Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung auch bei einmaligem Pflichtenverstoß?

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1; ZPO §§ 302, 561, 565, 538

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 30.04.1991; Aktenzeichen 11 Sa 308/91)

ArbG Münster (Urteil vom 17.01.1991; Aktenzeichen 2 Ca 1142/90)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 30. April 1991 – 11 Sa 308/91 – insoweit aufgehoben, als festgestellt worden ist, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die dem Kläger gegenüber ausgesprochene Kündigung der Beklagten vom 22. Oktober 1990 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden.

Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen; dieses oder gegebenenfalls das Arbeitsgericht Münster werden auch über die Kosten der Revisionsinstanz zu befinden haben.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten – soweit der Rechtsstreit in der Revisionsinstanz anhängig ist – um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 22. Oktober 1990. Der Kläger war seit dem 1. Januar 1977 als Malermeister gegen ein monatliches Gehalt von 4800,– DM brutto bei der Beklagten beschäftigt, und zwar aufgrund eines schriftlichen Anstellungsvertrages vom 11. Januar 1977. Im Malerbetrieb der Beklagten sind etwa 25 bis 30 Mitarbeiter tätig. Neben dem Kläger war noch ein weiterer Malermeister, der später vernommene Zeuge Sch, tätig. Zum Aufgabenbereich der beiden Meister gehörte unter Einsatz wechselnder Arbeitsteams die Auftragsbearbeitung nebst Erstellung von Angeboten, Abrechnung und Rechnungstellung. In der Regel wird das Rechnungskonzept anhand der vorher in die EDV eingegebenen Angebote erstellt, wobei dieses Rechnungskonzept durch den Geschäftsführer der Beklagten durchgesehen und auf seine Stimmigkeit hin überprüft wird. Während die Zusammenarbeit zwischen den Parteien in den vergangenen Jahren diesbezüglich reibungslos funktioniert hat, hat es seit Anfang 1990 zunehmend Schwierigkeiten gegeben.

Der Kläger besaß eine ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellte Tankkarte, mit der er auf Kosten der Beklagten seinen Privatwagen betanken konnte. Ob die Beklagte in der Vergangenheit eine tarifliche Lohnerhöhung dadurch bewilligte, daß dem Kläger erlaubt wurde, zunächst zweimal monatlich, dann einmal wöchentlich auf Kosten der Firma zu tanken, ist zwischen den Parteien streitig. Zuletzt betankte der Kläger sein Firmenfahrzeug auf Kosten der Beklagten, die die Tankrechnungen bezahlte; diese Kosten betrugen monatlich etwa 375,– DM. Anfang Januar 1990 ließ die Beklagte ohne Angabe von Gründen die dem Kläger überlassene Tankkarte sperren. Der Kläger forderte die Beklagte daraufhin auf, ihm entweder die Möglichkeit, einmal in der Woche zu tanken, wieder einzuräumen oder ihm Fahrtkosten in Höhe von 375,– DM monatlich zu erstatten. Mit Schreiben vom 18. Januar 1990 rügte die Beklagte gegenüber dem Kläger die unpünktliche Aufnahme seines Dienstes, nachdem dieser am 15., 16. und 17. Januar 1990 den Dienst nicht um 7.00 Uhr angetreten hatte. Die vom Kläger geltend gemachten Fahrtkostenansprüche lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 29. Januar 1990 ab. In der Folgezeit hat die Beklagte mehrere Abmahnungen, u.a. wegen unpünktlichen Erscheinens, wegen nicht genauer Abrechnung des Bauvorhabens S, wegen unkorrekter Lohnabrechnung auf „fliegenden Zetteln” und wegen falscher Aufmaße in zwei Rechnungen sowie schießlich unrichtiger Adressierung in anderen Rechnungen erteilt. Der Kläger hat einen Rechtsstreit auf Rücknahme dieser Abmahnungen und Entfernung aus den Personalakten anhängig gemacht und ferner die Beklagte auf Zahlung der Fahrtkosten in Höhe von monatlich 375,– DM ab 8. Januar 1990 in Anspruch genommen. Der hierüber anhängig gemachte Rechtsstreit (– 2 Ca 464/90 – ArbG Münster) ist im Hinblick auf den laufenden Kündigungsprozeß derzeit ausgesetzt.

