtsstaatsprinzip verlangt nicht zwingend einen mehrstufigen Instanzenzug. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, unter Abwägung und Ausgleich der betroffenen Interessen zu entscheiden, ob es bei einer Instanz bleiben soll, ob mehrere Instanzen bereitgestellt werden und unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können (vgl. BVerfG 30. April 2003 – 1 PBvU 1/02 – [Fachgerichtlicher Rechtsschutz] zu C I 2 a der Gründe, BVerfGE 107, 395; BAG 4. Mai 2011 – 7 AZR 252/10 – Rn. 30, BAGE 138, 9).

II. Ob die Klage zulässig und begründet ist, vermag der Senat nicht abschließend zu beurteilen. Das Landesarbeitsgericht hat dies – aus seiner Sicht folgerichtig – nicht geprüft und dazu keine Feststellungen getroffen. Dies wird es unter Beachtung der nachstehenden Erwägungen nachzuholen haben.

1. Die deutschen Gerichte sind – wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen hat – international zuständig.

a) Die internationale Zuständigkeit richtet sich nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO). Der für ihre Anwendung erforderliche Auslandsbezug ist gegeben. Nach dem Erwägungsgrund Nr. 8 reicht es insoweit aus, dass der fragliche Rechtsstreit einen Bezugspunkt zum Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufweist (vgl. HK-ZPO/Dörner 5. Aufl. VO (EG) Vorbem. zu Art. 1 Rn. 3; Musielak/Stadler ZPO 10. Aufl. VO (EG) Art. 2 Rn. 2; zur Rechtslage nach dem EuGVÜ EuGH 13. Juli 2000 – C-412/98 –).

b) Nach Art. 19 Nr. 1 EuGVVO kann ein Arbeitgeber vom Arbeitnehmer vor den Gerichten des Mitgliedstaats verklagt werden, in dem er seinen Wohnsitz hat. Gesellschaften und juristische Personen haben ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet (Art. 60 Abs. 1 EuGVVO). Der Sitz der Beklagten liegt in Deutschland.

2. In prozessualer Hinsicht wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben, ob die Entscheidung der kuwaitischen Gerichte einer eigenen Sachentscheidung entgegensteht.

a) Gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO darf die Streitsache während der Dauer der Rechtshängigkeit von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden. Ist die Sache bereits bei einem anderen Gericht rechtshängig, ist die zweite Klage als unzulässig abzuweisen (zB MünchKommZPO/Becker-Eberhard 4. Aufl. § 261 Rn. 42). Das gilt grundsätzlich auch für die Rechtshängigkeit im Ausland, sofern mit der Anerkennung der vom ausländischen Gericht zu treffenden Entscheidung zu rechnen ist (BGH 10. Oktober 1985 – I ZR 1/83 – zu I 1 der Gründe). Hat ein Gericht die bereits bestehende anderweitige Rechtshängigkeit übersehen und rechtskräftig in der Sache entschieden, muss das andere Gericht die Rechtskraft dieses Urteils seinerseits beachten und muss die bei ihm anhängige Klage als unzulässig abweisen (BGH 6. Oktober 1982 – IVb ZR 729/80 – zu II 2 a der Gründe; MünchKommZPO/Becker-Eberhard, aaO).

b) Die Rechtskraft eines Urteils steht der Sachentscheidung in einem anderen Verfahren allerdings nur entgegen, wenn die Gegenstände beider Streitigkeiten identisch sind. Eine Identität ist gegeben, wenn Klageantrag und Lebenssachverhalt übereinstimmen (vgl. BGH 17. Mai 2001 – IX ZR 256/99 – zu A I 1 der Gründe). Dies ist nicht der Fall, wenn sich entweder der Antrag oder der zur Entscheidung gestellte Lebenssachverhalt nicht deckt (MünchKomm-ZPO/Becker-Eberhard 4. Aufl. § 261 Rn. 56).

c) Die anderweitige Rechtshängigkeit sowie die entgegenstehende Rechtskraft sind Prozesshindernisse, die grundsätzlich von Amts wegen zu berücksichtigen sind. Amtsprüfung bedeutet dabei keine Amtsermittlung, sondern verlangt nur, einen Sachverhalt, der ein solches Hindernis ergibt, auch ohne entsprechende Rüge zu berücksichtigen. Das Gericht kann zu einem Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO verpflichtet sein, wenn Anlass zu der Annahme besteht, es könnte ein Verfahrenshindernis vorliegen (BGH 20. Januar 1989 – V ZR 173/87 – zu 2 der Gründe).

d) Im Streitfall ist der Rechtsstreit in Kuwait – entgegen der Feststellung des Landesarbeitsgerichts – nicht vor, sondern nach der hier zu bescheidenden Klage rechtshängig geworden. Eine dortige Entscheidung in der Sache bildete daher – abgesehen von ihrer Anerkennungsfähigkeit – nur dann ein Prozesshindernis im hiesigen Verfahren, wenn die Entscheidung des kuwaitischen Gerichts schon rechtskräftig und die Streitgegenstände identisch wären. Dies hat bislang keine der Parteien geltend gemacht.

3. Sollte es auf die Frage ankommen, ob auf den Streitfall das kuwaitische materielle Recht anzuwenden ist, hat das Landesarbeitsgericht die entsprechende Prüfung nach Art. 27 ff. EGBGB (aF) vorzunehmen.

a) Die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) findet gemäß ihrem Art. 28 auf den Streitfall keine Anwendung. Der Arbeitsvertrag der Parteien wurde vor dem 17. Dezember 2009 geschlossen.

b) Nach Art. 27 Abs. 1 Satz 1 EGBGB (aF) unterliegt ein Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht. Im Streitfall haben diese für die arbeitsrechtlichen Streitigkeiten ausdrücklich die Geltung kuwaitischen Rechts vereinbart. Allerdings darf die Rechtswahl gemäß Art. 30 Abs. 1 EGBGB (aF) nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des gemäß Art. 30 Abs. 2 EGBGB (aF) ohne Rechtswahl anwendbaren Rechts gewährt wird. Die Vorschrift soll gewährleisten, dass dem Arbeitnehmer als der typischerweise sozial und wirtschaftlich schwächeren Partei durch die Rechtswahl nicht der Mindestschutz „seines” Rechts entzogen wird (BT-Drs. 10/504 S. 81). Für die Annahme, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien danach deutsches Recht oder gar das Recht eines anderen Staates anzuwenden wäre, bestehen derzeit keine Anhaltspunkte.

 

Unterschriften

Kreft, Berger, Richterin am Bundesarbeitsgericht Dr. Rinck ist wegen Krankheit verhindert ihre Unterschrift beizufügen. Kreft, Sieg, Nielebock

 

Fundstellen

NJW 2015, 192

FA 2014, 319

NZA 2015, 124

AP 2015

EzA-SD 2014, 15

EzA 2014

NZA-RR 2014, 6

AUR 2014, 393

ArbR 2014, 476

AP-Newsletter 2014, 212

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