Entscheidungsstichwort (Thema)

Fernauslösung. Betriebsratstätigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Die Fernauslösung nach § 6 Bundesmontagetarifvertrag ist eine pauschalierte Aufwandsentschädigung, die nicht zum fortzuzahlenden Arbeitsentgelt im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG gehört.

 

Normenkette

BetrVG § 37 Abs. 2; Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie vom 30. April 1980 (Bundesmontagetarifvertrag) § 6

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 07.11.1989; Aktenzeichen 6 (17) Sa 1032/89)

ArbG Düsseldorf (Urteil vom 13.07.1989; Aktenzeichen 9 Ca 1763/89)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 7. November 1989 – 6 (17) Sa 1032/89 – aufgehoben.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 13. Juli 1989 – 9 Ca 1763/89 – abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger ist bei der Beklagten als Montagestammarbeiter beschäftigt und seit März 1988 freigestelltes Mitglied des Betriebsrats. Die Parteien streiten darüber, ob die Fernauslösung nach § 6.4 des Bundestarifvertrages für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie vom 30. April 1980 (im folgenden: BMTV) zum fortzuzahlenden Arbeitsentgelt im Sinne von § 37 Abs. 2 BetrVG gehört.

Die Vorschrift des § 6 BMTV trägt die Überschrift “Fernmontage” und lautet auszugsweise:

“6.1 Begriff

Fernmontage ist eine Montage, die ein auswärtiges Übernachten des Montagestammarbeiters erfordert, weil ihm die tägliche Rückkehr entweder an den Sitz des entsendenden Betriebes oder zu seiner Wohnung (1) nicht zumutbar ist.

6.1.1

Die tägliche Rückkehr ist zumutbar, wenn der Zeitaufwand außerhalb der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit bei Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel für Hin- und Rückweg 3 1/2 Stunden nicht übersteigt. Übersteigt der Zeitaufwand 3 1/2 Stunden, sind die Bestimmungen über die Fernmontage anzuwenden.

6.4 Fernauslösung

6.4.1

Die Auslösung ist eine Pauschalerstattung der Mehraufwendungen am Montageort (12).

6.4.2

Die Auslösungen werden in dem Tarifvertrag für Auslösungssätze und Erschwerniszulagen je Kalendertag während der ersten 60 Kalendertage und nach 60 Kalendertagen, gestaffelt für Entfernungen bis 150 km und über 150 km (13), festgelegt.

6.4.3

Soweit und solange Auslösungen zu versteuern sind, werden sie nach Maßgabe der gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen wie Arbeitsentgelt behandelt.

Anmerkung 12:

Die Fernauslösung ist nicht nur für jeden Arbeitstag zu zahlen, sondern auch für Tage, an denen sich der Montagestammarbeiter im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit auf außerbetrieblichen Arbeitsstellen am Montageort aufhalten muß.

Sofern ein Montagestammarbeiter an arbeitsfreien Tagen oder einzelnen Arbeitstagen nach Schichtschluß aus persönlichen Gründen von der Montagestelle bzw. dem Ort seiner Montagewohnung abwesend ist, geht der Anspruch auf Fernauslösung nicht verloren.”

Die Beklagte zahlt dem Kläger seit seiner Freistellung im März 1988 die tarifliche Fernauslösung nicht mehr, sondern nur noch Nahauslösung sowie eine Fahrgeldpauschale. Der Differenzbetrag zwischen der Fernauslösung, die der Kläger im Falle seiner Montagetätigkeit erhalten hätte, und der an ihn als Nahauslösung und Fahrtkostenzuschuß gezahlten Beträge beläuft sich für den Klagezeitraum März 1988 bis einschließlich April 1989 der Höhe nach unstreitig auf 9.836,30 DM brutto.

