Entscheidungsstichwort (Thema)

Wartezeit nach Eintritt von Erwerbsunfähigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Arbeitnehmer, der mit einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft vorzeitig ausscheidet, kann eine vorgesehene Wartezeit noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfüllen (§ 1 Abs. 1 Satz 5 BetrAVG). Das gilt auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis wegen Erwerbsunfähigkeit des Arbeitnehmers vorzeitig beendet wurde, eine betriebliche Invalidenrente jedoch mit Rücksicht auf die unerfüllte Wartezeit ausscheidet. Bei Erreichen der Altersgrenze entsteht dann ein Anspruch auf zeitanteilig gekürzte Altersrente.

 

Normenkette

BetrAVG § 1 Unterstützungskasse, § 1 Wartezeit; BGB § 242; ZPO § 256

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 28.09.1984; Aktenzeichen 9 Sa 582/84)

ArbG Bonn (Urteil vom 16.04.1984; Aktenzeichen 2 (3) Ca 464/84)

 

Tenor

  • Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 28. September 1984 – 9 Sa 582/84 – wird zurückgewiesen.
  • Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die im Jahre 1924 geborene Klägerin war von Dezember 1968 bis zum Juli 1983 bei den G… -Werken beschäftigt. Mit Bescheid vom 6. Juli 1983 bewilligte ihr die Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Februar 1983. Die G… -Werke gewähren aufgrund einer Betriebsvereinbarung vom 3. Dezember 1979 Leistungen der betrieblichen Altersversorgung über eine Unterstützungskasse, die Beklagte. In deren Leistungsrichtlinien heißt es:

    • Vorausetzungen für die Versorgungsleistungen

      Die Gewährung der Leistungen der Unterstützungskasse setzt voraus, daß der Betriebsangehörige bei Eintritt des Versorgungsfalles seine Wartezeit von 15 Jahren erfüllt hat.

      Der Versorgungsfall tritt ein bei Erreichen der Altersgrenze, bei Erwerbsunfähigkeit oder Tod.

    • Besondere allgemeine Voraussetzungen für Versorgungsleistungen

      Altersrente wird den Betriebsangehörigen gewährt, die das 65. Lebensjahr vollendet haben und aus der Firma ausgeschieden sind.

      Wird Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung bereits vor Vollendung des 65. Lebensjahres bezogen, so wird den Betriebsangehörigen auf Antrag die betriebliche Altersrente von diesem früheren Zeitpunkt an gewährt, sofern er dann schon die Wartezeit erfüllt hat.

      In diesem Fall wird die betriebliche Altersrente für jeden Monat der vorzeitigen Inanspruchnahme für ihre gesamte Laufzeit um 0,5 % ihres Betrages gekürzt.

    • Besondere Voraussetzungen für die Invalidenrente

      Invalidenrente erhalten Betriebsangehörige, die wegen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 1247 Reichsversicherungsordnung bzw. § 24 Angestelltenversicherungsgesetz aus der Firma ausgeschieden sind.

Einen Antrag der Klägerin, ihr bei Erreichen der Altersgrenze Altersrente zu gewähren, lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, sie sei wegen Erwerbsunfähigkeit ausgeschieden und könne nunmehr die Wartezeit für die Bewilligung von Altersruhegeld nicht mehr erfüllen.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe bei Eintritt des 65. Lebensjahres aufgrund der Versorgungsrichtlinien Altersruhegeld zu. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe ihr der Personalleiter der G… -Werke erklärt, daß ihre Rente nur noch berechnet werden müsse. Zwei weitere Arbeitnehmer, die unter vergleichbaren Voraussetzungen ausgeschieden seien, erhielten Altersruhegeld.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

festzustellen, daß die Beklagte zur Zahlung einer monatlichen Leistung aus der Unterstützungskasse in Höhe von 191,86 DM ab 1. Juli 1989 verpflichtet ist;