Mit Schreiben vom 29. Juni 1990 kündigte die Beklagte erstmals das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1990 auf, und zwar mit der Begründung, der Kläger habe in acht einzeln aufgezählten Fällen von der Beklagten ausgeführte Arbeiten nicht oder falsch berechnet, Materialkosten nicht in Rechnung gestellt, Aufmaße falsch angegeben, Tagelohnzettel nicht richtig addiert, Angebote falsch adressiert und bestimmte Materialien trotz Auslieferung nicht in Rechnung gestellt. Mit Schreiben vom 10. August 1990 kündigte die Beklagte das Arbeitverhältnis erneut fristgemäß zum nächstmöglichen Termin (31. März 1991), weil der Kläger trotz Kenntnis der richtigen Aufmaße falsche Angaben in die EDV eingegeben und dadurch bewußt einen Schaden verursacht habe; ferner habe er in mehreren Fällen bei einem Bauvorhaben des Finanzbauamtes M Positionen teils nicht, teils falsch eingegeben; auch diese Übertragungsfehler seien ihm anzulasten, ebenso wie eine falsche Adressierung im Falle des Architekten F; ferner habe der Kläger am 30. Juli 1990 vor einem Kurantritt Urlaub haben wollen, obwohl – was dem Kläger bekannt gewesen sei –, Urlaubsüberschneidungen zu vermeiden gewesen wären, vor allem aber habe der Kläger erst zu diesem Zeitpunkt die Beklagte unterrichtet, daß er im August wegen Bewilligung einer Kur nicht anwesend sei, dies obwohl der Bescheid über die Kur vom 22. Juni 1990 datiere.

Obwohl dem Kläger am 16. Juli 1990 Weisungsbefugnisse entzogen worden seien, habe er am 12. September 1990 eine Hubarbeitsbühne zu einem Tagessatz von 450,– DM zuzüglich 40,– DM Fahrerkosten (pro Stunde) vermietet, obwohl der zutreffende Tagessatz 600,– DM und der Stundensatz 45,– DM zuzüglich 0,80 DM pro gefahrenen Kilometer betragen habe. Die dem Kunden erstellte Rechnung von 770,07 DM habe daher auf 590,52 DM reduziert werden müssen. In einem anderen Fall habe der Kläger Arbeiten in der Landespolizeischule trotz Fertigstellung im März 1990 überhaupt nicht abgerechnet, die entsprechende Akte sei verschwunden, obwohl der Kläger selbst das Aufmaß genommen habe; dadurch sei ihr, der Beklagten, ein Schaden von ca. 2.500,– DM entstanden. Im Hinblick hierauf sprach die Beklagte dem Kläger erneut eine Kündigung unter dem 27. September 1990 zum nächstmöglichen Termin (31. März 1991) aus.

Nachdem der Kläger nach einem Urlaub am 15. Oktober 1990 an seinen Arbeitsplatz zurückkehrte, kam es am 16. Oktober 1990 zu einem Vorfall, der die im Streit stehende außerordentliche Kündigung vom 22. Oktober 1990 auslöste. An dem besagten Tag führte der Kläger ein Telefonat mit einem Kunden, dem Zeugen A. Dieser beschwerte sich anschließend in einem Schreiben vom 17. Oktober 1990 bei der Beklagten, der Kläger sei bei dem Telefonat vom Vortage nicht bereit gewesen, über ein bestimmtes Angebot der Beklagten Auskunft zu erteilen und ihm wegen einzelner Angebotspositionen Hilfestellung zu leisten. Der Kläger habe schließlich dem Kunden anheimgestellt, den Auftrag einer anderen Firma zu erteilen. Hierdurch sei der Beklagten ein Schaden in Höhe von 18.000,– DM entstanden, weil der Kunde tatsächlich den Auftrag anderweit vergeben habe. Da früher mit dem Kunden A als Versicherungsvertreter eine ständige Geschäftsbeziehung bestanden habe und dieser das fragliche Angebot auch für den Landschaftsverbandsdirektor N eingeholt habe, sei ihr ein bleibender Schaden entstanden, weil diese Geschäftsbeziehung abgebrochen bzw. nicht zustandegekommen sei. Auf den entsprechenden Vorhalt habe der Kläger glatt abgestritten, den Kunden A in der beschriebenen Form am Telefon abgefertigt zu haben. Nach diesem Verhalten des Klägers sei zu besorgen, daß er auch anderen Kunden gegenüber ähnlich desinteressiert reagiere, so daß eine sofortige Kündigung erforderlich gewesen sei. Entgegen dem Sachvortrag des Klägers habe er bei dem fraglichen Telefonanruf dem Kunden A keinen Rückruf angeboten; auch sei unzutreffend, daß die Akte mit dem fraglichen Angebot nicht zugänglich gewesen sei; jedenfalls habe der Kläger sich das Angebot im Computer ausdrucken lassen können. Sein Verhalten könne daher nur als destruktiv bezeichnet werden. Schließlich habe der Kläger, was ihr erst nach Ausspruch der Kündigung bekannt geworden sei, bereits unter dem 15. März 1989 ein selbständiges Maler- und Lackiererhandwerk in der Handwerksrolle eintragen lassen, was insofern unstreitig ist. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts werden die Geschäfte dieses Betriebes von der Ehefrau des Klägers geführt.