Der Kläger hat vorgetragen, daß er ohne seine Freistellung während des Klagezeitraums durchgehend auf Fernmontage gewesen wäre und daher die Fernauslösung erhalten hätte. Er vertritt die Rechtsauffassung, daß ihm deshalb auch die Fernauslösung während seiner Freistellung fortzuzahlen sei, da es sich um Arbeitsentgelt im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG und nicht um Aufwendungsersatz handele. Hierzu verweist er u.a. darauf, daß ihm auch während der Zeit seiner Fernmontagetätigkeit entsprechende Aufwendungen nicht entstanden seien, da er täglich von der Baustelle zu seiner etwa 120 km entfernten Wohnung zurückgekehrt sei. Die Fernauslösung habe daher zu seiner freien Verfügung gestanden; nunmehr würde er wegen seiner Freistellung finanziell erheblich benachteiligt, wenn er die Fernauslösung nicht mehr erhielte.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zur Zahlung von 9.836,30 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit 18. April 1989 zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat bestritten, daß der Kläger weiterhin auf einer Fernbaustelle gearbeitet hätte, wenn er nicht freigestelltes Betriebsratsmitglied wäre. Aber selbst wenn von einer hypothetischen Fernmontagetätigkeit auszugehen sei, handele es sich – so meint die Beklagte – bei der Fernauslösung nicht um fortzuzahlendes Arbeitsentgelt, sondern um eine Pauschalerstattung der Mehraufwendungen am Montageort, wie es § 6.4.1 BMTV ausdrücklich bestimme.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Abweisung der Klage. Denn die Fernauslösung nach § 6.4 BMTV gehört nicht zum gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG fortzuzahlenden Arbeitsentgelt.

I. Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, daß als Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren allein § 37 Abs. 2 BetrVG in Betracht kommt, der für die Frage der Entgeltfortzahlung das allgemeine Begünstigungs- und Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG konkretisiert. Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind Mitglieder des Betriebsrats unter bestimmten Voraussetzungen von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien. Das in dieser Vorschrift normierte Lohnfortzahlungsprinzip gilt auch für gemäß § 38 BetrVG freigestellte Betriebsratsmitglieder wie den Kläger. Dementsprechend hätte der Kläger Anspruch auf Zahlung der Fernauslösung, wenn er ohne seine Freistellung die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen würde und wenn überdies die Fernauslösung als Arbeitsentgelt im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG anzusehen wäre.

II. Die erste Voraussetzung ist im Entscheidungsfalle gegeben. Denn der Kläger hätte, wäre er nicht von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt, die tarifvertraglichen Anspruchsvoraussetzungen für die Zahlung der Fernauslösung erfüllt.

Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß der Kläger auch weiterhin auf der Fernmontagestelle in B… gearbeitet hätte, wenn er nicht durch seine Betriebsratstätigkeit daran gehindert gewesen wäre. An diese tatsächliche Feststellung ist der Senat gemäß § 561 ZPO gebunden, da die Revision hiergegen keine Verfahrensrügen erhoben hat. Daß die Klageforderung der Höhe nach richtig berechnet wurde, ist zwischen den Parteien unstreitig.

III. Entgegen der Würdigung des Landesarbeitsgerichts handelt es sich bei der Fernauslösung nach § 6.4 BMTV nicht um gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG fortzuzahlendes Arbeitsentgelt, sondern um eine nicht fortzuzahlende Aufwandsentschädigung.

1. Nach ständiger Rechtsprechung, an der der Senat festhält, gehören zum fortzuzahlenden Arbeitsentgelt im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG nicht Aufwandsentschädigungen, die solche Aufwendungen abgelten sollen, die dem Betriebsratsmitglied infolge seiner Befreiung von der Arbeitspflicht nicht entstehen (vgl. z.B. Senatsurteile vom 10. Februar 1988, BAGE 58, 1 = AP Nr. 64 zu § 37 BetrVG 1972 und vom 28. August 1991 – 7 AZR 137/90 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Bei der Fernauslösung nach § 6.4 BMTV handelt es sich um eine derartige Aufwandsentschädigung.