hilfsweise

festzustellen, daß ihr eine unverfallbare Anwartschaft auf Altersrente nach den Richtlinien der Beklagten zusteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat ihren Rechtsstandpunkt verteidigt. Sie hat eine besondere Zusage des Personalleiters bestritten. Sie hat behauptet, daß der Antrag eines weiteren Arbeitskollegen der Klägerin durch das Arbeitsgericht Bonn rechtskräftig abgewiesen worden sei. Einem anderen Arbeitnehmer gewähre sie allerdings Altersruhegeld. Dieser sei erst nach Vollendung des 63. Lebensjahres wegen Erwerbsunfähigkeit ausgeschieden. Er hätte nämlich Anspruch auf Altersrente erworben, wenn er mit dem 63. Lebensjahr ausgeschieden wäre und vorgezogenes Altersruhegeld beansprucht hätte. Aus Billigkeitsgründen habe sie ihn nicht schlechterstellen wollen, weil er länger gearbeitet habe.

Das Arbeitsgericht hat dem Klageantrag zu 1. stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht dem Hilfsantrag stattgegeben und im übrigen die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Klägerin steht eine Anwartschaft auf Altersrente zu.

I. Die Klage, mit der die Klägerin die Feststellung ihres Anwartschaftsrechts begehrt, ist zulässig. Nach § 256 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger hieran ein berechtigtes Interesse hat. Die Klägerin begehrt die Feststellung ihrer Anspruchsberechtigung, also eines Rechtsverhältnisses. An dessen Feststellung hat sie ein rechtliches Interesse, da von dem Ausgang des Rechtsstreits die Höhe ihres Lebensstandards nach Erreichen der Altersgrenze abhängt. Der Beklagten kann nicht gefolgt werden, wenn sie die Rechtsauffassung vertritt, die Feststellungsklage sei im Verhältnis zu einer Leistungsklage subsidiär und die Klägerin könne bereits jetzt auf Versorgungsleistungen klagen. Zwar kann die Klägerin aufgrund ihres Lebensalters vorgezogenes Altersruhegeld beantragen und damit Leistungsklage erheben. Sie kann sich aber auch damit begnügen, zu einem späteren Zeitpunkt das Altersruhegeld in Anspruch zu nehmen, um dem in den Leistungsrichtlinien vorgesehenen versicherungsmathematischen Abschlag für die Beanspruchung von vorgezogenem Altersruhegeld zu entgehen. Insoweit ist die Feststellungsklage der richtige und geeignete Weg festzustellen, ob der Klägerin eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft zusteht.

II. Die Klägerin hat eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft auf Gewährung betrieblicher Altersrente.

1. Nach Abschnitt I Nr. 1 der Richtlinien der Unterstützungskasse ist Voraussetzung der Gewährung von Betriebsrente, daß der Betriebsangehörige der G… -Werke eine Wartezeit von 15 Jahren zurückgelegt hat und ein Versorgungsfall eintritt. Versorgungsfall ist das Erreichen der Altersgrenze oder die Erwerbsunfähigkeit. Das 65. Lebensjahr erreicht die Klägerin am 19. Juni 1989. Bis zu diesem Zeitpunkt hat sie die Wartezeit von 15 Jahren zurückgelegt. Freilich war sie nur vom 2. Dezember 1968 bis zum 13. Juli 1983 rd. 14 1/2 Jahre beschäftigt. Die Klägerin konnte aber die Wartezeit noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Jahre 1983 zurücklegen.

2. Die Klägerin besaß bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine unverfallbare Versorgungsaussicht. Nach § 1 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG i. Verb. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG wird eine Versorgungsaussicht gegenüber einer Betriebsunterstützungskasse unverfallbar, wenn das Arbeitsverhältnis des Betriebsangehörigen vor Eintritt des Versorgungsfalles endet und er zu diesem Zeitpunkt das 35. Lebensjahr vollendet hat sowie weiterhin die Versorgungszusage für ihn zehn Jahre bestanden hat. Die Klägerin war bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses 59 Jahre. Sie besaß seit mehr als zehn Jahren eine Versorgungszusage. Die Versorgung richtet sich nach Leistungsrichtlinien vom 3. Dezember 1979, die bereits solche vom 1. Januar 1970 abgelöst haben, wonach sämtliche Betriebsangehörige versorgungsberechtigt waren. Scheidet ein Arbeitnehmer aber mit einer unverfallbaren Versorgungsaussicht aus, so kann nach § 1 Abs. 1 Satz 5 BetrAVG die Wartefrist, von deren Ablauf der Versorgungsanspruch abhängt, noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses enden. Dies hat das Landesarbeitsgericht richtig erkannt.

