Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatz bei vorzeitig beendetem Berufsausbildungsverhältnis. Vertrauensschaden

 

Leitsatz (amtlich)

Stellt die zuständige Stelle Anforderungen für die künftige Eintragung von Berufsausbildungsverträgen nach den §§ 31 ff. BBiG auf, begründet das eine Aufklärungspflicht des Ausbildenden bei Vertragsschluß nur, wenn sich aus den Anforderungen ein Risiko für die Vertragsdurchführung ergibt.

 

Normenkette

BBiG § 3 Abs. 2, §§ 13, 15 Abs. 1, §§ 16, 31 ff.; BGB §§ 276, 160, 162, 249 ff., § 628 Abs. 2, § 826

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 15.01.1996; Aktenzeichen 11 Sa 1973/94)

ArbG Hanau (Urteil vom 20.10.1994; Aktenzeichen 2 Ca 669/93)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 15. Januar 1996 – 11 Sa 1973/94 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen entgangenen Gehalts in Anspruch.

Die Klägerin war bei den US-Streitkräften zu einem Monatsgehalt von 2.715,-- DM brutto beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde von den Streitkräften zum 30. September 1993 gekündigt. Im Juni 1993 bot die Beklagte der Klägerin eine Berufsausbildung zur Einzelhandelskauffrau an. Am 20. September 1993 schlossen die Parteien einen Berufsausbildungsvertrag und vereinbarten eine Vergütung von 950,-- DM im ersten Ausbildungsjahr sowie eine Probezeit von drei Monaten. Das Ausbildungsverhältnis begann am 1. Oktober 1993 und sollte 1996 enden. Die Beklagte reichte den Vertrag bei der zuständigen Industrie- und Handelskammer (IHK) zur Eintragung in das Verzeichnis der Ausbildungsverhältnisse ein. Sie teilte der IHK mit Schreiben vom 28. Oktober 1993 mit, das Verhältnis von Auszubildenden zu Fachkräften in Hanau betrage 12 zu 37. Auch gewährte sie der IHK Einblick in eine namentliche Auflistung der betreffenden Mitarbeiter, ohne aber einen entsprechenden Ausdruck auszuhändigen. Die IHK lehnte die Eintragung des Ausbildungsvertrages mit der Begründung ab, im September 1991 sei mit dem damaligen Inhaber der Beklagten vereinbart worden, der IHK könnten erst dann wieder Verträge zur Eintragung vorgelegt werden, wenn ihr die bei der Beklagten beschäftigten Fachkräfte namentlich bekanntgegeben würden; das sei nicht geschehen. Im Hinblick auf diese Mitteilung lösten die Parteien das Ausbildungsverhältnis am 9. November 1993 einvernehmlich auf.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin Schadensersatz in Höhe der Vergütung, die sie nach ihrer Behauptung im Zeitraum von Oktober 1993 bis Juni 1994 bei den US-Streitkräften hätte beziehen können, wenn sie nicht das Ausbildungsverhältnis mit der Beklagten eingegangen wäre. Dabei rechnet sie sich die Ausbildungsvergütung, erhaltenes Arbeitslosengeld und das Gehalt aus einem im Januar 1994 angetretenen Arbeitsverhältnis an.

Die Klägerin hat behauptet, ihr wäre die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den US-Streitkräften mit dem bisherigen Gehalt möglich gewesen, da man ihr dort kurz vor Ablauf der Kündigungsfrist einen anderen Arbeitsplatz angeboten habe. Dieses Angebot habe sie im Vertrauen auf die Durchführung des Ausbildungsverhältnisses nicht angenommen. Die Beklagte sei von der IHK im September 1991 und im März 1992 darauf hingewiesen worden, daß die Eintragung weiterer Ausbildungsverhältnisse von der Bekanntgabe der Anzahl und der Namen der Fachkräfte abhänge. Diesem Erfordernis sei die Beklagte erst 1994 nachgekommen. Sie habe sich demnach schadensersatzpflichtig gemacht, da sie den Ausbildungsvertrag in Kenntnis der Anforderungen der IHK und ihrer eigenen Untätigkeit abgeschlossen habe.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 13.777,-- DM brutto abzüglich erhaltener 1.910,42 DM netto nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie habe das Unterbleiben der Eintragung des Ausbildungsvertrages nicht zu vertreten. Der Klägerin sei auch kein Schaden entstanden.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Schadensersatzanspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Klägerin steht der geforderte Schadensersatzanspruch nicht zu.

