Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsabgeltung trotz Arbeitsunfähigkeit

 

Orientierungssatz

Der Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 51 Abs 1 BAT ist nicht davon abhängig, daß ein Arbeitnehmer bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis oder danach arbeitsfähig und arbeitsbereit ist.

Dieser Auffassung des Sechsten Senats schließt sich der Achte Senat an.

 

Normenkette

BUrlG § 7 Abs. 4, § 13 Abs. 1 S. 1; BAT § 51 Fassung: 1961-02-23, § 47 Fassung: 1961-02-23

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 08.03.1984; Aktenzeichen 4 Sa 1139/83)

ArbG Trier (Entscheidung vom 26.10.1983; Aktenzeichen 3 Ca 914/83)

 

Tatbestand

Die Klägerin war vom 1. Oktober 1981 bis zum 30. September 1983 bei der Beklagten als Verwaltungsangestellte beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Bundes-Angestelltentarifvertrag vom 23. Februar 1961 (BAT) Anwendung.

In § 47 Abs. 6 Unterabs. 3 BAT heißt es:

"Der Urlaub kann auch während einer Erkrankung

genommen werden."

In § 51 Abs. 1 Unterabs. 1 BAT heißt es:

"Ist im Zeitpunkt der Kündigung des Arbeitsver-

hältnisses der Urlaubsanspruch noch nicht er-

füllt, ist der Urlaub, soweit dies dienstlich

oder betrieblich möglich ist, während der Kün-

digungsfrist zu gewähren und zu nehmen. Soweit

der Urlaub nicht gewährt werden kann oder die

Kündigungsfrist nicht ausreicht, ist der Urlaub

abzugelten. Entsprechendes gilt, wenn das Ar-

beitsverhältnis durch Auflösungsvertrag (§ 58)

oder wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfä-

higkeit (§ 59) endet, wenn das Arbeitsverhält-

nis nach § 59 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 5 zum Ru-

hen kommt oder wenn der Urlaub wegen Arbeitsun-

fähigkeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhält-

nisses nicht mehr genommen werden kann."

Am 23. November 1982 erkrankte die Klägerin arbeitsunfähig. Am 26. März 1983 kündigte sie das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. September 1983. Im Juli 1983 bat die Klägerin um Gewährung ihres Jahresurlaubs für 1983. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 13. Juli 1983 ab. Als die Klägerin aus dem Arbeitsverhältnis ausschied, hatte sie ihre Arbeitsfähigkeit nicht wiedererlangt. Sie blieb auch weiterhin arbeitsunfähig.

Mit der Klage hat die Klägerin Urlaubsabgeltung für das Jahr 1983 in rechnerisch unstreitiger Höhe begehrt. Sie hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie

2.598,86 DM brutto nebst 4 % Zinsen

seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, zwar möge der Urlaubsanspruch der Klägerin für 1983 entstanden sein. Die Voraussetzungen einer Urlaubsabgeltung lägen jedoch nicht vor. § 51 BAT enthalte die gleiche Regelung wie § 7 Abs. 4 BUrlG. Außerdem habe die Klägerin versäumt, ihren Urlaub für 1983 zu nehmen. Nach § 47 Abs. 6 Unterabs. 3 BAT könne der Urlaub auch während einer Erkrankung genommen werden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben, Prozeßzinsen jedoch nur vom Nettobetrag zugesprochen. Mit ihrer Revision bittet die Beklagte um Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision kann keinen Erfolg haben.

Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Klägerin der Urlaubsabgeltungsanspruch für 1983 zusteht.

1. Nach § 51 Abs. 1 BAT ist der Urlaub abzugelten, wenn er wegen Arbeitsunfähigkeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr genommen werden kann. Die Klägerin hatte ihren Erholungsurlaub für 1983 wegen ihrer Erkrankung, die am 23. November 1982 begonnen hatte und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. September 1983 fortdauerte, nicht nehmen können.

2. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß der Klägerin bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Anspruch auf Erholungsurlaub für 1983 zustand. Es ist dabei der vom erkennenden Senat übernommenen Rechtsprechung des Sechsten Senats gefolgt, nach der der Urlaubsanspruch nicht wegen Rechtsmißbrauchs ausgeschlossen ist, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr keine oder nur eine geringfügige Arbeitsleistung erbracht hat (vgl. zur Veröffentlichung bestimmtes Urteil des Senats vom 14. Mai 1986 - 8 AZR 604/84 -, zu I 2 der Gründe, mit weiteren Nachweisen). Insoweit erhebt auch die Revision keine im einzelnen begründeten Angriffe gegen das Berufungsurteil.

