Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 10.02.1998; Aktenzeichen 14 Sa 87/97)

ArbG Karlsruhe (Entscheidung vom 04.07.1997; Aktenzeichen 10 Ca 222/97)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 10. Februar 1998 – 14 Sa 87/97 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Bemessung des Urlaubsentgelts.

Die Beklagte beschäftigt den Kläger seit August 1977 als Polier. Beide Parteien sind Mitglieder der Tarifvertragsparteien, die den Rahmentarifvertrag für die Poliere des Baugewerbes im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Berlin vom 12. Juni 1978 in der Fassung vom 19. Mai 1992 (RTV Poliere) geschlossen haben. Die maßgeblichen Bestimmungen des RTV Poliere lauten auszugsweise:

㤠11 Urlaub

5. Urlaubsentgelt

5.1 Das Urlaubsentgelt bemißt sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, den der Polier in den letzten drei Kalendermonaten vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat. Bei Verdiensterhöhungen nicht nur vorübergehender Natur, die während des Berechnungszeitraumes oder des Urlaubs eintreten, ist von dem erhöhten Verdienst auszugehen. Verdienstkürzungen, die im Berechnungszeitraum infolge Kurzarbeit, Arbeitsunfällen oder unverschuldeter Arbeitsversäumnisse eintreten, bleiben für die Berechnung des Urlaubsentgelts außer Betracht. Das Urlaubsentgelt ist vor Antritt des Urlaubs auszuzahlen.

7. Ergänzend gelten die gesetzlichen Vorschriften.

§ 14 Ausschlußfristen

1. Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.

2. Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird. Dies gilt nicht für Zahlungsansprüche des Poliers, die während eines Kündigungsschutzprozesses fällig werden und von seinem Ausgang abhängen. Für diese Ansprüche beginnt die Verfallfrist von 2 Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens.”

Die Beklagte hat dem Kläger vom 2. Januar bis 10. Januar 1997 Urlaub gewährt. Bei der Berechnung des Urlaubsentgelts hat die Beklagte die vom Kläger in den letzten drei Kalendermonaten vor Urlaubsantritt geleisteten Überstunden unberücksichtigt gelassen. Das Urlaubsentgelt wird nach der im Betrieb üblichen Handhabung zusammen mit dem Gehalt und der Gehaltsabrechnung zur Mitte des nächsten Monats ausgezahlt. Der Kläger hat die fehlende Berücksichtigung der von Oktober bis Dezember 1996 geleisteten Überstunden beanstandet und am 19. März 1997 die Beklagte durch den Bezirksverband seiner Gewerkschaft schriftlich zur Nachzahlung von 1.042,16 DM brutto aufgefordert.

Mit der am 2. Mai 1997 erhobenen Klage hat er zunächst beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 1.042,16 brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, die Berechnungsvorschrift des § 11 Ziff. 5 RTV Poliere sei eine deklaratorische Regelung. Nach der gesetzlich geänderten Fassung des § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG müsse das zusätzlich zu Überstunden gezahlte Arbeitsentgelt unberücksichtigt bleiben.

Das Arbeitsgericht hat der Klage in voller Höhe stattgegeben. In der Berufungsverhandlung hat der Kläger die Klage in Höhe von 300,00 DM wegen eines Rechenfehlers zurückgenommen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiterhin ihren Klageabweisungsantrag.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.

1. Eine nach § 559 Abs. 2 Satz 2 ZPO von Amts wegen zu berücksichtigende Prozeßfortsetzungsbedingung fehlt hier nicht. Zwar ist nach der Teilrücknahme der Klage in der Berufungsverhandlung der nach § 64 Abs. 2 ArbGG maßgebliche Wert des Beschwerdegegenstandes von 800,00 DM unterschritten worden. Damit ist jedoch die Berufung nicht unzulässig geworden. Denn das Arbeitsgericht hat, obwohl es von einem Wert des Beschwerdegegenstandes von über 800,00 DM ausgegangen ist, nach § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Diese Zulassungsentscheidung ist nach § 64 Abs. 4 ArbGG für die Rechtsmittelgerichte bindend.

2. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht erkannt, der tarifgebundene Arbeitgeber sei nach § 4 Abs. 1 TVG iVm. § 11 Ziff. 5.1 Satz 1 RTV Poliere verpflichtet, das Urlaubsentgelt des Klägers unter Einbeziehung der in den letzten drei Kalendermonaten vor dem Beginn des Urlaubs angefallenen Überstundenvergütungen zu bemessen. Für den vom 2. bis 10. Januar 1997 gewährten Urlaub ergab sich dann aus dem unstreitigen Rechenwerk der Parteien ein Anspruch auf 2.734,34 DM brutto Urlaubsentgelt. Dieser Anspruch ist in Höhe der vom Kläger angenommenen Teilleistung von 1.992,18 DM erloschen (§ 266, § 263 Abs. 1 BGB). Die Beklagte schuldet den Restbetrag von 742,16 DM nebst Prozeßzinsen. Die Forderung ist in dieser Höhe nicht verfallen.

a) Nach § 11 Ziff. 5.1 Satz 1 RTV Poliere bemißt sich das dem Kläger zustehende Urlaubsentgelt nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, den der Polier in den letzten drei Kalendermonaten vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat. Die Tarifvertragsparteien haben abweichend von § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG („letzte 13 Wochen vor dem Beginn des Urlaubs”) die letzten drei Kalendermonate vor dem Urlaub als maßgeblichen Bezugszeitraum vereinbart (vgl. BAG vom 26. Juni 1986 – 8 AZR 589/83 – AP BUrlG § 11 Nr. 17 = EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 23). Das ist nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG zulässig.

b) Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht sind zu der Auffassung gelangt, die abweichende Regelung des Bezugszeitraums lasse auf eine eigenständige tarifliche Regelung schließen. Die mit dem Inkrafttreten des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes am 1. Oktober 1996 bewirkte Herausnahme „des zusätzlich für Überstunden gezahlten Arbeitsverdienstes” aus der gesetzlichen Bemessungsgrundlage habe keine Auswirkung auf die unverändert gebliebene autonome Regelung der Tarifvertragsparteien.

c) Dem ist zuzustimmen.

aa) Der Zweite und der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts haben den Auslegungsgrundsatz aufgestellt: „Werden einschlägige Vorschriften wörtlich oder inhaltlich unverändert in einem umfangreichen Tarifvertrag aufgenommen, so handelt es sich um eine deklaratorische Klausel, wenn der Wille der Tarifvertragsparteien zu einer gesetzesunabhängigen eigenständigen Tarifregelung im Tarifvertrag keinen hinreichend erkennbaren Ausdruck gefunden hat” (BAG 27. August 1982 – 7 AZR 190/80 – BAGE 40, 102; 16. September 1993 – 2 AZR 697/92 – BAGE 74, 167; 5. Oktober 1995 – 2 AZR 1028/94 – BAGE 81, 76; 14. Februar 1996 – 2 AZR 201/95 – AP BGB § 622 Nr. 50 = EzA BGB § 622 n.F. Nr. 53 und – 2 AZR 166/95 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Textilindustrie Nr. 21 = EzA BGB § 622 n.F. Nr. 54). Die im Schrifttum vorherrschende Auffassung geht demgegenüber davon aus, daß im Zweifel stets eine unabhängige eigenständige tarifliche Regelung gewollt sei (Wiedemann Anm. zu AP TVG § 1 Auslegung Nr. 133; Däubler TVG 3. Aufl. 1993 Rn. 386; Rieble RdA 1997, 134, mwN.). Der Fünfte Senat hat die Rechtsprechung des Zweiten und des Siebten Senats fortgeführt. Danach gelten Verweisungen auf ohnehin anwendbare gesetzliche Vorschriften als typische Anzeichen eines fehlenden Regelungswillens. Werde ohne Nennung des Gesetzes wort- oder inhaltsgleich die einschlägige Vorschrift in einen Tarifvertrag übernommen, bedürfe es in diesen Fällen zwar zusätzlicher Anhaltspunkte, um auf den Willen zur Schaffung einer gesetzesunabhängigen Regelung schließen zu können, dann seien jedoch weniger strenge Anforderungen angebracht (BAG 16. Juni 1998 – 5 AZR 638/97 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 212 = EzA EntgeltfortzG § 4 Tarifvertrag Nr. 2 sowie – 5 AZR 67/97 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Schuhindustrie Nr. 6 = EzA EntgeltfortzG § 4 Tarifvertrag Nr. 5).

bb) Bei Anwendung dieser von der Rechtsprechung aufgestellten Auslegungsgrundsätze erweist sich § 11 Ziff. 5.1 Satz 1 RTV Poliere als eigenständige, von der jeweiligen Fassung des § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG unabhängige Regelung der Tarifvertragsparteien zur Bemessung des Urlaubsentgelts.

