Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung einer tariflichen Einmalzahlung. Übertarifliche Vergütung. Anrechnungsvorbehalt. Veränderungen der Tarifansprüche. Tariferhöhung. Einmalzahlung. Ausschluss der Anrechnung wegen des besonderen Zwecks der übertariflichen Zahlung. Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Anrechnung einer Tariferhöhung. vollständige und gleichmäßige Anrechnung. Arbeitslohn

 

Orientierungssatz

Die arbeitsvertragliche Klausel “Der jeweilige übertarifliche Gesamtbezug kann auf Veränderungen der Tarifansprüche angerechnet werden” erfasst tarifliche Einmalzahlungen, die im Hinblick auf eine bestimmte Erhöhung der Lebenshaltungskosten geleistet werden.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10; Preisangaben- und Preisklauselgesetz § 2 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Bremen (Urteil vom 06.05.2003; Aktenzeichen 1 Sa 255/02)

ArbG Bremen (Urteil vom 03.09.2002; Aktenzeichen 3 Ca 3032/02)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte eine tarifliche Einmalzahlung wirksam auf übertarifliche Gesamtbezüge angerechnet hat.

Der Kläger ist seit 1988 als Werkstattmitarbeiter bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet die zwischen dem Groß- und Außenhandelsverband Niedersachsen e.V. einerseits und der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft Landesverband Niedersachsen-Bremen und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen Landesbezirksleitung Niedersachsen-Bremen andererseits vereinbarte, seit dem 1. Mai 2000 allgemeinverbindliche Protokollnotiz zum Tarifergebnis vom 9. Juni 2000 (Protokollnotiz) Anwendung. Deren Nr. 3 lautet:

“Erhöht sich der Lebenshaltungskostenindex für alle privaten Haushalte (Basisjahr 1995 = 100) im April 2001 um mehr als 2,8 % gegenüber dem Monat April 2000, erhält jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer eine Einmalzahlung von DM 120,--. Die Einmalzahlung für Auszubildende beträgt DM 60,--. Teilzeitbeschäftigte erhalten die Einmalzahlung arbeitszeitanteilig.

Die Einmalzahlung ist fällig mit dem Juligehalt. Voraussetzung ist, dass die/der Berechtigte zum Auszahlungszeitpunkt in einem ungekündigten Arbeitsbzw. Ausbildungsverhältnis steht.”

Im Arbeitsvertrag der Parteien vom 29. Juni 1988 heißt es ua.:

“Als Vergütung für Ihre Tätigkeit erhalten Sie einen monatlichen Bruttolohn von DM 2.400,--, zahlbar jeweils am Ende des laufenden Monats bargeldlos auf ein von Ihnen zu benennendes Konto. Sie werden in die Lohngruppe 2 des Lohntarifvertrages des Großhandels eingruppiert, wobei vorausgesetzt wird, daß Ihre ausgeübte Tätigkeit die in dieser Tarifgruppe enthaltenen Merkmale erfüllt. In der Vergütung sind tarifliche Zuschläge, insbesondere für betriebsübliche Nachtarbeit, und etwaige tarifliche Zulagen enthalten. Der jeweilige übertarifliche Gesamtbezug kann auf Veränderungen der Tarifansprüche angerechnet werden. Ihre Vertragsbedingungen, insbesondere Ihre Bezüge, werden Sie vertraulich behandeln.”

Nachdem sich der Lebenshaltungskostenindex für die privaten Haushalte im April 2001 gegenüber April 2000 um mehr als 2,8 % erhöht hatte, leistete die Beklagte Einmalzahlungen gemäß Nr. 3 der Protokollnotiz. Dabei rechnete sie die Einmalzahlung bei allen Arbeitnehmern in vollem Umfang auf die – soweit vorhanden – übertariflichen Vergütungsbestandteile an. Die übertarifliche Gesamtvergütung des Klägers betrug im Juli 2001 3.930,00 DM. Die Beklagte verrechnete hier 118,00 DM und zahlte einmalig 2,00 DM an den Kläger aus.