Der Kläger hat sämtliche Kündigungen als sozial ungerechtfertigt angegriffen; die Kündigungsgründe hat er im einzelnen bestritten. Was den Fall „A” angehe, so seien schon die äußeren Umstände dieses Anrufs äußerst merkwürdig: Als er an dem besagten Tage von 10.30 Uhr bis mittags allein im Büro gewesen sei und dessen Türen völlig unüblich verschlossen gewesen seien, habe der Kunde angerufen, wobei er, der Kläger, sofort eine Falle gewittert habe. Bei dem Telefonat habe er sich aber völlig korrekt verhalten und dem Kunden erklärt, er könne derzeit nicht an die Akten, um ihm Auskünfte wegen des angeblichen Angebotes zu geben. A habe von sich aus gesagt, dann müsse er wohl zu einer anderen Firma gehen, wobei er, der Kläger, in dem Sinne reagiert habe, was er denn zu einer solchen Frage wohl sagen solle. Er habe sich aber die Telefonnummer des Kunden A geben lassen und einen Rückruf angekündigt; einen entsprechenden Zettel habe er an seinen Arbeitskollegen Sch weitergegeben, der an dem besagten Tag ebenfalls die Büroräume nicht habe betreten können, weil sie verschlossen gewesen seien. Der Vorwurf, A möge sich an eine andere Firma wenden, sei völlig absurd, da er, der Kläger, schon befürchtet habe, die Beklagte suche nur nach einem handfesten Kündigungsgrund. Jedenfalls sei sein Verhalten am 16. Oktober 1990 nicht ohne den Hintergrund der unberechtigten Abmahnungen und Kündigungen sowie der Entziehung der Weisungsbefugnis zu sehen; nach dem Schreiben vom 16. Juli 1990 habe er sogar Anweisungen von seinem jüngeren Arbeitskollegen, dem Zeugen Sch, entgegennehmen sollen. Sein Verhalten am 16. Oktober 1990 hätte daher allenfalls eine Abmahnung, nicht jedoch eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die Kündigungen vom 29. Juni 1990, 10. August 1990, 27. September 1990, noch durch die fristlose Kündigung vom 22. Oktober 1990 aufgelöst worden sei.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, die Kündigungen seien begründet, weil der Kläger in zunehmendem Maße seine Arbeitspflichten vernachlässigt habe, wie dies hinsichtlich der ordentlichen Kündigungen in den Tatsacheninstanzen im einzelnen vorgetragen worden sei. Was die außerordentliche Kündigung vom 22. Oktober 1990 angehe, sei diese wegen des geschäftsschädigenden Verhaltens des Klägers gerechtfertigt. Entgegen seinen Angaben habe der Kläger durchaus die Möglichkeit gehabt, die Büroräume zu betreten; der Kläger habe bei dem Telefonat nicht einmal versucht, an die Akten heranzukommen, zumal er dem Kunden sofort eine ablehnende Antwort gegeben habe. Der Kläger habe überhaupt nichts unternommen, um dem Kunden weiterzuhelfen, so daß dieser sich „auf den Arm genommen” glaubte. Die Kündigung werde aber auch auf den Wettbewerbsverstoß gestützt, der darin zu sehen sei, daß der Kläger ab Anfang 1989 ein selbständiges Gewerbe angemeldet und betrieben habe. Er habe sich nicht nur geschäftsschädigend verhalten, sondern durch seine eigene Tätigkeit ihr auch noch Konkurrenz gemacht.

Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung der Zeugen A und Sch die Klage im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Oktober 1990 sei gerechtfertigt, so daß es auf eine Entscheidung über die ordentlichen Kündigungen nicht mehr ankomme. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht diese Entscheidung dahin abgeändert, daß die Kündigung vom 22. Oktober 1990 das Arbeitsverhältnis zwar nicht fristlos, aber im Wege einer umzudeutenden ordentlichen Kündigung jedenfalls zum 30. Juni 1991 beendet habe; wegen der drei vorhergehenden ordentlichen Kündigungen hat das Landesarbeitsgericht den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht zurückverwiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits (§ 565 ZPO), weil der Senat nicht abschließend über die Berechtigung der außerordentlichen Kündigung vom 22. Oktober 1990 entscheiden kann, und zwar unabhängig davon, daß das neue Vorbringen des Klägers, die Beklagte habe den Auftrag „A” doch abgewickelt, in der Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden kann, § 561 Abs. 1 ZPO.

I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die außerordentliche Kündigung sei mangels eines wichtigen Grundes i. S. des § 626 Abs. 1 BGB unwirksam. Wenn auch in dem destruktiven Verhalten des Klägers gegenüber dem Kunden A eine Störung im Leistungsbereich gesehen werden könne, so sei doch wegen des Moments der Beharrlichkeit eine besondere Nachhaltigkeit der Verletzung von arbeitsvertraglichen Pflichten zu fordern. Zwar könne grundsätzlich ein geschäftsschädigendes Verhalten auch eine fristlose Kündigung rechtfertigen, ein derartiges Verhalten sei aber nur dann an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, wenn es den Grad und die Auswirkung einer beharrlichen und hartnäckigen Pflichtverletzung erreiche. Dies setze in der Person des Arbeitnehmers eine Nachhaltigkeit im Willen voraus, wobei keinesfalls ein einmaliger Verstoß genüge. Nachlässige, unzureichende oder lustlose Arbeit genüge allein nicht. An einer solchen Widersetzlichkeit der Verhaltensweise des Klägers gegenüber dem Kunden A fehle es, weil der Kläger lediglich auf die Anfrage des Kunden nicht eingegangen sei.

Auch die nachgeschobene Tatsache, daß der Kläger mit einem eigenen Maler- und Lackiererhandwerk in der Handwerksrolle eingetragen sei, vermöge die außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen, denn ein unmittelbarer Eingriff in die Geschäfts- oder Wettbewerbsinteressen der Beklagten liege nicht vor. Der Kläger sei nicht werbend im Geschäftszweig der Beklagten tätig geworden; dazu habe die Beklagte nichts vorgetragen. Unbestritten werde der Handwerksbetrieb nicht vom Kläger, sondern von seiner Ehefrau geführt. Daß durch diesen Betrieb Kundeninteressen der Beklagten gefährdet seien, sei von dieser nicht behauptet worden.

Die außerordentliche Kündigung sei jedoch gemäß § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung zum 30. Juni 1991 umzudeuten und als solche sozial gerechtfertigt, § 1 Abs. 2 KSchG. Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht u.a. angeführt, der Beklagten sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein Schaden von ca. 18.000,– DM entstanden, und schwerwiegend sei, daß durch die Pflichtverletzung das Vertrauensverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten derart zerstört sei, daß eine gedeihliche Zusammenarbeit für die Zukunft nicht zu erwarten sei. Eine Abmahnung sei vorliegend entbehrlich, weil es sich um eine Störung im Vertrauensbereich gehandelt habe. Das Verhalten des Klägers wiege schwer und er habe das in ihn gesetzte Vertrauen erheblich gestört, so daß die Beklagte befürchten müsse, daß der Kläger in Zukunft nicht mehr willens sei, sich für ihre Interessen einzusetzen.