2. Das Landesarbeitsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, daß sich der Aufwendungsersatzcharakter der Fernauslösung nicht bereits aus der Tarifvorschrift des § 6.4.1 BMTV ergibt, nach der es sich bei der Auslösung um eine Pauschalerstattung der Mehraufwendungen am Montageort handelt. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Senatsurteile, aaO) regelt § 37 Abs. 2 BetrVG abschließend, inwieweit Betriebsratsmitglieder ihre Bezüge während ihrer Befreiung von der Arbeitspflicht fortgezahlt erhalten. Hiervon können die Tarifvertragsparteien wegen des auch sie bindenden Begünstigungs- und Benachteiligungsverbots des § 78 Satz 2 BetrVG und wegen des Fehlens einer Tariföffnungsklausel weder zugunsten noch zuungunsten des Betriebsratsmitglieds abweichen. Entscheidend ist vielmehr, ob es sich bei einer tariflichen Leistung der Sache nach um Aufwendungsersatz handelt. Dies setzt voraus, daß in den Sachverhalten, für die die Tarifvertragsparteien die von ihnen als Aufwendungsersatz gedachte Leistung vorgesehen haben, im Vergleich zu sonstigen Fällen, in denen die Anspruchsvoraussetzungen des Tarifvertrages nicht erfüllt sind, typischerweise besondere Aufwendungen anfallen, die jedenfalls in der Regel den Umfang des vom Tarifvertrag gewährten “Aufwendungsersatzes” erreichen. Nicht erforderlich ist hingegen, daß diese Aufwendungen bei jedem Arbeitnehmer anfallen, der die vom Tarifvertrag aufgestellten Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. Denn eine Pauschalierung des dargestellten typischen Mehraufwandes ist zulässig (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BAGE 43, 87, 92 = AP Nr. 12 zu § 2 LohnFG, zu II 2b der Gründe). Sinn der Pauschalierung ist gerade, vom Nachweis des tatsächlichen Entstehens von Aufwand im Einzelfall abzusehen und stattdessen die Gewährung der Pauschalleistung an leicht feststellbare objektive Umstände zu knüpfen, bei deren Vorliegen nach der Lebenserfahrung eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Entstehen besonderer Aufwendungen gegeben ist (vgl. auch Senatsurteil vom 28. August 1991, aaO).

3. Für die streitgegenständliche Fernauslösung ergibt sich aus diesen Grundsätzen, daß der Würdigung des Landesarbeitsgerichts, es handele sich um gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG fortzuzahlendes Arbeitsentgelt, nicht gefolgt werden kann. Das Landesarbeitsgericht stützt seine Rechtsauffassung tragend auf eine entsprechende Anwendung der gesetzlichen Wertung in § 2 Abs. 1 Satz 2 LohnFG, nach der vom fortzuzahlenden Arbeitsentgelt im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 LohnFG Auslösungen nur ausgenommen sind, soweit der Anspruch auf sie im Falle der Arbeitsfähigkeit davon abhängig ist, ob und in welchem Umfang dem Arbeiter Aufwendungen, die durch diese Leistungen abgegolten werden sollen, tatsächlich entstanden sind. Auf der Grundlage dieser Abgrenzungskriterien hat das Landesarbeitsgericht die Fernauslösung als fortzuzahlendes Arbeitsentgelt angesehen, weil ihre tariflichen Anspruchsvoraussetzungen nicht darauf abstellen, ob und in welcher Höhe dem Arbeiter tatsächlich Aufwendungen entstehen.

Indessen läßt sich die Frage, ob eine bestimmte tarifliche Leistung der Sache nach als Aufwendungsersatz oder als fortzuzahlendes Arbeitsentgelt im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG anzusehen ist, nicht anhand der in § 2 Abs. 1 LohnFG aufgestellten Abgrenzungskriterien entscheiden. Wie oben dargestellt, stehen Sinn und Zweck des § 37 Abs. 2 BetrVG einer sachgerechten tariflichen Pauschalierung des Aufwendungsersatzes nicht entgegen, soweit sie sich an der tatsächlichen Höhe eines jedenfalls typischerweise entstehenden Mehraufwands orientiert. Demgegenüber stellen die Abgrenzungskriterien des § 2 Abs. 1 Satz 2 LohnFG ausschließlich auf das tatsächliche Entstehen von Aufwendungen im Einzelfall ab und schließen damit alle Pauschalleistungen in den Begriff des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts ein. Dem liegt jedoch eine zwingende gesetzliche Wertung nicht einmal im Rahmen des § 2 LohnFG zugrunde, zumal § 2 Abs. 3 LohnFG abweichende tarifliche Regelungen und damit auch eine tarifliche Pauschalierung von Aufwendungsersatzleistungen ausdrücklich zuläßt.