Der Kläger hat den Standpunkt vertreten, die Anrechnung sei unwirksam. Bei der tariflichen Einmalzahlung habe es sich nicht um eine Tariferhöhung, sondern um eine zusätzliche Leistung gehandelt, für die eine Anrechnung weder in der Protokollnotiz noch im Arbeitsvertrag vorgesehen sei.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 60,33 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, mindestens jedoch 7,71 %, seit dem 1. August 2001 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Bei Nr. 3 der Protokollnotiz handele es sich um eine Preisgleitklausel, die nach dem Preisangaben- und Preisklauselgesetz verboten und damit unwirksam sei. Die Einmalzahlungen seien deshalb freiwillige und in jedem Falle anrechenbare Leistungen. Unabhängig von der Wirksamkeit der Protokollnotiz stelle die tarifvertraglich vereinbarte Zahlung eine anrechnungsfähige einmalige Tariferhöhung dar. Zudem erfasse die arbeitsvertragliche Anrechnungsklausel alle geldwerten Vorteile.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

  • Ob Nr. 3 der Protokollnotiz vom 9. Juni 2000 einen tariflichen Anspruch auf die Einmalzahlung von 120,00 DM begründet hat oder ob ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 Satz 1 Preisangaben- und Preisklauselgesetz vorliegt, der zur Unwirksamkeit der tariflichen Regelung führt, bedarf keiner Entscheidung. Die Beklagte hat in Kenntnis der rechtlichen Problematik die tariflich vorgesehenen Zahlungen ohne Vorbehalt geleistet. Da ihr die etwaige Unwirksamkeit der Tarifnorm bekannt war, kann sie sich hierauf nicht berufen. Sie hat diese Tarifregelung nicht nur vollzogen, sondern mit ihren Zahlungen an alle Arbeitnehmer einen eigenständigen Verpflichtungstatbestand begründet. Dass sie soweit wie möglich Verrechnungen vorgenommen hat, steht dem nicht entgegen.
  • Die Anrechnung der Einmalzahlung auf die übertariflichen Bezüge des Klägers ist wirksam.

    1. Ob eine Anrechnung möglich ist, hängt von der zugrunde liegenden einzelvertraglichen Vergütungsabrede ab (vgl. nur BAG 15. März 2000 – 5 AZR 557/98 – BAGE 94, 58, 61).

    a) Die Parteien haben im Arbeitsvertrag einen Anrechnungsvorbehalt vereinbart. Danach kann der jeweilige übertarifliche Gesamtbezug “auf Veränderungen der Tarifansprüche angerechnet werden”. Zwar kann rechtlich nur umgekehrt eine (positive) Veränderung der Tarifansprüche auf den übertariflichen Gesamtbezug angerechnet werden. So ist die Abrede der Parteien aber der Sache nach zu verstehen.

    b) Der vereinbarte Anrechnungsvorbehalt sieht eine Verrechnungsmöglichkeit nicht nur bei Tariferhöhungen vor. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Parteien durch die Formulierung “Veränderungen der Tarifansprüche” eine weiterreichende Anrechnungsmöglichkeit vorgesehen haben. Eine Anrechnung soll auch dann in Betracht kommen, wenn die zu verrechnenden übertariflichen Lohnbestandteile und der neue Tariflohn verschiedenen Zwecken dienen. Führt eine Änderung des Tarifvertrags dazu, dass für den Arbeitnehmer Ansprüche entstehen, die über die bisher bestehenden hinausgehen, darf der Arbeitgeber anrechnen. Dazu zählen neben den Ansprüchen auf Erhöhung des regelmäßigen Tariflohns auch solche auf Sonderzahlungen, und zwar unabhängig davon, ob ein Bezug zur Arbeitsleistung besteht. Insoweit ist bei Veränderungen des Tarifvertrags ein Gesamtvergleich zwischen den vertraglichen – teilweise übertariflichen – Leistungen und den Ansprüchen aus dem Tarifvertrag vorzunehmen.