Die Zurückverweisung des Rechtsstreits wegen der ordentlichen Kündigungen sei erforderlich gewesen, weil das Arbeitsgericht insofern zur Sache selbst noch nicht entschieden habe. Anderenfalls werde beiden Parteien eine Instanz genommen und das rechtliche Gehör abgeschnitten. Wegen des Grundsatzes der Kosteneinheit habe über die Kosten des Rechtsstreits noch nicht entschieden werden können.

II. Dem vermag der Senat weder im Ergebnis, noch in der Begründung zu folgen.

1. Die Anwendung des § 626 Abs. 1 BGB durch das Berufungsgericht kann vom Revisionsgericht nicht uneingeschränkt nachgeprüft werden. Die Überprüfung hat sich darauf zu beschränken, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff des wichtigen Grundes verkannt oder unrichtig angewendet hat. Das Revisionsgericht kann insoweit nur nachprüfen, ob ein bestimmter Vorgang für sich genommen überhaupt geeignet ist, einen wichtigen Grund i. S. des § 626 BGB zu bilden, und ob das Berufungsgericht alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, bedacht und abgewogen hat (ständige Rechtsprechung; vgl. z. B. BAG Urteil vom 9. Dezember 1982 – 2 AZR 620/80BAGE 41, 150, 158 = AP Nr. 73 zu § 626 BGB, zu II 2 der Gründe; BAG Urteil vom 15. Januar 1986 – 7 AZR 128/83 – AP Nr. 93 zu § 626 BGB, zu 1 der Gründe).

2. Dieser eingeschränkten Überprüfung halten die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts nicht stand.

a) Das gilt zunächst, wie bereits im Senatsbeschluß über die Zulassung der Revision vom 7. November 1991 deutlich geworden ist, bezüglich der Ausführung des Landesarbeitsgerichts, für die Annahme eines wichtigen Grundes sei eine beharrliche und hartnäk,c-kige Pflichtverletzung erforderlich, wobei keinesfalls ein einmaliger Verstoß ausreiche. Insofern berücksichtigt das Berufungsgericht nicht, daß auch der einmalige Vorgang einer bewußten und gewollten Geschäftsschädigung grundsätzlich geeignet sein könnte, einen wichtigen Grund i. S. des § 626 BGB zu bilden. Das Landesarbeitsgericht hat zwar im Ansatz richtig erkannt, daß eine beharrliche Verletzung der Arbeitspflicht in der Person des Arbeitnehmers eine Nachhaltigkeit im Willen voraussetzt; der Arbeitnehmer muß die ihm übertragene Arbeit bewußt und nachhaltig nicht leisten wollen, wobei Beharrlichkeit allerdings nicht notwendigerweise wiederholte Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers voraussetzt. Auch die einmalige Vertragsverletzung kann das Merkmal der Beharrlichkeit erfüllen, wenn daraus der nachhaltige Wille des Arbeitnehmers erkennbar wird, seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nicht nachkommen zu wollen (BAGE 2, 252 = AP Nr. 5 zu § 123 GewO; BAG Urteil vom 31. Januar 1985 – 2 AZR 486/83 – AP Nr. 6 zu § 8 a MuSchG 1968, zu B I 1 der Gründe; KR- Hillebrecht, 3. Aufl., § 626 BGB Rz 111).

Da das Landesarbeitsgericht hier möglicherweise nur eine mehrfache Geschäftsschädigung als wichtigen Kündigungsgrund ausreichen lassen will – anders kann jedenfalls seine Bemerkung, keinesfalls genüge ein einmaliger Vertragsverstoß, nicht gewertet werden – und die Revision dies ausdrücklich rügt, muß wegen dieser rechtsfehlerhaften Beurteilung seine Entscheidung aufgehoben werden.