Dementsprechend hat auch der erkennende Senat in seinem bereits angeführten Urteil vom 10. Februar 1988 (BAGE 58, 1, 8 = AP Nr. 64 zu § 37 BetrVG 1972, zu III der Grunde) den Arbeitsentgeltcharakter des steuerpflichtigen Teils der Nahauslösung nach § 7 BMTV tragend allein damit begründet, daß ein dieser tariflichen Leistung entsprechender typischer Mehraufwand nicht gegeben sei. Nur auf die Übereinstimmung dieses Ergebnisses mit der Regelung des § 2 Abs. 1 LohnFG hat der Senat in jenem Urteil zur Abrundung seiner Begründung hingewiesen. Soweit das Landesarbeitsgericht hierin einen auch im Bereich des § 37 Abs. 2 BetrVG anwendbaren Rechtsgrundsatz gesehen hat, hat es den Senat mißverstanden.

4. Anders als in dem im angeführten Senatsurteil vom 10. Februar 1988 behandelten Fall des steuerpflichtigen Teils der Nahauslösung läßt sich für die Fernauslösung nicht sagen, die Tarifvertragsparteien hätten sie in § 6.4.1 BMTV der Sache nach unzutreffend als Pauschalerstattung der Mehraufwendungen am Montageort deklariert. Angesichts der tariflichen Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere durch den Begriff der Fernmontage in § 6.1 ff. BMTV, ist vielmehr unmittelbar einsichtig, daß den diese Anspruchsvoraussetzungen erfüllenden Arbeitern im Vergleich zu sonstigen Arbeitern im Regelfalle ganz erhebliche Mehraufwendungen entstehen, die angesichts des heutigen Preisniveaus für auswärtige Verpflegung und Übernachtung nicht oder jedenfalls nur geringfügig hinter den tariflichen Auslösungssätzen zurückbleiben. Insbesondere ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, daß dieTarifvertragsparteien die Fallgruppen, in denen die Fernauslösung gezahlt werden soll, nicht sachgerecht abgegrenzt hätten. Selbst wenn, wie der Kläger vorträgt, die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen auch von Arbeitern erfüllt werden können, die täglich nach Hause zurückkehren, so haben die Tarifvertragsparteien doch durch ihre Regelungen zur Unzumutbarkeit einer täglichen Rückkehr deutlich gemacht, daß der Fernmontagearbeiter die durch die Fernmontage typischerweise entstehenden Mehraufwendungen nur durch eine ihm an sich unzumutbare Einschränkung seiner Lebensführung vermeiden kann. Gezahlte Fernauslösung, deren bestimmungsmäßige Verwendung der Fernmontagearbeiter jedoch nur auf diese Weise vermeiden kann, steht ihm nicht wie Arbeitsentgelt zur freien Verfügung. Im übrigen entstehen auch dem täglich zu seiner Wohnung zurückkehrenden Fernmontagearbeiter erhebliche Mehraufwendungen in Form zusätzlicher Fahrtkosten. Insgesamt kann daher nach AuffassungDes Senats an dem Rechtscharakter der Fernauslösung als einer echten Aufwandsentschädigung kein vernünftiger Zweifel bestehen.

 

Unterschriften

Dr. Seidensticker, Schliemann, Dr. Steckhan, Ruppert, Jubelgas

 

Fundstellen

BAGE, 292

NZA 1992, 936

RdA 1992, 281

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