    c) Auch wenn man mit dem Kläger davon ausgeht, dass mit der “Veränderung der Tarifansprüche” eine Tariflohnerhöhung gemeint ist, bleibt die Anrechnung zulässig. Das Landesarbeitsgericht hat in der Einmalzahlung zu Recht eine pauschale Lohnerhöhung gesehen.

    aa) Unter einer Tariflohnerhöhung ist die Erhöhung des regelmäßigen tariflichen Entgeltbetrags zu verstehen. Bei einem Arbeitsentgelt, das als Monatslohn geschuldet wird, liegt sie demnach in der Erhöhung des monatlich zu zahlenden Entgeltbetrags (BAG 3. Juni 1987 – 4 AZR 44/87 – BAGE 55, 322, 328; 14. August 2001 – 1 AZR 744/00 – AP BetrVG 1972 § 77 Regelungsabrede Nr. 4 = EzA BetrVG 1972 § 88 Nr. 1, zu II 2 der Gründe). Entgegen der Ansicht des Klägers setzt eine Tariferhöhung nicht die “tabellenwirksame Erhöhung des Tariflohns” voraus (vgl. BAG 25. Juni 2002 – 3 AZR 167/01 – AP TVG § 4 Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung Nr. 36 = EzA TVG § 4 Tariflohnerhöhung Nr. 38). Auch in einer Einmalzahlung kann eine Tariferhöhung im vorgenannten Sinne liegen. Der Begriff “Einmalzahlung” ist nicht eindeutig. Er ist sowohl als Ausdruck für eine pauschalierte Lohnerhöhung als auch zur Kennzeichnung einer davon zu unterscheidenden Sonderzahlung gebräuchlich. Ob eine tarifliche Einmalzahlung als pauschale Lohnerhöhung oder als eine vom unmittelbaren Gegenleistungsbezug unabhängige Sonderzahlung anzusehen ist, muss durch Auslegung des Tarifvertrags ermittelt werden (vgl. BAG 16. April 2002 – 1 AZR 363/01 – AP TVG § 4 Übertarifl. Lohn u. Tariflohnerhöhung Nr. 38 = EzA TVG § 4 Tariflohnerhöhung Nr. 39, zu II 3 der Gründe).

    bb) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass mit der Einmalzahlung die Tariflöhne nachträglich erhöht worden sind. Dagegen lässt sich zwar anführen, dass die Tarifvertragsparteien nur an ein bestehendes Arbeitsverhältnis, nicht aber an einen bestimmten Zeitraum des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses angeknüpft haben. Andererseits sieht die Regelung ausdrücklich vor, dass die Höhe der Zahlung vom Arbeitszeitvolumen abhängt, denn die Zahlung an Teilzeitkräfte erfolgt arbeitszeitanteilig. Für eine pauschalierte Lohnerhöhung spricht ferner, dass Nr. 3 der Protokollnotiz an die Erhöhung des Lebenshaltungskostenindex anknüpft. Durch Erhöhungen der Tariflöhne soll aber gerade auch der Anstieg der Lebenshaltungskosten ausgeglichen werden. Dieser Zweck kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Einmalzahlung im Zusammenhang mit dem Lohn- und Gehaltstarifvertrag für den Groß- und Außenhandel vereinbart worden ist. Gegenstand der Verhandlungen, die am 9. Juni 2000 ihren Abschluss fanden, war die Entwicklung der Löhne und Gehälter. Diese wurden in zwei Stufen zum 1. Mai 2000 und zum 1. Mai 2001 angehoben.

