Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines Sozialplans. Ausschlußfrist

 

Orientierungssatz

1. Eine einmalige aus einem Sozialplan zu zahlende Abfindung ist ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis. Sie wird wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt und ist - wie sonstige Geldleistungen des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis auch - Arbeitseinkommen, obwohl sie keine nachträgliche Vergütung in der Vergangenheit geleisteter Dienste ist. Damit unterscheidet sie sich von einer Abfindungsrente, die "versorgungsrechtlichen" Charakter hat und von einer Verfallklausel nicht notwendig erfaßt wird.

2. Die Sozialplanabfindung unterfällt den Ausschlußfristen des § 12 des Manteltarifvertrages für die kaufmännischen und technischen Angestellten sowie Meister der Südbayerischen Textilindustrie vom 12. Mai 1982/6. Oktober 1994.

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 5. März 1999 - 10 Sa 778/98 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Sozialplanabfindung.

Die Klägerin wurde seit dem 25. Juli 1988 von der Rechtsvorgängerin der Beklagten, später von der Beklagten selbst beschäftigt. Sie war als Fremdsprachenkorrespondentin in der Abteilung "Trend-Vertrieb" tätig. Am 10. Juni 1992 trat sie Erziehungsurlaub an, aus dem sie aufgrund der Geburt eines zweiten Kindes erst am 15. September 1997 zurückkehrte. An ihrer Stelle war Frau G eingestellt worden. Im August 1995 wurde die Abteilung Trend-Vertrieb aufgelöst, ohne daß ein Sozialplan geschlossen worden wäre. Frau G wurde nun in der Abteilung "Creativ-Center" eingesetzt. Sie ging ihrerseits Mitte 1997 in Erziehungsurlaub.

Im Zuge einer Umstrukturierung schloß die Beklagte am 27. August 1997 mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. Im Interessenausgleich heißt es auszugsweise:

1. Bei E GmbH in S ist geplant, einen Großteil der Funktionen sukzessive bis Juni 1998 zur Muttergesellschaft in Sc zu verlagern. Neben anderen sind insbesondere die Funktionen Musterfertigung, Lager/Logistik/Versand und die Verwaltung im weiteren Sinne (ua. Rechnungswesen, Beschaffung usw.) betroffen. In S verbleibende Funktionen wie etwa Verkauf, Marketing und Design werden entsprechend den betrieblichen Erfordernissen angepaßt.

Aufgrund der vorgenannten Maßnahmen sollen die Arbeitsverhältnisse von ca. 101 ArbeitnehmerInnen betriebsbedingt gekündigt werden.

...

3. Es besteht zwischen den Parteien Einigkeit, daß gegenüber den aus der Anlage zu diesem Interessenausgleich ersichtlichen ArbeitnehmerInnen betriebsbedingte Kündigungen entsprechend der zeitlichen Abfolge der Maßnahmen zu den sich daraus ergebenden Kündigungsterminen ausgesprochen werden. Die als Anlage beigefügte Liste ist integraler Bestandteil dieses Interessenausgleichs. Sie wird unter Beachtung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats entsprechend den Erfordernissen bzw. der weiteren Konkretisierung der Maßnahmen angepaßt; dies betrifft insbesondere die Personalplanung für den Verkaufsinnendienst.

...

Die genannte Liste enthält die Namen von 106 Arbeitnehmern aus 26 Abteilungen. Während die Liste den Namen der Nachfolgerin der Klägerin G als Mitglied des Creativ-Centers nennt, ist derjenige der Klägerin nicht aufgeführt. Eine weitere Arbeitnehmerin, die sich bei Abschluß des Sozialplans in Erziehungsurlaub befand - Frau Andrea S -, wird in der Liste unter der Abteilung "Versand Grob(strick)" geführt.

Im Sozialplan vom 27. August 1997 ist ua. bestimmt:

§ 1 Geltungsbereich

1. Dieser Sozialplan gilt für alle Arbeitnehmer der E GmbH in S, die am 31. August 1997 in einem ungekündigten und unaufgehobenen Arbeitsverhältnis mit der E GmbH, S stehen und aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung fristgemäß ausscheiden.

2. Der Sozialplan gilt nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis berechtigt verhaltensbedingt oder personenbedingt bzw. fristlos gekündigt wird.