3. Der Urlaubsabgeltungsanspruch entfällt nicht, weil die Klägerin den Urlaub für 1983 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätte nehmen können. Der Hinweis der Revision, die Klägerin hätte nach § 47 Abs. 6 Unterabs. 3 BAT die Möglichkeit gehabt, den Urlaub auch während ihrer seit dem 23. November 1982 bestehenden Erkrankung zu nehmen, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Es erscheint bereits fraglich, ob im Rahmen des hier in Rede stehenden Abgeltungstatbestands des § 51 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 3 BAT die Versäumung dieser Möglichkeit durch den Arbeitnehmer überhaupt geprüft werden darf (verneinend: Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, Stand Januar 1985, § 51 Rz 22). Die Frage kann jedoch offenbleiben. Auch wenn sie zu bejahen wäre, wäre der Vorhalt, den die Beklagte der Klägerin macht, unberechtigt. Denn der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, während einer Erkrankung "Urlaub" nach § 47 Abs. 6 Unterabs. 3 BAT zu nehmen. Der Arbeitgeber kann ihm diesen nicht einseitig aufzwingen. Vielmehr bedarf es einer Vereinbarung (vgl. Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, aaO, § 47 Rz 98; Uttlinger/Breier/Kiefer, BAT, Stand Juli 1984, § 47 Anm. 25; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand Januar 1984, § 47 Anm. 9 c). Außerdem hatte die Klägerin im Juli 1983, also nach ihrer Kündigung, einen Antrag auf "Urlaubsgewährung" nach dieser Tarifbestimmung gestellt. Die Beklagte lehnte diesen aber am 13. Juli 1983 ab. Auch aus diesem Grund war die Klägerin nicht in der Lage, den Urlaub während der Kündigungsfrist im Sinne des § 51 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 BAT "zu nehmen". Auf die weitere Frage, ob der Regelung des § 47 Abs. 6 Unterabs. 3 BAT rechtliche Bedenken entgegenstehen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 in Verb. mit § 3 Abs. 1 BUrlG), weil sie nur einen Anspruch auf Urlaubsvergütung (§ 47 Abs. 6 Unterabs. 3 in Verb. mit § 47 Abs. 2 BAT), nicht aber auf die für den Erholungsurlaub wesentliche Freistellung von der Arbeitspflicht einräumt (vgl. Urteil des Senats vom 14. Mai 1986, aaO, zu II 2 a der Gründe; BAG 45, 184, 187 = AP Nr. 14 zu § 3 BUrlG Rechtsmißbrauch), brauchte der Senat daher nicht einzugehen.

4. Dem Anspruch steht auch nicht entgegen, daß die Klägerin nach ihrem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nicht wieder arbeitsfähig wurde. Die Angriffe der Revision gegen das Urteil vom 8. März 1984 - 6 AZR 560/83 - (BAG 45, 203 = AP Nr. 16 zu § 7 BUrlG Abgeltung), in dem der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts entschieden hat, der Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 51 Abs. 1 BAT sei nicht davon abhängig, daß ein Arbeitnehmer bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis oder danach arbeitsfähig und arbeitsbereit ist (vgl. auch die insoweit zust. Anm. von Scheuring zu AP aaO), greifen nicht durch. Der Vorwurf, der Sechste Senat habe nicht allein auf den Wortlaut des § 51 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 3 BAT abstellen dürfen, verkennt die Bedeutung, die dem Tarifwortlaut bei der Auslegung von Tarifnormen zukommt. Zwar ist über den Wortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen mitzuberücksichtigen. Das setzt jedoch voraus, daß sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben (vgl. BAG 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Entgegen der Auffassung der Beklagten gibt § 51 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 3 BAT jedoch keinen Hinweis darauf, daß die Tarifvertragsparteien eine mit § 7 Abs. 4 BUrlG übereinstimmende Regelung treffen wollten. Der Senat schließt sich daher der Auffassung des Sechsten Senats an.

Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer

Pradel Plenge

 

Fundstellen

Dokument-Index HI441597

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