    2. Ein trotz der ausdrücklichen Abrede der Parteien möglicher Ausschluss der Anrechnung ergibt sich nicht aus der übertariflichen Vergütung selbst.

    a) Der Ausschluss der Anrechnungsbefugnis kann aus dem Zweck einer übertariflichen Zulage folgen (BAG 14. August 2001 – 1 AZR 744/00 – AP BetrVG 1972 § 77 Regelungsabrede Nr. 4 = EzA BetrVG 1972 § 88 Nr. 1, zu I der Gründe; 31. Oktober 1995 – 1 AZR 276/95 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 80 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 54, zu II 1 der Gründe). Allein in der tatsächlichen Zahlung einer übertariflichen Zulage liegt noch keine derartige vertragliche Abrede. Sie kann sich allerdings durch Vertragsauslegung ergeben, vor allem wenn die Zulage für einen vom Tariflohn nicht erfassten Zweck, zB als Erschwernis-, Leistungs-, Funktions-, Familienzulage oder aus anderen eigenständigen Gründen gewährt wird (BAG 7. Februar 1995 – 3 AZR 402/94 – AP TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 6 = EzA TVG § 4 Tariflohnerhöhung Nr. 30). Eine solche Abrede könnte jedenfalls für bestimmte Zulagen dem ausdrücklich vereinbarten Anrechnungsvorbehalt vorgehen.

    b) Der Kläger hat einen zum Anrechnungsausschluss führenden Zulagenzweck nicht dargetan. Die erstmals in der Revisionsbegründung aufgestellte Behauptung, die gezahlten Zulagen sollten in pauschalierter Form andere über die Arbeit hinausgehende Erschwernisse abdecken, ist nicht hinreichend substantiiert. Ihr kann nicht entnommen werden, welche besonderen Erschwernisse tatsächlich bestehen und durch eine Zulage oder verschiedene Zulagen ausgeglichen werden sollen. Der dem Kläger erteilte Verdienstnachweis enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass ihm eine Zulage neben dem jeweiligen Tariflohn als selbständiger, nicht anrechenbarer Lohnbestandteil zustehen soll. Eine besondere Zwecksetzung, die der Kläger darlegen müsste, ist nicht erkennbar. Demgegenüber sind die “Aufwandspauschale F.… BR…” und die “Funktionszulage” in der Abrechnung ausdrücklich als solche ausgewiesen.

    3. Die Anrechnung der Einmalzahlung ist nicht wegen Verletzung der gesetzlichen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats unwirksam.

    a) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG besteht ein Mitbestimmungsrecht bei der Anrechnung einer Tariferhöhung auf übertarifliche Zulagen, wenn sich durch die Anrechnung die bisherigen Verteilungsrelationen ändern. Das ist der Fall, wenn sich das Verhältnis der Zulagenbeträge zueinander verschiebt. Weiter ist das Mitbestimmungsrecht davon abhängig, ob für eine anderweitige Regelung innerhalb des vom Arbeitgeber mitbestimmungsfrei vorgegebenen Dotierungsrahmens ein Gestaltungsspielraum bleibt. Deshalb ist die Anrechnung mitbestimmungsfrei, wenn die Tariferhöhung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen vollständig und gleichmäßig auf die übertariflichen Zulagen angerechnet wird (BAG 3. Dezember 1991 – GS 2/90 – BAGE 69, 134, 164 ff.; 26. Mai 1998 – 1 AZR 704/97 – BAGE 89, 31, 38 f.; 14. August 2001 – 1 AZR 744/00 – AP BetrVG 1972 § 77 Regelungsabrede Nr. 4 = EzA BetrVG 1972 § 88 Nr. 1, zu II der Gründe).

    b) Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte die Einmalzahlung bei allen Mitarbeitern des Betriebs vollumfänglich auf die entsprechenden übertariflichen Zulagen angerechnet.

  • Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
 

Unterschriften

Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Heel, Kremser

 

Fundstellen

Haufe-Index 1181777

FA 2005, 94

NZA 2005, 599

EzA-SD 2004, 14

EzA

NJOZ 2005, 1818

SPA 2004, 7

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