§ 2 Abfindungen

1. Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Sinne von § 1 Ziffer 1 endet und nicht bei einem Unternehmen innerhalb der E-Gruppe einvernehmlich fortgesetzt wird, erhalten zum Ausgleich der mit dem Wegfall des Arbeitsplatzes verbundenen Nachteile eine Abfindung.

2. Die Abfindung beträgt 1.700,00 DM je Beschäftigungsjahr ... .

...

5. Der Anspruch auf Abfindung wird fällig mit der letzten Lohn- bzw. Gehaltsabrechnung. ...

...

§ 5 Schlußbestimmungen

1. Der Sozialplan tritt mit Unterzeichnung in Kraft.

2. Dieser Sozialplan gilt für die von den im Interessenausgleich vom 27. August 1997 festgelegten Maßnahmen betroffenen ArbeitnehmerInnen.

Die Beklagte stellte die Klägerin unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus dem Erziehungsurlaub am 15. September 1997 frei und kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 18. September 1997 wegen fehlender Beschäftigungsmöglichkeit fristgerecht zum 30. November 1997. Der Betriebsrat war zuvor darüber unterrichtet worden, Grund der Kündigung sei, daß die Abteilung Trend schon vor geraumer Zeit geschlossen worden sei. Ein gleichwertiger freier Arbeitsplatz sei nicht vorhanden. Die Klägerin wandte sich weder gegen die Freistellung noch gegen die Kündigung. Nachdem sie zwischen dem 10. und dem 15. Dezember 1997 von dem Sozialplan erfahren hatte, machte sie mit Schreiben ihrer Prozeßbevollmächtigten vom 23. Dezember 1997 vergeblich eine Abfindung von 15.300,00 DM aus dem Sozialplan geltend.

Die Parteien hatten die Geltung der jeweiligen Vorschriften der Tarifverträge für die kaufmännischen und technischen Angestellten in der Südbayerischen Textilindustrie vereinbart. § 12 des Manteltarifvertrags für die kaufmännischen und technischen Angestellten sowie Meister der Südbayerischen Textilindustrie vom 12. Mai 1982/6. Oktober 1994 (MTV) lautet auszugsweise:

Fälligkeit und Erlöschen von Ansprüchen

1. Vergütungen für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit sollen möglichst in dem Monat, in dem die Leistung erfolgte, ausbezahlt werden, spätestens jedoch bei der diesem Monat folgenden Gehaltsabrechnung.

2. Ansprüche auf Vergütungen gem. Abs. 1 sind binnen zwei Monaten nach erfolgter Abrechnung über den Leistungsmonat geltend zu machen.

3. Der Urlaubsanspruch ist spätestens drei Monate nach Beendigung des Urlaubsjahres geltend zu machen.

4. Alle übrigen Ansprüche sind binnen sechs Monaten nach Fälligkeit, im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses binnen zwei Monaten nach dem Ausscheiden geltend zu machen.

...

5. Ansprüche gem. Abs. 2 bis 4 müssen schriftlich beim Arbeitgeber und, wenn dies erfolglos bleibt, innerhalb der vorgesehenen Fristen durch Klageerhebung geltend gemacht werden.

6. Nach Ablauf der obengenannten Fristen können keinerlei Ansprüche mehr geltend gemacht werden.

7. Die Bestimmungen des § 12 finden keine Anwendung in Fällen, in denen der einschlägige Tarifvertrag vorsätzlich und schuldhaft umgangen worden ist.

...