  • Der Anspruch läßt sich nicht auf § 16 BBiG stützen.

    • § 16 BBiG regelt die Rechtsfolgen einer verschuldeten vorzeitigen Auflösung des Berufsausbildungsverhältnisses. Erfaßt wird die Verletzung des bestehenden Vertrages, die zur Erstattung des Erfüllungsschadens verpflichtet. Bei der Schadensermittlung ist das nicht ordnungsgemäß erfüllte Berufsausbildungsverhältnis nach Maßgabe der §§ 249 ff. BGB mit einem ordnungsgemäßen zu vergleichen (BAG Urteil vom 11. August 1987 – 8 AZR 93/85 – AP Nr. 1 zu § 16 BBiG = EzB BBiG § 16 Nr. 12, zu I 3 der Gründe, m.w.N.).
    • Bei dem von der Klägerin geltend gemachten Schaden handelt es sich nicht um einen Erfüllungsschaden wegen Vertragsverletzung, sondern um einen Vertrauensschaden wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten. Indem die Klägerin das Gehalt einfordert, das sie auf einem Ersatzarbeitsplatz bei den US-Streitkräften bezogen hätte, möchte sie so gestellt werden, als hätte sie den Ausbildungsvertrag mit der Beklagten nicht abgeschlossen. Es geht ihr nicht darum, so zu stehen, als sei der Ausbildungsvertrag ordnungsgemäß durchgeführt worden.
    • Für die Erstattung eines derartigen Schadens kommt nur die Anwendung der Rechtsgrundsätze des allgemeinen Schadensersatzrechts in Betracht. Diese Rechtsgrundsätze sind anwendbar, weil § 16 BBiG ausdrücklich nur das Auflösungsverschulden betrifft; gemäß § 3 Abs. 2 BBiG bleibt das allgemeine Schadensersatzrecht unberührt (Herkert, BBiG, § 16 Rz 1; Gedon/Spiertz, BBiG, § 16 Rz 1; Natzel, Berufsbildungsrecht, 3. Aufl., S. 300; vgl. auch BT-Drucks. V/4260).
    • Im übrigen sind nach § 16 BBiG Schadensersatzansprüche nur bei vorzeitiger Beendigung des Ausbildungsverhältnisses nach der Probezeit möglich. Die gemäß § 13 BBiG zulässigerweise auf drei Monate befristete Probezeit war zum Zeitpunkt der Auflösung des Vertrages am 9. November 1993 noch nicht abgelaufen.
  • § 628 Abs. 2 BGB scheidet als Anspruchsgrundlage aus. Die Vorschrift wird in Berufsausbildungsverhältnissen durch die Sonderregelung des § 16 BBiG verdrängt (Staudinger/Preis, BGB, 13. Aufl., § 628 Rz 6; Erman/Hanau, BGB, 9. Aufl., § 628 Rz 11; Palandt/Putzo, BGB, 56. Aufl., § 628 Rz 1). Sie erfaßt ebenfalls nur die Verletzung eines bestehenden Vertrags durch vorzeitige Auflösung und nicht den Vertrauensschaden durch vorvertragliche Pflichtverletzungen. Schließlich ist die Schadensersatzpflicht gem. § 628 Abs. 2 BGB auf die Schäden beschränkt, die bei vertragsgemäßer Beendigung nicht entstanden wären (BAG Urteil vom 9. Mai 1975 – 3 AZR 352/74 – BAGE 27, 137 = AP Nr. 8 zu § 628 BGB zu II 2a der Gründe; BAG Urteil vom 26. März 1981 – 3 AZR 485/78 – BAGE 35, 179 = AP Nr. 7 zu § 276 BGB Vertragsbruch, zu II 1 der Gründe). Da das Ausbildungsverhältnis gemäß § 15 BBiG ohne Einhaltung einer Frist beendet werden konnte, war die sofortige Beendigung am 9. November 1993 nicht vorzeitig.
  • Die Voraussetzungen einer Haftung nach § 160 Abs. 1 BGB sind nicht erfüllt. Hätten die Parteien, wie die Klägerin geltend macht, den Ausbildungsvertrag unter der aufschiebenden Bedingung der Genehmigung durch die IHK abgeschlossen, so würde es doch an dem gesetzlich vorausgesetzten Eintritt der Bedingung fehlen. Zudem betrifft auch § 160 BGB die Verletzung vertraglicher und nicht die Verletzung vorvertraglicher Pflichten; die Vorschrift ist auf den Ersatz des positiven Interesses gerichtet (Staudinger/Bork, BGB, 13. Aufl., § 160 Rz 10; Palandt/Heinrichs, BGB, 56. Aufl., § 160 Rz 1). Zu Unrecht beruft sich die Klägerin weiter auf § 162 BGB. Rechtsfolge dieser Vorschrift ist keine Schadensersatzpflicht, sondern die Fiktion des Eintritts bzw. Nichteintritts einer Bedingung.
  • Die Anspruchsvoraussetzungen der gewohnheitsrechtlich geltenden Grundsätze über eine Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluß (vgl. BAG Urteil vom 10. November 1955 – 2 AZR 282/54 – BAGE 2, 217, 218 f. = AP Nr. 1 zu § 276 BGB Verschulden bei Vertragsabschluß; BGH Urteil vom 11. Mai 1979 – V ZR 75/78 – NJW 1979, 1983; Staudinger/Löwisch, BGB, 13. Aufl., Vorbem. 52 zu §§ 275 ff.) liegen nicht vor.