Die Tarifvertragsparteien haben weder auf die gesetzliche Bemessungsvorschrift des § 11 Abs. 1 BUrlG Bezug genommen, noch dessen Regelungsinhalt unverändert übernommen. Das zeigt bereits die abweichende Festlegung des Bezugszeitraums. Soweit die Revision geltend macht, die Abweichung sei nur geringfügig und diene ausschließlich abrechnungstechnischen Zwecken, überspannt sie die Anforderungen. Bereits die Festlegung eines geringfügig abweichenden Bezugszeitraums wirkt sich im Einzelfall auf die Höhe des während des Urlaubs fortzuzahlenden Entgelts aus. Unerheblich ist auch, daß die Tarifvertragsparteien bei Abschluß des RTV Poliere am 19. Mai 1992 deckungsgleich mit der damals geltenden Fassung des § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG den durchschnittlichen Arbeitsverdienst unter Einschluß der Überstundenvergütung zugrundegelegt haben. Daraus kann nicht auf einen fehlenden Regelungswillen geschlossen werden. Die Tarifvertragsparteien waren frei, Überschreitungen der tariflichen Arbeitszeit von der Berücksichtigung ganz oder teilweise auszunehmen, wie das auch in anderen Tarifverträgen damals geschehen ist (vgl. BAG 23. Juni 1992 – 9 AZR 296/90 – AP BUrlG § 11 Nr. 33 = EzA BUrlG § 11 Nr. 32).

Für die Eigenständigkeit der tariflichen Bemessungsvorschrift sprechen schließlich auch Umfang und Dichte des in § 11 RTV Poliere vereinbarten Regelungskomplex „Urlaub”. Er umfaßt in sechs Ziffern Urlaubsanspruch, Urlaubsdauer, zeitliche Festlegung des Urlaubs, Unterbrechung des Urlaubs, Urlaubsentgelt und zusätzliches Urlaubsgeld. Nach § 11 Ziff. 7 RTV Poliere sollen die gesetzlichen Vorschriften nur „ergänzend” zur Anwendung gelangen. Die Tarifvertragsparteien sind somit davon ausgegangen, daß sie ihren Gestaltungsspielraum für die sechs aufgeführten Regelungsbereiche ausgeschöpft haben. Nur soweit Regelungslücken vorhanden sind, soll das Gesetz eingreifen.

d) Der Anspruch des Klägers ist auch nicht nach § 14 Ziff. 1 RTV Poliere verfallen. Danach sind alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und somit auch Ansprüche auf Urlaubsgeld innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich zu erheben. Der Kläger hat durch seine Gewerkschaft am 19. März 1997 seinen Anspruch schriftlich gegenüber der Beklagten erhoben. Nach § 11 Ziff. 5.1 Satz 3 RTV Poliere war das Urlaubsentgelt bereits vor Antritt des Urlaubs auszuzahlen. Ob mit dieser Klausel die Fälligkeit des Urlaubsentgelts von den Tarifvertragsparteien abweichend von der ansonsten im Arbeitsverhältnis geltenden gesetzlichen Regelung des § 614 BGB festgelegt worden ist (vgl. BAG 1. Dezember 1983 – 6 AZR 299/80 – BAGE 44, 278, 284; 18. Dezember 1986 – 8 AZR 481/84 – BAGE 54, 59, 63), bedarf keiner Entscheidung. Hier ist der Fälligkeitstermin durch Stundung auf den 15. Februar 1997 hinausgeschoben worden. Denn der Kläger war mit der im Betrieb üblichen Praxis, das tarifliche Urlaubsentgelt zusammen mit dem laufenden Gehalt zur Mitte des nächsten Monats abzurechnen und auszuzahlen, einverstanden. Diese Stundung bewirkt, daß mit Hinausschieben der Fälligkeit bis zum 15. Februar 1997 auch die zweimonatige Frist zur schriftlichen Geltendmachung des Urlaubsentgelts bis zum 15. April 1997 hinausgeschoben worden ist. Damit war die Geltendmachung der Forderung durch die den Kläger vertretende Gewerkschaft am 19. März 1997 rechtzeitig. Die in § 14 Ziff. 2 RTV Poliere bestimmte zweimonatige Klagefrist ist mit Erhebung der Zahlungsklage am 2. Mai 1997 gewahrt.

II. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Leinemann, Reinecke, Düwell, H. Unger, Fox

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 18.05.1999 durch Brüne, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 436050

BB 2000, 1411

DB 2000, 428

EBE/BAG 2000, 47

FA 2000, 171

NZA 2000, 155

AP, 0

AUR 2000, 78

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