Mit ihrer beim Arbeitsgericht am 9. Februar 1998 eingegangenen und der Beklagten am 12. Februar 1998 zugestellten Klage hat die Klägerin die Ansicht vertreten, die beanspruchte Abfindung stehe ihr zu. Sie unterfalle dem Sozialplan. Die Kündigung stehe nicht mit der Schließung der Abteilung Trend-Vertrieb in Zusammenhang. Das zeige sich daran, daß ihre Nachfolgerin G in der Abteilung Creativ-Center weiterbeschäftigt worden sei. Eine Kündigung wäre auch während des Erziehungsurlaubs - mit behördlicher Genehmigung - möglich gewesen. Jedenfalls sei sie, die Klägerin, in die Namensliste willkürlich nicht aufgenommen worden, wohingegen Frau G im Februar 1998 eine Sozialplanabfindung erhalten habe. Die Beklagte könne sich angesichts dessen, daß sie ihr den Sozialplan verschwiegen habe, auf die Ausschlußfrist des § 12 MTV nicht berufen. Zumindest beginne die Verfallfrist nicht vor der von ihr zwischen dem 10. und 15. Dezember 1997 erlangten Kenntnis des Sozialplans.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 15.300,00 DM nebst 8,25 % Zinsen seit 5. Januar 1998 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung geäußert, die dem Sozialplan zugrunde liegende Betriebsänderung sei nicht ursächlich für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin gewesen. Diese beruhe vielmehr ausschließlich auf der 1995 erfolgten Stillegung der Abteilung "Trend-Vertrieb". Daß die Klägerin vom Sozialplan nicht erfaßt werde, ließen vor allem dessen Eingangssatz und der Umstand erkennen, daß die Namensliste des Interessenausgleichs die Klägerin nicht nenne. Da die Klägerin nicht betroffen sei, werde sie auch nicht ungleich behandelt. Jedenfalls sei ihr Anspruch verfallen, weil sie ihn nicht binnen zwei Monaten nach ihrem Ausscheiden gerichtlich geltend gemacht habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts im wesentlichen abgeändert und der Hauptforderung sowie dem Zinsanspruch in Höhe des gesetzlichen Zinssatzes stattgegeben; lediglich den darüber hinausgehenden Zinsantrag hat es abgewiesen.

Mit Revision begehrt die Beklagte die völlige Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Klägerin unterfällt dem Geltungsbereich des Sozialplans (I 1 und 2) und erfüllt seine Voraussetzungen (I 3). Der Abfindungsanspruch ist nicht nach § 12 Nr. 4 und 5 MTV verfallen (II).

I. Ein Anspruch der Klägerin auf die geforderte Sozialplanabfindung ist entstanden.

1. Als Arbeitnehmerin der Beklagten unterfällt sie nach § 1 Nr. 1 Halbsatz 1 des Sozialplans seinem persönlichen Geltungsbereich.

2. Das Berufungsgericht hat zu Recht auch angenommen, die Klägerin gehöre zu den Arbeitnehmern, die von den im Interessenausgleich festgelegten Maßnahmen betroffen waren (§ 5 Nr. 2 des Sozialplans).

a) Allerdings war sie bei Abschluß des Sozialplans am 27. August 1997 keiner Abteilung zugeordnet, weil sie sich in Erziehungsurlaub befand. Da die gegenseitigen Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis ruhten (BAG 10. Mai 1989 - 6 AZR 660/87 - BAGE 62, 35, 40 = AP BErzGG § 15 Nr. 2 mit Anm. Sowka, zu B II 1 f der Gründe), konnte sie aktuell keinen Arbeitsplatz innehaben, der von der Verlagerung der im Interessenausgleich genannten Funktionen auf die Muttergesellschaft in Sc (Österreich) betroffen war. Dennoch war die Betriebsänderung unmittelbar kausal für die am 18. September 1997 erklärte Kündigung.

Im Zusammenhang mit der Schließung der Abteilung Trend-Vertrieb im August 1995 versuchte die Beklagte nicht, der Klägerin zu kündigen und die Kündigung durch das hierfür zuständige Gewerbeaufsichtsamt für zulässig erklären zu lassen (§ 18 Abs. 1 Satz 2 und 3 BErzGG). Das Arbeitsverhältnis blieb deswegen bestehen. Es kommt nicht darauf an, ob ein solcher Versuch aussichtsreich gewesen wäre. Maßgeblich ist allein der tatsächliche Fortbestand des ruhenden Arbeitsverhältnisses aufgrund der unterbliebenen Kündigung. Er bewirkte, daß das Arbeitsverhältnis nach dem Ende des Erziehungsurlaubs kraft Gesetzes wieder "aktiviert" wurde und die Beklagte verpflichtet blieb, die Klägerin zu beschäftigen (ErfK/Schlachter § 18 BErzGG Rn. 2). Diese Pflicht entfiel nicht dadurch, daß die Klägerin nicht länger in der stillgelegten Abteilung Trend-Vertrieb eingesetzt werden konnte. Eine aus dem Erziehungsurlaub zurückkehrende Arbeitnehmerin kann nur bei entsprechenden einzel- oder kollektivvertraglichen Voraussetzungen beanspruchen, auf demselben Arbeitsplatz eingesetzt zu werden (ErfK/Schlachter § 18 BErzGG Rn. 2). Daß die Einsatzmöglichkeit der Klägerin auf ihren früheren Arbeitsplatz beschränkt gewesen wäre, ist nicht vorgetragen.