b) Außerdem sind nicht alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, bedacht worden (BAG Urteil vom 9. Dezember 1982 – 2 AZR 620/80BAGE 41, 150 = AP Nr. 73 zu § 626 BGB). Die Revision rügt zu Recht, das Landesarbeitsgericht habe ihren Sachvortrag zum Inhalt des fraglichen Telefongesprächs mit dem Kunden A nicht vollständig gewürdigt. Das Landesarbeitsgericht begnügt sich insofern im Grunde genommen mit dem lapidaren Satz, die bloße Weigerung des Klägers, auf die Anfrage des Kunden einzugehen, rechtfertige keine außerordentliche Kündigung. Die Beklagte hatte aber darüber hinausgehend vorgetragen, der Kläger habe dem Kunden A anheimgestellt, eine andere Firma mit der Durchführung des Auftrages zu beauftragen, der Kläger habe sehr wohl Zugang zu der Akte betreffend den Auftrag des Kunden A gehabt, zumindest habe er sich diesen Auftrag ausdrucken lassen können, durch das destruktive Verhalten des Klägers sei ein Schaden von 18.000,– DM entstanden usw. Alle diese Umstände, für die die Beklagte Beweis angetreten hatte (Sch, H –) sind ebensowenig tatrichterlich gewürdigt, wie eventuell den Kläger entlastendes Vorbringen, nämlich daß der Zugang zur Akte ihm tatsächlich versperrt war, was auch der Zeuge Sch – festgestellt habe, und daß das Verhalten am 16. Oktober 1990 auf dem Hintergrund der ihn degradierenden Entziehung der Weisungsbefugnis laut Schreiben der Beklagten vom 16. Juli 1990 zu sehen sei und daß schließlich der Verdacht sich aufdränge, bei dem Telefongespräch handele es sich um einen vom Geschäftsführer der Beklagten initiierten Versuch, ihm ein eventuelles Fehlverhalten nachweisen zu können. Tatsächlich habe er nur zurückhaltend und vorsichtig geantwortet, keinesfalls habe er bewußt eine Geschäftsschädigung in Kauf genommen oder gar angestrebt, was auch widersinnig angesichts der Tatsache sei, daß die Beklagte nach den vorhergehenden drei Kündigungen offensichtlich nur nach einem handfesten Kündigungsgrund gesucht habe.

Mit diesem gesamten Vorbringen hat sich das Landesarbeitsgericht nicht auseinandergesetzt, wobei auch auffällt, daß es nicht einmal die Aussage des erstinstanzlich zu dem Telefongespräch vernommenen Zeugen A gewürdigt hat.

c) Rechtsfehlerhaft erscheint das Urteil ferner, weil es nicht die nach § 626 BGB erforderliche Interessenabwägung und Beurteilung der Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigungsfrist enthält. Insofern erscheint es außerdem widersprüchlich, wenn im Rahmen der umgedeuteten ordentlichen Kündigung ausgeführt wird (Entscheidungsgründe S. 9), der Kläger habe sich derart geschäftsschädigend verhalten, daß das Vertrauensverhältnis zur Beklagten, zumal ihr ein Auftrag im Wert von 18.000,– DM entgangen sei, zerstört sei, so daß eine gedeihliche Zusammenarbeit für die Zukunft nicht zu erwarten sei. Tatsächliche Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht bei der Beurteilung der außerordentlichen Kündigung dagegen nicht getroffen. Es bedarf aber einer differenzierenden Begründung, ob und warum bei der außerordentlichen Kündigung der Beklagten gegebenenfalls eine Zusammenarbeit bis zum Ablauf einer hypothetischen ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar, im Rahmen einer ordentlichen Kündigung über die Kündigungsfrist hinaus aber nicht mehr zumutbar sein soll.

3. Da alle diese Umstände zur Beurteilung der außerordentlichen Kündigung dem Tatrichter obliegen, kann der Senat nicht selbst in der Sache entscheiden, sondern muß den Rechtsstreit im Umfang der Beschwer der Beklagten gemäß § 565 ZPO zurückverweisen. Denn nur die Beklagte hat gegen das Berufungsurteil Revision eingelegt. Das bedeutet, daß die Entscheidung, soweit sie den Kläger belastet, nämlich wegen der teilweisen Abweisung der Klage (Umdeutung der außerordentlichen in eine wirksame, ordentliche Kündigung zum 30. Juni 1991) und wegen der Zurückverweisung zur Beurteilung der ordentlichen Kündigungen vom 29. Juni, 10. August und 27. September 1990 (vgl. dazu nachfolgend unter 3 b) in Rechtskraft erwachsen ist.

a) Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 1991 steht rechtskräftig fest, weil durch die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts insoweit nur der Kläger beschwert war, der aber keine Revision eingelegt hat. Allerdings wird das Landesarbeitsgericht nach der Zurückverweisung unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen sowie evtl. neuen, ergänzenden Vorbringens der Parteien noch darüber zu befinden haben, ob das Arbeitverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 22. Oktober 1990 bereits mit sofortiger Wirkung beendet worden ist. Wäre dies der Fall, würde sich der rechtskräftige Ausspruch der Wirksamkeit der als ordentliche umgedeuteten Kündigung zum 30. Juni 1991 als eine Art Vorbehaltsurteil (§ 302 ZPO) herausstellen: Die bisherige Entscheidung des Landesarbeitgerichts stünde im Hinblick auf die erfolgreiche Revision der Beklagten nachträglich unter dem Vorbehalt, daß die außerordentliche Kündigung vom 22. Oktober 1990 das Arbeitsverhältnis nicht in Wirklichkeit bereits zu einem früheren Zeitpunkt beendet hat. Ein solches „Vorbehaltsurteil” ist nur in dem nach § 302 ZPO gesetzlich vorgesehenen Fall der Aufrechnung mit nicht konnexen Ansprüchen zugelassen, ist mithin als bedingtes Urteil unzulässig; es ist aber in Rechtskraft erwachsen (§ 325 ZPO), weil hierdurch – wie bereits ausgeführt – nur der Kläger beschwert war, der keine Revision eingelegt hat.

b) Das gleiche gilt im Ergebnis auch für die erfolgte Zurückverweisung an das Arbeitsgericht. Soweit dadurch der Kläger beschwert war, ist Rechtskraft eingetreten. Soweit die Beklagte insoweit beschwert wäre, als statt sachlicher Entscheidung in Form der Klageabweisung nur Zurückverweisung erfolgte (vgl. dazu BGH Urteil vom 19. Oktober 1989, NJW RR 1990, 480, 481), läßt sich weder ihrem Revisionsantrag noch dessen Begründung entnehmen, daß sie insoweit eine Abänderung des Berufungsurteils anstrebt, § 554 Abs. 3 Ziff. 1 und 3 ZPO. Möglicherweise hat die Beklagte ihren Revisionsantrag bewußt auf die Klageabweisung wegen der fristlosen Kündigung vom 22. Oktober 1990 beschränkt, wenn sie hinsichtlich der ordentlichen Kündigungen die Zurückverweisungsentscheidung des Landesarbeitsgerichts wegen der Eröffnung zweier Instanzen und der Ortsnähe des Arbeitsgerichts bei einer möglichen Beweisaufnahme als günstiger ansah. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob ein evtl. Verfahrensfehler des Landesarbeitsgerichts bei Anwendung des § 538 Abs. 1 Ziff. 2 ZPO – dem Arbeitsgericht dürfte jedenfalls kein Verfahrensfehler unterlaufen sein – überhaupt in der revisionsrechtlich erforderlichen Form (vgl. dazu BGH, aaO, zu II 2 der Gründe) gerügt worden ist.

Würde nach der noch vorzunehmenden, neuen Beurteilung des Landesarbeitsgerichts die außerordentliche Kündigung vom 22. Oktober 1990 erneut für unwirksam erklärt, hätte das Arbeitsgericht Münster aufgrund der rechtskräftig gewordenen Zurückverweisung darüber zu entscheiden, ob nicht eine der vorhergehenden ordentlichen Kündigungen das Arbeitsverhältnis bereits zu einem früheren Zeitpunkt (31. Dezember 1990 oder 31. März 1991) aufgelöst hat. Da der Rechtsstreit insofern nicht in der Revisionsinstanz angefallen ist, kann der Senat sich weder abschließend zur Berechtigung der Zurückverweisung an das Arbeitsgericht, noch zur Beurteilung der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigungen äußern.

4. Das Landesarbeitsgericht hat von seinem Standpunkt aus zu Recht keine Kostenentscheidung getroffen, weil es in der Sache nur über einen Teil des Rechtsstreits – wenn auch durch Endurteil (§ 300 ZPO) – entschieden hat. Wegen der Zurückverweisung wird das Landesarbeitsgericht, gegebenenfalls auch das Arbeitsgericht über die Kosten der Revisionsinstanz zu befinden haben, weil auch diese vom endgültigen Obsiegen oder Unterliegen der einen oder anderen Partei abhängen, §§ 91, 92 ZPO.

 

Unterschriften

Triebfürst, Dr. Rost, Bitter, Schulze, Nipperdey

 

Fundstellen

Dokument-Index HI916029

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