    • Das Landesarbeitsgericht hat einen solchen Anspruch zwar nicht geprüft. Der Senat kann den Rechtsstreit aber selbst entscheiden. Ein schlüssiger Sachvortrag der Klägerin liegt nicht vor.
    • Nach den Grundsätzen der Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluß wird durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen ein gesetzliches Schuldverhältnis begründet, das die Parteien einander zur verkehrsüblichen Sorgfalt verpflichtet (BAG Urteil vom 10. November 1955, aaO.; BGH Urteil vom 20. Juni 1952 – V ZR 34/51 – BGHZ 6, 330, 333). Ein Arbeitgeber, der Vertragsverhandlungen für ein Berufsausbildungsverhältnis eingeht, darf bestehende Umstände, gleich welcher Art, die die vollständige Durchführung des Berufsausbildungsverhältnisses in Frage stellen können, nicht verschweigen, soweit sie ihm bekannt sind oder bekannt sein müssen (BAG Urteil vom 8. März 1977 – 4 AZR 700/75 – EzB BBiG § 15 Abs. 1 Nr. 5). Eine schuldhafte Verletzung dieser Aufklärungspflicht begründet einen Schadensersatzanspruch, wenn sich die verschwiegene Gefahr später realisiert und zur Beendigung des Ausbildungsverhältnisses führt (vgl. BAG Urteil vom 2. Dezember 1976 – 3 AZR 401/75 – AP Nr. 10 zu § 276 BGB Verschulden bei Vertragsabschluß, zu I 1 der Gründe, m.w.N.).
    • Zu ersetzen ist der Vertrauensschaden. Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er stünde, wenn er auf die ordnungsgemäße Durchführung des Vertrages nicht vertraut, sich auf einen Vertragsabschluß gar nicht eingelassen hätte. Der Vertrauensschaden ist nicht auf das Erfüllungsinteresse, vorliegend die Vergütung der Klägerin im Ausbildungsverhältnis mit der Beklagten, begrenzt. Gerade für die Eingehung eines Ausbildungsverhältnisses spielen nicht kurzfristige finanzielle Fragen eine Rolle, sondern die Möglichkeit eines langfristigen beruflichen Fortkommens; diese kann den Arbeitnehmer veranlassen, ein bestehendes Arbeitsverhältnis aufzugeben, auch wenn er sich finanziell verschlechtert (vgl. BAG Urteil vom 15. Mai 1974 – 5 AZR 393/73 – AP Nr. 9 zu § 276 BGB Verschulden bei Vertragsabschluß, zu III der Gründe).
    • Die Klägerin hat nicht vorgetragen, die Beklagte habe vor oder bei Abschluß des Ausbildungsvertrages am 20. September 1993 eine Aufklärungspflicht verletzt.