Vielmehr blieb die allgemeine Beschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin erhalten, wie sich daran zeigt, daß ihre Nachfolgerin - Frau G - in die Abteilung Creativ-Center umgesetzt wurde. In dieser neuen Funktion wurde sie von der dem Interessenausgleich zugrunde liegenden Betriebsänderung betroffen und in die Namensliste aufgenommen. Aus der Weiterbeschäftigung von Frau G nach Schließung der Abteilung Trend-Vertrieb läßt sich ersehen, daß die Kündigung der Klägerin nicht auf dieser 1995 erfolgten Betriebsänderung beruhte, sondern auf der späteren Änderung der Betriebsorganisation im Jahr 1997. Die Klägerin konnte sich damit begnügen vorzutragen, an ihrer Stelle sei eine Ersatzkraft eingestellt und von ihr eingearbeitet worden. Es wäre nun an der Beklagten gewesen, geltend zu machen, daß die Klägerin die von Frau G in der Abteilung Creativ-Center eingenommene Stelle nicht hätte ausfüllen können oder der Arbeitsvertrag der Klägerin abweichend von dem ihrer Nachfolgerin auf ein bestimmtes Aufgabengebiet verengt gewesen sei. Dabei konnte sich die Beklagte wegen der unstreitigen Einstellung einer Ersatzkraft nicht auf die allgemeine Behauptung zurückziehen, der Arbeitsplatz, auf den sich der Anstellungsvertrag der Klägerin bezogen habe, sei entfallen.

b) § 5 Nr. 2 des Sozialplans verweist insoweit auf den Interessenausgleich, als der Sozialplan für die Arbeitnehmer gelten soll, die von den im Interessenausgleich festgelegten Maßnahmen betroffen sind. Das bedeutet nicht, daß die nicht ausdrücklich in der Liste ausgewiesenen Arbeitnehmer von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen wären. Die Namensliste wird von § 5 Nr. 2 des Sozialplans nicht genannt. Als "Maßnahme" wird in Nr. 1 Abs. 1 des Interessenausgleichs vielmehr die Planung bezeichnet, einen Großteil der Funktionen der Beklagten auf die Muttergesellschaft in Sc zu verlagern. Davon sollten insbesondere die Musterfertigung, Lager/Logistik/Versand und die Verwaltung im weiteren Sinne betroffen sein. Nr. 1 Abs. 2 des Interessenausgleichs sieht die Kündigung von ca. 101 Arbeitsverhältnissen vor, obwohl die Liste 106 Namen enthält. Nr. 3 Abs. 1 Satz 2 des Interessenausgleichs bestimmt die Liste zwar zu seinem integralen Bestandteil, der folgende Satz ermöglicht jedoch eine Anpassung entsprechend "den Erfordernissen bzw. der weiteren Konkretisierung der Maßnahmen". An diesen Regelungen wird deutlich, daß nicht ausschließlich die in der Namensliste genannten Arbeitnehmer vom Geltungsbereich des Sozialplans erfaßt werden sollten, sondern alle Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnisse aufgrund der Betriebsänderung betriebsbedingt gekündigt werden sollten.

Ohne Bedeutung ist auch, daß die Klägerin von den Betriebspartnern nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien bewußt nicht in den Sozialplan aufgenommen wurde. Da § 5 Nr. 2 des Sozialplans auf den nicht abschließenden Text des Interessenausgleichs verweist und die Klägerin von der Betriebsänderung betroffen ist, hätte ihr von den Betriebsparteien gewollter Ausschluß von den Leistungen des Sozialplans in seinem Wortlaut zumindest angedeutet werden müssen. Dieses Erfordernis ergibt sich daraus, daß Sozialpläne, denen nach § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG die Wirkung von Betriebsvereinbarungen zukommt, wie Tarifverträge und diese wie Gesetze auszulegen sind (st. Rspr. des BAG, zB BAG 5. Februar 1997 - 10 AZR 553/96 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 112 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 92, zu II 1 der Gründe). Dem ist hier nicht genügt.