3. Die Beklagte irrt, wenn sie die Rechtsauffassung vertritt, daß die Wartezeit auf Altersruhegeld nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit nicht mehr ablaufen kann.

a) Aus den Leistungsrichtlinien der Beklagten ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die Entstehung eines Anspruches auf betriebliche Altersversorgung ausschließt. In Abschnitt I Nr. 1 der Leistungsrichtlinien werden die Leistungsvoraussetzungen für das betriebliche Ruhegeld oder eine betriebliche Erwerbsunfähigkeitsrente eigenständig nebeneinander geregelt. Die verschiedenen Rentenarten sind in ihren Entstehungsvoraussetzungen voneinander unabhängig, so daß grundsätzlich dann, wenn eine bestimmte Rentenart nicht erwächst, gleichwohl die andere noch erwachsen kann. Nach dem Ende der Frist, von deren Ablauf die Unverfallbarkeit abhängt, hat der Arbeitnehmer alles getan, was für die Entstehung eines Anspruches auf betriebliche Altersrente notwendig ist. Es kann daher keine Rolle spielen, ob er danach noch leistungsfähig ist, in einem anderen Arbeitsverhältnis beschäftigt wird, arbeitslos wird oder gar bereits erwerbsunfähig ist. Dies entspricht auch der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum (BAG Urteil vom 9. November 1973 – 3 AZR 66/73 – AP Nr. 163 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu II der Gründe; Blomeyer/Otto, BetrAVG, § 1 Rz 144; Höhne bei Heubeck/Höhne/Paulsdorff/Rau/Weinert, BetrAVG, 2. Aufl. 1982, § 1 Rz 80c; alle mit weiterem Nachweis).

b) Der allein abweichenden Meinung von Höfer/Abt vermag der Senat nicht zu folgen. Sie vertreten die Auffassung, daß ein Betriebsangehöriger keine betriebliche Invaliditätsrente verlangen könne, wenn die Versorgungszusage die Leistungen von einer Wartezeit abhängig macht und der Invaliditätsfall bereits während der Wartezeit eintritt. Es entfalle dann aber auch der spätere Anspruch auf Altersruhegeld, weil eine mit Erreichen der Altersgrenze zu erbringende Leistung nichts anderes als eine aufgeschobene Invaliditätsleistung sei, zu der sich der Arbeitgeber leistungsplanmäßig nicht verpflichtet habe (Höfer/Abt, BetrAVG, 2. Aufl. 1982, § 1 Rz 178, 179). Höfer und Abt verkennen, daß die Wartezeit, von deren Ablauf die Entstehung von Ansprüchen abhängt, dem Arbeitgeber das Risiko abnehmen soll, bereits für bestimmte vor ihrem Ablauf eintretende Versorgungsfälle einzustehen. Der Arbeitgeber kann sich aber von einer Verpflichtung zur Zahlung der Altersrente bereits dann nicht mehr befreien, wenn die Unverfallbarkeitsfristen abgelaufen sind. Eine Erwerbsunfähigkeitsrente, die mangels Ablaufs der Wartezeit nicht entstehen kann, vermag die erwachsende Altersrente nicht zu verdrängen. Für die Auslegung, eine zugesagte Altersrente sei eine aufgeschobene Invaliditätsrente, besteht keine Möglichkeit.

Zu Unrecht berufen sich Höfer/Abt für ihre gegenteilige Meinung auf die Entscheidung des Senats vom 21. Juni 1979 (– 3 AZR 232/78 – AP Nr. 2 zu § 6 BetrAVG). In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt war überhaupt keine Betriebsrente wegen Erwerbsunfähigkeit vorgesehen. Es stellte sich mithin gar nicht die Frage, ob Renten wegen Erreichens der Altersgrenze und wegen Erwerbsunfähigkeit nebeneinander oder nacheinander erwachsen können.

 

Unterschriften

Schaub, Griebeling, Dr. Peifer, Dr. Michels, Lichtenstein

 

Fundstellen

Haufe-Index 872421

RdA 1986, 335

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