      • Nach den Behauptungen der Klägerin hat die Beklagte aufgrund von Gesprächen mit Vertretern der IHK im September 1991 und März 1992 gewußt, daß ein weiterer Ausbildungsvertrag nur eingetragen werde, wenn die Beklagte Anzahl und Namen ihrer Fachkräfte bekannt gebe. Eine solche Vorgabe der IHK stand der ordnungsgemäßen Ausbildung der Klägerin jedoch nicht entgegen, weil es sich um ein jederzeit bis zur Antragstellung oder Bescheidung erfüllbares Verlangen handelte. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, daß mit der Vorgabe der IHK ein irgendwie geartetes Risiko für eine ordnungsgemäße Vertragsdurchführung verbunden war. Eine Aufklärungspflicht der Beklagten gegenüber der Klägerin hätte erst dann bestanden, wenn die Beklagte bei Vertragsschluß nicht in der Lage oder nicht bereit gewesen wäre, der Vorgabe nachzukommen. Eine Aufklärungspflicht wäre auch dann begründet, wenn Zweifel an einer entsprechenden Fähigkeit oder Bereitschaft bestanden. Auch hier hätte ein Umstand vorgelegen, der die vollständige Durchführung des Berufsausbildungsverhältnisses in Frage gestellt hätte. Darüber hätte die Klägerin – unabhängig von der Gesetzmäßigkeit der Vorgabe der IHK – informiert werden müssen, um ihr die Möglichkeit zu geben, eine andere berufliche Entscheidung zu treffen.
      • Derartiges hat die Klägerin nicht vorgetragen. Für die Annahme einer Aufklärungspflichtverletzung bei Vertragsschluß genügt nicht, daß die Beklagte nach Vertragsschluß im Antragsverfahren zur Erlangung der Eintragung des Vertrages (§§ 31 ff. BBiG) den Anforderungen der IHK nicht gerecht wurde. Allein hieraus kann nicht der Schluß gezogen werden, die Beklagte sei schon bei Vertragsschluß dazu nicht in der Lage oder nicht bereit gewesen oder es hätten Zweifel insoweit bestanden. Die Klägerin hat auch keinerlei Indizien vorgetragen, die eine Auslegung ihres Sachvortrags in diesem Sinne rechtfertigen könnten.
      • Einer etwa unzureichenden Mitwirkung der Beklagten im Eintragungsverfahren hätte die Klägerin mit einem Anspruch auf Abgabe weiterer notwendiger Erklärungen begegnen können. In Betracht kam auch ein Schadensersatzanspruch unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer Nebenpflicht aus dem Ausbildungsvertrag (positive Forderungsverletzung). Sofern ein Anspruch aus positiver Forderungsverletzung neben § 16 BBiG überhaupt zugelassen werden kann, wäre er im Streitfall jedenfalls auf das Erfüllungsinteresse (Schadensersatz wegen Nichterfüllung) gerichtet (vgl. Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts I, 14. Aufl., S. 430 f.).
  • Ein Anspruch aus § 826 BGB besteht nicht. Die Klägerin hat keine Tatsachen vorgetragen, die den Schluß rechtfertigen, die Beklagte habe sie in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich geschädigt.
  • Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Harnack, Rosendahl

 

Fundstellen

Haufe-Index 893925

BB 1998, 324

NZA 1997, 1224

AP, 0

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