3. Die Klägerin erfüllt ferner die Voraussetzungen von § 1 Nr. 1 Halbsatz 2 und Nr. 2 des Sozialplans. Ihr Arbeitsverhältnis mit der Beklagten war am 31. August 1997 weder gekündigt noch aufgehoben. Da die im September 1997 ausgesprochene ordentliche Kündigung auf fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gestützt und von der Klägerin hingenommen wurde, schied sie iSd. Sozialplans aufgrund betriebsbedingter Kündigung aus (vgl. BAG 19. Oktober 1999 - 1 AZR 816/98 - nv., zu 2 der Gründe).

4. Der Anspruch der Klägerin ist jedenfalls in der geltend gemachten Höhe von 15.300,00 DM entstanden. Die Klägerin beschränkt sich auf den Betrag, der sich für vollendete neun Beschäftigungsjahre errechnet (108 Monate: 12 x 1.700,00 DM) und läßt den weiteren vollen Monat (August 1988) außer acht, der nach § 2 Nrn. 2 und 3 Abs. 1 des Sozialplans berücksichtigt werden könnte.

II. Dem Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis auch dahin zuzustimmen, daß der Abfindungsanspruch der Klägerin nicht gemäß § 12 Nr. 4 Abs. 1 Halbsatz 2 und Nr. 5 Halbsatz 2 MTV verfallen ist. Nach dieser Bestimmung sind alle "übrigen" - also in den vorangegangenen Nummern nicht genannten - Ansprüche binnen zwei Monaten nach dem Ausscheiden schriftlich beim Arbeitgeber und, wenn dies erfolglos bleibt, innerhalb der vorgesehenen Fristen durch Klageerhebung geltend zu machen.

1. Gegen die Wirksamkeit der Ausschlußregelung bestehen keine Bedenken (vgl. im einzelnen BAG 4. Dezember 1997 - 2 AZR 809/96 - BAGE 87, 210, 213 ff.). Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend auch angenommen, die vorliegende Sozialplanabfindung unterfalle den Ausschlußfristen des § 12 Nrn. 4 und 5 MTV. Eine einmalig aus einem Sozialplan zu zahlende Abfindung ist ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis. Sie wird wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt und ist - wie sonstige Geldleistungen des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis auch - Arbeitseinkommen (BAG 30. November 1994 - 10 AZR 79/94 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 88 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 108, zu 2 a bis d der Gründe; BAG 27. März 1996 - 10 AZR 668/95 - AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 134 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 123, zu II 1 der Gründe), obwohl sie keine nachträgliche Vergütung in der Vergangenheit geleisteter Dienste ist. Damit unterscheidet sie sich von einer Abfindungsrente, die "versorgungsähnlichen" Charakter hat und von einer Verfallklausel nicht notwendig erfaßt wird (BAG 3. April 1990 - 1 AZR 131/89 - EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 94, zu II 3 der Gründe).

2. Die Klägerin hat ihren Anspruch mit Schreiben vom 23. Dezember 1997 geltend gemacht und damit die erste Stufe der nach § 12 Nr. 5 MTV erforderlichen Geltendmachung gewahrt. Damit war sie erfolglos, die Beklagte hat den Anspruch weder erfüllt noch anerkannt (BAG 4. Dezember 1997 - 2 AZR 809/96 - BAGE 87, 210, 219).

Bedenken bestehen allerdings gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, an die erfolglose schriftliche Geltendmachung schließe sich eine - hier gem. § 12 Nr. 4 MTV maßgebliche - zweimonatige Frist zur Klageerhebung an; danach wäre die Klageerhebung am 9. Februar 1998 in jedem Fall noch innerhalb der Frist erfolgt. Demgegenüber ist der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 4. Dezember 1997 (aaO) davon ausgegangen, daß die Frist von zwei Monaten nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis auch bei erfolgloser schriftlicher Geltendmachung die Obergrenze für die Klageerhebung bildet, sich also nicht noch einmal eine volle Zwei-Monats-Frist an die erfolglose Geltendmachung anschließt (siehe aaO, zu B II 3 und 4 der Gründe).

Für die Auslegung der Klausel in diesem Sinne spricht auch nach Auffassung des erkennenden Senats vieles, so schon der eindeutige Tarifwortlaut. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts führt eine solche Auslegung nicht deshalb zu einem sinnlosen Ergebnis, weil es bei "Fristidentität" genügt hätte zu bestimmen, daß die Frist durch die Klageerhebung gewahrt wird. Es wird nämlich so die Möglichkeit eröffnet, den aufwendigeren Weg der Klageerhebung durch ein einfacheres Vorverfahren zu vermeiden. Die Frage kann jedoch dahinstehen.

3. Ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts die Zwei-Monats-Frist zur Klageerhebung als Obergrenze anzusehen, so ändert sich im Ergebnis nichts. Aufgrund der besonderen Umstände des Falles ist nämlich davon auszugehen, daß die Frist nicht vor dem 10. Dezember 1997 begann als dem Zeitpunkt, zu dem die Klägerin frühestens von dem Sozialplan erfuhr.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist für den Anlauf einer Ausschlußfrist grundsätzlich zu verlangen, daß der Gläubiger überhaupt in der Lage ist, den Anspruch geltend zu machen. Dies gewinnt Bedeutung etwa bei Schadenersatzansprüchen und Provisionsforderungen (vgl. etwa BAG 16. Mai 1984 - 7 AZR 143/81 - AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 85 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 58; BAG 27. November 1984 - 3 AZR 596/82 - AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 89 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 64). Aber auch bei Rückforderungsansprüchen des Arbeitgebers wegen überzahlter Vergütung wird angenommen, daß die (regelmäßig an die Fälligkeit anknüpfende) Ausschlußfrist dann nicht zu laufen beginnt, wenn der Arbeitgeber die Überzahlung nicht erkennen kann (siehe nur BAG 14. September 1994 - 5 AZR 407/93 - AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 127 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 106, zu II 3 der Gründe; BAG 27. März 1996 - 5 AZR 336/94 - BAGE 83, 327; BAG 28. Mai 1996 - 3 AZR 752/95 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 143 = EzA GG Art. 3 Nr. 55, zu III 2 a der Gründe; vgl. ErfK/Preis §§ 194 bis 225 BGB Rn. 49; Wank in: Wiedemann TVG 6. Aufl. § 4 Rn. 829). Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Ursache für die Nichtkenntnis nicht in die Sphäre des Gläubigers, sondern in diejenige des Schuldners fällt.

Eine vergleichbare Ausnahmesituation lag auch im Streitfall vor. Die Klägerin hat - unstreitig - frühestens am 10. Dezember 1997 Kenntnis vom Sozialplan erlangt. Die Gründe für die verspätete Kenntnis sind ihr nicht zuzurechnen, sondern liegen objektiv in der Sphäre der Beklagten. Die Klägerin war seit 1992 nicht mehr aktiv im Betrieb tätig. Die Beklagte hat sie bei dem Gespräch am 15. September 1997 nicht über den Abschluß eines Sozialplans informiert, sondern sie nur weiterhin bis zum Ende der Kündigungsfrist freigestellt. Die Klägerin ist also zu keinem Zeitpunkt mehr aktiv in das Arbeitsverhältnis eingetreten. Entscheidend kommt hinzu, daß es sich bei dem Sozialplananspruch nicht um einen Anspruch handelt, der zu den "normalen" Abwicklungsansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis gehört. Es geht vielmehr um einen atypischen Tatbestand, mit dem die Klägerin nicht rechnen mußte.

Dies in Verbindung mit der besonderen Situation, daß sie seit Jahren nicht mehr in dem durch die tägliche Zusammenarbeit mit Arbeitskollegen bedingten unmittelbaren Kontakt zum Betriebsgeschehen stand, hat zur Folge, daß die Ausschlußfrist nicht vor dem Zeitpunkt begann, zu dem der Klägerin die Geltendmachung des Anspruchs frühestens möglich war, weil sie erstmals überhaupt von der Existenz des Sozialplans erfuhr. Insoweit unterscheidet sich ihre Lage von derjenigen eines Arbeitnehmers, der tatsächlich im Betrieb beschäftigt und damit anwesend ist und von dem erwartet werden kann, daß er über das laufende Betriebsgeschehen - also auch den Abschluß eines Sozialplans - informiert ist.

Lief die Frist erst ab Kenntniserlangung (frühestens 10. Dezember 1997), so ist sie mit der am 9. Februar 1998 eingegangenen Klage gewahrt. Der Klägerin kommt dabei für die gerichtliche Geltendmachung die sog. Vorwirkung des § 270 Abs. 3 ZPO zugute, die am 12. Februar 1998 erfolgte Zustellung der Klage wirkt auf den Zeitpunkt der Anhängigkeit zurück.

Wißmann Hauck Rost

H. Blanke von Platen

 

Fundstellen

Dokument-Index HI610836

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